Kapitel 36
Ein nervöser Seitenblick zu Krähenschwinge gab mir eine leise Bestätigung. Seine Gesichtszüge waren zerstört, ein schadenfrohe Funkeln und das Schimmern einer Katze, deren Pfoten von Blut verschmutzt waren, lagen in seinen Augen. Ein unbestimmter Zug verzerrte seinen Mund.
Das bildete ich mir ein! Er war traurig, niedergeschlagen! Wenn er negative Emotionen verspürte, dann nur, weil ich ihm nicht gehorcht hatte. Er würde doch niemals eine Katze umbringen, das war nicht möglich!
Als mich seine finsteren Augen trafen, rieselte ein Schauern über meinen Rücken. Ich zuckte zurück.
„K- Krähenschwinge?"
Meine Stimme sollte nicht zittern! Sollte ich hier einen Mörder vor mir haben, durfte er mich nicht als sein nächstes Opfer sehen. Jetzt raste mein Herz so stark, als ob ich einmal über das ganze Territorium gerannt wäre. Krähenschwinge konnte nicht die Katze mit dem Nadelgeruch sein! Er trat einen Schritt auf mich zu, ich huschte mehrere zurück in die Spalte im Fels. Meine Kriegergefährten durften mich hier nicht entdecken.
Dass tatsächlich Blut über seine Krallen geschmiert war, fiel mir jetzt erst auf. Wie hatte er das überhaupt geschafft? Er sollte dort draußen niemanden berühren können!
„Krähen- Krähenschwinge?"
Meine Stimme übersprang ein paar Laute und ich klang plötzlich schrill wie eine in die Enge getriebene Maus. War ich das nicht auch? Seine fast schwarzen, angelegten Ohren, sein funkelnder, böser Blick - meine Angst stieg ins Unermessliche.
Wie konnte ich diesem Kater jemals mein Vertrauen geschenkt haben? Wohlmöglich war er sogar Ginsterpfotes Verbündeter! Dieses blutgierige Brennen in den ehemals beruhigenden Augen, die mich die letzten Tage so freundlich und scherzend angesehen hatten, passte nicht zu dem im Herzen eigentlich guten Kater, den ich kennen gelernt hatte. Wen hatte ich da wirklich vor mir - einen kaltherzigen Mörder oder einen humorvollen Freund, der mich vor allen Gefahren schützen wollte?
„Du- du hast nicht-?"
Jetzt umspielte tatsächlich ein spöttisches, gar wahnsinniges Lächeln sein Maul. „Na, was soll ich getan haben? Sprich es aus!", forderte er. Krähenschwinge war wahnsinnig geworden!
„Hast du Malvenhimmel umgebracht?", fragte ich vorsichtig. Ich wollte die Frage nicht stellen, wirklich nicht! Wie konnte ich auch, wenn ich die Antwort niemals hören wollte! Konnte ich das noch rückgängig machen? Er war nicht böse, er war-
„Kleine, was hast du erwartet, was der DüsterClan ist? Ein Ort, wo wir Katzen den ganzen Tag Witze erzählen und euch Lebenden bei Prophezeiungen helfen?"
So irgendwas in der Art? Bitte, das musste es sein! Ich weigerte mich, etwas Anderes zu akzeptieren!
„Der DüsterClan ist der Ort für die bösen Seelen, Taubenfeder. Wir morden, wir foltern, wir quälen und haben Spaß daran."
Wie hatte ich diesem Schlangenherz nur jemals mein Vertrauen schenken können? „Du widerst mich an!", schrie ich. Das war nicht im Ansatz das, was ich ihm entgegen brüllen wollte. Er hatte es verdient, immer wieder und wieder getötet zu werden, ich wollte ihn verfluchen und ihm die Zunge herausreißen, damit er solche grausamen Dinge nicht mehr sagen konnte.
