Kapitel 32
„Sagt mal, seid ihr eigentlich wahnsinnig?", riss mich plötzlich eine zeternde Stimme aus dem Schlaf. „Einfach ohne mich abhauen und dann auch noch zum SalbeiClan-Lager?", keifte Traube weiter.
Sie stand direkt vor mir im Gang und ich musste meinen Kopf heben, um sie anschauen zu können. Von hier unten sah sie unglaublich groß aus.
„Wir haben es ja offensichtlich überlebt, also mecker hier mal nicht so rum, Kleine", fauchte Krähenschwinge zurück. Ich musste langsam wach werden, doch dann richtete ich mich auch auf und blickte auf die jüngere Kätzin hinab, die meinen friedlichen Schlaf gestört hatte.
Mein Magen knurrte laut. Peinlich, aber ein gutes Statement. „Anstatt zu streiten könnten wir uns auch auf den Rückweg machen, um Beute zu besorgen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe Hunger!", unterbrach ich die Beiden.
„Ich kann gar nichts mehr fressen", merkte Krähenschwinge an, aber bekam sofort einen bösen Blick von Traube und nur ab. Zwei Kätzinnen, ein Gedanke.
Schweigend liefen wir durch den langen Tunnel zurück zu Traubes winzigem Lager, in dem das gemütliche Moosnest auf mich wartete. Gerade hatte ich mich darüber gefreut, so etwas überhaupt zu haben, da musste ich doch auf dem kalten Steinboden übernachten.
Schon schnell versuchte ich, ein Gespräch ins Rollen zu bringen. „Ihr kennt euch beide wesentlich besser hier im Wald aus als ich. Was sind die Orientierungspunkte bei Bäumen?", fragte ich neugierig. Ich konnte die Chance auch nutzen, um ernsthaft wichtiges Wissen zu sammeln.
„Hier gibt es allerlei schön geformte Felsen und Äste. Du kannst dich auch an den Baumlöchern orientieren, aber da wohnen manchmal Eulen drin", antwortete Traube mit tonlos. Sie schien völlig uninteressiert am Gespräch. Kein Wunder, sie war schließlich mehrere Monde ganz ohne jede Katze ausgekommen.
„Es gab hier, zumindest zu meiner Zeit, zwei kleine Tümpel mitten im Wald. Beim einen hört man in der Blattfrische und der Blattgrüne Frösche quaken und in der Richtung liegt die Grenze zum ForellenClan", erklärte Krähenschwinge. Und wie sollte mir das in der Blattleere helfen?
„Mit einigem Abstand zu unserem damaligen Lager standen viele alte Linden, die uns den Weg zurück markiert haben."
Das war wirklich klug! Die mittlerweile allesamt verstorbenen SalbeiClan-Katzen, die im Wald gelebt hatten, hatten sich wirklich zu helfen gewusst. Ich bekam fast Lust, zu schauen, ob es die Bäume des alten Lagers noch gab oder ob sie mittlerweile schon abgestorben waren. Aber ich wollte nie wieder zurück auf das SalbeiClan-Territorium, also wurde aus diesem Wunsch wohl nichts.
„Das sind schöne Taktiken", lobte ich Traubes und Krähenschwinges Vorschläge. Dann war es wieder still.
Nachdem wir endlich in der Moosnest-Höhle angekommen waren, entdeckte ich zum Glück, dass Traube bereits gejagt haben musste, denn zwei frische Mäuse lagen neben unseren Nestern. Hungrig schlug ich meine Zähne hinein und verschlang sie mit ein paar Bissen. Sie war zäh und man schmeckte dem Wühler die Blattleere an. Aber besser als nichts war es allemal.
„Ich kann das Markieren unserer Grenzen vorerst übernehmen", bot Traube gönnerhaft an. „Ihr - sorry - du weißt ja über überhaupt noch gar nicht, wo die Grenzen verlaufen. Sollte es demnächst mal wieder einigermaßen gutes Wetter geben, führe ich euch herum."
Krähenschwinge konnte als Geisterkater ja weder Grenzen markieren noch Grenzüberschreiter verscheuchen. Leider, denn dann wären meine Pflichten hier ein wenig kleiner und ich könnte mehr über die Prophezeiung nachdenken.
