Sind wir nicht alle ein bisschen unartig?
Sehr geehrter Herr Nikolaus,
Was ich Sie noch fragen wollte: „Sind wir nicht alle ein bisschen unartig?"
Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern können. Wir haben uns einmal persönlich getroffen, viele, viele Jahre ist es her. Damals durfte ich mich auf Ihren Schoß setzen. Ganz glückselig war ich, und tief beeindruckt von Ihrem samtigen roten Mantel und dem weißen Rauschebart.
Und Sie stellten mir die Frage aller Fragen: „Warst du denn auch immer schön artig?" Nur, um zu meinem abgrundtiefen Entsetzen sofort nachzuschieben: „Ich habe gehört, du räumst manchmal deine Puppen nicht auf!"
Schock Schwere Not, die Geschichten waren wirklich wahr! Der Nikolaus sieht alles, und nur gute Mädchen kommen in den Himmel (und bekommen Geschenke zu Weihnachten).
In meiner Panik wählte mein fünfjähriges Gehirn daher den einzigen Ausweg, der ihm in dem Moment möglich erschien: Alles abstreiten! Nichts zugeben!
Stimmt gar nicht!
Meine Lösung für sämtliche Schlamassel in meinem Leben war geboren: Niemals etwas eingestehen! Fehler verleugnen, verschweigen, verneinen. Es hatte einmal funktioniert, es würde wieder funktionieren.
Es funktioniert tatsächlich. Hinterlässt allerdings auch immer ein ungutes Gefühl in der Magengegend.
Daher würde ich Ihnen nun als das erwachsene Ich, das ich mittlerweile geworden bin, eine andere Antwort geben wollen.
Ja, manchmal räume ich meine Puppen nicht auf. Ja, manchmal fällt mir eine Puppe runter. Einmal ist mir sogar eine Puppe dabei kaputt gegangen.
Ja, manchmal denke ich sehr gemeine Dinge über meine Puppen, die sie wahrscheinlich sehr verletzen würden.
Aber was ich mittlerweile dazugelernt habe: Geht uns das nicht allen so? Wir machen alle Fehler, sind manchmal unordentlich, denken gemeine Dinge. Geht es im Leben nicht viel mehr darum, damit umzugehen, sich zu entschuldigen, und es vielleicht wiedergutzumachen? Aus Fehlern zu lernen?
Also nein, ich bin nicht immer artig. Ich bin menschlich. Und das ist vollkommen in Ordnung.
Meinen Kindern kann ich diese Lernerfahrung nicht ganz ersparen, so gerne ich das auch würde. Aber vielleicht müssen sie keine 30 Jahre dafür brauchen.
Von daher werde ich Sie als die verständnisvolle, gütige und wohlwollende Person vorstellen, die Sie eigentlich sind und bestimmt auch sein wollen. Und nicht als den strafenden und verurteilenden Nikolaus meiner Kindheit. Aber hej, Schwamm drüber. Fehler passieren uns schließlich allen.
Herzlichste Grüße,
der blonde Rauscheengel von damals
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Dieser Brief ist entstanden im Rahmen des Adventsprojekts von mastersofmeerkats
Schaut doch gerne auch mal dort vorbei, es lohnt sich 😊
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