Kapitel 3: Der verbotene Garten
Als ich das nächste mal die Augen öffnete, befand ich mich wieder im Krähennest des Geisterschiffs. Dieses mal bemerkte mich Natalie noch bevor ich überhaupt Zeit hatte mich aufzusetzen.
„Tauchst du jetzt öfter hier auf?" Ich richtete mich auf und gähnte. Dann zuckte ich halb mit der linken Schulter.
„Möglich" Wieder wurde ich nervös, aber es war bereits um einiges weniger schlimm als letztes mal. Als ich Natalie ansah, viel mir etwas auf. Zum einen, dass ihre langen, dunklen Haare jetzt zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden waren und zum anderen, dass sie mich sehr misstrauisch ansah. Ebenfalls leicht misstrauisch, aber vor allem verwundert blickte ich zurück.
„Bist du für die Sache mit dem Käpt'n verantwortlich? Nachdem du dich gestern einfach so verdünnisiert hast, ist es nämlich besser geworden"
„Wirklich?", fragte ich erfreut. „Inwieweit besser?", fragte ich dann schon etwas vorsichtiger.
„Scheint wieder ganz der alte zu sein", meinte Nat nur. Erleichtert atmete ich aus. Also hatte sie die ganzen Änderungen nicht bemerkt. Ich hatte aber immer noch ein ungutes Gefühl im Magen, was die ganze Sache anging. Ich musste dringend mit Kapitän Nathaniel sprechen. „Also? Was hast du gemacht?", fragte die Piratin jetzt. Die Nervosität kam zurück.
„Äh, nichts Besonderes. Nur ein paar alte Daten aus dem Archiv verwendet", sagte ich schnell. Ich sah sie an, blickte ihr aber nicht direkt in die Augen.
„Aha", sie schien nicht überzeugt zu sein. Oder war sie nur misstrauisch? Natalie war aber auch grundsätzlich nicht die Freundlichkeit in Person. Ich lächelte schüchtern und blickte an ihr vorbei in den blauen Himmel. Kaum ein Wölkchen trübte die Sicht und kaum ein Wind wehte. Mein Kopf fühlte sich sehr kalt an.
„Ist auch nicht so wichtig. Ich würde gerne mit dem Kapitän sprechen, wenn das möglich ist" Wieso konnte ich nicht einfach in normalem Tempo und anständiger Lautstärke reden? Sie hatte das sicher nicht verstanden. Hier hatte ich doch wirklich keinen Grund, nervös zu sein.
„Sicher. Lass dich nicht abhalten" Sie war definitiv sauer. Zumindest ein bisschen. Schnell verließ ich das Krähennest und machte mich auf den langen Weg nach unten. Den Gedanken, dass Tau zu verwenden hatte ich sofort wieder verworfen. Nat wäre sicher nicht damit einverstanden gewesen.
Während ich kletterte, hatte ich Zeit mich wieder zu beruhigen und meinen Kopf wieder klar zu kriegen. Doch auf etwa halber Strecke bewegte sich die Lu plötzlich und ich krallte mich erschrocken an die Strickleiter. Der Rest des Weges brauchte fast doppelt solang wie der erste Teil, denn die Lu bewegte sich jetzt ständig abwärts, die Strickleiter bewegte sich im Wind und ich hatte andauernd mit meiner Höhenangst zu kämpfen.
Etwa zwei Meter vor dem Boden sprang ich ab und landete etwas unsanft auf den grünen Planken. Mein Herz klopfte wahnsinnig schnell, dabei war ich aber kaum aus der Puste. Was ebenfalls seltsam war. Normalerweise hielt ich so eine Kletterei nicht ewig aus.
Nach einem kurzen, wenn auch sehr unsicheren Marsch über das Deck kam die Kapitänskajüte zum Vorschein, doch noch bevor ich angekommen war, sah ich einen Geist die Tür öffnen und über das Deck schreiten. Genau in meine Richtung.
Kapitän Nathaniel trug einen Dreispitz und einen langen Mantel, der am Saum ein wenig zerfetzt war. Er schien nicht bewaffnet zu sein und auch im Näherkommen konnte ich weder einen Säbel noch eine Pistole erkennen, aber ich war mir sehr sicher, dass er irgendwo eine Waffe trug. Im Gegensatz zu den meisten anderen Piraten, die alle barfuß herumliefen, trug er hohe Stiefel. Sein Gesicht konnte ich nur sehr schwer erkennen, aber ich schob es auf die Tatsache, dass er noch durchscheinender war, als das Schiff oder die anderen Piraten.
Da das Deck so groß war, liefen wie eine ganze Weile aufeinander zu, waren aber die ganze Zeit in Sichtweite. Ich war mir nicht mal sicher, ob er überhaupt zu mir wollte, aber dieses langsame Näherkommen war doch ein wenig unangenehm. Es fühlte sich ähnlich an, wie eine Pause bei einem Gespräch die immer länger wird und bei der man die ganze Zeit den Drang hat, etwas zu sagen obwohl einem nichts einfällt. Ich beschloss jedenfalls, ihn einfach so anzusprechen, als wäre ich ihm zufällig über den Weg gelaufen. An die leichte Schieflage des Schiffes hatte ich mich erstaunlich schnell gewöhnt, ich lief einfach die ganze Zeit leicht bergauf.
„Coconut!", Kapitän Nathaniel sprach zuerst und noch bevor ich es für eine angemessene Distanz zum Sprechen gehalten hätte. „Konntest du uns also tatsächlich helfen?"
„So wie's aussieht schon", meinte ich zufrieden lächelnd und hoffte, dass er nicht weiter fragen würde. Tat er natürlich trotzdem.
„Weißt du dann, was los war? Über welche Mittel verfügst du in deiner Welt?" Es schien ihm nicht aufgefallen zu sein, dass er nicht der Gleiche wie vor seiner seltsamen Verwandlung war. Er konnte sich ja auch nicht mehr daran erinnern, wer er vorher war. Es beruhigte mich ein wenig, aber ich war trotzdem nicht ganz zufrieden.
Sicher, vor mir stand Kapitän Nathaniel und er hatte ein bestimmtes Aussehen und einen Charakter, er war keine Nebelwolke mehr, aber ... es war nicht der Kapitän, dem bei meinem ersten Besuch begegnet war und es störte mich.
„Ich weiß tatsächlich immer noch nicht, was genau eigentlich los war. Ich bin immer noch dabei es herauszufinden" Wenigstens das stimmte. Ich drehte mich ein wenig und nickte mit dem Kopf in Richtung Bug. „Wohin fahren wir eigentlich? Beziehungsweise, wo landen wir?"
„Ach, wir haben eine neue Welt erreicht. Ich hatte gehofft, deine zu finden" Bevor der Kapitän weitere Fragen zu seiner seltsamen Heilung stellen konnte, sagte ich schnell: „Oh, die werdet ihr nicht finden. Die ist sehr schwer zugänglich"
Ein leichter Wind kam auf, der langsam immer stärker wurde und ich glaubte, eine leichte Seebrise zu riechen. Durch die vielen Böden unterhalb des Decks konnte ich ganz unten schon etwas erkennen, dass wie Wasser aussah.
„Ich weiß, dass das hier nicht deine Welt ist. Es ist die Welt der grünen Ozeans. Wir waren schon öfter hier, wenn wir auf der Suche nach anderen Welten waren. Aber es wohnt dort niemand" Verwirrt sah ich ihn an. Ein grüner Ozean? Noch dazu in einer Welt, die Verbindungen zu vielen anderen haben musste, wenn die Besatzung der Lu sie schon öfter gefunden hatten? Ich war mir sicher, dass ich die Welt kannte. Ja, ich musste sie kennen, aber es viel mir nichts ein. Kapitän Nathaniel schaute mich eine Weile an. Seine Augen waren glasklar und noch farbloser als der Rest seines Körpers.
