20 ✧ Eisenfänge
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Panik kroch ihr eiskalt den Rücken hinauf, als von hinten ein zweiter Wolf ganz nahe herantappte. Der Graupelz vor den Reisenden entblößte gewaltige, fleckige Zähne, die aussahen wie Löwenklauen, und sträubte sein struppiges Nackenfell.
Instinktiv schlang die Königin den Schweif um die kleine Füchsin neben sich, wie um sie zu schützen. Lächerlich, wenn sie zweimal darüber nachdachte, schließlich konnte sie der Schweif einer Kätzin auch nicht vor den Klauen eines Wolfes, vor seinen eisernen Fängen schützen. Aber es war nun einmal der Instinkt einer jeden Mutter und eines jeden Vaters, die eigenen Kinder zu schützen mit allem, was sie hatten.
»Haut ab!«, fauchte Morgenleuchten mit bebender Stimme. »Verschwindet, ihr jämmerlichen Krähenfraßfresser! Zum Wald der Finsternis mit euch!«
Auch, wenn es diesen schrecklichen Ort, an den einst Mörder und Verräter bis in die Ewigkeit nach ihrem Tod verbannt worden waren, schon längst nicht mehr gab, wusste die getupfte Kätzin nicht, was sie diesen Wölfen sonst an den Kopf werfen konnte - zumal es in diesem Moment wichtiger war, zu überleben, als dabei besonders schlagfertig zu wirken.
Panisch fuhr sie herum, und in ihr fühlte es sich kälter an als im Schneesturm um sie herum. Jetzt waren sie und die kleine Waldi völlig von dem hungrigen Wolfsrudel umzingelt, von allen Seiten blitzten gelbe, brüchige, weiße, kleine und große Zähne, gierig schnappende Fänge.
Wir müssen hier weg, verdammt!
Morgenleuchten blickte sich hektisch um, in alle Richtungen. Überall silberne und weiße und braune Pelze, hungrige Wölfe, die nur auf den Befehl ihres Anführers warteten, um ihre Beute zu zerfetzen und unter sich aufzuteilen, um ihr Überleben in dieser trostlosen Gegend sichern zu können, wenigstens für einen Sonnenaufgang.
Vielleicht standen Dutzende von Wölfen um sie herum - die ganze Welt hätte voll sein können von den Graupelzen, und die Königin hätte es durch den unerträglich dichten Schleier aus Schneeflocken und eisiger Panik nicht bemerkt. Dennoch, als sich vor ihr eine winzige Lücke zwischen den Pelzen auftat, traf Morgenleuchten eine Entscheidung.
SternenClan, steh uns bei!
Sie packte die Füchsin neben sich beim Nackenfell und warf sich mit aller Kraft ihrer drei funktionierenden Beine durch die Wand aus Krallen und Pelz. Etwas zerfetzte ihren Pelz am Rücken, grub sich tief in ihre Haut und hinterließ Schlieren aus Schmerz, aber den ignorierte sie genauso wie die stechende Pein, die soeben durch ihren gebrochenen Hinterlauf fuhr.
Der Fuchswelpe verstand und sprang kraftvoll durch den Schnee, und halb jagten, halb humpelten die Wanderer dahin, flohen vor den hungrigen Wölfen, die schon wieder ihre kompliziert aussehende Jagdformation eingenommen und sich ihnen links und rechts rund um die beiden positioniert hatten.
Die langen, schlanken Läufe der Wölfe trugen sie machtvoll dahin, beinahe flogen die gewaltigen Geschöpfe über den Schnee. Sie sanken weder ein, noch schien das weiße Nichts sonst irgendeine Art von Wirkung auf die grauen Jäger zu haben.
Der warme Atem eines Wolfes hinter ihr drang an ihren Lauf und jagte Morgenleuchten einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Noch immer lähmte die Panik ihren Geist, aber ihr Körper sprang schneller durch den Schnee als irgendwann sonst, seit sie aus dem Zweibeinerbau gesprungen war und sich das Bein gebrochen hatte.
