Kapitel 35
„Fuchsdung!", entfuhr es mir wütend. Wie konnte ich bloß jemals so dumm sein, mich von einem albernen Gefühl lenken zu lassen? Hätte ich nicht damit rechnen müssen, enttäuscht zu werden?
„Willst du wieder umdrehen?", fragte Krähenschwinge. „Natürlich, was denkst du denn? Dass ich mich durch die Wand weiter grabe?", fauchte ich ihn sauer an.
Natürlich konnte er nichts für meine miserable Lage, aber an irgendwem musste ich meinen Frust eben auslassen und er Geisterkater war die einzige verfügbare Katze in der Nähe.
„Wenn du willst, können wir in der großen Höhle eine Pause machen. Es wird wohl schon kurz vor Sonnenuntergang sein, so lange, wie wir hier herumgelaufen sind", merkte er an.
Ausgelaugt gab ich meine Zustimmung. Was brachte es denn? Ich würde diesen Stein nie finden. Der HimmelClan hatte mir eine unlösbare Aufgabe gegeben und trotzdem erwarteten meine Ahnen, dass ich sie löste. Das würden sie doch selbst nicht einmal schaffen! Sollten sie erstmal an meinen Platz treten, dann konnten wir uns unterhalten.
Langsamer als zuvor schlichen Krähenschwinge und ich zurück in die große Höhle.
„Diese weiße Kätzin, die dich in deinem alten Lager bemerkt hat - wie stehst du zu ihr? Glaubst du, sie könnte dich verraten haben?", fragte er irgendwann.
Da er meine einzige Möglichkeit war, mich von der Langeweile abzulenken, begann ich, zu antworten: „Sie heißt Windblatt und kann ganz nett sein. Manchmal ist sie unglaublich stur und kann dann auch ein wenig unfreundlich werden, sie legt sich häufig mit Weidenfell an. Ich bin nicht mit ihr befreundet und da unser loyaler zweiter Anführer ihr Bruder ist, würde ich mal annehmen, dass sie ihm etwas gesagt hat. Aber wenn sie mich vor lauter Müdigkeit nicht erkannt hat, wird sie das wohl eher nicht tun."
Krähenschwinge hatte einen nachdenklichen Blick aufgesetzt. „Und was ist mit diesem kleinen Jungen? Glaubt dem jemand, wenn es von dir berichtet?"
„Du weißt doch, wie das mit Jungen ist. Wenn ihnen die Ältesten erzählen würden, der Himmel wäre rot, würden sie das sofort glauben. Die Krieger tun das aber selbstverständlich nicht. Also wird ihm wohl keiner Glauben schenken", stellte ich fest.
Bachjunges' Mutter Regennebel war mit mir und Vogelsturm gleichzeitig Schülerin gewesen und wie ich sie kannte gab sie einen Haufen Krähenfraß darauf, was Junge oder Ältesten ihr erzählten. Das sollte nicht heißen, dass sie keine gute Mutter war, aber ihre Erziehungsmethoden entsprachen nicht den meinen. Wie gut, dass ich keine Junge wollte, dann müsste ich niemals ausprobieren, ob meine eigene Erziehung besser war als ihre.
„Die junge Kätzin mit der du geredet hast ist hoffentlich vertrauenswürdig?", fragte Krähenschwinge, als ob er an Bussardbrise zweifeln würde. Wie konnte er nur! „Sie ist mit Abstand die vertrauenswürdigste Katze, die ich kenne."
Das sagte ich mit so einer Überzeugung, dass Krähenschwinge mir einfach glauben musste! Niemand hatte mein Vertrauen mehr verdient als meine Halbschwester - nicht einmal mein eigener Bruder!
„Das beruhigt mich. Ich denke, sie werden zwar nach dir suchen, aber dass sie das Labyrinth finden ist recht unwahrscheinlich."
