Kapitel 54
Der riesige Wald baute sich vor ihr auf und es schien, als wäre jeder Baum zu viel. Der Wind war stärker geworden und zerstörte Seeroses glatten Pelz. Die Blätter wisperten in der kalten Brise.
Die bunten Blumen hatten sich zurückgezogen. Stellte sich der ganze Wald gegen Seerose und Sturmrose? Schickte der WunderClan ihnen ein Zeichen, dass etwas schiefgehen würde? Was sollte das alles heißen?
Besorgt sah sie sich um und suchte Baumhöhlen nach Spinnweben ab. Doch diese konnte sie nicht finden. Der Wald war wie leer geblasen. Man hätte meinen können, die Spinnen wären ausgestorben.
Die riesigen Schatten erstreckten sich über den Boden. Der blaue Himmel vergraute. Die sanften Strahlen der Sonne verblassen wie Tautropfen in der Mittagshitze. Dunkelheit durchbohrte den Wald wie Krallen Seeroses Herz.
Die hellgraue Kätzin sah sich ängstlich um, doch sie konnte niemanden sehen, der ihr hätte helfen können. Sie war alleine mit ihrer verblutenden Schwester und Kräutern, die sie nicht kannte.
Sie irrte weiter durch den Wald, bis sie keine Ahnung mehr hatte, wo sie war. Wo bin ich? Wie komme ich zu Sturmrose?
Sie wusste, dass sie ihre Schwester finden musste, aber das war nicht so einfach. Ihr stiegen etliche Gerüche in die Nase, die ihr plötzlich unbekannt vorkamen. Alles war so fremd, als wäre sie noch nie im Wald gewesen.
"Sturmrose!", jaulte sie hinaus in die Dunkelheit. Auf einmal traf sie etwas am Pelz. Sie hob den Kopf und sah, dass Nebel, gemischt mit Regen, aufstieg.
"Sturmrose!", rief sie erneut. "Wo bist du? Bitte antworte mir doch! Wo bist du? So sag etwas!"
Panisch lief sie umher und versuchte, ihre Verzweiflung zu kontrollieren.
Was, wenn sie Sturmrose nicht wiederfinden würde? Wenn diese bereits verblutet war? Sie musste etwas tun können! Sie musste ihre Schwester finden! Wenn sie diese nicht fand, würde sie sterben!
Alles schien so klein und groß gleichzeitig. Der Wald verschwamm vor ihrem Blick und dann - Netze! Sie riss sich zusammen und taumelte auf die Spinnweben zu.
"Spinnweben", wisperte sie und packte so viele, wie sie konnte, mit ihrer Pfote. "Danke, WunderClan."
Nun hatte sie Spinnweben und konnte diese Sturmrose bringen, doch das war einfacher gesagt als getan. Sie musste ihre schildpattfarbene Schwester erst einmal finden.
Mit ihren blauen Augen sah sie sich um, prüfte die Luft. Aber von ihr fehlte jede Spur. Jetzt hatte sie Spinnweben gefunden und ihre Schwester verloren. Was sollte sie tun?
Wieso ist alles so kompliziert? Wieso kann nicht einfach alles normal sein? Ich möchte doch nur, dass es uns gut geht! Was habe ich getan, WunderClan? Ich habe nichts verbrochen.
Traurig sah sie sich weiter um. Doch sie war alleine. Alleine in diesem dunklen Wald, der ihr nun so fremd vorkam. Wieso hatte sie sich den Weg nicht besser gemerkt? Wieso hatte sie Sturmrose nicht davon abgehalten, in diesen Teil des Waldes zu gehen? Er lag sogar außerhalb des Territoriums!
Sie biss die Zähne zusammen und bahnte sich entschlossen einen Weg durch das Unterholz.
Sie wusste, dass sie Sturmrose finden musste. Sie musste ihr helfen, sonst würde sie womöglich sterben und das konnte sie nicht zulassen! Sturmrose war immerhin ihre Schwester.
