Kapitel 38
Er hatte versagt.
Er hatte seinen Auftrag nicht erfüllen können und sich selbst und seine Schwester enttäuscht. Seine Pläne würden niemals aufgehen, nicht einmal im Leben nach dem Tod. Er würde immer und immer wieder scheitern und Jagdkralle würde allen Grund haben, sich über ihn lustig zu machen.
Krähenschwinge war entsetzt darüber, dass Taubenfeder es tatsächlich geschafft hatte, ihn ohne Anleitung zurück in den DüsterClan zu schicken. Er hatte es nicht erwartet, aber ihre Emotionen waren wohl stark genug gewesen, dass sie gar nicht hatte wissen müssen wie es funktionierte.
Er lag unter einer hohen Kiefer und starrte trostlos auf den Waldboden, den man aufgrund der Dichte der Nadelbäume und der daraus entstehenden Dunkelheit kaum erkennen konnte. Er sah nur die Furchen, die seine Krallen in seiner Wut in den Boden geschlagen hatten und die Brocken schwarzbrauner Erde, die dadurch entstanden waren.
Er hatte sich noch nicht getraut, einer Katze von seinem Versagen zu berichten und folglich wusste auch niemand von seiner Rückkehr. Krähenschwinge war sich in vollem Bewusstsein, dass es ihn nicht voran brachte, in Selbstmitleid zu versinken, aber es fühlte sich unglaublich richtig an und es war er einfachste Weg, seinen Zorn zu verdauen.
Es gab so viele Wege, wie er seine jetzige Situation hätte verhindern können. Er hätte niemals auf Jagdkralles Befehl hören sollen, die SalbeiClan-Anführerin zu töten. Er war nur plötzlich dort gewesen, im DüsterClan, mit einer klaren Anweisung: "Schaffe mir dieses Stück Krähenfraß aus den Augen. Bevorzugt mit ein bisschen Blutvergießen." Er hatte gehorcht, ebenso wie zwei andere Katzen mit dem selben Auftrag. Zu dritt hatten sie besagte Schildpattkätzin getötet, doch war es Krähenschwinge selbst, der ihr schlussendlich den Bauch zerfetzte und sie zum Sterben zurückließ.
Er hatte nicht viel davon mitbekommen, warum die junge Anführerin sich in der Nacht in den DüsterClan geträumt hatte. Sie schien Jagdkralle Vorwürfe gemacht zu haben, heftige Vorwürfe. Und niemand forderte den Anführer des DüsterClans heraus, ohne mit den Konsequenzen leben zu müssen.
Zum Glück war Krähenschwinge direkt nach dem Mord zurück in die Welt der lebenden Katzen geschickt worden, in der Absicht, die Katastrophe ein wenig einschränken zu können. Wer hätte damit rechnen sollen, dass Taubenfeder den mäusehirnigen Schmerz ihrer Anführerin tatsächlich noch spüren würde? Nach ihrer Verbannung hätte das für sie unmöglich sein müssen.
Der tote Kater hatte nicht sofort begriffen, weshalb Taubenfeder dort unten den Schmerz gespürt hatte. Nun war es ihm bewusst und er fühlte sich wie ein kleines, dummes Junges. Die Kätzin war nicht verbannt, sie war nur in dem Glauben gelassen worden, ebenso wie der Rest ihres Clans. Ihre hinterlistige Anführerin war unglaublich klug bei der Wahl ihrer Worte gewesen: "Du bist nicht mehr auf dem Territorium des SalbeiClans willkommen." Diese geniale Kätzin hatte kein Wort davon gesagt, dass Taubenfeder verbannt war! Solange sie diese Worte nicht ausgesprochen hatte, gehörte Taubenfeder noch zum Clan und genoß also alle ihre damit einher gehenden Fähigkeiten.