Ich verschwieg ihm wohl lieber, dass mindestens Haselkralle von den unterirdischen Gängen Bescheid wusste. Mittlerweile waren wir in der Höhle angekommen und ich kuschelte mich an einen schönen Flecken Erde, der kaum von spitzen Steinchen gespickt war, wie der Rest des riesigen Raums. Ein wenig schläfrig war ich schon, also dämmerte ich langsam ein und verfiel in einen sanften Schlummer.
Mit einem Schlag fuhr ich aus dem Schlaf. Meine Brust brannte, meine Ohren dröhnten. Mein Magen schwankte, als würde ich mich gleich übergeben müssen. Die Höhle drehte sich, immer und immer wieder. Aufgeregte Katzenrufe schallten in meinen Ohren, bevor mir auffiel, dass ich allein war. Völlig allein.
Der dunkelbraune Geisterkater fehlte. Wo war er?
Bei einem Schritt nach vorne taumelte ich, fing mich aber gerade noch so auf. Meine Ballen schmerzten und dieses schallende Rauschen umgab mich, als wäre ich unter Wasser. Meine eigenen Atemgeräusche hörte ich wie Baumlängen entfernt. War ich überhaupt noch in meinem Körper?
Die Schmerzen in meiner Brust stiegen bis ins Unermessliche an. Ich merkte nicht einmal, wie ich mit dem Schreien anfing - nur, dass ich plötzlich schrie. Meine Schmerzensschreie hallten durch die Höhle, verfolgten mich, als ich herum stolperte, in der Hoffnung, meine Orientierung wiederzuerlangen.
Da fiel mir wieder ein, wann ich dieses Gefühl die letzten drei Male hatte. Wenn Malvenhimmel ein Leben verloren hatte. Warum konnte ich das noch spüren, war ich doch nicht mehr Teil des SalbeiClans? Nur die Katzen des Clans des sterbenden Anführers konnten in diesem Fall die Schmerzen spüren, zumindest normalerweise.
Weshalb verlor Malvenhimmel überhaupt ein Leben?
Panisch ging ich alle möglichen Gefahren durch. Eine Grüne-Husten-Welle im Lager, ein erneutes Zuschlagen Ginsterpfotes oder die Gefahr, die der Stein aus der Prophezeiung abhalten sollte? In allen Fällen etwas wirklich Grausames! Wie kam ich am Schnellsten ins Lager, um ihren Zustand zu überprüfen?
Aber Sonnenhelle müsste ihr doch schon längst helfen, denn er musste den Schmerz selbst gespürt haben! Außer - und diesen Fall durfte ich nicht außer Acht lassen - er war selbst zu schwer verletzt, um ihr helfen zu können.
Wo war Krähenschwinge nun hin? Warum hatte er mich alleine gelassen? Eine weitere Welle der Schmerzen durchfuhr mich, ich knallte gegen eine Felswand. Meine Flanke begann zu bluten.
„Krähenschwinge?", schniefte ich.
Wieder hörte ich die Katzenstimmen, das Flüstern unserer Ahnen. Malvenhimmel musste sich gerade in der Zwischenwelt zwischen HimmelClan und der Welt der Lebenden befinden. Mit wem sie sie sich wohl auf der anderen Seite unterhielt? War die Anführerin vor ihr, Zweighimmel, zu ihr gekommen, um sie über ihren Tod in Kenntnis zu setzen? Oder ihre verstorbene Mutter? Egal wer es war, sie hatte sicherlich eine Gruppe an Sternenkatzen um sich versammelt, so laut, wie das Flüstern war.
Wüsste ich nicht, dass ich das nur in meinem Kopf hörte, hätte ich fast meinen können, dass sie aus den Tunneln sprachen. Es hallte wieder, mir wurde ganz schwummrig. Der Schwindel war längst nicht verflogen, das Dröhnen in meinem Kopf ebenfalls nicht. Weiße und schwarze Punkte tanzten abwechselnd vor meinen Augen, ließen den Raum verschwimmen-
„Taubenfeder? Taubenfeder!"
