Halbe Wahrheiten
Sprenkelpfote war vollkommen verwirrt, als auf einmal die ganzen Katzen, die noch im Zweibeinernest waren, nach draußen strömten. Was ist da los? Sie dachte an Dunkelherz' Worte. Er hatte gesagt, dass ihre Mutter mit dem WindClan gekommen war, um sie zurück zu holen. Aber sie hörte keine Kampfgeräusche. Vielleicht reden sie ja wirklich nur. Doch warum gehen die ganzen Katzen dann nach draußen?
»Hat Funkenstern es also geschafft!«, rief Ratte dem anderen massigen Kater zu, der sie bewachte.
»Dann sollten wir uns beeilen, um noch gemütliche Schlafplätze zu erwischen!«, antwortete dieser. Sein Fell war grau getigert und beide Ohren waren bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt.
»Gut gesagt, Narbe. Lass uns gehen.«
»Aber was ist mit der Kleinen?«
Beide Kater fuhren zu Sprenkelpfote herum und starrten sie mit zusammengekniffenen Augen an. Sie fühlte sich wie eine Maus, die gleich erlegt werden würde und musste all ihren Mut zusammennehmen, um sich unter den stechenden Blicken nicht zu ducken.
»Sie hat ihren Zweck erfüllt«, miaute Ratte schließlich. »Ich glaube, Dunkelherz braucht sie nicht mehr.«
»Du meinst...?« Narbe hob eine Pfote und ließ vielsagend die Krallen spielen.
»He! Warum trödelt ihr zwei?«, rief auf einmal eine Stimme vom Eingang des Zweibeinernests, des ›Schuppens‹, her. Sprenkelpfote kannte die Kätzin nicht, aber sie war riesig und wirkte nicht so, als könnte man sich mit ihr anlegen und heil wieder rauskommen.
»Wir kommen ja schon!«, antwortete Ratte hastig und an Narbe gewandt: »Lassen wir sie doch einfach hier.«
»Und den Abschaum da drüben?« Der grau getigerte Kater deutete auf jemanden, der außerhalb von Sprenkelpfotes Sichtweite offenbar am Boden kauerte.
»Ist doch egal jetzt!«, zischte Ratte gereizt. »Ich habe keine Lust, mich mit Gift anzulegen! Komm jetzt!«
Sprenkelpfote wartete mit bebenden Flanken und zitternden Schnurrhaaren, bis die beiden Kater und die Kätzin nach draußen verschwunden waren, bevor sie sich aus ihrer Deckung traute. Ein Blick in die Richtung, in die Narbe gedeutet hatte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie kannte das schwarze Fell und der Geruch war unverkennbar.
»Mutter!«, kreischte sie entsetzt und stürzte zu ihr hin. Schattenstern regte sich nicht. Panisch vergrub Sprenkelpfote die Nase im Pelz der schwarzen Kätzin und atmete erleichtert auf, als sie nur Wärme spürte. Keine Kälte. Nur Tote waren kalt. Sie stupste sie verzweifelt an, versuchte, sie dazu zu bringen, die Augen zu öffnen, aber es brachte nichts.
»Es tut mir leid«, flüsterte die kleine Schülerin. »Ich habe diesmal nicht nur mich, sondern den ganzen Clan in Schwierigkeiten gebracht. Dabei wollte ich doch nur Dunkelherz wiedersehen. Ich wusste nicht, dass es eine Falle war. Wirklich! Ich verstehe nichts mehr. Gar nichts... Was ist da draußen passiert? Wo ist der WindClan?«
»Der WindClan wird jetzt von Funkenstern angeführt.« Die Stimme gehörte nicht Schattenstern.