„Warum habe ich dir vertraut? Du bist ein fuchsherziges Biest, Krähenschwinge!", schrie ich außer mir vor Wut. Er sollte zu spüren bekommen, was einer Katze drohte, die mein Vertrauen brach! Er hatte alles kaputt gemacht, was sich langsam aufgebaut hatte - die dünnen Fäden der Freundschaft hatte er einfach zerrissen, als hätten sie ihm nichts bedeutet. Das hatten sie auch nie, daran musste ich mich selbst erinnern. Ich schämte mich so sehr, überhaupt mit ihm geredet zu haben, ich bereute, ihm von mir erzählt zu haben. Es fraß sich in meinen Stolz, wie sehr ich mich in diesem Kater geirrt hatte.
„Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!"
Mein Herz schlug weiter, obwohl mein Körper völlig erstarrt war.
„Geh weg!"
Er bewegte sich um keine Schwanzlänge, starrte mich nur ausdruckslos an. Interessierte es ihn denn gar nicht, wie schlimm ich mich gerade wegen ihm fühlte? Hatte er kein Mitleid, dass er mich so verletzt hatte?
„Bitte, verschwinde."
Ich konnte mich selbst verfluchen, dass ich nun einen flehenden Ton in meine Stimme gelegt hatte. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, weder seine hübschen goldgrünen Augen, noch sein dunkelbraunes Fell mit der außergewöhnlichen Musterung oder seine schwarze, flauschige Schwanzspitze! Ich wollte diesen Kater von Ohrspitzen bis Pfoten verabscheuen! Und es war nicht meine Schuld, dass ich es nicht konnte!
Ehe ich ihn noch einmal bitten konnte, zu gehen, begann er langsam, sich aufzulösen. Seine gesamte Gestalt verblasste, bis ich nur noch seine panisch aufgerissenen Augen sah. Dann war er fort.
Ich hatte seinen Geist zurück in die Hölle geschickt, in die er gehörte, zu Seinesgleichen, den bösen Katzen. Und ich empfand vielleicht kein Mitleid, aber auch keine Genugtuung. Er hatte mich zu lange täuschen können, jetzt freute er sich mit Sicherheit darüber, dass ich mich so verraten fühlte. Wie konnte Krähenschwinge bloß! Was musste er in seinem Leben nur für schreckliche Taten begangen haben, dass er im DüsterClan gelandet war. Ich wollte sie mir gar nicht ausmalen.
Ausgerechnet jetzt, wo ich einen Halt brauchte, etwas, woran ich mich festhalten konnte, um nicht im Strudel meiner Gefühle zu ertrinken, genau jetzt konnte ich nicht zu meiner Familie und meinem Clan. Und ich hasste mich dafür, dass ich tatsächlich wieder dem Gefühl folgte, was mich gerade erst in die Sackgasse gelockt hatte. Es war die Hoffnung, die ich jetzt brauchte, um das Gedankenchaos überstehen zu können. Ich wusste nicht, wie zerstört ich sein würde, wenn mich dieses Gefühl erneut enttäuschte. Wenn ich Glück hatte, musste ich darüber gar nicht nachdenken.
Schon wieder flitzte ich die Gänge entlang, die ich seit meiner Verbannung ständig entlang rannte. Das glückliche Leuchten in meiner Brust wurde stärker, als ich den anderen Gang als letztes Mal nahm. Die naive Hoffnung packte mich wieder, der Glaube, ich könnte endlich den Stein finden.
Meine Pfotenschritte hallten als Echo durch den Tunnel und verstärkten sich als Donner. Es müsste nur noch einen Blitz geben, dann wäre es ein echtes Gewitter.
Das Gewitter meiner Gefühle.
Ich sollte nichts fühlen und nichts denken, nur bis ich am Ende des Tunnels ankam. Dann könnte ich schauen, ob es an die frische Luft führte oder an einer Felswand endete, ob ich zusammenbrechen oder weiter rennen würde.
Als mit einem Mal ein Lichtstrahl mein Auge traf und mein Fell auf magische Weise von der Sonne erhellt wurde, wusste ich, dass es das Leben endlich einmal gut mit mir meinte.
Der nächste Schritt war geschafft, ich würde Krähenschwinge und den SalbeiClan hinter mir lassen. Und mit ein bisschen Hoffnung und Glück würde ich den Stein bald finden.
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