Die Bitte
Ein Knacken ertönte von draußen und Winds Silhouette verschwand. Schwarzblüte hörte Stimmen wild durcheinanderrufen.
»Was ist da los?«, fragte Rabenflügel immer noch verwirrt und starrte auf den Eingang der Kinderstube.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Schwarzblüte, als kurz darauf Wirbelpelz seinen Kopf in den Bau steckte.
»Rabenflügel, Luftstern ruft dich.«
Die schwarze Kätzin stand auf und legte ihre Jungen in eine Kuhle im weichen Moos. Schwarzblüte wollte ihr folgen, doch der zweite Anführer hielt sie zurück. »Du nicht. Es sind Katzen aus deinem Clan hier. Ich dachte, sie sollen nicht wissen, dass du hier bist.«
»Wer ist denn da?«, fragte Schwarzblüte vorsichtig und konnte sich bereits denken wer. Der Gewinner des FeuerClans. Der letzte Überlebende.
»Krallenmond«, sprach Wirbelpelz ihre Befürchtung aus.
Benommen kippte die schwarze Kätzin zur Seite. Er würde sie suchen. Doch er war ein Mörder. Sie könnte ihn nie wieder ansehen ohne an Sandjunges und Blutjunges zu denken, die neben dem Leichnam ihrer Mutter lagen. Getötet. Von ihm.
Der hellgraue Kater sah sie verwirrt an. »Alles in Ordnung?«
»Ja...«, stotterte sie und sah zu ihm auf. »Lass mich bitte alleine. Ich muss nachdenken.«
Wirbelpelz nickte respektvoll und verließ mit einem Seitenblick auf Weißjunges und Wolkenjunges den Bau. Schwarzblüte hörte von draußen laute Rufe. Sie erkannte die Stimme von Spitzfell wieder. Er schien sich mit einer Kätzin zu unterhalten. Nach näherem Hinhören fiel Schwarzblüte ein, wem die andere Stimme gehörte. Blättersturm. Die zerbrechliche Kätzin war auch bei dem Treffen dabei gewesen.
»Ich weiß, dass es schwer für dich ist, den Mörder von Honigklaue, deinem Gefährten, vor dir zu sehen, aber reiß dich einfach zusammen und beglückwünsche ihn auch«, sagte Spitzfell gerade.
»Das wird mir nicht sonderlich schwer fallen«, miaute die Alte. »Ich würde ihm sogar danken, dass er ihn getötet hat. Jeder Kater wird zu einem Monster, auch wenn er früher nett war. Ich habe Honigklaue geliebt, ja. Aber nachdem er mich das erste Mal geschlagen hat, konnte ich ihm nicht mehr verzeihen.«
Schwarzblüte konnte die beiden zwar nicht sehen, konnte sich aber gut vorstellen, wie Blättersturm den Kater herausfordernd anblickte.
»Auch du wirst ein Ungeheuer werden. Dein Vater ist schon bei dem ersten Zusammentreffen getötet worden. Rindenfuß war ein guter Kämpfer, doch ich habe genau gesehen, dass er Angst hatte. Angst zu töten. Hast du Angst zu töten, Spitzfell?«
»Die Gesetze verlangen das nicht von mir«, antwortete der Kater. Ein bedrohliches Knurren lag in seiner Stimme.
»Die Gesetze verlangen aber, dass die Kätzinnen nur die Befehle ihres Gefährten ausführen dürfen. Ich aber habe genau gesehen, dass du Windblüte nichts befohlen hast. Ihr wart glücklich miteinander, ja, aber du hast ihr nichts befohlen. Für dich war sie zu etwas nütze. Sie hat alles freiwillig gemacht. Sie lebte in Freiheit.« Blättersturm hielt inne. »Du hast dich nicht an die Gesetze gehalten, Spitzfell. Du achtest die Gesetze nicht. Du bist ein Verräter. Du müsstest getötet werden. Hast du davor Angst? Hast du Angst, jemandem die Freiheit zu geben, obwohl es dein Leben kosten könnte?«
Stille. Schwarzblüte hörte, wie jemand sich erhob. »Wenn die Gesetze stimmen, würde es heißen, dass man keine Gefühle haben darf. Man darf keine Angst haben, keine Freude, keine Liebe zu jemandem.« Spitzfells Stimme war rau. Es war, als hätte alle Kraft ihn verlassen. »Das ist kein Leben. Wir sind gefangen. Gefangen in unseren eigenen Gesetzen und Gefühlen.«
»Ganz genau.« Blättersturms Stimme hörte sich sanft an. »Gefangen in unseren Körpern. Gebunden an eine Seele.«
Schwarzblüte zuckte zusammen. Heißt das etwa, wir sind jemand total Anderes? Jemand Fremdes? Heißt das, ich hatte ein anderes Leben vor meiner Geburt? Bin ich nicht die einzige, die das weiß?
