Schlammige Gruben
Sprenkeljunges konnte nicht glauben, was soeben passiert war. Fassungslos starrte sie zu ihrer Mutter, während um sie herum die WirbelClan-Katzen sich in Bewegung setzten, um Terra und Hechtkralle wegzujagen. Sogar Fliegenpfote, der zuvor nicht von ihrer Seite gewichen war, rannte hinter seinen Clan-Gefährten her. Doch als er bemerkte, dass sie ihm nicht folgte, blieb er unschlüssig stehen und kam zurück.
»Warum freust du dich nicht? Die Mörderin ist gefunden und deine Anführerin hat Recht über sie gesprochen. Jetzt können unsere Clans wieder in Frieden miteinander leben!«
Sprenkeljunges schüttelte benommen den Kopf. »Terra ist unschuldig! Ich hätte gewusst, wenn sie es gewesen wäre!«
»Mörder lügen oft«, wandte Fliegenpfote ein. »Und sie sind gut im Verheimlichen.«
»Sie war es nicht!« Die gesprenkelte Kätzin stampfte wütend mit einer Vorderpfote auf. »Als Himmelglanz gestorben ist, konnte ich den Geruch ihres Mörders ausmachen. Deswegen habe ich auch euer Territorium betreten. Ich wollte nichts Böses. Ich wollte einfach nur den Mörder finden!«
Fliegenpfote schnurrte belustigt, dann wurde er wieder ernst. »Du weißt aber schon, dass du nicht den Geruch des Mörders gerochen haben kannst?«
»Warum?«, fragte sie verwirrt.
Der Schüler fuhr sich mit der Pfote über die Ohren. »Die Verbündeten haben geschworen, ewige Demut vor dem Großen Stern und seiner Familie zu zeigen. Deswegen müssen alle anderen ihr Fell mit Schlamm bedecken. Das deckt unseren Geruch. Wir riechen sozusagen nicht nach uns selber, sondern nach der Schlammgrube, in der wir uns wälzen.«
»Ihr riecht alle gleich?« Sprenkeljunges stellte sich vor, dass jede WindClan-Katze den gleichen Geruch haben würde. Dann würde ich ja nie wissen, wer gerade neben mir läuft. Oder hinter mir. Diese Katzen sind verrückt!
Doch Fliegenpfote schüttelte den Kopf. »Es gibt verschiedene Schlammgruben, die sich auch im Geruch etwas unterscheiden.« Er zögerte kurz. »Wenn du möchtest, kann ich dir einige zeigen. Dann kannst du dich davon überzeugen, dass du dich geirrt haben musst und der Mörder nicht aus dem WirbelClan kommt.«
Die rote Kätzin mit den schwarzen Sprenkeln kniff die Augen zusammen. »Zeig mir alle. Dann werden wir sehen, wer von uns beiden recht hat.«
***
Das hohe Gras wogte im Wind wild hin und her. Sprenkeljunges plusterte ihr Fell zum Schutz vor der Kälte auf. Und vielleicht auch, weil sie immer noch daran dachte, wie sie sich zwischen den gelblichen Halmen verirrt hatte. Auch diesmal hatte sie niemandem gesagt, wohin sie ging. Hätte sie das tun sollen?
Fliegenpfote schritt selbstbewusst voraus und bahnte sich einen Weg durch die Gräser. Sie folgte ihm schweigend. Ihr war nicht nach reden zumute. In letzter Zeit war einfach zu viel passiert.
Endlich blieb der WirbelClan-Schüler stehen und deutete auf einen Erdfleck vor sich, der zwar schon etwas vertrocknet war, sich bei Regen aber ganz sicher in eine matschige Grube verwandeln würde.
»Das ist die Schlammgrube bei den Himbeeren«, erklärte Fliegenpfote und nickte mit dem Kopf in Richtung eines Himbeerstrauchs, dessen Blätter schon braun und vertrocknet waren. »Die wird meistens nur während der Blattgrüne benutzt. Riech trotzdem mal.«
Sprenkeljunges trat etwas näher an den Erdfleck heran und schnupperte. »Das ist er nicht«, miaute sie etwas enttäuscht.
Der Schüler hingegen zuckte erfreut mit den Ohren. »Siehst du! Es war keiner von uns!«
»Du meintest aber doch, es gibt mehrere Plätze, wo ihr euch den Pelz schmutzig macht!«
Fliegenpfote schien mit ihrer Formulierung von ›schmutzigen Pelzen‹ nicht glücklich zu sein, nickte jedoch. »Ja, natürlich. Aber auch die werden nicht das sein, was du suchst! Das kann ich dir schon jetzt sagen!«
Diesmal antwortete die gesprenkelte Kätzin nicht. Ich werde die richtige Schlammgrube schon finden, keine Sorge! Terra und Hechtkralle sind beide unschuldig. Schattenstern hat einen unglaublichen Fehler begangen!
Nacheinander führte der WirbelClan-Kater sie zu den anderen zwei Matschflecken. Einer ›am Rand‹ – des Territoriums – und einer ›bei den Blumen‹. Der Geruch der Schlammgrube bei den Blumen kam ihr sogar bekannt vor. Aber es war nicht der des Mörders, sondern der von Nacht, die sie zu dem hölzernen Zweibeinernest und wieder zurück zum WindClan gebracht hatte. Die Sonne ging schon unter, als sie sich auf den Rückweg machten. Ihre letzten Strahlen malten ein wogendes Schattenspiel auf die Körper der beiden Katzen.
»Ich hatte recht! Der Mörder gehört nicht zu uns!«, rief Fliegenpfote triumphierend.
