Kapitel 10
AM NÄCHSTEN MORGEN brannte die Sonne wieder heiß vom Himmel herab.
Wüstenpfote streckte sich und trat aus dem Schülerbau. Am Tag zuvor hatte Silberstern eine Clanversammlung einberufen und die Grenzpatrouillen verdoppelt, vor allem am WindClan Territorium. Nachdem Jaguarkralle ihr den Rest des Jagdgebietes des DonnerClans gezeigt hatte, waren sie noch auf die Jagd gegangen. Die Stimmung war zwischen ihnen zwar nicht freundlich aber auch nicht feindlich. Eigentlich ganz angenehm sich nicht ständig mit dem Mentor streiten zu müssen. Sie leckte sich über die Lippen, ihr Mund war ganz trocken.
Die Schülerin lief zum Bach um etwas zu trinken, da hörte sie Jaguarkralles Stimme hinter sich: „Wo hin so schnell? Heute wird noch trainiert." „Ja, ist schon gut. Ich gehe bloß kurz was trinken." Ihr Mentor nickte und gab seine Einwilligung.
Der Geruch von Beute drang an ihre Nase. Wenn sie schon einmal aus dem Lager war, dann konnte sie auch mit Frischbeute zurückkommen. Plötzlich fingen ihre Schnurrhaare an zu jucken, und sie witterte den warmen Puls einer Wasserratte, die mit ihrem Nestbau beschäftigt war.
Einen Augenblick später sah sie sie. das fette, braune Nagetier flitzte am Ufer hin und her und sammelte Grashalme. Wüstenpfote lief das Wasser im Maul zusammen. Ihre letzte Mahlzeit lag viele Stunden zurück, aber sie wagte nicht, für sich zu jagen, bevor der Clan genug Nahrung hatte. Sie kauerte sich nieder und schlich sich an.
Ihr sandfarbenes Fell strich über das feuchte Gras. Sie kroch näher, ohne die Beute aus den Augen zu lassen. Fast am Ziel. Noch ein Augenblick und sie wäre nahe genug zum Sprung...
Plötzlich ertönte ein lautes Platschen hinter ihr.
Die Ohren der Wasserratte zuckten und sie tauchte ab in ihr Loch an der Uferböschung. Wüstenpfote schnaubte verärgert und setzte sich auf. „Mausepfote!", knurrte sie spielerisch. Ihre Freundin stand bis zum Bauch im Wasser. „Was zum Teufel hast du den da drinnen verloren?", fragte Wüstenpfote und es schüttelte sie, nie im Leben würde sie freiwillig ins Wasser springen.
„Was hast du denn? Bist du etwa wasserscheu?", lachte die kleine Schülerin. Verlegen leckte sich verlegen über die Brust: „Nicht so ganz..." „Wie kann man denn bitte nicht so ganz wasserscheu sein?", die Augen der Kätzin blitzten. „Ähm.", machte Wüstenpfote. Um vom Thema abzulenken fragte sie: „Und was machst du gerade so?" Es klappte.
Begeistert miaute Wüstenpfote: „Sonnenfell will, dass sich auf Jagd gehe und ich werde dann beurteilt." „Das ist bei dir ebenso." Schon wieder hatte sich Jaguarkralle von hinten an sie herangeschlichen. „Fällt dir etwa nichts Eigenes ein, Bruderherz?", stichelte Mausepfote. Der dunkle Krieger verengte seine Augen zu Schlitzen. „Du bist ja schlimmer als Wüstenpfote.", lachte er.
Seine Schülerin tat so als wäre sie beleidigt, aber in Wirklichkeit fand sie den Schlagabtausch der Geschwister einfach nur zum totlachen. „Mausepfote hatte ich dir nicht etwas Respekt beigebracht.", Sonnenfell war in Begleitung von Rattenkralle, dem zweiten Anführer des DonnerClans aufgetaucht.
„Wir werden euch beide beurteilen.", miaute der große, braune Kater mit der etwas länglichen Schnauze. „Eure Mentoren haben euch, einer jedenfalls, in den letzten Wochen beigebracht, wie man ordentlich jagt. Heute habt ihr Gelegenheit, mir zu zeigen, wie viel ihr gelernt habt. Jeder von euch wird eine andere Strecke nehmen und so viel Beute wie möglich machen. Und alles, was ihr fangt, wir in die Vorräte des Lagers gehen." Die zwei Schüler blickten sich nervös und erwartungsvoll an. Wüstenpfote spürte, wie ihr Herz angesichts der Herausforderung schneller schlug.
