10. Berührungen
Erschrocken zuckte Manu zusammen, als er aus dem Augenwinkel einen Ball auf sich zufliegen sah. Er versuchte noch, ihn wegzuschlagen, war jedoch so in seine Gedanken versunken gewesen, dass es bereits zu spät war und der Basketball ihn seitlich am Kinn traf.
Mit einem unterdrückten Stöhnen rieb Manu sich über die schmerzende Stelle und sah sich nach der Herkunft des Balles um, nur um – wen auch sonst – natürlich Patrick nur wenige Meter entfernt zu sehen. Der größere Junge grinste breit, während der den Ball, der wieder ein Stück auf ihn zugerollt war, aufhob und wendete sich dann, ohne sich zu entschuldigen oder auch nur ein Wort zu Manu zu sagen, wieder von seinem Opfer ab.
Manu hatte gar nichts anderes erwartet, ihm war vollkommen bewusst, dass es sich hierbei nicht um ein Versehen im Chaos des Aufwärmens gehandelt hatte, dass Patrick ihn viel mehr absichtlich getroffen hatte. Genauso, wie er ihn gestern Abend absichtlich in dem kleinen Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte, gegen das Waschbecken geschubst hatte, sodass seine Hüfte nun ein weiterer blauer Fleck zierte. Genauso, wie er Manu heute Mittag absichtlich ein Bein gestellt hatte, als dieser sich in der Mensa gerade sein Mittagessen hatte holen wollen – und daraufhin statt noch etwas zu essen lieber gegangen war, auf den Pausenhof raus, wo er wenigstens für ein paar Minuten alleine sein konnte. Genauso, wie er beim Umziehen fürs Basketballtraining absichtlich seine Schuhe von der Bank und durch den ganzen Raum gekickt hatte, wo er sie sich aus eine rEcke wieder hatte holen dürfen. Und wieder standen seine Mitschüler nur da, schauten zu und lachten.
Manu sagte wie immer nichts, biss nur die Zähne zusammen und blieb stumm, während sein Trainier alle zusammenpfiff und ihnen das Einspielen in Zweierteams befahl.
Wie immer fanden sich sofort Freunde und kleine Gruppen in Paaren zusammen, wer keinen Partner hatte, fand jemanden, mit dem er sich zufrieden gab, bis nur noch Manu über war, der sich wie immer nicht getraut hatte, einfach so auf die Anderen zuzugehen.
»Was ist los? Hat noch jemand keinen Partner?«
Der Trainier sah sich kurz in der Halle um, kam aber auch zu dem Schluss, dass Manu wohl der war, der bei der ungeraden Schülerzahl überblieb.
Warum hatte er eigentlich ausgerechnet einen Mannschaftssport machen wollen? Warum hatte es nicht Schwimmen oder Leichtathletik sein können? Dann wäre ihm diese Tortur drei Mal die Woche ersparrt geblieben.
»Okay, dann kannst du gleich hier bleiben. Du machst die Übung vor. Jeder nimmt einen Ball.«
Manu unterdrückte ein Aufstöhnen, während der Trainier die ziemlich komplizierte Übung erklärte. Er versuchte, die Pässe, die ihm zugespielt wurden, anzunehmen, scheiterte jedoch schon beim zweiten Mal und wäre am liebsten im Erdboden versunken, als er hörte, wie seine Teamkameraden lachten.
Er wusste, dass es keine einfache Übung war, dass sie alle daran oft scheitern würden, und trotzdem sagte sein Selbstbewusstsein ihm, dass die Anderen über ihn lachten, dass er sich lächerlich machte und wahrscheinlich gerade einen ziemlich peinlichen Auftritt hinlegte.
Der Trainer ließ sich nichts anmerken, zog die Übung durch und drückte ihm anschließend den Ball mit ermutigenden Worten, einem kurzen »Schon nicht schlecht. Such dir ein Team und wechselt euch ab« in die Hand und ging die Gruppen durch, um die Fehler der anderen Schüler zu korrigieren.