Vorsichtig, um auch wirklich kein Geräusch zu verursachen, setzte sie sich auf und lugte durch einen kleinen Spalt in der Kinderstube nach draußen. Spitzfell und Blättersturm hatten sich getrennt und waren in verschiedene Richtungen davongegangen.
Und da sah sie ihn. Krallenmond. Mit seinen gelben Augen musterte er die Umgebung. Neben ihm war Rußfeder. Schlagartig musste Schwarzblüte an Sonnenblume denken. Schnell verscheuchte sie den Gedanken und duckte sich, als Krallenmond in ihre Richtung blickte.
Ich möchte keinen Mörder als Gefährten. Er wird mich wählen, ganz bestimmt. Schließlich hat er es mir versprochen.
Rasch riskierte sie noch einen Blick nach draußen. Rußfeder sagte etwas zu Luftstern, woraufhin der Anführer auf einen Baumstumpf sprang und seine Stimme erhob. »Wie ihr seht, ist Krallenmond der Sieger des FeuerClans. Ihr wundert euch vielleicht, warum er seine neue Gefährtin nicht dabeihat. Nun, er wählt Schwarzblüte. Doch da diese aus dem FeuerClan geflohen ist, ist das nicht möglich.«
Der weiße Kater nickte Krallenmond zu und der dunkelbraune Kater sprang zu ihm auf den Baumstumpf. Hastig duckte Schwarzblüte sich wieder und versuchte sich so klein wie möglich zu machen, was bei ihrem Bauch nicht so leicht war.
»Schwarzblüte, falls du hier bist, möchte ich eins gesagt haben«, erhob sich Krallenmonds Stimme über alle anderen. »Ich habe dir ein Versprechen gegeben. Ich habe es eingelöst. Rotwind wäre sowieso gestorben. Irgendwann. Zusammen mit ihren Jungen. Falls du es noch nicht weißt: Weiser Elch hat Rehjunges als seine Schülerin angenommen. Weises Reh. Wolltest du sie wirklich am Leben lassen? Es ist die einzige Erinnerung an meine Beziehung zu Rotwind. Ich hatte dir die Wahl gelassen. Und du hast dich für ein Junges entschieden. Mein Versprechen bedeutet dir wohl nichts. Und doch liebe ich dich. Es kann aber nie mehr so werden wie vorher. Du hast mir mein Herz genommen. Ich bin jetzt nicht besser als jeder beliebige Kater im FeuerClan. Wenn du meine Erklärungen hören möchtest. Bitte, komme morgen Nacht um Mondhoch zu den Versammlungshügeln. Bitte.«
Die letzten Worte waren nicht mehr als ein Wispern gewesen. Schwarzblüte wich in die hinterste Ecke der Kinderstube zurück.
Das darf doch nicht wahr sein! Er kann Rotwind nicht nur wegen eines Versprechens getötet haben! Das darf nicht wahr sein! Andererseits, vor so vielen Katzen hätte er unmöglich als Schwächling dastehen können. Ich muss morgen Nacht zu ihm. Ich muss hören, was er zu sagen hat.
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Aufgrund von einigen Missverständnissen: Rehjunges heißt jetzt Weises Reh und nicht Weißes Reh. Das erste Wort kommt von ,weise' und ‚Weisheit', nicht von der Farbe ,weiß'. Sie ist ja auch keine weiße Kätzin, sondern hat rotbraunes Fell ;)
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