25. Kapitel
W I L D P F O T E
Wildpfote fühlte sich dumm.
Sie fühlte sich dumm, weil sie sich wieder während des Trainings mit Falkenfeder angelegt hatte.
Mit diesem Kater würde sie sich wohl nie anfreunden.
Aber warum denkt er auch immer, er könnte mir befehlen, was ich tun soll, obwohl er nicht einmal mein Mentor ist? Und wie er immer herumstolziert, als wäre er etwas besseres!
Der eigentliche Grund, dass sie sich mäusehirnig fühlte, war nicht der Mentor ihrer Schwester, sondern Narbenherz.
Die junge Kriegerin hatte ihr, sobald sie stark genug gewesen war, erzählt, wer sie wirklich angegriffen hatte. Es war so offensichtlich gewesen!
Aber Narbenherz hatte sie immerhin nicht dazu verdonnert, den Ältesten die Zecken aus den Pelzen zu ziehen.
Es war Blattleere, gab es da überhaupt Zecken?
Vielleicht erzählt Brandhimmel mir eine Geschichte?
Goldschimmer war gutmütig und freundlich, aber nie erzählte sie Geschichten. Brandhimmel hatte das immer getan -
Als er noch Krieger gewesen war. Als seine Schwester Mohnschimmer noch am Leben gewesen war.
Doch das Erdbeben hatte ihren Körper zerschmettert und verschlungen.
Kopfschüttelnd, um auf andere Gedanken zu kommen, teilte sie das Fell an Goldschimmers Schulter. Keine Zecke.
"Wieso lässt Falkenfeder mich Zecken absammeln, wo keine sind? Und warum duldet Löwenmut das auch noch?"
Erst, als die Worte aus ihrem Maul kamen, fiel ihr auf, dass sie laut gedacht hatte. Ihre Ohren wurden glühend heiß.
Goldschimmer schnurrte.
"Weil Bachpfote schon das Nestpolster gewechselt hat und ihm keine andere Bestrafung eingefallen ist?"
Sie nickte resigniert.
"Ich bin fertig", murrte sie und tappte aus dem Bau ins grelle Licht der durch die Wolken brechenden Sonne, die kalte Strahlen auf den Himmelsfelsen warf.
Löwenmut stand mit besorgter Miene vor dem kläglich gefüllten Frischbeutehaufen, auf dem nur zwei schlaffe, magere Kaninchen lagen.
Wildpfote fühlte ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen. Sie war eine miserable Jägerin und hatte bisher kaum Beute gemacht, obwohl sie nun schon zwei Monde lang Schülerin war. Blitzpfote, ihre Schwester, dagegen war ein Naturtalent und hatte neben den flinken Pfoten stets Geduld und nahezu perfekte Zeiteinschätzung.
Die Geschwindigkeit war bei Wildpfote nicht das Problem... aber der Rest, den man zum Jagen brauchte.
Sie wartete nur darauf, allen ihre Stärken zu zeigen.
"Löwenmut?", wollte die schildpattfarbene Kätzin also wissen, "Wann beginnen wir mit dem Kämpfen?"
Der goldene Krieger blickte überrascht auf, dann schnurrte er.
"Jetzt?"
"Natürlich!", rief sie, fast schon triumphierend. Falkenfeder würde schon sehen, dass sie alles andere als nutzlos war!
Hoffnung und Ehrgeiz ließen ihr Blut durch ihre Ohren rauschen, sie fühlte sich wieder, als könnte sie wirklich die beste Kriegerin des Clans werden.
Eine scharfe Stimme schien sich in ihr Gedächtnis zu bohren.
Ein Gegner, der denkt, gewonnen zu haben, ist schon besiegt.
Eis.
Wildpfote war ihm dankbar für das Training jede Nacht, durch das sie schon spürte, wie ihre Muskeln unter dem schildpattfarbenen Pelz kräftiger wurden, aber seine "lehrreichen" Sprüche konnten sich ihrer Meinung nach gerne auf die Nacht beschränken.
"Kommen Falkenfeder und Blitzpfote auch mit?"
Ihre Pfoten kribbelten schon erwartungsvoll.
"Ich werde Falkenfeder fragen."
Der goldene Krieger wandte sich ab und trottete zu zwei Katern hinüber, die sich ein mageres Kaninchen teilten.
Wildpfote fühlte den verächtlichen Ausdruck auf Falkenfeders Gesicht förmlich und auch die gehässigen blauen Augen schienen sich in ihren Pelz zu bohren, als ihr Mentor sich bei dem braun getigerten Kater erkundigte.
Aschenschwinges Augen waren starr wie die eines Raubvogels auf sie gerichtet und sie musste sich Mühe geben, um nicht eingeschüchtert wegzuschauen und in sich zusammenzusinken.
Da stand Blitzpfotes Mentor auf und stolzierte auf sie zu, rief nach ihrer Schwester, die sofort aus dem Schülerbau schlüpfte, und gemeinsam tappten die vier Katzen in das Territorium hinaus, auf dem seit dem Erdbeben vor knapp zwei Monden nun endlich wieder Heide und Gras die Landschaft bedeckte. Die Erde wirkte nicht mehr so zerwühlt und der Nebel hatte sich etwas gelichtet, sodass nun Sonnenstrahlen die Felle der Katzen wärmten und Löwenmuts Pelz wie ein strahlendes Licht wirken ließen.