Was das der SalbeiClan-Anführerin brachte, wusste Krähenschwinge nicht, aber es schien ihm, als würde sie viel mehr Fäden dieses Spiels in den Pfoten halten als erwartet. Somit hatte er nicht nur versagt, nein, er hatte die listige Anführerin äußerst unterschätzt und Taubenfeders Vertrauen bis auf den letzten Rest verloren. Er würde seine Aufgabe nicht weiter fortführen können, denn seine kleine, lebendige Freundin würde seine Anwesenheit in ihren Träumen oder auch neben sich nicht mehr akzeptieren.
Und noch viel schlimmer: Sein Herz schmerzte, als hätte er etwas unendlich Wertvolles verloren. Er hatte etwas Zerbrechliches zerstört, das nie wieder repariert werden konnte.
"Du widerst mich an!"
Taubenfeders Worte hatten wehgetan. Er konnte es bestreiten, aber vor dem Gericht seiner Gefühle stand er allein. Er war sich bewusst, dass er diese Anschuldigungen und noch viel mehr in höchstem Maße verdient hatte, aber es zog sich trotzdem wie eine Kralle durch sein Herz. Hatte er gehofft, sie würde ihn akzeptieren, obwohl er ihr größter Gegner war und sie außerdem umbringen wollte?
Hatte er allen Ernstes geglaubt, sie können Freunde werden? Er, der mächtige, tote DüsterClan-Kater und sie, die doch so wenig Ahnung von der Welt hatte und die trotz allem die Kätzin mit der Prophezeiung war? Ihre Freundschaft war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen und doch hatte er sich diese Hoffnungen gemacht, deren Zerstörung ihn von innen aufschlitzten.
Für all die außenstehenden Katzen musste er erbärmlich wirken, ein armseliges Häufchen Elend. Sie wussten nicht, was er alles durchgemacht hatte und was in ihm vor ging. Sie hatten nicht sein Leben gelebt und nicht seine Gedanken gedacht, keine von ihnen würde jemals dem nahe kommen, wie er sich gerade fühlte.
"Du bist ein fuchsherziges Biest, Krähenschwinge!"
Taubenfeder brüllte und tobte in seinem Kopf, verfluchte ihn und sprach dann doch ganz sanft mit ihm. Ihre leise Stimme schien ihn zu verhöhnen oder aufzumuntern, aber auf ihre eigene, kuriose Weise. "Aww, ertrinkt der alte Kater etwa in Selbstmitleid? Kopf hoch, Geisterkaterchen, die Welt ist nicht untergegangen." Er hörte sie so deutlich, als stände sie vor ihm. Krähenschwinge wickelte seinen Schweif um seinen Körper und vergrub sein Gesicht darin. Ihm war so elend zu Mute.
„Krähenschwinge? Was machst du denn hier?"
Diese Stimme hatte er schon viel zu lange nicht mehr gehört. „Stacheltatze, Schwesterherz?", fragte er überrascht. Wie hatte sie ihn hier gefunden? Jetzt müsste er ihr seine Situation erklären und sie über sein Versagen informieren. Sie würde so enttäuscht von ihm sein!
Die silbergraue Kätzin rauschte zwischen den Kiefern hervor und blickte mit strahlenden Augen auf ihn hinab. Er musste erbärmlich aussehen, klein und erschöpft am Boden liegend.
„Krähenschwinge, ich habe dich vermisst. Warum sitzt du da derart traurig?"
Ihr schlanker Kopf drückte sich an den seinen und begrüßte ihn herzlich. Er freute sich zwar, seine Schwester zu sehen, doch seine schlechte Laune machte es wieder kaputt.
„Ich habe versagt."
Was brachte es, wenn er darum herum redete? Vor ihr musste er sowieso nichts verstecken, ihr konnte er seine tiefsten Gefühle zeigen. Außer vielleicht, dass er Taubenfeder sympathisch fand. Das war auch nicht so wichtig, oder? Stacheltatze schaute ihn aufmerksam an. Noch wirkte sie nicht enttäuscht oder anklagend, aber es konnte nicht mehr lange dauern.