Vielleicht hatte mich das Schicksal genau hier hin geführt, da hier der Stein versteckt lag? Sollte ich in den Tunneln suchen? Ja, aber niemals alleine. Mein lieber Geisterfreund musste mit. Nur wollte ich jetzt erstmal nicht zurück in die unterirdischen Gänge, zu groß war die Gefahr, meine ehemaligen Clangefährten würden dort nach mir suchen.
Traube verschwand ohne ein weiteres Wort hinaus in die Kälte. „Jetzt sind wir wieder alleine", merkte Krähenschwinge unnötigerweise an. „Das hätte ich jetzt nicht bemerkt", erwiderte ich trocken.
Es wurde still.
Im Lager hätte ich sofort gewusst, was es zu tun gab, aber hier konnte ich keine Ältesten pflegen, keine Kinderstube besuchen und es wäre unnötig, schon wieder Frischbeute zu jagen. Es gab auch kaum genug Katzen, mit denen man sich unterhalten konnte oder einen Mentor, dem man beim Training seines Schülers helfen konnte.
„Krähenschwinge?", fragte ich zögerlich.
„Ja?" Überrascht blickte er mir in die Augen.
„Was machen wir jetzt?"
Das war die dümmste Frage, die ich hätte stellen können! Was sollte er denn darauf antworten? Aber zu meiner Verwunderung hatte er gleich eine Antwort parat: „Du hast dein Training nicht beendet, nur weil wir nicht mehr im DüsterClan sind. Hier drinnen könnten wir wohl ein wenig deine Kampftaktiken verbessern."
Genervt stöhnte ich. Im Ernst? Das war so unnötig. Krähenschwinge schien zu sehen, wie wütend mich diese Aussage machten und grinste spöttisch. Das war nicht fair! Wie sollten wir hier unten überhaupt kämpfen? Wie wir ja bereits festgestellt hatten, glitten seine Pfoten auch im Labyrinth durch die Erde.
„Du kannst mich doch gar nicht berühren!", fauchte ich.
„Ach ja?"
Krähenschwinge trat näher und legte eine Pfote auf meine Flanke. Groß und schwer lastete ihr Gewicht auf mir, offensichtlich wie die Pfote einer echten Katze. Überrascht riss ich die Augen auf.
„Siehst du? Das bestätigt auch meine Vermutung: Der Unterschied zwischen draußen und hier besteht darin, dass ich in den Tunneln Katzen berühren kann. Aber ich kann trotzdem nicht über den Boden laufen, sondern muss darüber schweben."
„Das ist schön für dich."
Lustlos lief ich an Krähenschwinge vorbei, um mich in eine Kampfposition zu bringen. Kämpfen war nicht meine Stärke, aber längst nicht meine Schwäche. Es war eher so ein Mittelding, denn meine Verteidigung war laut meinem ehemaligen Mentor Haselkralle grandios, während meine Angriffe zu vorhersehbar waren.
Mein Gewicht war auf meine Hinterpfoten verlagert, als ich mit aufrechtem Kopf vor Krähenschwinge stand, der mich wiederum bedrohlich anblickte und sich weit aufgebaut hatte.
Als er auf meine Schnauze zielte, bäumte ich mich auf und ließ eine meiner Pfoten mit eingezogenen Krallen auf seine Ohren niedersausen. In der Zeit, die er brauchte, um mir auszuweichen, stand ich längst wieder auf allen vier Pfoten, bereit, weitere Angriffe abzuwehren.
Das lief doch schon ganz gut! Ich hatte länger nicht mehr gekämpft, zuletzt mit Bussardbrise kurz nach Kupferpfotes Tod.
Doch für diesen einen Moment, in dem ich in Gedanken verschwand, musste ich gleich danach büßen.
Krähenschwinge ließ mich mithilfe eines gut gezielten Treffers auf meine Vorderbeine zu Boden fallen, diesmal war meine Gewichtsverlagerung schlecht gewählt gewesen. Er nagelte mich sofort an den harten Untergrund, so dass selbst meine gesamte Kraft dieses Gewicht nicht von mir stemmen konnte. Unfair!
Jetzt half nur noch ein Überraschungseffekt, aber das sah der Geisterkater sicher kommen. Trotzdem ließ ich kurz meine Abwehr erschlaffen, bevor ich mit vollem Schwung meine Hinterbeine in seinen ungeschützten Bauch rammte. Autsch, das hatte mit Sicherheit weh getan.
Tatsächlich zuckte Krähenschwinge weg, so dass ich mich eilig aus seinem Griff winden konnte. Geschickt drehte ich mich und stand ihm wieder fauchend gegenüber. Jetzt würde ich ihm zeigen, wie eine Taubenfeder kämpfte!
Ein schneller Schlag zwischen seine Augen, direkt danach ein Treffer auf seiner Nase.
Sie war rau und ein wenig kahl, so als ob sie so häufig aufgerissen worden wäre, dass das Fell nicht mehr richtig nachgewachsen war. Ich durfte mich nicht ablenken lassen!
Mein Kopf fuhr vor, um ihn mit einem vorgetäuschten Biss abzulenken, während ich ihm die Beine wegtreten wollte. Ich hatte gesehen, dass er sein Gewicht auf seiner rechten Seite verlagert hatte, also müsste ich ihn nur dort treffen und er würde ins Schwanken geraten.
Doch es stellte sich heraus, dass Krähenschwinge ganz bewusst sein Gewicht so verlagert hatte. Seine Pfote traf mich erschreckend gut an den Ohren und ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Körper. Und dabei hatten wir doch gar nicht mit ausgefahrenen Krallen gekämpft!
„Hey Leute, ich bin mir sicher, wir können das ganz friedlich klären. Ihr müsst euch nicht zerfleischen", klang plötzlich Traubes besorgte Stimme an meine pochenden Ohren. Sah unser Kampf etwa so brutal aus?
Beschämt trat Krähenschwinge von mir weg. „Wir haben nur an Taubenfeders Kampftaktiken gearbeitet", gab er zu.
Nein, das hatten wir nicht! Er hatte mir keine Tipps zur Verbesserung meiner Fähigkeiten gegeben! Oder kam das noch? Traube lachte etwas hysterisch.
„Ach so."
Sie legte sich ausgestreckt in eines der Moosnester und begann, einen Erdkrümel zwischen ihren Pfoten hin- und herzuschieben.
Ich schaute meinen Geistermentor, wenn ich ihn wirklich als einen solchen bezeichnen durfte, aufmerksam an. Würde er meinen Angriff kritisieren? Mich dafür loben, dass ich ihm so fest in den Bauch getreten hatte?
„An deinen Kampftechniken sollten wir auf jeden Fall noch arbeiten", murmelte er leise.
Bitte? Was sollte das denn jetzt heißen? Ich hatte mich doch ganz passabel geschlagen! Und ich war keine Schülerin in ihrer Ausbildung mehr, sondern eine ehrbare Kriegerin, die man nicht wie Dreck behandeln durfte!
„Na also das ist jetzt unverschämt! Du redest immer so, als ob man mir im SalbeiClan nichts beigebracht hätte! Ich bin kein kleines Junges mehr, dass vom Kämpfen keine Ahnung hat und ich finde nicht, dass du mir noch irgendetwas beibringen kannst", knurrte ich.
Ausdruckslos starrte mich Krähenschwinge an. Seine goldenen Augen leuchteten schwach, ein farngrüner Schimmer zog sich wie immer hindurch. Schöne waldgrüne Linien durchkreuzten das fast makellose Gold der glühenden Sonnen, in denen man so selten erkennen konnte, welche Gedanken der Kater hegte.
War er wütend auf mich? Fand er mich zu aufbrausend, zu mürrisch? Wollte er mich am liebsten umbringen? Oder fand er mich sympathisch und wollte gerne mehr Zeit mit mir verbringen? Hatte er die Witzeleien des letzten Tages genossen?
So viele Dinge, die man in seinen Blick hineininterpretieren konnte und so wenig, was ich jemals herausfinden könnte.
Warum war das bloß alles so schwer?
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