Kapitel 11: Neue Bekanntschaften
Nachdem Cyrus mich zurück zu meinem Zimmer begleitete, stand ich vor meinem komplett bestückten Kleiderschrank und rätselte, wie wohl passende Kleidung für die bevorstehende Veranstaltung aussah. Da ich zuvor noch nie einem solchen Spektakel beiwohnte, war mir bisher auch nicht bekannt, welche Garderobe dort angemessen war. Mein jetziges Kleid schien zu chic für den Sklavenkampf zu sein. Doch was wählten Zuschauer dieser Veranstaltung? Ganz normale Alltagskleidung? Gab es Regeln, an die man sich mit seinem Aussehen halten musste?
Im Übrigen sollte meine Wahl auf leichte Bekleidung fallen, da die Hitze immer noch unerträglich für mich war und ein Gewöhnen sehr wahrscheinlich noch einige Zeit in Anspruch nahm. Lange Kleidung würde mir das Atmen wieder schwer fallen lassen und den Nachmittag als äußerst anstrengend gestalten.
Nachdem ich mich zufrieden für eine lockere blaue Jeans, die knapp unter meinen Knien endete, sowie ein schwarzes einfarbiges Top und flache schwarze Schuhe entschied, kämmte ich erneut einmal durch meine Haare hindurch und trat vor meine Zimmertür hinaus. Ich bat Cyrus, der auf meinen Wunsch hin vor der Tür gewartet hatte, darum, mich zu dem Haupttor zu bringen, wo ich auf Lucia und die anderen mir bisher noch unbekannten Jungs treffen würde.
Cyrus tat wie ich gebeten hatte und brachte mich durch den am ersten Abend bestaunten hohen Saal, in dem der Thron meines Vaters stand. Pflichtbewusst schritt er vor mir direkt zur hölzernen Tür und öffnete diese geräuschvoll. Dann traten wir nach draußen. „Soll ich beim Tor mit Ihnen zusammen warten?", fragte Cyrus an mich gewandt. „Das wird nicht nötig sein, vielen Dank fürs nach draußen bringen", entgegnete ich ihm mit einem Lächeln. „Sehr gern Miss. Haben Sie viel Spaß und passen Sie auf sich auf", sagte er, während er sich wieder in das Gebäude verabschiedete.
Ich machte die letzten Meter über den Vorhof an dem Springbrunnen mit dem großen Drachen vorbei auf das Eingangstor zu. Dort stellte ich mich wortlos neben die beiden Wächter, die mich mit großen Augen bestaunten, und versuchte, ihre starrenden Blicke zu ignorieren. Offensichtlich waren Lucia und die beiden Jungs noch nicht am Treffpunkt angelangt, denn außer den beiden Männern konnte ich niemanden entdecken.
Lange musste ich jedoch nicht mehr warten, denn Lucia kam kurze Zeit später aus der großen Holztür und lächelte, als sie mich erblickte. „Ich hoffe, du wartest noch nicht so lange meine Liebe", sagte sie, als sie bei mir ankam. Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin selbst gerade erst gekommen", entgegnete ich. „Die beiden Jungs wollten von der Verkündung deines Vaters aus direkt zur Kneipe gehen. Wir können also schon los, die beiden werden eher da sein als wir", erklärte sie mir und bedeutete, dass ich ihr folgen sollte.
Die beiden Wachen öffnete uns bereitwillig das Tor, nachdem Lucia sie dazu aufgeforderte. Im Anschluss daran liefen wir den bereits auf Inikos Rücken unendlich vorgekommenen geschlängelten Weg von der Burg meines Vaters in die Innenstadt von Lucadian. Dabei ging die Schwarzhaarige voraus und stolzierte den schmalen Weg entlang, als würde sie dies jeden Tag tun und es genießen. Ich währenddessen wandte meinen Blick immer wieder auf die tödliche Lava unter uns, die brodelnd links und rechts lauerte. Es schien schon eigenartig zu sein, wie unterschiedlich Personen sein konnten. Lucia schien die ganze Umgebung gutzuheißen, während sie mich eher einschüchterte und Unbehagen bereitete.
Nachdem der lange schmale Weg voller Unwohlsein und Angst vor einem möglichen Stolpern und Fallen in die tödliche Lava endlich vorüber war und in der Stadt von Lucadian endete, atmete ich ein paar Mal erleichtert ein und aus. Ich hoffte sehr, dass ich demnächst schon meine Flugfähigkeiten ausbauen und diesen Weg im Anschluss daran nie wieder zu Fuß passieren musste. In der Luft würde ich mich um einiges wohler fühlen, als auf diesem schmalen Pfad. Der Weg bis in die Stadt von Lucadian würde beim Fliegen auch deutlich schneller hinter mir gebracht sein, als fußläufig.
