Kapitel 49
"Bist du sicher, dass du das schaffst?", miaute Tannenwunsch mit einem besorgten Schimmern in den dunkelgrünen Augen.
"Natürlich schaffe ich das. Und wenn nicht, dann ist ja immer noch Sturmstern da und eine Pfote voll anderer Krieger. Geh schon, du brauchst ein bisschen Zeit für dich, das hast du selbst gesagt", antwortete die flauschige, weiße Kätzin und stupste ihre Baugefährtin mit der Nase an.
"Na gut. Aber ich bin bald zurück. Und ihr beiden benehmt euch, habt ihr mich verstanden?"
Letzteres galt ihren Söhnen, die mit den unschuldigsten Blicken neben einander saßen.
"Ja, Mama", maunzten sie einstimmig und nickten dabei ernst. Eisflut wusste, dieses Benehmen würde nicht einen Augenblick halten, nachdem Tannenwunsch das Lager verließ. Aber die Königin war schon angespannt genug und Eisflut hatte versprochen, auf die Jungen aufzupassen.
Ich werde sie zu Distelsturm bringen, vielleicht kann eine spannende Geschichte sie eine Weile ruhigstellen.
Tannenwunsch sah zweifelnd auf, doch seufzte dann und verließ das Lager. Eisflut hörte, wie sie draußen auf der Wiese die Schritte beschleunigte und einige Stare flogen über das Lager, als die Königin Richtung Wald davonzog.
"So, jetzt sammeln wir Zedernjunges und Bachminzjunges noch ein und dann gehen wir zu Distelsturm."
"Zu Distelsturm?", maulte Sonnenjunges und verzog das Gesicht. "Sollen wir ihr Nestmaterial wechseln und ihr die Zecken aus dem Fell ziehen? Wie eklig!"
"Sei nicht so respektlos, Sonnenjunges. Distelsturm hat sehr viel erlebt, sie hat bestimmt eine tolle Geschichte für euch", Eisfluts Blick war etwas gereizt, von den beiden war eindeutig Sonnenjunges der Unruhestifter. Sie musste unbedingt ein Auge auf ihn haben, bevor er noch auf dumme Ideen kam.
"Komm schon Sonnenblume! Geschichten sind noch toll!", rief Spatzenjunges begeistert und sprang verraus, das "Sonnenblume" bescherte ihm einen Kniff in den Schweif von seinem Bruder.
Nachdem Eisflut ihre beiden Jungen vom Frischbeutehaufen losgeeist hatte, von dem Zedernjunges seiner Schwester erzählt hatte, dass ein Monster in der Mitte hauste, gingen sie zum Ältestenbau. Vor dessen Eingang fläzte die schwarzgraue Kätzin in der Sonne, das verbliebene Auge genießerisch geschlossen.
Eisflut fiel auf, dass das Fell der alten Kätzin immer verfilzter und stumpfer wurde, ihre unter den Lefzen hervorstehenden Fangzähne waren gelblich verfärbt und brüchig. Ob sie bald sterben würde? Die weiße Königin konnte sich das Lager nicht ohne Distelsturm vorstellen, auch wenn die Älteste meistens nur am Rande am Clanleben teilnahm.
"Sei gegrüßt, Distelsturm." Höflich neigte Eisflut den Kopf und schob die Jungen nach vorne.
Beinahe augenblicklich beendete die Älteste ihr Nickerchen und lächelte die jüngsten Clanmitglieder freundlich an. Ihre Stimme war rau wie ein Felsen als sie sprach.
"Da freue ich mich aber, dass ihr mich besucht. Was kann ich für euch tun, ihr Süßen?"
Bevor Sonnenjunges etwas unhöfliches antworten konnte, quatschte Eisflut ihm dazwischen.
"Wir hatten gehofft, dass du eine Geschichte erzählen könntest. Die Jungen würden sich sehr freuen."
"Aber natürlich, aber natürlich. Ich habe eine perfekte Geschichte für euch, die wird euch sicher gefallen."
"Komm ein Kampf darin vor?", wollte Sonnenjunges wissen, doch er bekam keine Antwort, denn die Alte hatte schon zu erzählen begonnen.
"Diese Geschichte ist zu einer Zeit passiert, als ich noch eine Schülerin war..."
"Das muss ja echt lang her sein!"
"Halt den Mund, Sonnenblume. Aua!"