Trotzdem konnte sie nur hoffen, dass sie nicht zu spät kam. Sie konnte einfach nicht zu spät sein. Das würde sie sich nie verzeihen. Die Reue würde sie ihr ganzes Leben lang verfolgen.
"Sturmrose, halte durch", flehte sie, "ich bin auf dem Weg. Ich werde dir helfen! Ich verspreche es!"
Natürlich hörte sie Sturmrose aber nicht. Sie beschleunigte ihr Tempo, so schnell es ihr nun einmal ihr momentaner Zustand ermöglichte.
"Seerose?", hörte sie eine Stimme hinter sich.
Sie drehte sich um und da war sie! Sturmrose lag hinter. Blut verschmierte den Boden. Ihr schildpattfarbenes Fell war nun rot.
"Sturmrose!" Die hellgraue Kätzin eilte keuchend zu ihrer Schwester. "Du lebst noch! Ich habe mir solche Sorgen gemacht", platzte es aus ihr heraus, doch sie riss sich schnell zusammen, "ich werde dir helfen! Ich verspreche es!"
Sie kauerte sich neben Sturmrose nieder und wickelte einige Spinnweben von ihren Pfoten ab, um sie ihrer Schwester zu verabreichen.
Sturmrose gab keine Antwort. Ihr Körper krümmte sich vor Schmerz und sie zuckte mit dem Schwanz. Ihre Augen hatte sie ängstlich zusammengekniffen. Ihre Krallen bohrte sie in den Boden.
Plötzlich tauchte ein schildpattfarbener Katzenkopf auf. Sturmrose gab keuchende Geräusche von sich. "Seerose ...", presste sie hervor, "das erste Junge kommt. Bitte, hilf mir!"
Die hellgraue Kätzin legte eine Pfote auf den Bauch ihrer Schwester und begann, diesen zu massieren.
Doch wirklich helfen konnte sie nicht. Sie wusste nicht, was sie bei einer Geburt für die Mutter tun konnte. Verzweifelt sah sie sich um und erinnerte sich.
Ein Stock! Man sollte den Kätzinnen, die warfen, einen Stock geben, damit die Schmerzen erträglicher wurden.
"Ich bin gleich wieder da", miaute sie und holte schnell das Holz.
"Nein! Bitte bleib hier!", rief Sturmrose ihr hinterher, aber die junge SternenClan-Königin kehrte bereits mit dem Stock zurück und schob ihn ihr zu. "Beiß darauf", befahl sie.
Ihre Schwester nickte und bohrte die Zähne in das Holz. Ein bisschen half es tatsächlich. Sturmrose knurrte schmerzhaft und das schildpattfarbene Junge konnte sich den Weg ans Licht freischaffen.
Schließlich zerbiss Seerose die Fruchtblase und schob die kleine Kätzin zu Sturmrose. "Du hast eine Tochter", miaute sie und sah das schildpattfarbene Fellbündel mit leuchtenden Augen an, "sie ist wunderschön ..."
Sturmrose ließ den Stock liegen und strich mit dem Schweif über ihr frischgeborenes Junges. "Aber ich werde sie nicht lange behalten können", murmelte sie traurig, "ich wünschte, ich könnte, sie ..."
Ihre Stimme brach ab und sie ließ den Kopf zu Boden sinken. Seeroses Erleichterung verstarb mit einem Mal, denn sie verstand sofort. Sturmrose verlor viel zu viel Blut. Unsicher sah sie sich um.
Ihr Blick fiel auf die Spinnweben. Sie musste Sturmrose helfen! Auf der Stelle!
"Seerose!", keuchte diese da auch, "ich verliere zu viel Blut. Bitte ... Ich kann nichts sehen ... Mir ist so schwindelig ... hilf mir ... ich flehe dich an ..."
Seerose spannte einige Spinnweben über die Wunde, doch es war einfach zu viel. Das Blut durchnässte die Netze mit Leichtigkeit und floss weiter.
