KAPITEL 19
ALS DIE BEIDEN KATZEN DAS nächste Mal rasteten stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Die Luft vor ihnen flirrte in der Hitze, die die Gegend aufgewärmt hatte. Man konnte deutlich spüren, dass die Blattgrüne ihr Ende noch nicht erreicht hatte, dass die nächste Jahreszeit jedoch kurz bevor stand. Die beiden Reisegefährten hatten die Baumgrenze inzwischen beinahe erreicht, da der Wald um sie herum sich mit der Zeit immer mehr lichtete. Insekten zirpten fröhlich im nahen Unterholz. Die Nadeln, die die Kiefern in etlichen vorherigen Monden auf dem Boden fallen lassen hatten, knisterten unter den Pfoten des schwarzen Katers. Dieser hatte Wüstensturm wieder auf seine Schultern genommen, da sie schon früh die Kraft eigenständig in zügigem Tempo vorwärts zu laufen, verlassen hatte. Es besorgte den Krieger, wie rasend schnell die Kätzin ihre Kräfte verließen. Noch vor wenigen Tagen, oder gar als sie aufgebrochen waren, wirkte sie oft so voller Energie, trotz des Giftes in ihrem Körper. Aber dieser Zustand nahm rapide ab.
„Kann ich dich hier absetzten?", Jaguarkralle schaute über seine Schulter.
Wüstensturm schnaubte. „Was bin ich? Ein Bündel nasses Moos?"
„So ähnlich kom... auuu!", er flappte mit seinem Ohr und lachte, „Was sollte das?"
„Ey, ich bin zwar körperlich komplett am Arsch, aber denken kann ich noch."
„Ich glaub ich werd' verrückt: Das Moos hat gesprochen!", spielerisch erstaunt riss er seine bernsteinfarbenen Augen auf. Er schnappte nach Luft.
„Das Moos beißt dir auch glaub in dein Ohr, wenn du dich nicht benimmst."
„Oh nein..... . Angst."
Jetzt konnte die Kätzin nicht mehr an sich halten und prustete los. „Ey hast du mir gerade ins Ohr gespuckt?!", empörte sich Jaguarkralle. „Nein. Moos kann nicht spucken.", frotzelte sie. Dumpf landete sie auf dem mit Kiefernnadeln bedeckten Boden. Der schwarze Kater patschte ihr auf den Kopf. „Halt die Klappe, Wüstensturm.", er lachte ob ihrer runden Augen, die ihn empört anstarrten, „ Ich gehe jagen." „Mach das.", leise und spöttisch in ihren Pelz murmelnd fügte sie hinzu: „Blödarsch."
„Was hab ich da gehört?"
„Nichts"
„Hast du mich Blödarsch genannt?"
„Hmmmm"
„Wie alt bist du?", Jaguarkralle lachte noch lauter als zuvor, „1 Mond?"
„Du bist doof."
„Ich weiß", immer noch breit grinsend drückte er seine Nase an ihre. Sie schnurrte und kuschelte sich an ihn. Unausgesprochene Zuneigung lag zwischen ihnen. „Pass auf dich auf", miaute sie leise, „Und komm so schnell wie möglich zurück." „Zu Befehl, zweite Anführerin.", raunte er zurück. „Los jetzt, Blödarsch.", sie löste sich aus der Umschlungenheit und stupste ihn mit der Pfote an. Unwillig löste sich der dunkle Krieger von ihr, ging aber schlussendlich tiefer in den Wald zurück, um beiden ihre Mahlzeit zu fangen. Wüstensturm hätte ihn zwar liebend gerne unterstützt, ja, sie verzehrte sich geradezu danach, mit ihm gemeinsam jagen gehen zu können. Doch ihr Körper ließ es nicht zu. Sie merkte, dass ihr Stündchen beinahe geschlagen hatte. Auch wenn sie es vor Jaguarkralle nicht offen zugeben wollte – die konnte es nicht über ihr Herz bringen, ihn noch mehr in Besorgnis zu versetzten. Er litt schon genug mit ihr. -, so war ihr Zustand doch kritischer, als zu Beginn angenommen. Angst überlief sie wie ein kalter Schauer, als sie merkte, dass sie die rechte Hinterpfote nicht mehr spürte. Da war nichts. Rein gar nichts. Sie konnte das Bein nicht bewegen. Wüstensturm versuchte es angestrengt erneut. Nichts. Bei allen Disteln und Dornen, das kann doch nicht wahr sein., sie fluchte innerlich, Oh Sternen Clan, wie viel Zeit bleibt mir noch? Ihr war zwar durchaus klar, dass sie keine Antwort erwarten konnte, aber dennoch betete sie zu ihren Ahnen, dass diese möglicherweise Antworten für sie hatten. Nichts geschah. Immer dieses mistige Nichts. Die ganze Zeit.
Kraft? Nein, nichts vorhanden.
Konnte sie ihr Bein bewegen? Kein Gefühl. Nichts.
Antwort vom SternenClan? Nein, nichts, keine Spur.