„Taubenfeder hat herausgefunden, dass ich nicht auf ihrer Seite stehe und will mich nie wieder sehen."
Seine Stimme brach. Seine Schwester setzte sich vorsichtig neben ihn, dicht an ihn gekuschelt. „Taubenfeder war die Katze, der die Prophezeiung übertragen wurde?", hakte die Kätzin nach. Krähenschwinge nickte. „Ich kann nicht mehr mit ihr kommunizieren. Jagdkralle wird einen Anderen für die Aufgabe auswählen, wenn es noch jemanden gibt, der Taubenfeders Vertrauen wieder gewinnen kann. Ich habe echt alles kaputt gemacht."
Sie sah ihn so mitfühlend an, dass ihm schlecht wurde. Er wollte ihr Mitleid nicht! „Du hast nicht alles kaputt gemacht. Jagdkralle wird jemanden finden und wenn die Prophezeiung erstmal außer Kraft gesetzt wurde, werden wir unsere Rache noch bekommen. Glaub mir, Krähenschwinge: Luchssprung und Ahornrose werden nicht einfach damit durchkommen, was sie uns angetan haben."
Die Mienen der beiden Geschwister verdunkelten sich im Gedanken an ihre ehemaligen Clankameraden. Krähenschwinge erinnerte sich an die Zeit als Schüler Luchssprungs, sein Leiden unter ihm. Dieser Kater war die Grausamkeit in Katze gewesen und er hasste niemanden so sehr wie ihn, nicht einmal Ahornrose kam nahe an sein seinen früheren Mentor heran.
Er hatte nie verstanden, wie er zum zweiten Anführer werden konnte, aber er wusste, dass Bleichhimmel ein Mäusehirn gewesen war. Er war nicht sonderlich intelligent gewesen, aber er hatte Konflikte sehr gut mit seiner Muskelkraft gelöst bekommen. Kein Wunder, wenn sich jeder vor seinem Zorn fürchtete, dass in seiner Gegenwart kein Streit geführt wurde. Nur hinter seinem Rücken, da wurden die Schwachen unterdrückt und Katzen wie der kleine Krähenpfote hatten kein Glück.
Luchssprung war glücklich geboren worden: Mit einer Schwester, die eine erfolgreiche Heilerin wurde und dem beliebtesten Kater im ganzen Clan, zumindest bei den Kätzinnen, als Bruder konnte er nur ebenso geschätzt werden. Ein Rednertalent und ein Charmeur, der immer den richtigen Katzen schmeichelte und mögliche Gegner von vornherein unterdrückte. Natürlich war er zweiter Anführer und schließlich sogar Anführer geworden. Bleichhimmel hatte es akzeptiert, ihm geistig unterlegen zu sein und ließ ihn die meisten Anführeraufgaben übernehmen.
In Krähenschwinge, damals noch Krähenpfote, hatte der gemeine Kater schnell eine Gefahr gesehen und sich daraufhin selbst zu seinem Mentor ernannt. Er hatte ihn manipulieren wollen, doch Krähenschwinge hatte ihn durchschaut gehabt. Aber welche Chance hatte ein kleiner, unbeliebter Schüler gegenüber dem zweiten Anführer des Clans? Und so musste er sich fügen und hoffen, dass der DüsterClan ihn besser ausbildete. Und das hatte er.
Mochte Luchssprung auch in den HimmelClan gekommen sein, bald würde Krähenschwinge seine Rache bekommen. Er würde das Fuchsherz zerreißen und er würde es genießen. Das würde er nicht einmal gegen die Freundschaft mit Taubenfeder eintauschen. Der DüsterClan würde den HimmelClan angreifen, egal was passierte.
„Krähenschwinge? Du musst es Jagdkralle sagen, sonst kann er keine neue Katze auswählen", unterbrach Stacheltatze seine Mordgedanken.