Sprenkelpfote stellte sich schützend vor ihre Mutter, sträubte das Fell wie Kräuselsturm es ihr beigebracht hatte und knurrte Laufherz wütend an. »Du hast mir eine Falle gestellt! Du bist absichtlich bei uns aufgetaucht, damit ich dir folge und Funkenstern den WindClan übernehmen kann, weil er wusste, dass man mich suchen würde! Was bist du nur für eine herzlose Katze! Fuchsherz!«
Die weiße Kätzin mit den eisblauen Augen zuckte unter ihren Worten so heftig zusammen, dass sie Sprenkelpfote wieder leidtat, aber sie durfte jetzt nicht nachgeben. Sie ist schuld daran, dass Mutter jetzt hier liegt und ich keine Ahnung habe, was mit ihr los ist!
»Ich wollte das nicht!«, miaute Laufherz verzweifelt. »Ich habe versucht, dich zu warnen, aber... Er hat mich dazu gezwungen! Wenn ich es nicht getan hätte, hätte er Seelenpfote getötet! Aber sie ist meine Mutter. Auch wenn sie... gebrochen ist.« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Ich konnte nicht zulassen, dass er sie tötet! Sie ist die einzige, die mir geblieben ist! Ich habe sonst niemanden!«
»Wer?«, fragte Sprenkelpfote mit zusammengekniffenen Augen. »Wer hat dich dazu gezwungen?«
»Ich...« Laufherz trat nervös von einer Pfote auf die andere. Sie wirkte vollkommen verängstigt. Gerade wollte sie zu einer Antwort ansetzen, als jemand sie vom Eingang des ›Schuppens‹ rief. Es war wieder die riesige Kätzin, die auch schon mit Ratte und Narbe geschimpft hatte.
»Laufherz! Komm jetzt! Wenn ich deine gestörte Mutter noch einen Herzschlag länger auf den Pfoten halten muss, wirst du den morgigen Tag nicht mehr überleben!«
Die junge, weiße Kätzin sprang erschrocken auf. »Sie haben sie vergiftet«, sprudelte es aus ihr heraus. »Gib ihr Fenchel oder Schafgarbe, damit sie sich übergeben kann.« Dann eilte Laufherz davon und ließ Sprenkelpfote alleine zurück.
Vergiftet! Das Wort pochte in ihrem Hinterkopf und wollte nicht herausgehen. Fenchel oder Schafgarbe. Fenchel oder Schafgarbe.Verzweifelt stupste sie Schattenstern wieder an. Ich habe keine Ahnung, wie diese Kräuter aussehen! Sie versuchte sich an die Pflanzen zu erinnern, mit denen Weises Reh herumhantiert hatte. Aber sicher waren das alles die falschen. Die WindClan-Heilerin hatte noch keine Katzen behandelt, die sich vergiftet hatten.Woher soll ich wissen, wie sie aussehen! Fuchsdung! Krähenfraß! In Gedanken nannte sie jedes Schimpfwort, das sie je gehört hatte. Dann war da nur noch eine gähnende Leere, als der Körper ihrer Mutter kalt wurde.
»Nein!«, hauchte Sprenkelpfote und presste sich an Schattenstern. »Bitte, geh nicht! Komm wieder!« Sie wusste zwar, dass die Anführerin neun Leben hatte, aber ein gewisser Zweifel war immer noch da. Ihr Herz schlug wie verrückt und ihre Muskeln waren bis zum äußersten gespannt. Endlich regte Schattenstern sich und öffnete die Augen. Eins nach dem anderen. Das rechte trüb, wie immer.
»Sprenkelpfote«, krächzte sie. »Du lebst.«
»Ja«, miaute die Schülerin und leckte ihrer Mutter beruhigend über die Stirn. Das schlechte Gewissen kam wieder hoch. »Es tut mir leid. Alles tut mir leid. Stimmt es, dass Funkenstern... Hat er den WindClan übernommen?«
»Das ist unwichtig«, murmelte Schattenstern. »Wichtig ist nur, dass du am Leben bist. Ich weiß, ich bin nicht die Mutter, die du dir gewünscht hast, aber ich liebe dich über alles. Ich würde alles für dich geben. Selbst meinen Clan.«
Sprenkelpfote fühlte sich nicht wohl in ihrem Pelz. Verlegen senkte sie den Blick. Das habe ich nicht verdient. Ich habe den WindClan praktisch an einen Verräter ausgeliefert. Dabei bin ich mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt noch im WindClan sein möchte, wenn Fliegenpfote nicht bei mir ist...