"Schluss jetzt mit dem Gerangel, Distelsturm erzählt schon."
"Also, wie gesagt, ich war noch eine Schülerin, und Dunkelstern, der ehemalige Anführer des SchwarzClans hatte gerade erst sein Amt angetreten. Bis auf einen Kampf mit dem RotClan war es eine friedliche Zeit und ich war sehr froh darüber, vorallem, weil ich so, viel mit meiner besten Freundin unternehmen konnte. Sie hieß Seelenstein und wäre eigentlich eine FleckenClan-Kätzin gewesen, hätte sie sich nicht freiwillig für den SchwarzClan entschieden. Aber zu ihrem Pech wählte Dunkelstern sie als Gefährtin, was ihr ein schweres Leben bescherte, sie verbrachte viel Zeit bei mir im Heilerbau, weil Dunkelstern sie verletzt hatte und ich half ihr so gut es ging. Doch eines Morgens verhielt sich Seelenstein sehr seltsam und ein paar Tage später war sie wie vom Erdboden verschluckt. Ich habe überall nach ihr gesucht, habe gedacht, ihr wäre etwas passiert und sie läge irgendwo in einem Graben, schwer verletzt oder gar tot. Aber ich konnte sie nicht finden."
"Wo war sie denn hin?"fragte Bachminzjunges leise.
"Ich weiß es bis heute nicht. Aber Dunkelstern war furchtbar wütend als er seine Gefährtin nicht fand und suchte einen Schuldigen. Letztendlich landete er bei mir, denn ich war die einzige die sich wirklich mit Seelenstein verstand, aber ich konnte ihm nicht sagen wo sie war, da ich es nicht wusste. Das war kurz nachdem meine Mentorin ermordet worden war und ich war kaum zwei Tage eine Kriegerschülerin, doch Dunkelstern griff mich dennoch an und verlangte, dass ich ihm sagte, wo Seelenstein war."
"Na endlich wird es spannend!"
"Ich habe so gut gekämpft wie ich konnte, aber Dunkelstern hatte mich bald am Boden, blutend unter seinen Pfoten. Er war vielleicht nicht der hellste, aber er war sehr stark und ich hatte keine Ahnung von Verteidigung. Das war der Tag, wo ich mein Auge verlor. Und Seelenstein habe ich nie mehr wieder gesehen."
Nachdem Distelsturm geendet hatte, herrschte kurz Stille. Nicht nur Eisflut schien die kleine Träne zu sehen, die sich in Distelsturms Augenwinkel sammelte.
"Wenn die Geschichte dich traurig macht, wieso erzählst du sie uns dann?" wollte Bachminzjunges wissen und zog sich auf die zottige Flanke der Ältesten hinauf.
"Weißt du Bachminzjunges, wenn Katzen im SternenClan verweilen, lösen sie sich irgendwann auf, weil sich niemand mehr an sie erinnert. Seelenstein hat mich damals zurückgelassen, aber ich habe immernoch die Hoffnung, dass ich sie eines Tages wiedersehe. Das geht aber nicht, wenn sie bis dahin verblasst. Ich möchte, dass ihr Andenken geehrt wird, versteht ihr?"
Die Jungen und auch Eisflut nickten stumm, selbst Sonnenjunges schien verstanden zu haben, dass das hier ein schwerer Moment für Distelsturm war, und hielt seine Zunge im Zaum.
"Komm ihr Kleinen. Geht etwas spielen", meinte Eisflut dann und ließ sich neben Distelsturm nieder. Langsam setzten sich die vier Jungen in Bewegung, als letzte folgte Bachminzjunges, die noch einen kurzen Blick zu der Ältesten zurückwarf und dann in der Kinderstube verschwand.
Eisflut schwieg zunächst, die Vergangenheit der alten Kätzin neben ihr wog so schwer, dass ihre eigenen Probleme leicht wie eine Feder wirkten.
"Das mit deiner Freundin tut mir sehr leid, Distelsturm. Vermisst du sie sehr?"
"Unendlich. Aber weißt du...ich wünschte sie hätte mich damals mitgenommen. So viel wäre mir erspart geblieben, doch es war wohl Schicksal."
Schicksal...
Gerade wollte die weiße Kätzin Distelsturm tröstend den Rücken tätscheln, als sie einen Schrei hörte und aufhorchte.
"Mama, irgendetwas stimmt mit Spatzenjunges nicht!"
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