Kapitel 25
Die Sonne war schon längst untergegangen, als ich einsam vor unserem Lagerausgang stand.
Mondlicht des abnehmenden Vollmonds spiegelte sich im Schnee, das Glitzern blendete mich fast. Viele kleine Funken schienen von der Decke aus eisigem Weiß aufzusteigen. Die Pfotenspuren einer Katze und zweier Mäuse durchbrachen das gleichmäßige Muster aus gefallenen Flocken. An einigen Stellen hatten sich Grashalme ihren Weg freigekämpft und ragten zwei Pfotenlängen hinauf in den Nachthimmel.
Die Dunkelheit hatte sich über unser gesamtes Territorium gelegt. Der Wind verschluckte sämtliche Geräusche, auch wenn ich bezweifelte, ohne die kühle Brise mehr hören zu können. Was sollte denn auch Geräusche machen? Zwitschernde Vögel? Zirpende Grillen? Raubtiere auf der Jagd? Doch nicht in der Blattleere!
Trotzdem drehte ich meine Ohren plötzlich in eine Richtung. Knisternder Schnee und das Schleifen eines Schwanzes über den Boden? Klare Anzeichen für eine Katze, die sich nährte. Waren denn noch nicht alle im Lager? Bei den Schülern hatte Malvenhimmel vorhin nachgeschaut, ob sie alle im Schülerbau waren. Bussardbrise schlief, dessen war ich mir sicher. Haselkralle war auch im Kriegerbau verschwunden - Moment!
Den Tunnel, der von unserem Bau nach draußen führte, konnte jede Katze benutzen! Außer vielleicht Weidenfell, der war ziemlich breit gebaut und würde wahrscheinlich stecken bleiben. Mein Schmunzeln verschwand schnell, als die orangefarbenen Augen vor mir aufleuchteten. Wenn Weidenfell im Kriegerbau war, wer war diese Katze?
Eiskalte Schauer rieselten wie Schneeflocken meinen Rücken hinab. Fuchssonne würde mich niemals erschrecken. Also doch niemand aus unserem Clan, aber weshalb kam mir der Geruch so bekannt vor?
Wieder ertönte das Schleifen im Schnee und ein katzenartiger, relativ kleiner Umriss tauchte eine Baumlänge vor mir auf. Die Nacht war so klar und hell erleuchtet und trotzdem erkannte ich keine Zeichnungen des Fells.
„W-Wer bist du? Warum verfolgst du mich?"
Das Zittern in meiner Stimme sollte weggehen! Was, wenn das Kupferpfotes wahrer Mörder war und ich sein nächstes Opfer? Würde er mir ebenfalls ohne Reue die Kehle aufschlitzen? Hatte ich eine Chance, mich bemerkbar zu machen, bevor ich starb? Natürlich, ich war schließlich direkt vor dem Lager. Sollte ich eine Katze wecken?
Die orangefarbenen Augen blinzelten kurz.
„Du kennst mich, Taubenfeder."
Das war ja eine schöne Antwort auf meine Frage! Waren das Glitzern im Schnee ausgefahrene Krallen? Müsste ich nicht eine unbekannte Katze auf dem Territorium des SalbeiClans verscheuchen?
"Du kennst mich"
Kannte ich mehr orangeäugige Katzen außer Fuchssonne und Weidenfell?
Wenn ich meinen Kopf nur stark genug schütteln würde, würde die Katze vielleicht verschwinden. Sie konnte auch Einbildung sein. Einen Versuch war es wert. Meine Ohren schlackerten an meinem Kopf und ich kniff meine Augen fest zu. Schritte ertönten hinter mir. Die Katze hatte es nicht im Ernst gewagt, sich an mir vorbei ins Lager zu schleichen!
Schnell öffnete ich meine Augen wieder. Die orangefarbenen Augen schwebten immer noch einige Katzensprünge von mir entfernt in der Luft.
„Ich glaube, du musst deinen Clan diese Nacht vor einer inneren Gefahr beschützen. Viel Glück!"
Weg. Die Katze hatte sich in einem plötzlichen Anflug von aufsteigendem Nebel einfach aufgelöst. Zumindest wirkte das auf mich so.
Eine innere Gefahr? Wovon sprach dieses Geisterkätzchen? Wofür wollte sie mir Glück wünschen? Die Schritte im Lager waren verklungen. Da war wahrscheinlich sowieso niemand. Seit ein paar Sonnenaufgängen spielte meine Wahrnehmung verrückt. Ich konnte einfach warten, bis Mondwolke meine Nachtwache ablösen würde.
Müde fiel ich in mein Moosnest, nachdem endlich die Ablösung kam. Jetzt konnte ich schlafen. Hoffentlich hatte ich jetzt von Krähenschwinge und dem HimmelClan meine Ruhe!
Ziemlich schnell verfiel ich in einen festen Schlaf.
Doch schon wieder wurde ich aus der gedankenlosen Leere gerissen und tauchte am schwarzen Bach im DüsterClan auf. Musste ich jetzt etwa schon wieder die ganze Nacht trainieren?
Krähenschwinge stand am Rand der Lichtung und durchbohrte mich mit seinem grüngoldenen Blick. War er wütend oder genervt? Freute er sich, mich zu sehen? Ich erkannte keine Emotion in seinen Augen.
Nachdem wir uns ein paar Augenblicke lang angestarrt hatten, lief ich auf ihn zu. Ich musste ihn fragen, ob er mich letztens im unterirdischen Tunnel tatsächlich beschützt hatte. Wie würde er reagieren?
„Gerade erst hast du mich vor der schwarzen Katze verteidigt, jetzt rufst du mich zurück in deinen Clan. Wie kommt das?", erkundigte ich mich frech. Das kurze Knurren erhöhte meine Freude sogar noch weiter. Das würde ein Spaß werden. Wenn er mich schon von meinem ruhigen Schlaf abhielt, würde ich ihm die Zeit bis zum Sonnenaufgang unerträglich machen.
„Ich habe wohl gerochen, dass du dich nicht selbst wehren kannst, Kleine", antwortete der Tigerkater überheblich. Ich musste mich stark anstrengen, um das Schnauben zu unterdrücken. Wie konnte er bloß so eingebildet sein?
„Und was willst du heute mit mir üben? Jagen mit teils verhinderten Sinnen, wie du es letztes Mal so schön genannt hast?"
Sein Ohr schnippte in Richtung Wald. „Nein, leider nicht. Darauf kannst du dich fürs nächste Mal konzentrieren."
Ich erinnerte mich daran, dass ich ihm nie gesagt hatte, dass die Prophezeiung einen Stein meinte. Aber als allmächtiger toter Kater wusste er das sicherlich längst. Und selbst wenn nicht, ich musste es ihm ja nicht sagen.
Er sprach weiter: „Als noch lebende Katze kannst du die unendlichen Weiten des DüsterClans formen. Heute wirst du lernen, dir deine eigene Trainingskuhle zu erschaffen." Das klang ja mal interessant! Nur was sollte mir das in der echten Welt nutzen? Egal, Hauptsache ich verbrachte die Nacht mit solchen spannenden Trainingseinheiten.
„Wie willst du mir das beibringen, wenn du selbst doch schon längst tot bist?", fragte ich, ernsthaft neugierig. „Ich habe zu meinen Lebzeiten schon Erfahrung damit gemacht."
Wie einfach und gelassen er darüber reden konnte, dass er schon gestorben war! Hatte nicht jede Katze Angst vor dem Tod? Stimmten die ganzen Schauergeschichten, die wir als Junge immer erzählt bekommen hatten? Über den eigenen Tod und dass man erst eine Prüfung bestehen musste, bevor man in den HimmelClan kam? Vom DüsterClan hatte ich noch nie gehört. Vielleicht sollte ich die Ältesten demnächst mal fragen.
„Bist du konzentriert?"
Krähenschwinges Frage riss mich tatsächlich aus meinen Gedanken. „Jetzt ja", meinte ich trocken. „Dann achte mal auf deinen Herzschlag. Kannst du ihn spüren oder gar hören?" Mein Herz schlug in meiner Brust, wie bei jeder lebenden Katze. Ob der Kater vor mir wirklich keinen Herzschlag hatte? Ich nickte vorsichtig auf seine Frage.
„Und jetzt spüre deine Pfoten auf dem Boden. Kies, Sand und Erde sind unter deinen Ballen - nehme sie voll und ganz wahr. Du bist fest auf dem Untergrund verwachsen, dich kann niemand umreißen." War ich denn eine Pflanze? Wie sollte ich mir das vorstellen, dass ich am Boden festwachsen sollte?
„Soll ich Wurzeln schlagen oder wie?", meckerte ich. Krähenschwinge stöhnte genervt.
„Wenn du dich nicht konzentrierst, wird das nichts." Na gut, dann war ich jetzt ein Gänseblümchen, die fand ich schön.
„Bewege dein Gespür durch den Boden. Dort sind Würmer und Mäuse und vielleicht auch die Wurzeln einer Kiefer. Versuche dein Gespür immer weiter auszudehnen." Wenn er so viel redete, wie sollte ich mich da konzentrieren? Und wie sollte ich mehr fühlen als meinen eigenen Körper? Das konnte ich doch nie und nimmer! Aber ich musste an mich selbst glauben.
„Jetzt stelle dir einfach einen Laubbaum deiner Wahl vor", wies der dunkle Tigerkater mich an. Kein Gänseblümchen, schade. Dann eben eine Birke. Weiß wie Schnee mit Flecken in der Farbe von seinem Fell, kleinen Blättern und einem außergewöhnlichen Geruch.
Der Boden fing an zu wackeln. Oh nein, was war das? Bei allen Zweibeinern im Zweibeinerort, da schoss ein mäusehirniger Baum unter meinen Pfoten nach oben!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro