Geständnisse
Inspector Kenneth ließ seinen Kopf auf den Tisch sinken. Es musste eine Lösung geben, es musste einfach! Und doch verstand er diese Mordserie nicht. Vier Männer um die sechzig Jahre herum waren kurz nacheinander verstorben, keiner sonderlich beliebt bei den Mitmenschen und doch war die einzige eindeutige Verbindung zwischen ihnen die Freundschaft zwischen Mary und Kate. Allerdings mussten die beiden unschuldig sein, Mary wegen der brutalen Vorgehensweise, die absolut nicht passen würde, und Kate wegen der offenbaren Unfähigkeit, auch nur irgendetwas hinzubekommen. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie dennoch beide darin verwickelt waren, und es hatte ihn selten getäuscht. Aber selbst wenn er von ihrer Schuld ausging, schien nicht alles zu passen. Es war nicht absolut unmöglich, doch an seine Version der Geschichte konnte er beim besten Willen nicht glauben. Hätten die beiden von Beginn an zusammengearbeitet, hätte Mary auch schon beim ersten Mord ein Alibi haben müssen. Zudem passte der zweite Mord nicht ins Bild. Auch wenn beide dabei ein Alibi hatten - er selbst war Marys Zeuge und sie hatte ausgesagt, dass Kate definitiv keine fünf oder gar zehn Minuten später gekommen war - hatte es mehr nach einem Schlachtfeld ausgesehen als nach einem perfektionistischem Mord. Beim dritten Toten schien zwar jedes Detail zu passen, denn Mary hatte ein dutzend Zeugen im Supermarkt, nachdem sie sich in einen Streit dort verwickelt hatte, und die Schlinge um den Hals des Mistkerls, die von dessen eigener Geliebten zugezogen wurde, konnte nur jemand mit so einem abgrundtiefen Hass wie sie erdacht haben. Dennoch konnte sie selbst es nicht gewesen sein und Kate traute er es nicht zu, direkt nach einem Polizeiverhör zu töten. Und dass Mary lautstark mit sich selbst vorm Fenster gestritten hatte, als gerade der vierte Mord geschah, konnte der Inspector auch nicht glauben. All das waren längst keine Anhaltspunkte für einen berechtigten Zweifel, schließlich war alles rein theoretisch möglich, wenn er seine Intuition außer Acht ließ. Doch diese Notizen des Mörders hatten ihn verwirrt. Diese seltsamen Formulierungen, die dreiste Art, sie einfach am Tatort zu tippen, noch einmal dort einzubrechen und noch einige davon herzustellen - das alles war absurd. Etwas hatte er übersehen und das galt es herauszufinden.
Er hatte die Aussagen tausende Male durchgelesen und war sich sicher, jedes Detail zu kennen. Jeden einzelnen umgaben dutzende Verdächtige, doch jede Zusammenarbeit zwischen den Familien hätte so groß ausfallen müssen, dass er sie nicht hätte übersehen können. Dass keiner der befragten Angehörigen sonderlich traurig erschienen war, lag schließlich an den Ermordeten selbst. Denen würde so schnell keiner eine Träne nachweinen, da war er sich sicher. Doch helfen tat ihm diese Tatsache nicht gerade, denn niemand schien sonderlich Lust darauf zu haben, den Fall so schnell wie nur möglich abzuschließen. Verständlich, wenn das Motiv des Täters gleichzeitig auch den Bekannten schaden könnte, ginge es dabei um ein Verbrechen.
Inspector Kenneth hob seinen Kopf wieder und starrte ins Leere, als Sergeant Daker hereinstürmte. "Wir haben den Fall geknackt! Stellen Sie sich vor, wir haben ein Geständnis! Wir haben den ersten Serienmord in Leicester aller Zeiten aufgelöst! Der Typ hatte so eine Höllenangst, dass er einfach hier aufgekreuzt hat und alles ausgeplaudert hat, stellen Sie sich das nur einmal vor! Wir kommen ganz groß in die Zeitung: Inspector Kenneth und Sergeant Daker lösen den schwierigsten Kriminalfall in Leicester! Meinen Sie, wir bekommen eine Auszeichnung oder so?" Er stützte sich schwer atmend auf dem Tisch ab, da er den gesamten Weg vom Verhörraum gerannt war. Er hatte es selbst nicht fassen können, dass jemand anderes als Mary an den Morden beschuldigt werden könne, doch nun gab es eine viel bessere Lösung.