Krähenschwinge raste auf mich zu, ich konnte nicht mal erkennen, woher er gekommen war.
„Hey, Geisterkaterchen", murmelte ich schwach.
Er lachte nicht.
„Alles gut? Was ist passiert?", erkundigte er sich besorgt. Er machte sich Sorgen um mich? Interessante Ausnahme.
„Deine Besorgnis ist mir eine Ehre."
Hilfe, was lief in meinem Kopf schief? Konnte ich nicht mehr denken? Welche Wörter sprudelten aus meinem Maul, ohne dass ich beabsichtigt hatte, sie zu sagen? Was sollte er denn von mir denken?
„Malv- Malven-"
Meine Stimme brach ab, meine Zunge fühlte sich viel zu schwer an. Einen Moment bildete ich mir ein, Entsetzen in Krähenschwinges Gesicht zu erkennen. Das konnte allerdings eine Nebenwirkung meines taumeligen Zustands sein und war sofort wieder verschwunden.
„Was?"
Ich musste ein Wort herausbekommen, wenigstens eins! „Malvenhimmel ... verliert ... ein Leben", krächzte ich. Das war doch schon ein Anfang!
Noch immer mit meiner blutenden Flanke an der Wand abgestützt, versuchte ich, die Stimmen der Ahnen aus meinem Kopf zu bekommen. Jetzt konnte ich es mir unmöglich eingebildet haben, Krähenschwinge blinzelte erschrocken und schaute dann weg, als ob ihm etwas peinlich wäre.
„Ich muss ... zu ... ihr."
Langsam beruhigten sich die Schmerzen. Malvenhimmel musste zurück aus dem Zwischenraum sein. Spätestens jetzt würde sich der gesamte Clan um sie herum versammeln. Konnte ich mich zu ihnen gesellen, ohne dass sie mich bemerkten? Wie - wie! - konnte ich überhaupt merken, dass die Anführerin ein Leben verlor? In jeder Sichtweise war das unmöglich, ich war durch meine Verbannung nicht mehr Teil des SalbeiClans. Damit sollte es mir nicht mehr möglich sein, Malvenhimmels Leiden mitzufühlen.
„Oh nein, das musst du nicht, Kleine. Du bleibst schön hier, merkst du nicht, wie schlecht es dir geht?", bestimmte Krähenschwinge mit leichtem Groll in der Stimme.
Tja, Pech für ihn, dass er mir etwas verbieten wollte. Ich würde dort hingehen und er würde mich nicht daran hindern können!
„Ach ja? Dann halte mich davon ab, alter Kater!"
Ich hoffe, mein Blick sah so frech aus, wie ich mich fühlte. Was auch immer gerade mit meinen Gefühlen los war, dass ich so schnell wieder scherzen konnte, es war mir egal. Hauptsache ich konnte schneller rennen als Krähenschwinge, das wäre sehr von Vorteil.
Ich nutzte, dass seine Augen bei meinem Miauen automatisch zu einem bestimmten Tunnel zuckten. Er wusste, wo das Lager lag, da seine Orientierung wesentlich besser war als meine. Und da er erwartete, dass ich in ebendiese Richtung laufen würde, huschten seine Augen dort hin - genial!
Durch sein schwaches Knurren bemerkte ich, dass ihm wohl sein Fehler aufgefallen war, aber da war ich schon im Tunnel verschwunden. Meine verletzte Flanke stach ein wenig, als ich mit ihr an den steinharten Wänden entlang fuhr.
Eigentlich sollte ich das sofort bereuen - ich lief in meinen sicheren Tod. Man konnte mir unmöglich auch noch vorwerfen, ich hätte Malvenhimmel umgebracht, hoffentlich zumindest. Sonst würden sich sicher viele Katzen finden, die mich bereitwillig auch töten würden, Haselkralle, Weidenfell und Daunenblüte, nur um ein paar Beispiele zu nennen.