»Alles gut«, schnurrte Schattenstern. Ihr war anzusehen, dass es ihr Mühe bereitete, zu sprechen. »Funkenstern hat mir erzählt, dass du überlegt hast, den WindClan zu verlassen, um bei Fliegenpfote zu sein. Du hättest es mir auch selber sagen können.« In ihren Augen stand kein Vorwurf, nur ein Anflug von Traurigkeit.
»Ich habe mich nicht getraut«, gab Sprenkelpfote zu. »Als ich nach Himmelglanz' Mörder gesucht habe, hast du mir nicht erlaubt, nochmal zusammen mit Fliegenpfote das Lager zu verlassen. Ich dachte, du wolltest mich von ihm fernhalten, weil er zu einem anderen Clan gehört.«
»Mäusehirn«, lachte Schattenstern und schüttelte belustigt den Kopf. »Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht. Du hast ja selber gesehen, wie gefährlich der Faucher war. Ich werde es akzeptieren, wenn du dich entscheidest, den Clan zu verlassen, um mit Fliegenpfote zusammen zu sein.«
»Nur dass ich offenbar kein Teil des WindClans mehr bin«, entgegnete die Schülerin bitter.
»Das kriegen wir schon hin.« Schattenstern stupste sie aufmunternd mit der Nase an. »Ich glaube an die Loyalität unserer Clan-Gefährten. Sie werden kurzen Kompromiss mit Funkenstern machen.«
»Bist du dir sicher? Laufherz wurde auch dazu gezwungen, etwas Schlimmes zu tun. Bestimmt wird er ihre Schwächen ausnutzen, um sie unter seine Gewalt zu bringen. Er ist schlau. Er hat es auch mit Dunkelherz geschafft...« Niedergeschlagen senkte sie den Kopf.
»Manchmal sind unsere Schwächen unsere größten Stärken«, miaute die schwarze Kätzin und erhob sich schwankend auf die Pfoten. »Was Dunkelherz angeht: Es ist nicht nur Funkenstern, der ihm solche Sachen in den Kopf setzt.«
»Wer denn noch?«
Schattenstern seufzte. »Sein Vater. Und auch deiner. Sein Name war...«
»Flammenzorn?«
Die schwarze Kätzin horchte alarmiert auf. »Du kennst ihn?«
Sprenkelpfote nickte zögernd. »Er besucht mich in meinen Träumen. Wir reden meistens über allerlei Sachen und manchmal zeigt er mir auch neue Kampftricks. Er hat auch Geschichten erzählt. Von... euch... Er hat gesagt, dass... dass du ihn getötet hast, obwohl er schon wehrlos war.«
»Dann hat er dir nicht die ganze Geschichte erzählt«, miaute Schattenstern. »Setz dich und hör aufmerksam zu. Ich werde dir von meiner Zeit im FeuerClan erzählen. Am Ende kannst du dein Urteil über mich fällen. Vielleicht verstehst du dann, warum alles passiert ist, wie es passiert ist, und warum ich so handeln musste, wie ich gehandelt habe.«
Sprenkelpfote setzte sich mit weit aufgerissenen Augen hin. Ihr Fell kribbelte vor Aufregung. »Und was machen wir danach?«
»Danach«, die Augen der Kätzin blitzten, »holen wir uns unseren Clan zurück.«
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Mal ein etwas ,abendliches' Kapitel XD Der dritte Band neigt sich dem Ende zu O.o Aber es werden noch mindestens zwei Kapitel + Epilog kommen ;) Mal schauen, ob es auch mehr werden O.o
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