Ich folgte Lucia wortlos und über die Häuserbauten von Lucadian staunend einige Straßen entlang, bis wir vor einem kleinen Haus stehen blieben, vor dem ein Schild mit einem Krug angebracht war. „Wir sind da", verkündete sie mir feierlich und schwang bereits die knarrende Tür auf. Ich folgte ihr wortlos ins Innere des Gebäudes.
Bereits beim Öffnen der Tür drangen mir allerlei Gerüche in die Nase. Dabei waren köstliche Düfte von gebratenem Fleisch bis hin zu dem malzigen Geruch von Bier. Alles vermischte sich in meiner Nase zu einem großen Ganzen, das zwar undefinierbar, jedoch unglaublich gut roch. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, obwohl ich gar keinen Hunger verspürte, und meine Kehle fühlte sich trocken an, wenngleich Durst noch vor einigen Sekunden gar nicht spürbar gewesen war.
Lucia lief geradewegs an einen Holztisch mit zwei daneben stehenden Holzbänken zu, auf denen zwei Jungs sich gegenüber saßen. Beim Näherkommen erkannte ich, dass es sich um die beiden jungen Männer handelte, die neben meinem Vater ebenfalls auf dem Balkon bei dessen Ansprache zugegen waren. Interessiert folgte ich Lucia zu dem Tisch, vor welchem wir dann stehen blieben.
„Meine Herren, wir wären dann auch angelangt", erklärte Lucia, die sich daraufhin neben den schwarzhaarigen Jungen setzte, der ihr sehr ähnlich sah. „Wie schön, es hat auch ganz schön gedauert", beschwerte sich der andere, braunhaare Junge, neben den ich mich etwas schüchtern setzte. Alle zusammen schienen sich bereits sehr lange zu kennen, ich jedoch hatte erst kürzlich Bekanntschaft zu Lucia gemacht, während mir die anderen beiden noch völlig fremd waren. Ich beschloss, zunächst zurückhaltend zu sein und still zu beobachten, sollte mich niemand direkt ansprechen und eine Antwort von mir erwarten.
Sobald ich mich auf die Holzbank gesetzt hatte, wandte der Junge neben mir sich jedoch unerwarteterweise direkt mir zu. „Hallo Zoey, wie schön, dass du uns Gesellschaft leistest. Ich bin Xavier, Sohn von Baraek Le Deux. Es freut mich wirklich sehr, deine Bekanntschaft zu machen", erklärte er mir mit tiefer brummiger Stimme. Ich lächelte etwas zurückhaltend. „Ich freue mich ebenfalls", antwortete ich ihm nur. Der andere schwarzhaare Junge stand von der Bank auf und blickte mich an. „Und ich bin Loucan, Zwillingsbruder von Lucia, die du ja bereits kennst. Lucia hat bereits einiges über dich berichtet, hat jedoch wohl vergessen, zu erwähnen, wie überaus attraktiv du bist", schmeichelte Loucan mir und gab mir einen Handkuss auf den rechten Handrücken.
Lucia stöhnte und verdrehte ihre weißen Augen. Dann gab sie Loucan mit ihrem Ellenbogen einen Schlag in die Seite. „Jüngerer Bruder hätte vollkommen ausgereicht. Und ich habe es nicht vergessen zu erwähnen, ich fand es nur nicht relevant dir zu sagen", erklärte sich Lucia genervt. Loucan setzte sich wieder hin und lachte. „Du hast es nur deshalb nicht als notwendig gefunden, zu erwähnen, weil du Angst hast, ich könnte sie dir wegnehmen, habe ich Recht?", fragte er seine genervte Schwester.
Wie meinte er das? Wegnehmen im Sinne von, wenn ich ihn kennen lernte und wir uns verstanden, ich keine Zeit mehr mit Lucia verbringen würde? Oder aber Wegnehmen im Sinne von, dass er an mir interessiert war und er meine Zeit beanspruchen wollte? „Du verstehst aber auch wieder mal rein gar nichts oder? Sie hat einen Freund. Sie ist einfach hier, weil sie hier her gehört. Ob sie da attraktiv ist oder nicht spielt dabei keine Rolle. Du hast keinerlei Chancen bei ihr", brummte Lucia ihren Bruder gefährlich an. Dieser ließ sich davon jedoch keineswegs beeindrucken und ärgerte seine Schwester nach wie vor weiter. „Du aber dann auch nicht Schwesterchen."
„Denk dir dabei nichts, die sind immer so, wenn sie zusammen irgendwo sind. Einzeln jedoch sind sie beide gut auszuhalten", erklärte Xavier mir und nahm daraufhin einen großen Schluck aus seinem Krug, in dem eine goldene Flüssigkeit gefüllt war. Vom Geruch und Aussehen her schloss ich darauf, dass es sich um Bier handelte. „Wirklich immer? Das ist ja furchtbar. Aber was meinte Loucan denn damit, dass auch Lucia keine Chancen bei mir hat, weil ich einen Freund habe?", wollte ich wissen. Wollte sie etwa Chancen bei mir haben? Erhoffte sie sich irgendetwas? Xavier winkte ab. „Ach, das hat Loucan nur gesagt, um Lucia zu ärgern. Denk dir dabei nichts."
Loucan wandte sich von seiner Schwester ab und Xavier zu. „Du weißt ganz genau, wieso ich das gesagt habe. Das hat viel mehr Bedeutung, als du jetzt zugeben willst", beschwerte er sich bei Xavier und nahm ebenfalls einen Schluck aus seinem Krug.
Lucia verdrehte wieder genervt die Augen. „Du musst nicht immer alle theatralisch daran erinnern, was ich dir angetan habe." Loucan stellte seinen Krug lautstark zurück auf den Tisch und funkelte seine Schwester böse an. „Doch, das muss ich. Jeder soll wissen, wie fies du wirklich bist, vor allem die, die dich gerade erst kennen lernen."
Der Kellner, der an unseren Tisch kam, lenkte die Gruppe von ihrer Unterhaltung ab. „Darf es für euch noch etwas sein?", fragte er freundlich. Lucia zeigte abwechselnd auf sich selbst und auf mich. „Für uns beide bitte ein Bier", erklärte sie daraufhin ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt eins wollte. „Für uns nichts, alles bestens, danke", erklärte Xavier. Der Mann notierte sich die Bestellung auf seinem Notizblock, nickte uns zu und verschwand danach lautlos in Richtung Theke.
Ich runzelte die Stirn und blickte Lucia an. „Was hast du deinem Bruder denn angetan, wenn ich fragen darf?", wollte ich wissen und knüpfte damit an die Unterhaltung von vorhin an. Ich konnte nur sehr schwer glauben, dass Lucia fies war, schließlich hatte sie mich vor dem Sterben gerettet und war bisher freundlich zu mir gewesen. „Sie hat mir meine Freundin ausgespannt", rief Loucan, bevor Lucia auch nur etwas sagen konnte. Diese lächelte ihn nur verschmitzt an. „Ich habe sie dir nicht ausgespannt, sie wollte lieber mich als dich. Ich habe einfach nur nicht nein zu ihr gesagt", stellte sie vor ihrem Bruder richtig, der daraufhin äußerst verärgert wirkte. Seine Augen funkelten böse auf und sein Gesicht verzog sich zu einer sehr grimmigen Miene. „Das hättest du aber müssen, schließlich sind wir Geschwister. So etwas macht man einfach nicht." Lucia lachte weiter. „Ich habe offensichtlich wohl nicht nur die Intelligenz, sondern auch das gute Aussehen von uns beiden abbekommen", ärgerte sie ihren jüngeren Bruder.
Loucan schäumte vor Wut. Er stand von der Bank auf, krempelte seine schwarzen Ärmel hoch und ballte seine Hände zu Fäusten. Hatte er etwa vor, Lucia anzugreifen? Hier vor allen anderen inmitten der Öffentlichkeit? Ich erstarrte augenblicklich und war sehr erschrocken darüber, wie Loucan auf Lucias Worte reagierte. Selbstverständlich war es nicht in Ordnung, was Lucia gesagt und getan hatte, mit Gewalt darauf zu antworten empfand ich jedoch als mindestens genauso unmoralisch.
Xavier empfand dies anscheinend genauso wie ich, denn auch er stand von der Bank auf und legte Loucan eine Hand auf die Schulter. „Dass du dich immer noch von ihr provozieren lässt, nach all den Jahren. Das hast du doch überhaupt nicht nötig. Bitte setz dich wieder hin, oder willst du Zoey direkt verscheuchen?" Loucan blickte in meine Richtung und verwarf seine böse Miene augenblicklich. „Du hast Recht Xavier, auf so ein Niveau lasse ich mich gar nicht erst herab. Sollte sie so etwas allerdings erneut tun oder gar versuchen, garantiere ich jedoch für nichts mehr", sagte Loucan, während er sich zurück auf die Bank setzte.
Das, was ich soeben erfahren hatte, machte so viel Sinn. Sämtliche merkwürdige Situationen mit Lucia erklärten sich nun von ganz allein. Wie sie mich anblickte, wie sie sich verhalten hatte und dass sie so merkwürdig kokett zu mir gewesen war. Offensichtlich zog sie genauso wie meine beiden Freundinnen aus Bridgeton Frauen vor und war Männern gegenüber abgeneigt. Dabei besaß sie anscheinend keinerlei Schamgefühl, diese Tatsache nach außen hin zu tragen und zu flirten. Zumindest empfand ich es nun genauso, als wäre ich bereits einige Male Empfängerin eines Flirts von Lucia geworden.
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