Wüstensturm seufzte frustriert. Wenn Jaguarkralle nicht an ihrer Seite wäre, hätte sie schon längst zu kämpfen aufgehört. Sie wollte leben. Um jeden Preis. Für ihn. Aus diesem Grund frustrierte sie ihr kläglicher Gesundheitszustand umso mehr. Jetzt, wo alles gerade so schön zu laufen schien, musste ihr Körper den Geist aufgeben. Sie schlug mit den Zähnen knirschend ihre Krallen in die Erde.
„Was bist du denn so wütend?", erklang eine Stimme hinter Wüstensturm. Sie zuckte zusammen. Ihr Puls beschleunigte sich. Das war nicht Jaguarkralle. Waren sie verfolgt worden? Wer war das? Sie kannte diese weibliche Stimme irgendwoher? War das jemand aus dem WindClan? Ein Schleier der Panik legte sich über ihr Herz, welches in rasendem Tempo Blut durch ihre Andern pumpte. Ihre Zähne schlugen aufeinander, als sie diese fletschte und sich knurrend umdrehte. Es wirkte eher verzweifelt als bedrohlich, da sie das nicht funktionsfähige Bein nutzlos hinter sich her schleifte. Sie wollte nach Jaguarkralle rufen, nur er konnte sie beschützen, sie war einem Angreifer schutzlos ausgeliefert. Sie konnte sich nicht verteidigen. Konnte nicht...
Ihr Atem stockte.
Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz.
Das war....
das war Schmetterlingsblüte. Schmetterlingsblüte! Die schöne schildpattfarbene Kätzin stand da, ganz ungerührt auf einer der Wurzeln der Kiefer, welche hoch über ihr aufragte.
Wüstensturms Kiefer klappte herunter.
Halluzinierte sie? Das konnte doch nur ein billiger Scherz ihres Verstandes sein. Oder? Nein. Das konnte nicht sein. Ihr Herz klopfte wie wild. Unbeholfen machte sie einen Schritt nach vorne. Am helllichten Tag? Eine Vision? Was zum SternenClan hatte das denn zu bedeuten? Hatten sie ihr Flehen erhört?
„Wüstenpfote!", Schmetterlingsblüte – es war die ehemalige WindClan Heilerin, da war sie sich nun absolut sicher – trat einen Schritt auf sie zu, „Ich freue mich dich zu sehen, aber", sie warf der sandfarbenen Kätzin einen besorgten, kritischen Blick zu, „du siehst nicht gut aus." Wüstensturm schnaubte freudlos. „Ach ne. Natürlich seh ich nicht gut aus," , sie deutete mit der Pfote auf die Heilerin, „Schließlich fühlt es sich so an, als würde sich mein Körper von innen heraus zersetzten.", sie schüttelte den Kopf, „nein, es fühlt sich nicht nur so an, es ist auch im wahrsten Sinne des Wortes so." Die Augen der Schildpattfarbenen weiteten sich erschrocken.
„Was ist denn passiert?", fragte diese besorgt.
„Das weißt du nicht?", Wüstensturm zuckte kritisch mit den Schnurrhaaren, „Ich dachte SternenClan Katzen wären allwissend."
„Da bist du falsch informiert.", miaute Schmetterlingsblüte trocken.
Wüstensturm wusste, dass ihre Frustration unbegründet war, aber es störte sie irgendwie – wahrscheinlich, weil sie kurz vor ihrem Ende stand – dass sie Besuch von einer uninformierten SternenClan Katze bekam. Sie wollte Nützliches: irgendwelche Nachrichten oder Ratschläge oder zumindest jemand, der mit ihrer Lage auf dem neuesten Stand war. Aber nein. Sie bekam die einzige SternenClan Katze zugesandt, die sich nicht auskannte. Toll. Wüstensturm schnaubte missbilligend. Klar, sie freute sich, Schmetterlingsblüte zu sehen. Sie hatte die Heilerin sehr vermisst und verspürte noch immer beim Gedanken an den Tod der schildpattfarbenen Katze einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen, aber dennoch dominierte derzeit das Gefühl der hilflosen Frustration.
„Warum bist du eigentlich hier?", sprach Wüstensturm die offensichtlichste Frage aus.
„Ach ja, da war ja was!", Schmetterlingsblüte kratzte sich mit der Hinterpfote hinterm Ohr, „Ich sollte dir eine Prophezeiung übermitteln."
„Sag' das doch gleich!"
„Tut mir leid, ich hatte das gerade vergessen.", miaute Schmetterlingsblüte unbekümmert.
„Kann es sein, dass du im SternenClan Territorium dein Hirn verloren hast?"
„Hmmmm....", abwesend schaute die Heilerin einem vorbeifliegenden Schmetterling hinterher.
„Übrigens heißt es nicht mehr ‚Wüstenpfote', sondern ‚Wüstensturm'", sagte Wüstensturm, um zumindest irgendetwas zu sagen, denn Schmetterlingsblüte, die ironischerweise von einem Schmetterling abgelenkt worden war, schien nicht mehr ganz bei Sinnen zu sein.
