Kapitel 20
Am ganzen Körper zitternd lag Wüstenpfote in ihrem Gefängnis. Immer wieder hauchte sie: „Schmetterlingsblüte, oh Schmetterlingsblüte. Es tut mir so unendlich leid.“
Sie hatte den Todesschrei der Kätzin gehört, als sie gerade ihr Gefängnis betreten hatte. Am liebsten wäre die Schülerin zurückgestürmt und hatte Heidekralle dafür höchst persönlich die Kehle zerfleischt, aber das hätte die Heilerin nicht gewollt. Nun lag Wüstenpfote da, die Pupillen geweitet, die Schwanzspitze zuckte hin und her. Schützend hatte die Schülerin ihren Körper um das Päckchen mit dem Gegenmittel geschlungen, es war das einzige von den vieren die Schmetterlingsblüte für sie zubereitet hatte. Sie hoffte, dass das ihr wenigstens die Chance bot zu überleben, wenn sie fliehen würde. Diese Kräuter würden nämlich nur einen Teil dessen neutralisieren, was ihr Blut verunreinigte. Wüstenpfote hofft, dass sie stark genug wäre ohne die anderen Päckchen auszukommen. Wenigstens für eine Weile.
Noch immer zitterte sie. Sie machte sich selbst Vorwürfe, denn sie war Schuld an Schmetterlingsblütes Tod gewesen. Aber wenigstens hatte die Heilerin den Pfad des SternenClans freiwillig gewählt. Wüstenpfote hätte es nicht verkraften können, wenn die Kätzin gestorben wäre, ohne sich aus freien Stücken dafür zu entschieden gehabt zu haben. Die Schülerin hatte noch ganz klar den letzten Blick, den die Heilerin ihr zugeworfen hatte vor ihren Augen. Diese hatte so hoffnungsvoll ausgesehen, als ob Wüstenpfote nun die Träume, die Schmetterlingsblüte hatte erfüllen würde und könnte.
Deshalb war die Schülerin auch nicht sofort aus dem Lager entflohen, denn die Krieger des Clans hätten sie festgehalten, wenn nicht sogar getötet und ihr die Kräuter entwendet. Das wäre absolut nicht das gewesen, was die Heilerin sich ausgemalt hatte. Wüstenpfote musste erst unbemerkt in ihr Gefängnis zurückkehren und so tun, als wäre sie dort auch die ganze Nacht gewesen. Danach konnte sie sich einen funktionierenden Plan auszudenken.
Langsam fielen Wüstenpfotes Lider zu. Sie brauchte den Schlaf um sich von den Strapazen und der Trauer zu erholen. Die Schülerin glitt sanft in einen unruhigen Schlaf.
Als sie erwachte war es bereits heller Morgen. Die Sonne schien und es wirkte, wie wenn nichts gestern Nacht passiert wäre. Noch war die Hitze des Tages nicht groß und einige Vögel zwitscherten unschuldig in den Sanddorn- und Ginsterbüschen.
Doch für Wüstenpfote war alles verändert. Gestern war eine Katze aus Treue zu ihr gestorben und hatte ihr zudem noch die Möglichkeit beschafft, unbeschadet (naja fast) den Clan verlassen zu können. Sie war der Heilerin unglaublich dankbar für das, was sie für sie getan hatte. Die Katze hatte ihr Leben gelassen um sie zu retten und zu beschützen.
Die Schülerin starrte gedankenverloren an die die Decke ihres Gefängnisses. Zweige waren mit Lehm und Schlamm befestigt und verklebt worden. Es war eine saubere Arbeit. Sie hatte die bestimmt nicht gemacht. Der Bau war erst nach ihrem Verschwinden erbaut worden. Wüstenpfote runzelte die Stirn.
Wieso war dieses Gefängnis erbau worden?
War es etwa geplant gewesen, dass sie Katzen gefangen nehmen würden?
Wahrscheinlich schon. Sie drehte sich auf die Seite. Da ertönte ein entsetzliches Gejaule vor ihrem Bau, in dem sie gefangen gehalten wurde. Sie stemmte sich auf die Pfoten, als ihr Name gebrüllt wurde. Langsam trottete sie aus dem Bau, tat so, als ob sie gerade aufgewacht wäre. Das Päckchen mit dem Gegenmittel hatte sie gerade noch geistesgegenwärtig unter die Äste des Busches geschoben, der ihren Bau bildete. Sie hoffte, dass niemand es dort, in der hintersten Ecke, suchen beziehungsweise finden würde. Das Licht belendete sie, nachdem sie durch die Öffnung getreten war. Sie kniff die Augen zu, ihre Pupillen verengten sich zu Schlitzen. Als sie aus dem Bau auftauchte, wurde sie von vielen Katzen angestarrt.
„Was ist denn los? Habe ich schon wieder etwas Falsches getan?“, fauchte sie angepisst.
Die Clan Katzen sahen ehrlich verblüfft aus, dass sie sich in ihrem Bau befunden hatte. Heidekralle schob sich durch die Menge, stieß Blaufell beiseite, die zu ihrer Ziehtochter stürzen wollte. Wüstenpfote zog die Nase kraus, sie bleckte kurz die Zähne. Es störte sie, dass er so ruppig mit ihrer Ziehmutter umging.
„Wüstenpfote.“, knurrte der zweite Anführer. Sie sah genervt zu ihm auf. „Wieso bist du noch nicht auf der Jagd?“, fauchte er sie an, die Lefzen wütend hochgezogen.
„Weil mich noch keiner abgeholt hat. Schließlich darf ich das Lager ja nicht alleine verlassen.“, erwiderte sie schnippisch.
Heidekralles Miene verfinsterte sich noch mehr, er kniff die Augen zusammen und funkelte sie aus den dunklen, braunen Schlitzen heraus an. Wüstenpfote wandte den Blick nicht ab und funkelte zurück. Die Anderen beobachteten das kleine Duell zwischen den beiden. Es schien, als würde jeden Moment einer von ihnen losspringen und dem jeweils anderen das Leben nehmen. Windstern ging dazwischen.
Er fauchte Wüstenpfote an: „Ruhe. Du gehst jetzt sofort mit Kupferpfote auf die Jagd. Und wenn du nicht genug Beute mitbringst, dann wirst du dafür bezahlen.“
Die Schülerin verdrehte die Augen. Jetzt ging das schon wieder los. Hatten die nichts Besseres zu tun als sie zu schikanieren? Es war doch gerade eine Katze durch Heidekralles Pfoten gestorben, sollt man dann nicht dieser nachtrauern oder sie wenigstens begraben? Wüstenpfote schnaubte empört.
„Kupferpfote, komm her.“, herrschte der Krieger den Schüler an. Der rote Schüler humpelte auf seinen drei Beinen über die Lichtung. Wüstenpfote warf ihm einen ebenso mitleidigen Blick zu, ebenso wie er ihr.
„So, jetzt mach dich an die Arbeit.“, knurrte Windstern Wüstenpfote an. Diese rümpfte ihre Nase und folgte Kupferpfote, der sie aus dem Lager geleitete.
„Wieso hat dir Heidekralle das angetan?“, fragte Wüstenpfote nach einer Weile. Der Schüler zuckte erschrocken zusammen, bis jetzt hatte er noch kein einziges Wort von sich gegeben. Die Stille beunruhigte Wüstenpfote dermaßen, dass sie mit der unangenehmen Frage herausgeplatzt war. Nebeldunkel hatte ihr das Geschehene erzählt, doch sie wollte es aus erster Pfote wissen, wollte wissen, warum ausgerechnet einer ihrer Nestgefährten daran glauben hatte müssen.
„Ich habe dich verteidigt.“, sagte er bloß leise. Nun war es an Wüstenpfote zusammenzuzucken.
„Du…Heidekralle hat dich, weil…“, stammelte sie.
„So ist es.“, antwortete er geknickt. Wüstenpfote war zutiefst erschüttert. Wie konnte der nur? Etwas kleines, Rotes tauchte in der Ferne auf. Es kam rasend schnell näher. Was hatte denn das jetzt schon wieder zu bedeuten? Eine rote Kätzin stürmte auf sie zu.
Wüstenpfote stutzte: „ Glutpfote?“
Die Schülerin war total abgemagert und ihre Ohren waren eingerissen. Oh nein, es durfte nicht auch noch sie erwischt haben! Die junge Kätzin kam keuchend vor ihnen zum Stehen. Kupferpfote eilte sofort besorgt zu seiner Schwester und drückte ihr liebevoll die Nase an die Flanke.
Glutpfote hechelte: „Ich sollte mitkommen. Heidekralle will, dass du stärker bewacht wirst. Er traut dir nicht.“
Wüstenpfote war irritiert: „Aber wieso schickt er dann euch? Ihr seid doch dafür bestraft worden, dass ihr für mich eingestanden habt.“
„Ich denke er will uns testen. Es ist eine Falle.“, murmelte Kupferpfote.
Die Kätzinnen nickten. „Du kannst Recht haben.“, stimmte Glutpfote zu. „Dann lassen wir ihm keinen Grund euch wieder zu bestrafen.“, miaute Wüstenpfote entschlossen. Die Geschwister nickten gleichzeitig. Anschließend machten sie sich an die Arbeit. Die Beiden flankierten sie, bis sie nahe dem oberen FlussClan Territoriums zu dem Jagdgebiet gelangten. Wüstenpfote atmete tief durch.
Der Schorf an ihren wunden Beinen hatte sich verdichtet und die Verletzungen bluteten nicht mehr, trotzdem spürte sie dort ein äußerst schmerzhaftes und unangenehmes Ziehen und Brennen. Die Schülerin witterte bereits ihre Beute. Sie warf ihren Begleitern einen schnellen Blick zu, nachdem diese per Augenkontakt ihr Einverständnis gegeben hatten, machte sich Wüstenpfote auf, um zu jagen.
Für die Geschwister würde sie sich abrackern, sie wollte nicht, dass sie aufgrund der Treue zu ihr erneute verletzt wurden.
Wüstenpfote verlagerte ihr Gewicht und schlich durch das trockene, struppige Gras. Es knisterte eine wenig, doch ihre mögliche Beute würde das nur für das Rascheln des Windes halten, der durch die Gräser wehte. Auch die ewige Sonne mit ihrer unermüdlichen andauernden Hitze trug zu einer schier unerträglichen Situation bei. Im DonnerClan Territorium war es zum Vergleich hierzu äußerst angenehm temperiert und kühl.
Nun ja, was hätte man auch erwartet. Schließlich wuchsen dort auch fast ausschließlich hohe Laubbäume, die mit ihren dichten Blättern den Waldboden und die Katzen, die dort lebten, vor zu großer Hitze schützte. Im Gegensatz zu diesen, waren WindClan Katzen extremen Temperaturen und Schwankungen dieser gewöhnt, denn auf dem Territorium eben derjenigen fast keinen Schutz.
Wüstenpfote kroch geräuschlos die Heidesträucher entlang und kauerte sich in der Nähe eines Baumes nieder. Ihre Sinne waren hellwach und gespannt. Regungslos suchte sie die Gegend nach Leben ab. Sie hielt Ausschau nach den winzigsten Bewegungen, öffnete das Maul, um den feinsten Geruch wahrzunehmen, und richtete die Ohren nach vorne.
Dann roch sie die Maus.
Sofort erkannte sie den Geruch. Ihr Magen schmerzte, sie war hungrig, wusste aber, dass diese Beute nicht für sie bestimmt war. Wilde Energie schoss ihr durch den Körper, doch sie blieb regungslos liegen, versuchte herauszufinden, wo sich die Beute befand. Sie lauschte angestrengt, bis sie den Schlag des Mäuseherzens wahrnahm. Dann blitzte etwas Braunes vor ihren Augen auf. Das Tier bewegte sich schnell durch das Gestrüpp hindurch. Wüstenpfote schob sich näher, dachte daran, wie sie schon etliche Mäuse hier erlegt hatte, wie sie schon die zwei davor heute erlegt hatte. Sie wunderte sich, dass diese Tierchen immer noch so dumm waren, sie mussten doch wissen, dass sie immer hier ihre Jagd begann. Wüstenpfote verlagerte ihr Gewicht auf die Oberschenkel, bis sie den richtigen Abstand fand, um zuzuschlagen.
Kraftvoll drückte sie sich mit den Hinterpfoten ab. Wenn man sie beobachtet hätte, diese ausgemergelte Kätzin, hätte man nicht vermutet, dass so viel Stärke in ihr steckte, auch noch nach so vielen Strapazen und den Wunden an den Beinen und Pfoten. Sie sprang. Sand wirbelte auf, als sie in die Luft stieg.
Die Maus flitzte davon, doch Wüstenpfote war eine erfahrene Jägerin, erfahrener als mancher Krieger. Sie war schneller als ihre Beute. Sie warf sie mit einer Pfote in die Luft, schleuderte sie auf den trockenen Boden und landete direkt auf ihr. Sofort tötete sie sie mit einem schnellen Biss. Sofort spitzte sie wieder ihre Ohren.
Wüstenpfote sog den Geruch einer weiteren kleinen Feldmaus in die Nase und folgte ihm wie hypnotisiert.
Die Schülerin war eine äußerst geschickte Jägerin, auch wenn sie zurzeit geschwächt war. Sie hörte den Schlag des kleinen Mäuseherzens bereits auf mehrere Katzensprünge Entfernung. Ihre Nase zuckte, ebenso ihre Schwanzspitze. Die Schnurrhaare zitterten leicht. Ihr ganzer Körper war vor Erwartung angespannt. Sie würde diese Beute nicht laufen lassen. Die Maus war jetzt schon fast die ihre. Wüstenpfote pirschte sich an das kleine Tier heran, unwissend wie es war, knabberte es an einigen Pflanzensamen.
Die Schülerin verlagerte ihr Gewicht auf ihre Hinterbeine, drückte sich kraftvoll vom Boden ab, wirbelte eine Wolke aus Dreck auf und erwischte die Beute mit ihren Krallen. Mit einem schnellen Biss tötete sie sie, während sie sich ausmalte es wäre Heidekralle oder Windstern, der da unter ihrem schnappenden Kiefer erschlaffte.
Sie würde eines Tages die beiden erwischen und umbringen, egal, was es sie kostete.
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