Haselkralle würde immer dem Gesetz treu bleiben, auch wenn das hieß, seine eigene ehemalige Schülerin nach ihrer Verbannung zu töten. Weidenfell mordete aus Spaß - manchmal jagte er in seiner Blutgier auch so viel, dass der Clan einen Tag davon leben könnte! Daunenblüte konnte ich noch am besten verstehen, Pflaumenpelz war ihr Bruder gewesen. Hätte jemand Vogelsturm getötet, wäre ich auch auf Rache aus.
Nur knapp über mir hing die Felsendecke, die mich fast zu erdrücken schien. Zumindest kam es mir bei meinem eiligen Lauf hindurch so vor. Es wurde schon ein wenig heller, als mich ein dunkler Haufen zu Boden warf.
Fell landete in zwischen meinen Zähnen, die dunkelbraunen Strähnen nahmen mir die Sicht, bis aus dem haarigen Biest über mir zwei grüngelben Augen herausblitzten. Jetzt schlug mir sein Kiefernharzgeruch endlich mal wieder mit voller Wucht entgegen, beinahe hätte ich angefangen, ihn zu vermissen. Ganz tief unten in den Höhlen hatten die Gerüche nach Erde und uraltem Wasser seinen angenehmen Geruch übertönt.
„Hab dich. Können wir jetzt umdrehen?"
So böse klang seine Stimme nicht, dafür, dass er unglaublich wütend auf mich sein musste. Krähenschwinge mochte es nicht, wenn man sich seinen Befehlen widersetzte. Konnte es wirklich sein, dass ich so kurz vor meinem Ziel meine Neugierde herunterschlucken und umdrehen musste? Konnte mich der Geisterkater wirklich aufhalten, wenn ich Malvenhimmel sehen wollte?
„Katzen des SalbeiClans, versammelt euch!", drang leise ihre Stimme zu uns hinab in den Gang.
Nein, Krähenschwinge konnte mich nicht aufhalten. Er hielt mich nicht fest genug, dass ich nicht fliehen konnte. Also wand ich mich blitzschnell aus seinem Griff und stürmte in den Kriegerbau. Selbstverständlich war er leer. Von hier aus konnte ich den Sturmfelsen beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.
„Kleine, bitte komm wieder her", bat mich Krähenschwinge.
Ich ignorierte ihn.
„Wie ihr alle gespürt habt, habe ich diese Nacht eines meiner Leben verloren."
Ja, sogar ich hatte es gespürt, warum auch immer. Würde Ginsterpfote es wirklich wagen, seine eigene Mutter umzubringen? Wie es schien schon. Wie konnte man bloß so kaltherzig sein? Welche Katze war so böse, so grausam?
„Ich kann euch beruhigen, dass es nicht Taubenfeder war."
Was? War sie nun völlig übergeschnappt? Sie wusste doch, dass ich ihr das niemals antun könnte! Welches Mäusehirn würde erwarten, dass ich mich noch einmal ins Lager schleichen würde, wegen Malvenhimmel?
Ups, eines dieser Mäusehirne war ich.
Meine Idee war wirklich lebensgefährlich und trotzdem spürte ich nicht die Gefahr. Lag es daran, dass ich hier mein ganzes Leben verbracht hatte und deshalb von meiner Heimat nicht Böses erwarten konnte? Oder ging von den Kriegerkatzen wirklich keine Gefahr aus? Sehr unwahrscheinlich.
„Ich habe keine Katze gesehen, nur einen völlig fremden Geruch gerochen. Es roch ein wenig nach Nadelbäumen", meinte die Anführerin von ihrem erhöhten Stein.
Wer das wohl gewesen war? Welche Katze roch wohl nach Nadelbäumen, wir hatten hier in der Umgebung doch keine-
Meine Augen wurden groß.
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