„Du willst nicht erzählen, wie du unseren Koch und mich gerettet hast, oder?", fragte er dann. Wie er das sagte. Gerettet. Fühlte sich irgendwie falsch an.
„Äh, ihr würdet es sowieso nicht verstehen. Das hat was mit den Regeln meiner Welt zu tun. Sie ist sehr weit von dieser entfernt und deswegen sehr anders. Aber ... wir haben Möglichkeiten alte Zustände wieder herzustellen" Ganz gelogen war es nicht. Die verschiedenen Welten die es da draußen im Universum gab hatten verschiedene Abstände zueinander. Nicht nur einfache, messbare Distanz sondern auch im Raum der Zauberei waren manche leichter zu erreichen als andere. Und meine Welt war definitiv am schwersten von allen zu finden. Und definitiv am schwersten zu verstehen.
Der Kapitän nickte und seine Augen schienen in meine Seele zu blicken. Er glaubte mir auch nicht, oder? Oder dachte er über etwas anderes nach?
„Aus welcher Welt kommst du denn? Ich glaube, ich habe schon einmal von ihr gehört." Oh. Was sollte ich jetzt sagen?
„Das glaube ich eher nicht", ich lächelte unsicher. Mist, ich brauchte einen Namen. Schnell. Ach quatsch, kein Name ist fast besser. „Mir ist auch kein Name bekannt. Es ist noch nie jemand aus einer anderen Welt rübergekommen" Unter keinen Umständen war das glaubwürdig gewesen. Dabei war es nicht einmal gelogen. In diesem Moment neigte sich die Lu stärker und ich verlor fast das Gleichgewicht uns stolperte ein paar Schritte zurück. Etwas, für dass ich sehr dankbar war, denn so hatte ich einen neuen Grund vom Thema abzulenken. Zudem wurde der Wind immer stärker und es roch jetzt eindeutig nach Meer.
„Landen wir schon?" Nathaniel nickte.
„Entschuldige mich kurz, ich muss schnell mit dem Steuermann reden" Und dann drehte er sich um und schritt schnell davon. Erleichtert atmete ich auf. Scheint so, als müsste ich noch nicht alle Geheimnisse preisgeben. Noch nicht.
Die Bewegungen der Schiffes wurden immer stärker und ich lief schnell bergab, zurück zum Mast, um mich festzuhalten. Der Wind wehte ab und zu in heftigen Stößen über das Deck und brachte meine langen Haare durcheinander. Nicht, dass sie vorher irgendeiner Ordnung gefolgt hätten. Meine Haare taten ständig das, was sie wollten. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Mast, hielt mich aber trotzdem fest, aus Angst abzurutschen und nach hinten zu fallen. Ich versuchte über die Reling zu schauen, doch ich konnte von meinem Standpunkt aus kaum etwas erkennen. Das Wasser unter mir kam allerdings immer näher und es schien tatsächlich grün zu sein. Obwohl das durch die vielen durchsichtig-grünen Schichten des Schiffes schwer zu beurteilen war. Ich überlegte noch einmal, wo wir wahren, aber die ‚Welt des Grünen Ozeans' sagte mir leider nichts.
Langsam erreichte die Lu den Boden und tauchte in das grüne Meerwasser ein. Ich beobachtete, wie der Wasserspiegel immer höher und höher stieg und einige der Unterdecks komplett überflutete. Klar, in ihrem jetzigen Geisterschiff konnten die Wände keinen Tropfen Wasser mehr abhalten. Die Piraten, die dort unten arbeiteten, schien das Wasser aber auch nicht zu stören. Sie liefen einfach weiter. Ich war trotzdem sehr froh, als die Lu wieder in ihrer normalen, horizontalen Stellung war und der Wasserspiegel nicht mehr stieg. Auf nasse Füße wäre ich nicht vorbereitet gewesen.
Es war seltsam still, denn das riesige Schiff verdrängte kein Wasser und bildete somit auch keine Wellen. Eine Weile beobachtete ich fasziniert das glitzernde Wasser unter den Holzschichten. Das Wasser wirkte wie eine Art fester Bezugspunkt und wenn ich den Kopf bewegte konnte ich deutlich sehen, wie sich die verschiedenen Böden und Decken zueinander verschoben.