Plötzlich bohrte sich schmerzhaft von hinten ein eiserner Zahn in ihr ohnehin von innen zertrümmertes Bein, die Fänge schlossen sich um die Knochen der Königin, und erneut ertönte ein schreckliches Knirschen.
Flammender Schmerz schoss durch ihren ganzen Körper, zuckte von ihrem Lauf durch die Flanke und ihr gesamtes Mark, als der Wolf sie schüttelte und die getupfte Kätzin in den Schnee stürzte.
Vor Angst fast starr, versuchte sie mit steifen Gliedern, wild wie ein Dachs mit Geiferseuche, um sich zu schlagen, zu kratzen, zu treten, doch ihre Schläge gingen alle in die kalte Leere oder in den Schnee. Morgenleuchtens Körper wurde wild herumgeschleudert, in ihrem Schädel pulsierten Schmerz und Orientierungslosigkeit.
Da scharte sich schon wieder der Rest des Rudels um sie herum, noch mehr grässliche Zähne gruben sich bis in ihr Fleisch und heißes Blut traf wie Magma auf den umbeugsamen Schnee.
»Lauf!«, schrie die Königin in ihrer Hoffnungslosigkeit ihrer Reisegefährtin zu, doch der Fuchswelpe blieb einfach stehen, auch als sich die Zähne der halb verhungerten Wölfe in ihren Rücken bohrten. Wie wild schnappte die Rotbraune um sich, und ihrerseits bohrten sich die kleinen, aber wie Fledermausfänge spitzen Zähne in die Lefzen der Wölfe, die sie gepackt hielten.
Tatsächlich schaffte sie es, sich zu befreien, und die Füchsin japste ein seltsam, aber deutlich ausgesprochenes »Hier!«. Dann stürzte sich der Welpe kopfüber in den Schnee, wie sie es vorher schon spielerisch getan hatte. Wildes Strampeln mit den Pfoten, die die Wölfe vergeblich zu packen versuchten, dann war sie im Weiß verschwunden.
Nicht, dass sie auch nur einen Hauch von Ahnung hatte, was die Füchsin wollte - aber da die Königin nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie sie sonst mitsam5 ihrer Jungen überleben konnte, bohrte sie ihre Zähne tief in die Schnauze ihres Peinigers, der winselnd von ihr abließ.
Sie hatte nur den Bruchteil eines Herzschlages eine Chance, aber in ihrer Panik reichte der Königin das. Ihr zerschmettertes Bein wie ein schlaffes Beutestück hinter sich herschleifend, stürzte sich die Kätzin mit dem Kopf voran in das Loch, das die Füchsin hinterlassen hatte.
Tatsächlich - ein tiefes Loch, in das sie sich mühevoll hineinzwängte, lag unter dem Schnee, ebenso wie der fahle Geruch von Kaninchen.
Dunkelheit umfing all ihre Sinne, als sie sich in den engen Gang unter dem Schnee drückte. Von allen Seiten drückte Erde gegen ihren Pelz, ihr Bein brannte wie Feuer und von hinten versuchten die Wölfe, den Boden aufzubuddeln, um doch noch an ihre Beute zu kommen - vergeblich, schließlich war die Erde gefroren wie der Geist der geschockten Königin.
Vor ihr der Pelz der Füchsin, der sie nun ihr Leben verdankte - ebenso wie ihre Jungen das taten, die ausgerechnet in diesem engen Gang von innen gegen ihren Bauch traten, wie aus Protest.
Oder aus Erleichterung.
Und so keuchte sie nur ein Wort in die Stille hinein, ein Wort, das sie schon an Bommel gerichtet hatte und an Funkenmond und jetzt hoffte sie einfach nur dass es dieses Mal kein Abschiedswort war wie die Male zuvor.
»Danke.«
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