Manu sah zwar, dass die Anderen auch Fehler machten, aber trotzdem fühlte er sich die ganze Stunde über nicht besser, zweifelte an seinen Fähigkeiten und hätte zeitweise am liebsten abgebrochen. Erst als sie endlich ein Spiel machten und er es schaffte, sich sogar im Zweikampf gegen Stegi, der einer der Besten war, gut zu halten, fühlte er sich wieder etwas besser und wusste auch wieder, warum er gerne Basketball spielte und dass ihm der Sport eigentlich Spaß machte.
*
Nach dem Training in der Umkleide versuchte Manu das erste Mal, möglichst viel Zeit zu schinden. Er fühlte sich erbärmlich dabei, wie ein feiges Opfer, aber die Blicke, die ihm seine Teamkameraden beim letzten Mal zugeworfen hatten, hatten ihm gereicht. Es war genug, wenn jeder mitbekam, was Patrick mit ihm anstellte, sie mussten nicht auch noch sehen, was für Auswirkungen das auf seinen Körper hatte.
Es waren nur noch drei andere Schüler im Raum, als er es langsam wagte, sich, mit Blick zur Wand der Umkleidekabine, zuerst die Hose auszuziehen und seine Jogginghose anzuziehen und dann auch sein Oberteil zu wechseln.
Er nahm das Haargummi ab, das seine Haare zu einem Zopf zusammengehalten hatte und verwuschelte mit einer Hand seine verschwitzten Strähnen. Sobald er im Zimmer war, würde er duschen gehen und bis dahin war es ihm egal, wie seine Haare aussahen.
Zum Glück war niemand mehr da, als er sich wieder in den Raum umdrehte. Natürlich hätte er sich auch auf dem Zimmer umziehen können, allerdings war dort Patrick und das war ihm sogar noch weniger recht als hier vor seinem halben Team.
Seine getragenen Sportsachen stopfte er bloß in seine Tasche und zog diese zu, bevor er sie schulterte und sich dann auch auf den Weg aus den Sporthallen und zurück zum Hauptgebäude machte.
Gerade ging er den Weg, der schon mit nassem Laub bedeckt war, entlang in Richtung Schule, als er Patrick entdeckte, der vor der Tür herumlungerte und ihn erwartungsvoll angrinste. Manu überlegte tatsächlich kurz, einfach umzudrehen, entschied sich dann aber dagegen und hielt weiter auf seinen Klassenkameraden zu, auch wenn ihm dabei murmlig war.
Wie erwartet ließ Patrick ihn nicht einfach so vorbei, sondern beförderte Manu mit einem einzigen Schubs auf die Seite, neben den Weg, wo er ihn, nun im Schatten der Bäume, gegen die Wand drückte.
Manu versuchte, ihn wegzuschieben, hätte ihn am liebsten angeschrien, ihn in Ruhe zu lassen, doch nach Wochen hatte er es immer noch nicht geschafft, auch nur einen Ton hervorzubringen.
Manu atmete tief durch, versuchte, sich mit den Übungen, die ihm bei der letzten Therapiestunde gezeigt wurden, sich zu beruhigen, doch es half nichts. Weder, um zu sprechen, was diese Übungen eigentlich bezwecken sollten, noch, um sich zu beruhigen.
Palle widerrum sah ihn nur ernst an, musterte ihn fast schon nachdenklich, während eine Hand scih fordernd auf Manus Hüfte legte.
Der feste Griff ließ ihn unterdrückt aufstöhnen, Patrick hatte genau den blauen Fleck erwischt, den er ihm gestern Abend zugefügt hatte, als er ihn im Bad geschubst hatte und der nun unter dem groben Griff des Stärkeren stark weh tat.
Patrick jedoch schien sein Stöhnen anders zu interpretieren, sein Grinsen wurde breiter und sein Blick fast schon anzüglich.
»Na, auf einmal doch nicht mehr so ein homophober Arsch? Gib ruhig zu, dass dir das gefällt.«
Patricks Hand hielt ihn weiterhin an der Hüfte fest, während seine andere Hand unter sein Oberteil fuhr und dort über Manus flachen Bauch strich, leicht, dieses Mal tatsächlich, ohne ihm weh tun zu wollen, darauf schlug und darüber rieb, bis nach unten zu seinem Hosenbund.
Sofort spürte Manu, wie ihn die Panik erneut packte, ohne nachzudenken versuchte er, nach Patrick zu schlagen, irgendwie von ihm weg zu kommen, hauptsache, er würde aufhören, ihn so zu berühren. Zu warm waren die Erinnerungen, die dabei aufkamen, fremde Hände, die ihn berührten, die Unfähigkeit, etwas dagegen zu tun.
Trotz seiner Panik schaffte Manu es nicht, seinem Peiniger zu entkommen, der jedoch hatte aufgehört, ihn anzufassen und hielt ihn nun nur noch an den Schultern gegen die Wand gedrückt, den Blick missbilligend auf Manus abwehrenden Gesichtszügen, nicht wissend, was eigentlich in ihm vorging.
Jetzt, da die sexuell belasteten Berührungen verschwunden waren, schaffte Manu es auch wieder, sich trotz seiner immernoch misslichen Lage, etwas zu berühren, seine Atmung normalisierte sich und er nahm wieder Patrick wahr, der dicht vor ihm stand und ihn so feindschaftlich musterte, als hätte er ihn am liebsten in Stücke gerissen.
»Steck dir deinen Ekel sonst wo hin. Du bist eine homophobe Missgeburt, nicht mehr. Aber ich verspreche dir, ich zeige dir ganz genau, was es ist, vor dem du dich da ekelst.«
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Maurice:
Was denkst du darüber das Manu sich nicht meldet? Meinst du, ihm ist etwas zugestoßen?
»Er hat sich ja nur zwei Tage nicht gemeldet nachdem er bei mir war. Inzwischen schreiben wir wieder. Aber ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn, er ist irgendwie komisch.«
Fühlst du dich vernachlässigt?
»Wieso vernachlässigt? Weil er sich nicht meldet? Nein, dabei geht es ziemlich sicher nicht um mich. Er scheint momentan irgendein Problem zu haben, das er mir nicht erzählen will. Es wäre unfair, ihm dafür auch noch Vorwürfe zu machen.«
Patrick:
Hast du als Manu reingekommen ist ihm angemerkt, dass Sebastian und Freddie ihn geschlagen haben? Oder das jemand ihn jemand geschlagen hat?
»Nein, angemerkt hab ich ihm nichts. Aber die Jungs haben es mir kurz darauf erzählt.«
Was hast du gegen Manu? Und komm mir nicht mit "ist homophob" du konntest ihn doch schon nicht leiden als du ihn das erste mal gesehen hast!
»Er ist ein Freak. Einfach richtig merkwürdig, seine ganze Art nervt mich.«
Bemerkst du Veränderungen in Manus Verhalten?
»Nein?«
Manu:
Maurice ist dein bester Freund, warum hast du Angst, mit ihm zu schreiben?
»Das ist einfach etwas, worüber ich nicht sprechen kann. Auch mit ihm nicht. Es geht einfach nicht. Aber inzwischen schreiben wir ja wieder, nur eben nicht - darüber.«
Wenn du nicht sprechen kannst, wieso schreibst du deine Antworten auf Fragen von Eltern oder Lehrern nicht auf?
»Tue ich. Ist aber extrem umständlich und zum Beispiel für den Unterricht einfach nicht so geeignet. Aber seitdem das Sprechen nicht mehr geht fällt mir erst auf, mit wie wenig Menschen ich eigentlich im Alltag rede.«
Mitschüler von Patrick & Manu:
Warum habt ihr es so auf Manu abgesehen?
»Er ist merkwürdig. Läuft auch rum wie son richtiger Freak. Und will sich meistens von fast allen nur abgrenzen, hält sich für etwas besseres.«
Warum lasst ihr euch von einem Neuling wie Patrick so sehr beeinflussen?
»Wieso beeinflussen? Patrick ist cool, er hat schnell Freunde gefunden. Aber keiner lässt sich beeinflussen?«
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(Vielen Dank übrigens an alle, die Fragen stellen!)
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