„Ohhhh", miaute die Heilerin, „Glückwunsch! Du hast endlich deinen Kriegernamen! Ich freue mich für dich!", ihr warmer Blick ruhte auf der sandfarbenen Kätzin.
„Ja.", Wüstensturm räusperte sich, „Chrmchrm.", sie kratzte mit einer Vorderpfote über den Boden und fegte einige Kiefernnadeln beiseite, „Hattest du nicht gesagt, dass du eine Prophezeiung für mich hast?"
„Ohhhhhh, stimmt ja....", die Augen der Heilerin wanderten wieder dem Schmetterling hinterher, der sich gerade auf einer violetten Blüte – einer Wiesenglockenblume, wie Wüstensturm dank ihres Heilerwissens bekannt war – niederließ.
„Also?"
„Was also?"
„Die Prophezeiung!"
„Warte.", Schmetterlingsblüte hielt eine Pfote in die Luft, „ Gleich hab ich's." Wüstensturm hörte es förmlich im Kopf der Heilerin arbeiten. „Ah jetzt!"
Plötzlich wirkten die Luft und die Umgebung vollkommen verändert. Es war, als wären alle anderen Geräusche, außer der hallenden Stimme der Heilerin gedämpft worden. Die Temperatur war um einige Grad gesunken. Wüstensturm sah ihren Atem als kleine Wölkchen vor ihrer Nase durch die Luft wabern. Dann begann Schmetterlingsblüte – nun vollkommen ernst und konzentriert - zu sprechen:
„Des Fleisches Ende, dessen Erbe, dessen Vollendung, ist nahe. Sterben, schlafen. Schlafen! Vielleicht auch träumen! Doch was im Schlaf für Träume kommen mögen, das zwingt und stillzustehen. Drei Nächte du erdulden, du ertragen musst, so wird des Schicksals Erfüllung dich erlösen."
Schmetterlingsblüte verstummte. Alles war wieder wie vorher. Die seltsame Stimmung von eben war verschwunden und Wüstensturm blieb vollkommen verwirrt zurück. Was hatte diese Prophezeiung zu bedeuten? Für sie wirkte es wie völlig hochgestocktes, unverständliches Gemauschel.
„Was bei allen heiligen Katzen des SternenClans meinst du damit?", fragte sie verwirrt. Sie verstand nicht, was ihr gerade gesagt werden hätte sollen.
„Womit?"
„Na mit der unheiligen, absolut bedrohlich klingenden Prophezeiung, die du da gerade ausgespuckt hast."
„Ich habe was?"
Wüstensturm stöhnte entnervt auf: „Ach vergiss es." Schweigen. „Schmetterlingsblüte?", keine Antwort. „Bist du noch da?" Niemand reagierte. Wüstensturm sah sich um. Die Heilerin war weg. Nein, das konnte doch jetzt nicht ihr Ernst sein. Gerade jetzt konnte sie doch nicht einfach so beliebig verschwinden. Ihr Frust wuchs ins Unermessliche. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Anstatt, dass irgendwas einfacher oder klarer geworden wäre, war nun alles etliche Male komplizierter. Super. Die Kriegerin stöhnte auf und rammte ihre Krallen in die Erde. Sie war gerade in der Stimmung irgendetwas zu zerfetzten, auch wenn ihr Körper das nicht gerade hergab. Ihre Krallen schlossen sich um einige Kiefernnadeln.
Da raschelte etwas im Unterholz. Sie erkannte den Duft sofort. Wenigstens keine unangenehme Überraschung mehr – eher eine sehr, sehr angenehme. Jaguarkralle war zurück. Und das mit zwei fetten Eichhörnchen, einer Waldmaus und einem kleinen Spatz im Maul. Erstaunlich, wie viel er auf einmal tragen konnte. „Ift etwafffff?", fragte er gedämpft und mit vollem Maul. „Mit vollem Mund spricht man nicht", spottete sie. „Pah", er spuckte die Beute aus, „Ich bin alt genug, um selbst zu entscheiden, wie ich rede und wann." „Blödarsch", kicherte sie. Dann setzten sie sich nebeneinander und verspeisten die Beute, während Wüstensturm den schwarzen Krieger zwischen jedem Bissen über das Geschehene und den Wortlaut der gerade gesprochenen Prophezeiung aufklärte.
Wheeee! Und hoppla hopp ein neues Kapitel! :)
Es geht voran! Ich hoffe es hat euch Spaß gemacht dieses hier zu lesen. Ich denke das wird jetzt öfter so, dass ich in einer Vorlesung so viel schaffe. Schreiben und nebenher bisschen im Unterricht aufpassen und Mitschreiben ist eine echt gute Taktik, um nicht aus Versehen einzuschlafen. Ich muss sagen, dass ich so nämlich echt immer gut beschäftigt, hellwach und äußerst konzentriert bin.
Wer hat erkannt an welches bekannte Theater bzw. welches bekannte Zitat die Prophezeiung von Schmetterlingsblüte angelehnt war? Ein kleines EasterEgg von mir, da ich ja ein ziemlicher Fan der klassischen Schreibkunst bin. :3
Viel Spaß beim Lesen!
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