„Ach, du bist auch wieder hier?", grüßte Galadriel im Vorbeigehen.
„Äh, ja. Mal wieder", antwortete ich schnell mit einem Lächeln. Dann drehte ich mich und sah Richtung Bug. Die Lu näherte sich einer Küste. Auf der linken Seite türmten sich hohe, graue Berge die in steilen Klippen mündeten. Es waren nicht viele Gipfel zu erkennen. Gerade einmal fünf. Nach rechts vielen die Klippen schnell ab zu einer Flachen, im Sonnenlicht blendend weißen Küste. Dort hatte das Wasser eine kleine Bucht erobert, die ein Stück ins Landesinnere führte. Das Wasser schien sich dort langsam von grün über türkis in blau zu verwandeln. Der Name Blauwasserbucht kam mir in den Sinn. Und dann machte es plötzlich Klick.
„Ihr seid im verbotenen Garten?", fragte ich verwirrt und überrascht.
„Ist das der offizielle Name dieser Welt?", fragte Galadriel eher beiläufig. „Warst du schon mal dort?"
„Ja, Nein, eben nicht", antwortete ich fassungslos. „Da sollte nämlich niemand hin!" Eigentlich hatte ich immer gedacht, es gäbe nur einen Ein- und Ausgang zu dieser kleinen, versteckten Welt. Aber mit fliegenden Geisterschiffen die durch Welten reisen konnten hatte ich dabei wohl nicht gerechnet.
„Nicht? Wir waren schon öfter hier. Wir sind nie weit gegangen, es scheint niemand hier zu leben", erklärte Galadriel jetzt auch ein wenig verwirrt.
„Hier soll auch niemand leben. Diese Insel ist nur für bestimmte gefährdete Tiere gedacht", erklärte ich, als ich den Blick wieder auf die Küste vor uns warf. Galardiel lachte: „Deswegen auch verbotener Garten, was? Aber mach dir keine Sorgen, wie tun den Tieren hier schon nichts. Wir sind meistens nur hier um zu sehen ob jemand gestrandet ist"
In weniger als einer Sekunde drehte ich den Kopf und sah ihn an.
„Wieso? Passiert das?", vielleicht hatte ich ein wenig zu besorgt geklungen, aber es gab auch jeden Grund zur Sorge. Dieser Ort sollte geheim sein, von allen verborgen. Wenn hier regelmäßig Schiffbrüchige strandeten, dann musste etwas wahnsinnig schiefgegangen sein.
„Nein, ist noch nie passiert. Aber wenn es mal passiert, dann hat diese Person keine Chance wieder zurück zur Zivilisation zu kommen" Er sah mich verwundert an, doch ich hatte keine Lust etwas zu erklären. Hauptsache, diese Zwischenwelt hatte weiterhin nur einen Ein und Ausgang. Mit Ausnahme von dem Weg, den die Lu genommen hatte vielleicht. Aber damit konnte ich leben.
So eine Zwischenwelt war schon etwas Schönes. Zwischenwelten hatten meistens keinen, oder nur einen Zugang zu anderen Welten. Man konnte das gesamte Universum und jeden einzelnen Planeten absuchen und würde kaum eine von ihnen finden. Die meisten dieser kleinen, geschützten Orte waren nur mithilfe von Zauberei zu finden. Oder eben mit einem riesigen Geisterschiff. Je nachdem was leichter zu finden war.
Deswegen hatte ich mir auch solche Sorgen gemacht, den eigentlich sollte es niemandem möglich sein hierher zu kommen.
Ich lief nach vorne zum Bug und beobachtete, wie wir uns langsam der Blauwasserbucht näherten. Und ich musste zugeben, nachdem der erste Schreck verflogen war machte sich Aufregung in mir breit. Genau so. Mit einer Brise Seeluft in der Nase und riesigen Klippen und einem blendend weißen Strand vor mir. So konnte ein Abenteuer beginnen!
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