Er stand nach langer Zeit wieder auf, nun mit neuer Energie. Er würde sich bei Taubenfeder entschuldigen, wenn die Zeit gekommen war. Er wollte die lebenden Katzen nicht töten, das war nur der Plan der anderen DüsterClan-Geiser. Sein Fokus lag auf dem HimmelClan. Er hatte auch kein Bedürfnis Taubenfeder zu ermorden, nur müsste man das wohl, um das Erfüllen der Prophezeiung zu verhindern. Krähenschwinge tat das leid, aber er könnte nichts dagegen tun.
Oder doch?
Was war aus seinem Vorhaben geworden, Jagdkralle zu stürzen und die Führung des DüsterClans in seine eigene Pfote zu nehmen? Wenn er das schaffte, könnte er den Angriff einzig auf den HimmelClan lenken und die lebenden Katzen raushalten. Die Prophezeiung war auf die drei lebenden Clans bezogen, also wären all seine Probleme, oder eher Taubenfeders Probleme, gelöst. Er bräuchte nun nur einen Weg, Jagdkralle zu stürzen. Gab es einen? Wenn er genügend der toten Katzen auf seine Seite bringen könnte, hätte er immerhin eine Chance.
Seine Schwester und er liefen durch den Nadelwald in die Richtung einer Lichtung, auf der sich ihr Anführer des Öfteren aufhielt. Stacheltatze wirkte immer angespannter, je näher sie Jagdkralles Ruheplatz kamen. Klar, der Kater war ein grausiger Zeitgenosse und ein wenig abgedreht, trotzdem hätte er nicht erwartet, dass sogar Stacheltatze in seiner Gegenwart so angespannt war. Hatte er wirklich so viel Einfluss auf die Katzen des DüsterClans?
Krähenschwinge sackte durch sein Gewicht eine Ameisenlänge in die Moosschicht ein, die sich über die kalte Erde zog. Ein leichter Nebel lag in der Luft, es roch noch verrotteten Pflanzen.
„Besuch? Welch eine seltene Sensation", ertönte eine spöttische Stimme von einem Felsvorsprung. Unter diesem lag der große, cremefarbene Kater, den ein dunkles Flimmern umgab, als ob er alles Licht der Umgebung aufsaugen würde.
„Wir sind hier, um dich darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich von meiner Mission zurück bin", setzte Krähenschwinge an. Er plusterte sich auf, obwohl er in jedem Fall den liegenden Kater überragte. Einschüchtern konnte er ihn jedoch nicht, denn Jagdkralle war ein Koloss und viel größer als so ziemlich jede Katze, die er kannte.
Triumph überzog sein Gesicht. Irritiert, aber auch alarmiert stellt Krähenschwinge die Ohren auf. Weshalb sollte er jetzt so viel Glück zeigen? Oder war das Schadenfreude? Freute sich der Kater, dass Krähenschwinge offensichtlich versagt hatte?
„So früh schon? Hast du die Kätzin mit der Prophezeiung etwa schon umgebracht? Schade, ich hätte gerne zugeschaut." Jagdkralles spottender Unterton war nicht zu überhören.
„Nein, wir haben uns gestritten und sie will jetzt nichts mehr von mir hören. Du-" Er schaute unsicher seine Schwester an, während der Anführer des DüsterClans ein erfreutes Kichern ausstieß. „Du musst einen Anderen finden, der meine Aufgabe übernimmt."
Der cremefarbene Kater krähte vor Schadenfreude und sein Schweif schwang fröhlich über den Boden.
„Du heißt doch Krähenfeder, oder? Ich werde ganz sicher einen würdigen Ersatz für dich finden." Es tat weh, dass er ihn mit Taubenfeders Nachsilbe angesprochen hatte. Aber was brachte es? Jagdkralle war bekannt dafür, sich keine Namen merken zu können.
Immerhin gäbe es einen Ersatz. Dieser würde bei Taubenfeder zwar nicht weit kommen, aber Krähenschwinge genug Zeit verschaffen, um Jagdkralle zu stürzen.
Er würde seine Rache und Taubenfeder ihr Leben bekommen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro