Kapitel 69: Das 267. Frühjahrsturnier
Während ich die mir geschenkten Schmuckstücke von meiner Familie hin und wieder trug, behielt ich die Kette von Aiden ohne Unterbrechung um meinen Hals. Ich schlief damit, trainierte mit ihr, und trug sie im Unterricht. Lediglich zum Schwimmen oder Duschen nahm ich sie kurz ab, um sie im Anschluss daran direkt wieder umzulegen.
Da auch Aiden sich stark auf das anstehende Frühjahrsturnier vorbereiten musste, verkündete er mir etwas traurig, weniger Zeit mit mir verbringen zu können. Für mich gestaltete sich das jedoch als vorteilhaft, da auch ich sehr viel Zeit in mein Training und die Vorbereitungen auf dieses Ereignis legen wollte. So musste ich mich vor ihm wenigstens nicht rechtfertigen, wenn ich mal keine Zeit für ein Treffen mit ihm hatte. Ich war außerdem sehr motiviert beim Training, weil ich es mir zur Aufgabe machte, den in den letzten Jahren immer gewonnenen Aiden im Turnier zu schlagen. Dies würde eine Mammutaufgabe darstellen, ich war jedoch gewillt, die Herausforderung anzunehmen und mein Bestes im Kampf gegen meinen Freund zu geben.
Yuna verbrachte nach wie vor die meiste Zeit bei Brooke, die ihr Training dadurch ein wenig vernachlässigte. Aus diesem Grund war ich abends oft allein im Zimmer und hatte Zeit, mir Gedanken über die mir geschenkte Möglichkeit von Miss Awolo zu machen.
Ich brauchte tatsächlich eine ganze Woche, um mich zu entscheiden. Ich wägte beide Möglichkeiten mit meinen Interessen ab und entschied mich letzten Endes dafür, den Namen meines Vaters anzunehmen. Der Stolz, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden, siegte über die Tatsache, dass man beim Hören meines Namens auch durchaus an Aramis denken konnte. Ich war jedoch eine geborene Raine, daran konnte niemand etwas ändern. Hätte mein Vater bei meiner Geburt gelebt, hätte ich diesen Namen ohnehin von Anfang an getragen. Es war mein Geburtsrecht und es fühlte sich richtig an, ihn anzunehmen und den Familienring an meinem Finger zu tragen. Es machte mich vollständig und glücklich. Es waren die letzten Puzzlestücke in meinem Leben, die zur Vervollständigung meiner Selbst fehlten. So vollkommen wie nach Annahme des Namens hatte ich mich bisher noch nie in meinem Leben gefühlt.
Miss Awolo freute sich sehr über meine Entscheidung. Sie hatte gehofft, dass ich ihr Geschenk und die damit unterbreitete Möglichkeit annehmen würde und leitete sofort alles in die Wege, damit die Namensänderung vollzogen werden konnte. Keine weitere Woche später – das neue Jahr war noch sehr jung – war die Änderung geschehen und mein Name von nun an Zoey Sophie Raine. Ich hätte stolzer kaum sein können.
Das Frühjahrsturnier begann am 20. Februar, exakt einen Monat vor meinem 18. Geburtstag. Ich steckte all meine Konzentration und Kraft in die letzten Vorbereitungswochen, ehe dieser Tag wie im Flug an mich herantrat. Die gesamte Schule würde diesem großen Spektakel beiwohnen, sodass ein Jeder mich beim Siegen oder Verlieren beobachten würde. Eine Tatsache, die den auf mir liegenden Druck, zu gewinnen, weitaus größer werden ließ und meine Aufregung am frühen Morgen des 20.02. ins Unermessliche steigen ließ.
Ein jeder Krieger, der sich für die Teilnahme beim Turnier qualifizierte, musste eine Art Rüstung tragen, damit sich niemand ernsthaft verletzten konnte. Der Spaß sollte bei diesem Turnier im Vordergrund stehen, nicht das Verletzen schwächerer Mitschüler. Da jedoch auch die Teilnehmer, die bereits eine Waffe führen durften, diese ebenfalls einsetzen konnten, bestand die Schule darauf, uns selbst zu schützen und starke Angriffe überstehen zu können. Tatsächlich fühlte ich mich beim Anblick meines Spiegelbildes mit dieser Rüstung bereits wie eine echte Kriegerin, was meinen Stolz weiter in die Höhe schießen ließ.
Da die Rüstung jedoch einen zusätzlichen Ballast am Körper darstellte, übte ich bereits einige Wochen vor Beginn des Turnieres mit ihr, sodass ich bestens auf die Performance darin trainiert war. Ich war mir zumindest sehr sicher, dass es nicht an ihrem Gewicht liegen würde, sollte ich einem Teilnehmer unterlegen sein.
Ich machte mich eine halbe Stunde vor Beginn des Turniers zusammen mit meinem Schwert zur Arena auf und ging im Kopf nochmal gedanklich einige komplizierte Techniken durch, um mich auf irgendetwas fokussieren zu können, das mir die Nervosität nahm. Da die Aufregung bereits ziemlich hoch war, wollte ich nicht an die unzähligen Augenpaare denken, die gleich auf mich gerichtet sein würden. Im Übrigen fand ich es keine schlechte Idee, die Theorie erneut durchzugehen, da sie gleich ohnehin Anwendung finden würde. Übung, ganz gleich ob theoretisch oder praktisch, war niemals verkehrt.
Ich reihte mich bei den anderen Teilnehmern ein, die beim Eingang der Arena zusammenstanden. Miss Awolo leistete ihnen Gesellschaft und versuchte, einzelne Mitstreiter zu beruhigen und ihnen Mut zuzusprechen. Offensichtlich war ich nicht die einzige, die ein wenig Lampenfieber verspürte. Als Miss Awolo mich erblickte, kam sie auf mich zu. „Sieh dich nur an Zoey, du bist das Ebenbild deines Vaters mit dieser Rüstung und dem Schwert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Caius gerade voller Stolz auf dich herabblickt. Ich fühle mich zumindest sehr geehrt, dich als Schülerin an der Akademie zu wissen und zu sehen, wie sehr du dich in den wenigen Monaten des Trainings entwickelt hast. Du besitzt großes Talent Zoey und ich kann es gar nicht erwarten, dich gleich kämpfen zu sehen."
Mein Strahlen wurde mit jedem gesprochenen Wort breiter, das meine Ohren erreichte. Miss Awolos empfundene Ehre schmeichelte mir sehr und vertrieb die Aufregung sogar ein wenig. „Vielen Dank Miss Awolo, dass Sie mir dies ermöglicht haben. Ohne Ihre Zustimmung, mich auf der Akademie anzunehmen, hätte ich es niemals so weit geschafft. Ich habe Ihnen zu verdanken, wo ich gerade stehe." Tatsächlich war ich ihr noch immer sehr dankbar, dass sie meiner Aufnahme zugestimmt hatte, schließlich gab es unzählige Proteste, da damit ein erneuter Angriff von Aramis erwartet wurde.
Nun war es Miss Awolo, die zu lächeln begann. „Nicht dafür Kind, du bist der einzige Nachkomme meines Freundes Caius. Für mich stand es außer Frage, dass du hier unterrichtet wirst, und daran wird sich gewiss auch nichts ändern. Ich empfinde es als meine auferlegte Pflicht, dir die Ausbildung hier zu ermöglichen." Sie schenkte mir ein Lächeln, ehe sie ihren Blick ein wenig abwandte und nach vorn zum Tor richtete. „Ich muss mich nun wieder nach vorn an den Anfang eurer Reihe begeben, da das Turnier gleich beginnt. Geh da rein und beweise allen, dass du die Tochter deines Vaters bist. Lass alle staunen und zeige ihnen, was für ein unfassbares Talent du besitzt."
Die Worte von Miss Awolo gaben mir die Bestätigung und Aufmunterung, die ich benötigte. Ich war entschlossener denn je, diesen Wettbewerb für mich zu gewinnen und es allen anderen zu zeigen. Niemand hatte bei meiner Aufnahme an der Akademie vor wenigen Monaten damit rechnen können, wie schnell ich den jahrelangen Vorsprung meiner Mitschüler aufholen würde. Es war mein Wille, alle Anwesenden in der Arena zu beeindrucken und ihnen zu beweisen, dass ich es würdig war, den Namen Raine zu tragen. Monatelanges Training steckte hinter mir. Ich hatte mich so lange und intensiv auf diesen Augenblick vorbereitet, das musste einfach belohnt werden. Verlieren stellte keine Option für mich dar. Für mich gab es nur ein Ziel: Die erste weibliche Siegerin des Frühjahrsturniers zu werden.
Nachdem Miss Awolo ihren Weg an die Spitze unserer Reihe antrat, kam Aiden kurz zu mir und drückte mich. „Ich wünsche dir viel Erfolg", sagte er. Der Aufschwung, den die Worte von Miss Awolo in mir hinterlassen hatten, nahm mich nach wie vor in Besitz und ließ mich ein wenig mutig werden. Ich grinste Aiden etwas frech an, ehe ich zur Antwort ansetzte. „Danke, das wünsche ich dir auch, wenn du gegen mich im Finale antrittst." Aiden schien ein wenig überrascht, lächelte jedoch etwas schelmisch. Ihm schien mein Selbstbewusstsein zu gefallen. „Wir werden ja sehen, wie weit du in diesem Wettkampf kommst." Ich nickte und grinste frech. Er würde staunen, wie viele Gegner ich besiegen würde und mein Ziel, Aiden im Finale am Boden zu sehen, manifestierte sich vor meinem inneren Auge.
Urplötzlich wurde laute Musik gespielt und das vor uns befindliche Tor geöffnet. Mit einem lauten Knarren, das selbst die Melodie der Musik nicht übertönen konnte, wurde uns der Weg in die Arena freigegeben. Meine Befürchtung, dass das Öffnen des Tores meine Aufregung wiederkehren ließ, wurde widerlegt, denn wider Erwarten hielt ich den Mut, der mich seit der Unterhaltung mit Miss Awolo flutete, aufrecht. Ich betrat hinter anderen Teilnehmern dieses Turniers im letzten Drittel der Reihe die Arena. Sobald ich durch das geöffnete Tor schritt, empfing mich ein so atemberaubendes Szenario, das Gänsehaut mich flutete. Die unzähligen Reihen der Arena waren prall gefüllt mit Zuschauern. Ganz gleich, wohin ich meinen Blick auch wandte, ich sah mir bekannte und unbekannte Gesichter. Allesamt blickten auf uns Teilnehmer herab, klatschen und jubelten uns zu, und sprangen auf ihren Sitzen auf und ab. Sie feuerten uns bereits jetzt an, obwohl das Kämpfen noch nicht begonnen hatte. Solch eine Aufmerksamkeit, auch wenn sie nicht nur mir galt, wurde mir noch nie in meinem Leben zuteil.
Zusammen mit den anderen Teilnehmern stellte ich mich an den Rand der ovalen Kampffläche und genoss die unzähligen Zurufe, die uns empfingen. Miss Awolo schritt im langsamen Tempo in die Mitte des Arenabodens, wo ein kleines Podest aufgebaut war. Es ähnelte dem der Zeremonie deutlich und ich war mir nicht ganz sicher, ob es sich nicht sogar um das gleiche handelte. Dort stellte sie sich hin und richtete das Mikrofon in die zu ihrer Körpergröße passende Höhe.
Ich nutzte diesen kurzen Moment, um meinen Blick erneut der jubelnden Menge zuzuwenden. Ich strengte mich an und versuchte, in dem Menschenmeer meine Freunde ausfindig zu machen, konnte sie jedoch nicht erkennen. Allerdings wusste ich, dass sie irgendwo dort in dem farbenfrohen Getümmel saßen und auf mich herabblickten.
Als die Musik verstummte, wurde es für einen kurzen Augenblick unnatürlich ruhig in der Arena. Erst jetzt bemerkte ich das Ausmaß, das die von den Zuschauern hervorgebrachte Lautstärke verursachte, denn meine Ohren rauschten stark. Sie schienen, sich innerhalb der wenigen Minuten, in denen die Zuschauer ihre Aufregung lautstark preisgegeben hatten, an den hohen Lärmpegel gewöhnt zu haben.
Miss Awolo beendete die Stille, indem sie zu sprechen begann. „Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schüler und Lehrer, alle hier Anwesenden. Es ist mir eine große Ehre, das 267. Frühjahrsturnier zu eröffnen. Die 32 aufgereihten Kämpfer treten in Zweikämpfen gegeneinander an, bis der Sieger eines jeden Kampfes gegen einen anderen Sieger antritt. Dies wird so lange weitergehen, bis die beiden besten Krieger bestimmt sind und aus dem dann stattfindenden Kampf der diesjährige Sieger ausfindig gemacht wird. Kann Mister Aiden Bostwick seine Siegesreihe verteidigen und das dritte Jahr in Folge für sich gewinnen? Oder wird einer der anderen Teilnehmer der letzte sein, der am Ende noch steht? Wird uns sogar die Ehre zuteil, zum ersten Mal in der Geschichte eine Frau als Siegerin küren zu können? Ich verspreche Ihnen einen Wettkampf, der Spannungsgeschichte schreiben wird, denn noch nie waren die qualifizierten Kämpfer stärker als in diesem Jahr. Das macht den Ausgang der Kämpfe umso überraschender und unvorhersehbar. Aber ganz gleich, wie sich der Verlauf dieses Turniers auch einschlagen wird, ich wünsche allen hier Anwesenden viel Spaß und bitte wie jedes Jahr um tatkräftige Unterstützung in Folge von anfeuern, zurufen und klatschen. Möge dieses Frühjahrsturnier beginnen und der beste Teilnehmer siegen."
Die Menge begann zu toben und fiel erneut in tosenden Applaus. Die Lautstärke, die dadurch hervorgerufen wurde, war so enorm, dass die Geräuschkulisse immer wieder in der Arena widerhallte und den lang anhaltenden Applaus damit unendlich erscheinen ließ. Eine erneute Gänsehaut überkam mich und der Stolz, es bis hier her geschafft zu haben, verabreichte mir ein Dauergrinsen. Ein flüchtiger Blick in die Gesichter meiner Mitstreiter geworfen erkannte ich, dass es auch einigen anderen so ging. Vor allem diejenigen, die – genau wie ich – das erste Jahr hier antreten durften, waren gefesselt von der Wirkung der Zuschauer und schafften es kaum, ihre Augen von ihnen zu wenden.
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