Seerose sah auf ihre verblutende Schwester, während sie panisch immer mehr Spinnweben aufspannte. Doch es half nichts. Es wurde sogar noch mehr Blut. Das konnte nicht sein!
Sie musste ihr helfen können! Aber wie? Sturmrose versuchte, den Kopf zu heben und zu sehen, was los war. Jedoch fiel sie einfach schlaff zu Boden. Mit der Pfote berührte sie ihr Junges sanft und zog es an sich.
Seerose konnte ihre Panik und Angst, gemischt mit dem Gestank des Blutes, riechen. Sturmrose starb. Und sie konnte nichts tun. Ihre schildpattfarbene Schwester drückte ihre Tochter an sich.
"Seerose ... Ich flehe dich an ... Hilf mir", wimmerte sie leidend, "ich möchte noch nicht sterben! Ich möchte deine Jungen und meine Tochter aufwachsen sehen ... ich ..."
Ihre Stimme erstarb für einige Momente, ehe sie weitersprach: "Ich möchte sehen, wie mein Junges zur Kriegerin wird! Ich bitte dich, hilf mir! Würde ich jetzt weise sagen, dass jeder gehen muss und ich keine Angst habe, würde ich lügen. Ich habe Angst und fürchte mich! Deswegen bitte ich dich, rette mein Leben! Ich will nicht wie unsere Wurfgefährten enden!"
Seerose fühlte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Die Worte ihrer Schwester brachen ihr das Herz. Sie will nicht sterben. Und ich will sie nicht verlieren! Ich muss es schaffen!
Doch es war klar, dass es zu spät war: Immer und immer mehr Blut verließ ihren Körper. Ihre Atemzüge wurden langsamer und schwächer. Ihr Schweif, der vorhin vor Angst seine Runden geschlagen hatte, lag schlaff am Boden.
Die Augen hatte sie vor Schmerz geschlossen. Mit der Pfote umklammerte sie ihre Tochter, die maunzend den Bauch ihrer Mutter abtastete.
Seerose wollte weitere Spinnweben auf die Wunde spannen. Aber sie hatte keine mehr. Sie hatte alle verbraucht. "I-Ich ... Ich ...", stammelte sie, "ich habe keine Spinnweben mehr. Ich hole neue."
Sie wollte losrennen, doch Sturmrose hielt sie zurück. "Nein!", flehte sie, "dafür ist keine Zeit mehr. Bleib bei mir, damit ich nicht alleine sterbe. Lass uns so tun, als wäre alles gut."
Ihre Worte erschütterten Seerose. Sie starrte ihre Schwester entsetzt an. "Ich muss dir helfen", widersprach sie, doch die schildpattfarbene Kätzin schüttelte den Kopf. "Dann bleib hier. Bei mir."
Sie öffnete ihre grünen Augen und sah ihre bunte Tochter an. "Versprich mir eins", flüsterte sie leise und heiser, "versprich mir, dass du dich um Weidenjunges kümmern wirst. Kümmer dich um sie."
"Weidenjunges? Hast du deine Tochter so genannt?"
Sturmrose hustete als Bestätigung. "Ja", keuchte sie, "unter einer Weide habe ich Erlenfluss das erste Mal getroffen ..."
Seerose nickte. "Ich verspreche dir, dass ich mich um deine Tochter kümmern werde, als wäre sie meine eigene. Ich werde sie lieben und mit meinem Leben beschützen. Ich werde keinen Unterschied zwischen ihr und meinen Jungen machen. Außerdem werde ich dich auch nicht vergessen. Du wirst nicht sterben. Dein Geist wird in Weidenjunges weiterleben."
Sie legte ihrer Schwester ihre Stirn an deren. Sturmrose öffnete die Augen und sah sie traurig an. "Danke. Ich warte im WunderClan."
Dann schloss sich ihre Lider zum letzten Mal. Ihr Blick erstarrte für immer und ihre Worte hallten in Seeroses Ohren nach. Sturmrose war tot.
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Ich, wenn das Highlight des Buches gestorben ist: 👁️👄👁️
Sturmrose
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