„Du, Mausepfote", fuhr Rattenkralle fort, „Nimmst die Route am Bach entlang bis hin zum Donnerweg." „Na bestens. Nasse Pfoten für mich.", miaute sie. „Du bist doch heute eh schon Baden gewesen.", miaute Wüstenpfote belustigt. Rattenkralles Blick brachte sie zum Schweigen. „Nun zu dir, Wüstenpfote. Du nimmst die Route durch die Hochkiefern am Baumsägeort vorbei und zum Wald dahinter."
Wüstenpfote nickte, während sie in Gedanken schon die Route durchging. „Wir sehen uns später. Viel Glück!", miaute Mausepfote und raste los, den Bach hinauf. Wüstenpfote blieb noch stehen und prüfte die Luft, dann preschte sie die Böschung hinauf in Richtung der Hochkiefern.
Es war ein herrliches Gefühl hier entlang zu laufen, endlich fühlte sie sich wie eine vollwertige Clankatze, sie durfte etwas alleine erledigen, ohne dass ihr jemand etwas bis ins kleinste Detail vorschrieb. Vorsichtig überquerte sie den kleinen Pfad, der in den Kiefernwald hineinführte.
Sie blickte über den Waldboden durch die gleichmäßigen Baumreihen, sog aufmerksam die Luft ein und hielt Ausschau nach Beutetieren. Plötzlich bemerkte sie im Augenwinkel eine Bewegung. Es war eine Maus, die in den Kiefernnadeln herumwühlte. Sofort begab sich Wüstenpfote in eine lang trainierte Anschleichhaltung. Ihre Pfoten berührten nun nur noch federleicht den Boden.
Diese Methode funktionierte bestens. Die Maus entdeckte sie nicht. Sie fing sie mit einer Pfote und tötete sie, wie sie es schon hunderte andere Male getan hatte. Dann vergrub sie sie, um sie später bei ihrer Rückkehr mitnehmen zu können. Tiefer im Hochkiefernwald sog Wüstenpfote tief die Luft ein. Der scharfe Atem des Ungeheuers, von dem ihr Mentor ihr erzählt hatte, hatte hier eine Weile nicht mehr geweht.
Sie folgte dem zerpflügten Weg und sprang über die Rillen im Erdreich. Die Erde war rissig und brüchig, ein Zeichen davon, dass es schon länger nicht mehr geregnet hatte. Ihr Fell kribbelte vor angespannter Aufmerksamkeit. Dies war der Wald, der an den Zweibeinerort angrenzte. Vor sich konnte Wüstenpfote Zweibeiner riechen und ihre Stimmen hören, laut und rau, wie von Krähen. Es war eine Gruppe junger Zweibeiner, die im Wald spielten. Sie duckte sich und lugte durch den Farn hindurch.
Die Geräusche waren so weit entfernt, dass sie sich sicher fühlten konnte. Sie änderte ihre Richtung, umging die Geräusche und vergewisserte sich, dass man sie nicht entdeckt hatte. Wüstenpfote blieb aufmerksam und wachsam. Sie glaubte, im Gebüsch hinter sich einen zweig knacken zu hören. Sie schnüffelte, roch aber nichts Neues.
Wurde sie jetzt beobachtet?
Sie konzentrierte sich, doch auch nicht der vertraute Geruch ihres Mentors stieg ihr in die Nase. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Zuerst dachte sie, es wäre Jaguarkralles nachtschwarzes Fell, aber dann sah sie etwas Dunkelrotes aufblitzen. Geduckt hielt sie an. Der Geruch kam ihr bekannt vor, war aber dennoch fremd. Es war eine Katze, aber keine aus dem DonnerClan. Ihr Fell sträubte sich. Sie musste den Eindringling verjagen! Wüstenpfote beobachtete die Katze, die sich durchs Unterholz bewegte. Ihre Umrisse waren klar zu erkennen, als sie zwischen den Farnwedeln hindurchhuschte. Sie wartete, bis sie sich näherte, duckte sich tiefer. Ihr Schwanz bewegte sich langsam hin und her.
Als die rote Katze aus dem Farn auftauchte, legte sie ihr Gewicht von ihren Oberschenkel auf den anderen, bereit für den Sprung. Noch ein Herzschlag, dann schoss sie vor. Die Katze machte vor Schreck einen hohen Satz und rannte zwischen den Bäumen davon, Wüstenpfote hinterher.
Es ist ein Hauskätzchen!, dachte sie, als sie durch das Unterholz preschte und den Angstgeruch wahr nahm. Schnell näherte sie sich dem fliehenden Tier. Es hatte seine kopflose Flucht verlangsamt und wollte den breiten, moosbedeckten Stamm eines umgestürzten Baums hinaufklettern.