"Gestanden? Wer hat gestanden?" Paul war mit so viel Kraft aufgesprungen, dass sein Stuhl scheppernd zu Boden fiel. Sein Herz schien still zu stehen, so zäh vergingen die Sekunden. Er hatte Angst. Auch wenn er seit Wochen über die Lösung nachdachte, wollte er sie nicht kennen. Seine Hände krallten sich in irgendeinen Papierkram und seine grauen Augen bohrten sich in Dakers. "Wer hat gestanden?", wiederholte er noch einmal, wobei jedes Wort in Zeitlupe aus seinem Mund zu kommen schien.
Der Sergeant wich erschrocken zurück. Er hatte Jubel erwartet, aber nicht diesen Blick, der ihn förmlich in die Hölle zu schicken schien. "So richtig den Mord gestanden nicht, es war ja nicht der Mörder. Aber er hat schon einige interessante Sachen erzählt, die seine Freunde für einige Jährchen ins Kittchen bringen könnte. Wir könnten sogar versuchen, den Fall Lacey wieder aufzurollen. Vielleicht klappt es dieses Mal, ich würde daran glauben."
"Wer hat gestanden?", wiederholte der Inspector seine Frage, mittlerweile so aus dem Konzept gebracht, dass er nichts mehr verstand.
"Ralph Kayden - er hat seine Freunde verpfiffen! Sie wissen schon, diese Typen, die wir nie verhaften konnte. Er hat alles ausgeplaudert, angefangen von den kleinen Betrügereien bis hin zu den Morden an sechs Personen, an denen er seine Kumpels für schuldig hält. Wenn er als Zeuge aussagt, könnten wir einen Prozess gegen die drei gewinnen und sie würden endlich von der Bildfläche verschwinden." Noch immer war der Sergeant durch den Wind. Auch wenn er sonst nicht sonderlich mitgerissen von seiner Arbeit war, war das hier ein Meilenstein seiner Laufbahn als Polizist. Er hatte den Fall Lacey mitbekommen, als er noch nicht einmal Sergeant gewesen war. Er war in Leicester aufgewachsen und auch wenn er diese Familie nie sonderlich gemocht hatte, beschäftigte ihn es auch jetzt noch genauso wie damals. Nun schien der Erfolg zum Greifen nah - drei ruchlose Verbrecher, die von Diebstahl bis Mord alles im Repertoire hatten, wurden endlich aus dem Verkehr gezogen. Dass der vierte wegen seines Geständnisses eine abgemilderte Strafe erhalten würde, war nicht weiter schlimm. Die schlimmsten Menschen der Stadt wurden nun vernichtet, dagegen waren kleine Kollateralschäden kein Problem. Selbst wenn sein Instinkt ihn von dieser Fährte weggelockt hatte, war es kein Grund, den erdrückenden Beweisen nicht zu glauben. Mike Morris, Daniel Henry und Aaron Finn White mussten schuldig sein, keine Frage.
Einige Stunden später war Licht ins Dunkle gekommen. Ralph Kayden hatte tatsächlich gegen seine Freunde und Geschäftspartner ausgesagt, wenn auch in Richtung der vier letzten Toten eher mit Vermutungen als mit Beweisen. Doch schon die Offenlegungen einiger Geschäftspraktiken reichten, um die beiden Verbrecher für alle Zeiten ins Gefängnis zu schicken. Denn obwohl Kayden jede direkte Beteiligung an den schwereren Vergehen abstritt, lieferte er genug Indizien. Er hatte auch zugegeben, seine Freunde bei dem Mord an Lenard und Emily Lacey gedeckt zu haben, wenn er auch behauptet hatte, er habe vor dem Geschehen nichts davon gewusst. Auch seine Sicht auf die vier letzten Morde stellte die drei Ganoven als eindeutig schuldig dar. Endlich konnte Paul wenigstens einen Teil der verhassten Truppe loswerden, wenn auch für Verbrechen, die sie teilweise nicht begangen hatten.
Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. So absurd die ganze Geschichte von Kayden auch klang, es war besser, als diese Mistkerle wieder davonkommen zu lassen. Waren sie einmal für die vier Morde an direkten und indirekten Geschäftspartnern verurteilt, würden sie ihre Strafe für den Mord an seinen Kindern erhalten. Sie hatten Lenard Oliver Lacey vor etwas mehr als zehn Jahren kaltblütig umgebracht, dessen war er sich schon immer sicher gewesen. Und sie hatten Andrew Harry Kenneth vor noch viel mehr Zeit in den sicheren Tod geschickt, egal, ob mit Tötungsabsicht oder nicht. Mit der Wahrheit hatte er sie nicht überführen können, sie hatten nur über ihn gelacht. Doch was schadete eine Lüge, wenn diese zur gerechten Strafe verhalf?
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