Intention
Was siehst du, wenn du aus dem Fenster schaust? Ist es dunkel und grau? Ist deine Welt auch so komisch vernebelt von viel zu dichtem Dunst?
Deine Hand an der Fensterscheibe und der Abdruck, den sie hinterlässt, ist das einzige, was du sehen kannst. Dabei sehe ich in deinen Augen doch wie sehr du dir gewünscht hättest einmal etwas anderes zu Gesicht zu bekommen. Dennoch, dein Spiegelbild in Glas auf schwarzem Hintergrund, Leere.
Doch ich kann dir nicht helfen. Was kann ich schon ausrichten? Was kann ich schon ändern? Noch nie zuvor habe ich mich so unbeholfen gefühlt.
Du siehst so verzweifelt aus, dass mir langsam, doch so deutlich, bewusst wird, dass du mittlerweile bloß noch Dunkelheit siehst.
Doch warum? Was steckt dahinter? Sind deine Augen nicht richtig geöffnet? Lassen sie sich etwa nicht richtig öffnen? Doch warum? Sind sie zu alt, schwach, abgenutzt? Sind sie krank, verletzt, infiziert? Warum zeigen sie dir nicht mehr? Sind sie auch so dunkel, leer, verlassen, wie das Glas des Fensters auf uns wirkt? Irgendetwas ist da nicht richtig. Irgendetwas scheint nicht korrekt zu funktionieren. Doch was? Nur was?
Sind da überhaupt Augen an dem Platz, an dem sie sein sollten? Sind wir überhaupt in der Lage dazu zu sehen oder ist das Glas und der langsam verschwindende Handabdruck nur Einbildung unserer Wenigkeit?
Liegt es dann überhaupt an unseren Augen? Sind vielleicht wir daran Schuld, spielt uns unser Geist etwa einen bösen Streich?
Gleichzeitig fassen wir uns mit beiden Händen in unsere Gesichter, direkt neben die Nase.
Doch. Da sind Augen, ich kann die Wimpern meine Haut streifen fühlen, die Augenlieder und die kleinen Kuhlen, welche zur Mitte des Gesichtes führen, kann ich ertasten.
Ich sehe auch du bist erstaunt über die Funktionstüchtigkeit deines Augenpaares, hälst deine linke Hand, dessen zurückgebliebene Form an der Fensterscheibe kaum mehr erkennbar ist, ein paar Zentimeter von deinem Kopf entfernt, fokussierst sie ganz genau an.
Es kommt mir fast so vor, als könntest oder wolltest du gar nicht glauben was du siehst. Es wirkt so, als wolltest du hindurchschauen.
Tief seufze ich. Noch nie zuvor habe ich mich so leer gefühlt.
Scheinbar hat es dir die Sprache verschlagen, ebenso wie mir und dennoch ist uns beiden klar, dass es an uns liegt, nur an uns, an unserem Geist, an unserer Intention.
Auf einmal bewegt sich deine Hand zu einem Gurt an der Wand, nicht weit entfernt von uns. Was es mit diesem wohl auf sich hat?
Ich rate dir zur Vorsicht, doch du schüttelst nur den Kopf, es scheint dein Wille zu sein, ich möchte dich daran nicht hindern, sondern dich einfach machen lassen. Langsam, träge, ausgelaugt verschwinde ich in die dunkelste Ecke des scheinbar endlosen, weitläufigen Raumes, kauere mich dort zusammen, während du dich beginnst abzumühen.
Du rüttelst, ziehst, zerrst, investierst deine ganze Energie und ich vernehme ein kurzes Keuchen. Bestimmt wirst du gleich zusammenbrechen, dessen bin ich mir fast sicher.
Ich besitze nicht die Kraft dazu, könnte diese jedoch bestimmt aufbringen, etwas schlummert da in mir, das weiß ich, doch ich will nicht. Warum? Genieße ich etwa die Dunkelheit? Sitze ich gerne in der Ecke? Fühle ich mich hier wohl?
Die Antworten sind verschlossen, nirgends in diesem Raum auffindbar. Alles scheint vergebens zu sein. Noch nie zuvor habe ich mich so hoffnungslos gefühlt.
Plötzlich knackst da etwas am anderen Ende des Raumes und ich hebe ruckartig den Kopf von meinen Knien.
Ich fasse es nicht, du hast es tatsächlich geschafft, der Rollladen hat sich ein beinahe unbedeutendes, kleines Stückchen nach oben bewegt.
Ich staune nicht schlecht, als du ihn mit einem weiteren, nun etwas selbstsicheren Ruck am grauen Gurt nach oben bewegst. Deine Hände sind schon ganz geschunden, doch du erhellst weiterhin die Dunkelheit.
Ich kann bereits einen hellen Streifen Sonnenlicht, welcher durch das alte Fenster fällt, ein paar Meter vor mir auf dem Boden ausmachen.
Wow. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas im Bereich des Möglichen liegt. Mit offenem Mund rappele ich mich auf, hieve mich hoch und klopfe mir anschließend den Dreck von der Kleidung, bevor ich in deine Richtung renne.
Erneut holst du tief Luft, um nochmals ein Stück Gurt mehr in dem Schlitz in der Wand verschwinden zu lassen. Ich packe mit an, helfe dir. Zielsicher ziehen wir gemeinsam, arbeiten auf unser Vorhaben hin, bis schließlich der Rollladen ganz oben und das Fenster komplett frei ist.
Der Raum ist jetzt so ungewohnt hell, ein warmes Gefühl durchströmt meinen Körper. Das Licht scheint über meine Seele zu huschen. So wohl habe ich mich noch nie zuvor gefühlt.
Völlig fertig stehen wir am Fensterbrett, sehen hinaus und betrachten den klaren Himmel, beobachten die so flauschig aussehenden Wolken, während wir der Sonne entgegen blinzeln und ich das Fenster kippe, ein weiterer Schritt meinerseits in die richtige Richtung. Doch du schüttelst nur den Kopf, bündelst deine Energie und öffnest das Fenster mit letzter Kraft komplett. Dann kletterst du hinauf in die Freiheit. Mit großen Augen schaue ich dich an, als du mir die Hand reichst, ich sie dankbar ergreife und du mich anschließend mit nach draußen ziehst.
Mein Blick fährt bewundernd über die üppige Landschaft, bis du atemlos ein Wort hervorbringst: „Spring."
Ich nicke und zusammen lassen wir uns fallen, vorbei an unseren Schatten, mitten in die für mich völlig fremde, neue Welt. Eine schöne Welt. Endlich. So frei habe ich mich noch nie zuvor gefühlt.
Nun fliege ich meiner noch unbestimmten Zukunft entgegen und auch auf deinem Gesicht kann ich ein ehrliches Lächeln erkennen.
Unglaublich, dass alles nur an unserem Willen lag, an unserer puren Intention!
Wir können uns zwar meist nicht aussuchen was wir sehen, aber dennoch besitzen wir die Fähigkeit dazu, es zu ändern.
Lasst uns den dunklen Raum hinter uns bringen und gemeinsam unsere Welt erhellen.
Auf eine selbstverfasste Zukunft.
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