Das Blut rauschte in Wüstenpfotes Ohren, als sie mit einem Satz auf den Rücken der Katze sprang. Das Tier jaulte voller Angst auf und strampelte verzweifelt, doch sie hielt es mit seinen Krallen fest. Dann löste sei ihren Griff und trat zurück. Die rote Katze duckte sich am Fuß des umgestürzten Baums und blickte zitternd zu ihr hoch. Wüstenpfote hob ihre Nase und empfand einen leichten Widerwillen, weil sich der Eindringling so leicht ergeben hatte.
Sie neigte ihren Kopf leicht seitlich. Diese elegante, gut genährte Hauskatze kam ihr bekannt vor. Der Geruch... Sie betrachtete sie genauer, schnüffelte und sog ihren Duft ein. Ich kenne diesen Geruch, dachte sie und suchte weiter in seinem Gedächtnis.
Dann kehrte die Erinnerung zurück. „Ich habe dich schon einmal gesehen. Du saßest auf dem Zaunpfahl und hast in den Wald geschaut.", miaute sie laut. Die Katze blinzelte und duckte sich noch immer ängstlich. „Ich habe das Gefühl gehabt, dass du mich auch entdeckt hast." Die Hauskatze war verwirrt. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Miene klärte.
„Ja, du hast Recht.", rief sie ungläubig. „Warst du das? Bist du eine Wildkatze? Oder lebst du bei Hausleuten? Ganz sicher tust du das, weil du noch am leben bist!"
„Mein Name ist Wüstenpfote", sagte sie. Dann lockerte sie die Schultern und legte ihr sandfarbenes Fell an. Auch ihr Gegenüber entspannte sich und stellte die Ohren auf.
„Wüstenpfote?", wiederholte sie amüsiert. „Nun, Wüstenpfote, sieht fast so aus, als würden sich deine Hausleute dich nicht gut genug füttern!" „Was sind Hausleute?"
Die Rote blinzelte: „Lebst du etwa nicht bei ihnen, den Tieren ohne Fell, die auf zwei Beinen gehen?"
„Ah, du meinst Zweibeiner.", stellte die Schülerin fest.
„Nein, ich lebe nicht bei ihnen." „Bist du eine Wildkatze?", die Katze war fast schon so neugierig wie ihre beste Freundin Mausepfote.
„Ja." Wüstenpfote schwieg einen Moment. „Wie heißt du eigentlich?"
„Wie ich heiße?"
„Hast du etwa keinen Namen?", miaute die Schülerin. „Doch. Doch. Mein Name ist Krone.", antwortete das Hauskätzchen. „Wie ist es, wenn man wild lebt?", wollte sie wissen. „Ist es so wunderbar, wie ich es mir immer ausgemalt habe?"
Wüstenpfote war erstaunt über die Frage. Wollte diese Katze tatsächlich bei den Clans leben? Sie dachte einen Augenblick nach, auch über ihr Leben im WindClan. Sie dachte an Jaguarkralle, ihren Waffenstillstand. und wie sie immer versuchte, alles für ihren Clan zu geben. Sie erinnerte sich an den Spott, den sie erdulden musste wegen ihres WindClan Blutes. Dann dachte sie an das wunderbare Gefühl nach ihrer ersten Nacht im Clan und daran, wie sei bei der Verfolgung eines Eichhörnchens durch den Wald flitzte. Und an warme Abende unter den Sternen, während sie und ihre Freundin sich die Zunge gaben.
„Ja.", erklärte sie einfach.
Krone legt den Kopf auf die Seite und starrte Wüstenpfote völlig verwirrt an. „Ich muss nach Hause.", miaute sie. „Bald ist Essenszeit."
„Es hat mich gefreut dich kennenzulernen.", antwortete die Schülerin. „Sehen wir uns mal wieder?" „Aber sicher.", versprach sie. „Auf Wiedersehen, Wüstenpfote.", miaute sie.
Sie sah die rote Spitze von Krones Schwanz hinter dem Baum verschwinden. Aus der Ferne hörte sie das Rasseln von etwas Hartem in einer Schale und das Rufen eines Zweibeiners. Wüstenpfote kehrte um. Mit hochaufgestelltem Schwanz machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem eigenen Zuhause. Unterwegs prüfte sie die Luft. Hier werde ich einen oder zwei Finken fangen, entschied sie. Und dann noch irgendwas auf dem Heimweg durch die Kiefern. Sie fühlte sich voller Energie nach dem Treffen mit Krone. Wieder einmal war ihm klar geworden, welches Glück sie doch hatte, im Clan zu leben. Sie schaute hoch zu den Ästen über ihr und begann lautlos und mit wachen Sinnen über den Waldboden zu schleichen. Nun brauchte sie nur noch Rattenkralle und Jaguarkralle zu beeindrucken, dann wäre heute ein perfekter Tag.
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