Kapitel sechs
Kupferglut hatte gedacht, es sei anstrengend gewesen, vor der Lawine zu flüchten. Doch das, was sie nun taten - den gesamten Weg, den sie von Sonnenaufgang bis Sonnenhoch zurückgelegt hatten, erneut zu laufen, diesmal, so schnell sie nur konnten - war um einiges schlimmer. Es fühlte sich an, als würde er gegen den Strom schwimmen, als wolle der Schnee, der ihm bis zum Bauch reichte, ihn daran hindern, zum Lager zurückzukehren. Seine Lungen brannten und seine Gliedmaßen waren erschöpft vom Kampf gegen den ungnädigen Frost, doch er blendete dies alles aus.
Einige Herzschläge hatten sie dort gesessen, in ununterbrochener Stille, der Lawine gelauscht, wie sie ins Tal rauschte und auf ihrem Weg das Lager zerstörte. Niemand hatte seitdem ein Wort gesagt, niemand wagte es, zu sprechen. Keiner von ihnen wusste, wie groß der Schaden war - im besten Fall war der Anführerfelsen umgestürzt, im schlimmsten Fall hatten die Schneemassen Katzen unter sich begraben und für immer verschlungen. Der Kater konnte nur hoffen, dass die Katzen, die sich zum Zeitpunkt der Verwüstung in den Höhlen befunden hatten, verschont geblieben waren, doch zur selben Zeit ging ihm der Gedanke von Beerenklang, die er kurz vorher auf dem Lagerplatz gesehen hatte, nicht aus dem Kopf. Was war, wenn sie es nicht rechtzeitig nach drinnen geschafft hatte?
Bestimmung flammte in ihm auf und vertrieb die tiefe Angst, die sich um sein Herz geschlossen und gedroht hatte, ihn aufgeben zu lassen. Kupferglut knurrte leise, kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Schnee zu schützen, den er jedes Mal aufwirbelte, wenn er einen Satz nach vorn tat. Langsam, viel zu langsam, rückten die Tannen, die am Rand des Lagers standen und es vor dem Wind schützten, näher. Er konnte den riesigen Schneeberg voller Äste und Geröll im Tal sehen, die Überreste der Lawine, die nun endlich zum Halt gekommen war. Hinter ihm hörte er seine drei Clangefährtinnen, die ebenfalls mit dem Schnee zu kämpfen hatten - hier war es ihm von Vorteil, so kurzes, dichtes Fell zu haben, da der lange Pelz der anderen mittlerweile von Frost behangen und schwer war, während sein eigener immer noch so leicht war, dass er vom Gegenwind durchfahren wurde.
Als Kupferglut im Lager ankam, meinte er, zusammenzubrechen, so sehr hatte der Weg ihn ausgelaugt. Doch er gestattete es seinem Körper nicht, nun, endlich am Ziel angelangt, zu versagen. So schleppte er sich weiter, über den zerstörten Platz bis zum Höhleneingang. Er hatte recht gehabt, die große Fläche war nun tatsächlich eben, der Anführerfelsen war bis ins Tal geschlittert und auch ihre Walle aus aufgeschichteten Felsen waren zerstört worden. Zwei der Tannen waren umgeknickt und ragten auf den Platz, sie versperrten teilweise den Eingang und knarzten immer noch bedrohlich, trotz des Fehlen des Windes. Erst jetzt begann Kupferglut, sich um den Wind zu sorgen - oder eher die Abwesenheit dessen. Dies kündigte meist einen Schneesturm an, und im Moment war sich der Krieger nicht sicher, wie gut sie einen solchen überstehen würden.
Vorsichtig, beinahe andächtig, trat er auf den riesigen Stamm zu und schlüpfte unter ihm hindurch in die Höhle. Einen Herzschlag lang sah er nichts als Dunkelheit, dann hatte sein Auge sich endlich an die neue Lichtstärke gewöhnt und er konnte die geisterhaften Silhouetten von Katzen sehen, die sich leise unterhielten und im sehr niedrig einfallenden Licht lange Schatten warfen. Besorgt wanderte sein Blick über den Pelz von einer Katze zu dem der nächsten, er suchte hektisch nach dem orangenen, flauschigen Fell von Beerenklang - doch konnte es nirgends entdecken. Sein Blick blieb schließlich an Birkentatze hängen, die mit Heidewind, der Heilerin, tuschelte, einige Schwanzlängen vor deren Bau. Gerade als hinter ihm die anderen Katzen von der Patrouille zurückkehrten, eilte er zu ihr. Mit einem kehligen Schnurren legte er seine Schnauze an die Schulter der Kriegerin.