"Also", begann der alte Krieger, "zunächst lernen wir grundlegende Verteidigungstaktiken, denn Angreifen kann man nicht, solange man sich nicht richtig verteidigen kann.
Wir beginnen mit dem Wegrollen. Stürzt sich ein Gegner frontal..."
Und so lauschte sie eine Weile den langweiligen Vorträgen und Erklärungen, die sie im Wald der Finsternis schon unzählige Male gehört hatte. Erst, als sich Blitzpfote ihr gegenüber aufstellte, erwachte sie aus ihrer Trance.
"Wildpfote, du fängst an."
Sie fixierte ihre Schwester und blickte ein winziges Stückchen zu Blitzpfotes Rechten, sah schon, wie ihre Schwester wissend das Gewicht nach links verlagerte.
Jede Faser ihres Körpers war bis aufs Äußerste gespannt.
Dann sprang sie, aber nicht auf Blitzpfote, sondern etwa eine Schwanzlänge neben sie.
Die rotschwarze Kätzin rollte sich - geschickt für ihr erstes Mal - ab und kam zu Wildpfotes Glück genau dort auf die Pfoten, wo ihre schildpattfarbene Schwester landete.
Zufrieden spürte sie Fell unter ihren Pfoten, stürzte sich auf ihre Schwester und nagelte sie auf den Boden.
Blitzpfote strampelte planlos mit den Pfoten und schaffte es, Wildpfote abzuwerfen, sodass diese mit der Schnauze in der Heide landete.
Wieder.
Wieder war sie diejenige, die im Dreck lag.
Sie spürte schon den höhnischen Blick aus bernsteinfarbenen Augen, die arrogant auf sie herabblickten als wäre sie eine Maus.
Nein!
Sie würde das nicht zulassen!
Sie rappelte sich auf die Pfoten, wirbelte pfeilschnell zu ihrer Schwester herum und täuschte einen Schlag nach links an, schlug aber nach rechts und verpasste so Blitzpfotes Schnauze einige Kratzer.
Alles um sie herum verschwamm sie, ein rötlicher Schleier trübte das Sichtfeld der Kätzin und wie in blindem Wahn schlug sie um sich, spürte nur, wie sie Fell, Haut, Fleisch traf und hörte Muskeln reißen.
Krallen gruben sich in ihre Schultern, doch, stark wie ein Löwe, bäumte sich Wildpfote auf und warf die Katze ab, stürzte sich in rasender Wut auf alles, was sich bewegte.
Töte sie!, echote eine Stimme in ihrem Kopf, vernichte sie!
Nichts mehr bemerkte sie, roch nur den beißenden Gestank nach Blut und fühlte das wilde Verlangen, zu töten.
Verzweifelte Rufe drangen in ihr Bewusstsein, verschwammen seltsam miteinander und Wildpfote fühlte sich von einem Moment auf den anderen wie gefangen zwischen Realität und Illusion.
Dann traf ein Schlag ihren Kopf, als wäre der Himmelsfels selbst gegen ihren Schädel geprallt und in einem Wirbel aus Schwarz und Rot glitt sie in die Dunkelheit.
***
Verworrene Stimmen klangen wie aus weiter Ferne.
Wildpfote schreckte abrupt hoch und fühlte verfrorene Heide unter ihren Pfoten.
Ich bin im Heilerbau.
Um sie herum tobte eine hitzige Diskussion.
"Ich weiß auch nicht, was da in sie gefahren ist! Aber sicher wollte sie uns nicht verletzen." Löwenmuts Stimme klang wie betäubt.
"Sie ist eine Gefahr für ihre Clan-Gefährten! Wenn sie schon ihre eigene Schwester verletzt, wie sicher können wir uns sein, dass sie nicht mitten in der Nacht den halben Clan ermordet?"
"Jetzt mach mal halblang, Aschenschwinge. Sie ist nur eine Schülerin. Und sie ist erst sechs Monde alt, wie soll sie da ausgewachsene Krieger ernsthaft verletzen?"
Das war Seeschattens Stimme. Wildpfote war sich nicht sicher, ob sie ihm dankbar sein oder sich gekränkt fühlten sollte, weil er sie "nur eine Schülerin" genannt hatte.
Eine kleine, brüchige Stimme meldete sich zu Wort.
"Ich habe... die Augen gesehen. Es waren nicht ihre Augen. Es waren die eines Monsters. Sie haben geglüht als würde ein Feuer darin brennen, dunkler als die Nacht. Sie war nicht sie selbst in diesem Moment. Bitte, bestraft sie nicht!"
"Blitzpfote, sie ist ein Monster! Und die Tatsache, dass sie deine Schwester ist, verändert daran nichts!"
"Wie kannst du es wagen!"
Der Wutschrei Flussechos war so durchdringend, dass sie förmlich die Luft zerfetzte.
Wildpfote schlug die Augen auf und blickte direkt in die von Aschenschwinge.
Der dunkelgraue Kater blickte sie so voller Verachtung, Wut und Hass an, dass seine Augen schier eiskaltes Feuer zu sprühen schienen.
"Du wirst bekommen, was du verdienst", zischte er so leise, dass es niemand sonst hören konnte.
Und der Schreck der heftigen Erkenntnis jagte Wildpfote einen eiskalten Schauer über den Rücken.
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