Sprenkeljunges war kurz vorm Verzweifeln. Ich weiß ganz genau, dass Terra keine Mörderin ist! Sie kann es einfach nicht gewesen sein! Und ich habe mich auch ganz bestimmt nicht geirrt, als ich den Geruch wahrgenommen habe! Aber vielleicht...
»Ihr seid doch nicht die einzigen, oder?«, fragte sie zögerlich.
Der Kater sah sie verwirrt an. »Wie meinst du das?«
»Es gibt hier doch vier Clans. Du gehörst zum WirbelClan. Was ist mit den anderen? Sie haben auch Schlammgruben, oder?«
»Das Territorium des WirbelClans ist das einzige, das an den Fluss grenzt«, erklärte Fliegenpfote. »Hätte eine DonnerClan-, BlitzClan- oder SturmClan-Katze unsere Grenze überquert, hätten wir davon erfahren. Und überhaupt, in letzter Zeit ist es nicht ratsam, sich mit den anderen Clans abzugeben. Auch wenn wir Verbündete sind.«
»Warum nicht?« Neugier kam in Sprenkeljunges auf. »Ich dachte, ihr vertragt euch alle. Der Große Stern darf sich doch überall frei bewegen.«
Der Schüler zuckte unruhig mit den Schnurrhaaren.
Er weiß, dass er zu viel verraten hat. Jetzt wird er bestimmt kein einziges Wort mehr von sich geben... Ich hätte ihn einfach reden lassen sollen.
Gerade, als das Schweigen sich zu einer großen, bedrohlichen Wolke auftürmte, erreichten sie den Eingang des Lagers. Geschickt kletterten beide Katzen zwischen den verzweigten Ästen hindurch.
Schon auf den ersten Blick war zu erkennen, dass fast alle WirbelClan-Katzen sich vor dem Steinhaufen versammelt hatten, der jedoch leer war. Sie schienen auf etwas zu warten. Sie wollte Fliegenpfote gerade danach fragen, als ein WirbelClan-Krieger mit grünen Augen auf die beiden zukam. Sprenkeljunges meinte, in ihm den Faucher wiederzuerkennen.
»Wo warst du?«, zischte er Fliegenpfote zu. »Nacht und ich haben überall nach dir gesucht. Eichelpfote wollte sogar durch das gesamte Territorium laufen, obwohl sie völlig übermüdet ist!«
»Ich habe Sprenkeljunges nur das Territorium gezeigt«, murmelte der Schüler leise.
»Sprenkeljunges?« Der Faucher schaute sie mit seinen grünen Augen so durchdringend an, dass sie zusammenzuckte. »Seit wann dürfen Junge das Lager verlassen?«
»Ich bin schon fast sechs Monde alt!«, verteidigte sie sich, verstummte aber schnell wieder. Fliegenpfotes Vater wirkte wirklich einschüchternd. Ist er vielleicht...? Vorsichtshalber hielt sie die Nase in den Wind und ließ den Geruch des Katers zu sich hintreiben. Doch sie roch nur den unangenehmen Mief der Schlammgrube am Rand.
»Wie auch immer«, miaute der Faucher und wandte sich an seinen Sohn: »Wenigstens bist du noch rechtzeitig gekommen. Sonst wären wir ohne dich zum Holzsitz aufgebrochen.«
Das muss das Zweibeinernest sein, wo Nacht mich zuerst hingebracht hat, überlegte Sprenkeljunges.
»Ich darf mitkommen?« Fliegenpfotes dunkelblaue Augen fingen an zu leuchten. Der Tadel seines Vaters war sofort vergessen.
»Ich habe bei dem Großen Stern ein gutes Wort für dich eingelegt«, erklärte der Faucher. Ein Schnurren rumpelte in seiner Kehle. »Du darfst mitkommen und den Platz von Hase einnehmen. Er wird hierbleiben, um das Lager und diverse Katzen«, er warf Sprenkeljunges einen eiskalten Blick zu, »zu bewachen.«
»Oh, danke, danke, danke!«, jubelte Fliegenpfote und sprang fröhlich auf und ab. »Du bist der beste Vater, den ich mir vorstellen kann! Endlich kann ich den Holzsitz auch von innen sehen! Stimmt es, dass immer noch die Blutlachen von den Kämpfen der Wächter da sind? Und dass alle Gefährtinnen des Großen Sterns versammelt sein werden? Wie hoch ist der Holzstapel, auf dem sie sitzen? Was...«
Während der WirbelClan-Kater seinen Vater mit Fragen löcherte, führte dieser seinen Sohn langsam in Richtung des Steinhaufens und weg von Sprenkeljunges. Die kleine Kätzin blieb alleine zurück. Sie war etwas enttäuscht darüber, dass Fliegenpfote sie einfach hatte stehen lassen.
Mit einem Seufzer machte sie sich auf den Weg zum Schülerbau. Gerade war sie durch die Halme getreten, da ertönte ein unwilliges Murren. Wieder hatte sie nicht gemerkt, dass Fliegenpfotes Schwester Eichelpfote in ihrem Nest schlief.
»Keine Sorge, ich werde leise sein«, flüsterte sie.
Eichelpfote blinzelte verschlafen und sah ungläubig zum Himmel, an dem schon die ersten Sterne aufblitzten. »Ist es schon so weit?«
»Was ist so weit?«
Die Schülerin seufzte. »Du weißt echt gar nichts. Regenmond ist doch gestorben. Der Große Stern ist dazu verpflichtet, bei Mondhoch seine neue Gefährtin und Anführerin des WirbelClans zu ernennen.«
Deshalb also machen die Katzen sich bereit, aufzubrechen! Sie hielt kurz inne. Da werden bestimmt auch ein paar Krieger der anderen Clans sein.
»Ich komme bald wieder!«, miaute Sprenkeljunges aufgeregt und eilte aus dem Schülerbau.
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