„Kupferglut! Ich habe dich nicht hereinkommen sehen! Dank Falkenstern, dass dir nichts geschehen ist! Du glaubst nicht, wie sehr ich mich gesorgt habe", sprudelte sie erfreut los und legte erleichtert ihre Stirn an die seine. Für einen einzigen Moment war alles perfekt.
„Was ist mit Beerenklang? Ich habe sie draußen gesehen, noch bevor-", seine Stimme brach ab und er war ihr dankbar dafür. Er hatte seine Sorge nicht aussprechen wollen. Birkentatze hob den Kopf und schaute ihm prüfend einige Zeit in die Augen. Dann wandte sie den Blick ab.
„Heidewind meint, sie wird sich vollständig erholen. Sie konnte dem Baum entrinnen, aber ihre rechte Hinterpfote scheint verletzt und ihr Schweif irgendwie ... gelähmt", bei diesen Worten seufzte Kupferglut erleichtert, er hatte schlimmeres erwartet. Tannenrauschen, ein Ältester, war zu Kriegerzeiten der Schweif gelähmt worden, als er unter einen Felsen geraten war. Er konnte den Schweif nun nur noch bis zur Hälfte bewegen, der Rest wollte ihm nicht mehr gehorchen, doch das erschien Kupferglut als kein allzu tragischer Verlust, in Anbetracht dessen, was alles hätte geschehen können.
„Oh, und, Kupferglut", Birkentatze senkte ihre Stimme nun noch mehr, sie war kaum lauter als ein Raunen, „Honigfang und Finkenbart ... sie-, sie waren draußen als es ... passierte. Wir haben sie noch nicht gefunden, es ... sieht schlecht für sie aus", miaute die Kätzin, wurde mit jedem Wort noch leiser, bis sie komplett verstummte. Birkentatze schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Kupferglut legte sein Kinn auf ihren Kopf, was er nur tun konnte, wenn sie so zusammengekauert da saß wie gerade jetzt, da er sonst zu klein dafür war. Ratlos starrte er in die schier endlose Dunkelheit vor ihm. Er hatte weder zu Honigfang noch zu Finkenbart eine Beziehung außerhalb des Clangefährten-Daseins gehabt, aber dennoch war es traurig, einen zweiten Anführer und pflichtbewussten Krieger zu verlieren. Besonders jetzt, wo die Blattleere so nah bevorstand, würde der Clan das Fehlen dieser beiden zu spüren bekommen.
„Sie hat es dir also erzählt?", Eschenfeders Stimme kam von rechts, er schien gerade aus dem Heilerbau gekommen zu sein. Kupferglut nickte langsam.
„Sie schläft nun, aber du kannst sie gern besuchen, wenn du möchtest", sagte der braune Tigerkater und deutete mit dem Schweif in den Bau hinein. "Heidewind erlaubt nur zwei weitere Katzen mit ihr da drin, aber da ich nun raus bin ... kannst rein, wenn du willst"
Kupferglut stupste Birkentatze vorsichtig an und diese löste sich, leise murrend, von ihm. „Geh mit Eschenfeder in den Kriegerbau, ich komme gleich nach", wies der Krieger sie an, und normalerweise hätte Birkentatze niemals auf eine Anweisung seinerseits gehört, sondern viel lieber eine freche Bemerkung gemacht, doch heute nickte sie nur, stupste ihren Bruder zur Verabschiedung an und trottete in die Tiefen der Höhle. Eschenfeder nickte Kupferglut kurz zu, dann folgte er ihr. Kupferglut erhob sich ebenfalls, begab sich jedoch in die entgegen gesetzte Richtung - in den Heilerbau, um nach seiner Schwester zu sehen und mit seiner Mutter zu reden, die sicherlich neben ihrer Tochter wachte.
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