Ewige Qual
Tausend Gedanken schossen durch Schattensterns Kopf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Das war nicht das, was sie erwartet hatte. Der Große Stern, der eigentlich über den Faucher richten sollte, war von ihm ermordet worden, und Habichtmond schien auch noch mit dem Mörder zusammenzuarbeiten.
Nur Brud schien die Kontrolle behalten zu haben. Ihr alter Freund schoss vor, drückte den Faucher mit einer seiner massigen Pfoten zu Boden und knurrte Habichtmond bedrohlich an. Die alte Kätzin blinzelte jedoch nicht mal. Sie trat zu der Leiche des Großen Sterns heran, stupste ihn an und fuhr ihm dann mit ihren langen Krallen durchs schwarze Fell. Wieder und immer wieder. Und alle versammelten Katzen starrten sie geschockt an.
»Das reicht jetzt!«, rief Schattenstern und sprang nun selber vor, um Habichtmond von dem toten Körper des jungen Katers wegzuzerren. Sie wehrte sich nicht und blieb wie ein Häufchen Elend auf dem schneebedeckten Gras liegen, als die Anführerin sie losließ.
Irgendwie habe ich Mitleid mit ihr, dachte Schattenstern. Sie ist alt. Vielleicht sogar älter als der frühere Große Stern, bevor dieser zurückgetreten ist. Sie wird ihn nicht freiwillig als Gefährten genommen haben. Genauso wenig wie Wolfsmond... Sie fragte sich, was mit der treuen Kriegerin geschehen war. Niemand hatte sie nach der Vertreibung des WindClans aus dem WirbelClan-Lager gesehen.
»Mutter«, presste der Faucher unter der Last von Bruds Pfote hervor. »Wir haben es geschafft. Alles, worauf wir hinausgearbeitet haben! Geschafft!«
»Du Mäusehirn«, zischte Habichtmond. »Nichts haben wir geschafft. Alles ist vorbei. Siehst du das nicht?«
»Ich bin jetzt der Große Stern, Mutter! Keiner der Söhne des früheren lebt noch. Ich bin der einzige Erbe!«
»Du bist jetzt ein Nichts!«, kreischte Habichtmond ihren Sohn an, der erschrocken zusammenzuckte und verstummte. Die dunkelbraune Kätzin mit den weißen Sprenkeln wandte sich von ihm ab und ließ ihren Blick über die DonnerClan-Katzen schweifen. »Was glotzt ihr so!«
Stille. Nicht mal die Jungen regten sich. Einige hatten den Kopf beschämt gesenkt. Andere wirkten unglaublich wütend oder einfach nur enttäuscht. Aus den hinteren Reihen trat eine Kätzin hervor, deren Fell vollkommen frei von Schlamm war. Ihr Bauch wölbte sich unter dem Gewicht ihrer ungeborenen Jungen.
»Du steckst hinter alldem?«, fragte die Kätzin ungläubig. »Du hast alle Verbündeten verraten, indem du den Faucher bei seinen Taten unterstützt hast. Wärst du nicht gewesen, würden Adlerschwinge und Veilchenblatt jetzt vielleicht noch leben. Und Regenmond und der Große Stern auch. Und Vater wäre nicht zurückgetreten. Was bist du nur für eine grausame Katze, Habichtmond!«
Doch Habichtmond schnaubte nur verächtlich und gab dann einen seltsamen Laut von sich, der wohl ein Lachen sein sollte. Sie lachte und lachte. Lachte der trächtigen Kätzin mitten ins Gesicht. »Oh, Singschwinge, du nennst mich grausam?« Sie lachte erneut.
»Was war dein Plan?«, ertönte die Stimme einer schlammbedeckten Kätzin, die sich neben Knurrkralle niedergelassen hatte und ihn offenbar tröstete. Ihre Nase war in zwei Teile gespalten. »Wolltest du die gesamte Familie deines Gefährten umbringen? Wofür? Was hat der Große Stern dir jemals getan?«
Habichtmond hörte auf zu lachen und starrte die Kätzin starr an. »Das Leben ist grausam. Als ich noch eine Schülerin war, wollte ich die beste Kriegerin werden, die es je gab! Doch schon bald wurde klar, dass es für mich unmöglich sein würde, denn ich war besonders. Ich lernte schneller als alle anderen. Ich kannte alle Tiere der Felder und Wälder und des Himmels. Ich wusste, wie sie aussahen, was sie fraßen, wann sie Junge bekamen oder ihre Küken schlüpften. Mein Gedächtnis ließ sich mit niemand anderem vergleichen. Jedes normale Gespräch war eine Qual für mich. Also lernte ich, mich dumm zu stellen, um nicht jede Katze direkt vor den Kopf zu stoßen.
Dann kam der Tag, an dem der ehemalige Große Stern im Sterben lag. Eine entzündete Wunde. Alle wussten, dass er nicht lange durchhalten würde und sein ältester Sohn Edelklaue seine Nachfolge antreten würde. Und er würde Gefährtinnen brauchen. Besondere Gefährtinnen wie mich. Aber ich liebte ihn nicht. Er war dumm, bemitleidete sich die ganze Zeit selbst und verglich sich immer wieder mit seinem Vater. Erbärmlich!
Jedes Mal, wenn er zu mir kam, habe ich ihn verflucht. Und als ich trächtig war, habe ich jeden einzelnen Tag verflucht, an dem der Große Stern über die Erde wandelt! Meine Jungen...« Sie funkelte Singschwinge, die trächtige Kätzin mit ihren schmalen, gelben Augen an. »In dem Moment, als ihr zur Welt kamt, habe ich euch geliebt. Danach nicht mehr. Denn ich hatte noch ein anderes Junges. Einen Sohn, der mir treu ergeben war und der alles für seinen Clan und die Verbündeten tun würde!«
Habichtmond wandte sich nun direkt an den Faucher, in dessen Kehle ein leises Schnurren aufstieg. »Mein Sohn, mein einziger Sohn, den ich je geliebt habe. Im Geheimen geboren habe ich ihn und ihn dann an der Grenze zum WirbelClan ausgesetzt. Wenigstens würde er so immer in der Nähe seines Vaters sein, auch wenn dieser nicht ahnte, wer das fremde Junge in Wirklichkeit war.«
»Ich erinnere mich an den Tag, an dem du mir von meiner Herkunft erzählt hast«, setzte der Faucher die Erzählung seiner Mutter fort. »Ich war ausgewählt worden, um zum Holzsitz zu gehen und einer Kriegerzeremonie beizuwohnen. Dann kamst du auf mich zu und flüstertest mir die Wahrheit ins Ohr. Dass ich der wahre Nachfolger des Großen Sterns war. Ich musste nur bis zum richtigen Augenblick warten und dann zuschlagen.«
»Und ich würde meinen einzig wahren Sohn als Anführer vor mir stehen sehen!« Habichtmonds Augen leuchteten voller Stolz und sie drehte sich zu Schattenstern. »Die Ankunft von dir und deinem WindClan kam uns nur gelegen. Ich bereue nichts. Höchstens, dass der Große Stern zurückgetreten ist, bevor mein Sohn auch Schwarzpfote töten konnte.«
»Du bist verrückt«, sprach Hechtkralle Schattensterns Gedanken aus.
»Sind wir das nicht alle?«, fragte Habichtmond ohne den Blick von der WindClan-Anführerin abzuwenden. »Einige mehr, andere weniger.« Sie verstummte für einige Herzschläge. Schattenstern hatte das Gefühl, als würde die alte Kätzin versuchen, ihre Gedanken zu lesen. Die gelben Augen brannten sich in sie hinein, tasteten sich durch ihre Vergangenheit und sogen sie ein. Die WindClan-Anführerin war die erste, die den Blick abwandte.
»Was wirst du nun mit uns tun?«, hörte sie Habichtmond fragen. »Uns töten? Aber verstößt das nicht gegen dieses... dieses Gesetz der Krieger? Du wirst uns freilassen müssen.«
Das werde ich wohl, dachte Schattenstern und versuchte trotzdem, irgendwie eine andere Lösung zu finden. Diese zwei Katzen sind für den Tod von Himmelglanz verantwortlich. Und Sprenkelpfote... Die Stelle, an der Schneeauge sie berührt hatte, schmerzte immer noch. Aber es war nötig gewesen.
Sie spürte die erwartungsvollen Blicke der Katzen wie glühende Funken auf ihrem Pelz. Und plötzlich kam ihr eine Idee. Sie richtete sich so hoch auf wie sie konnte und streckte die Brust vor. Habichtmond schien zu bemerken, dass etwas nicht in Ordnung war. Misstrauisch kniff sie die ohnehin schon schmalen Augen zusammen.
»Ich werde euch nicht töten«, verkündete Schattenstern, wobei sie Terras und Hechtkralles überraschtes Ohrenschnippen ignorierte. »Brud, lass den Faucher los.«
Der graue Wolf trat von dem Mörder zurück, der sofort auf die Pfoten sprang und zu seiner Mutter eilte.
»Ich werde euch nichts tun«, sagte sie nochmal. »Aber sie«, Schattenstern deutete auf die versammelten DonnerClan-Katzen, »werden ihre Rache haben wollen.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, drehte sie sich um und verließ das Lager. Brud, Terra und Hechtkralle folgten ihr.
»Das kannst du nicht tun!«, kreischte Habichtmond ihr noch hinterher, bevor ein einstimmiges Knurren ertönte.
Das Fauchen, Schreien und Reißen von Fell war Musik in Schattensterns Ohren. Unwillkürlich beschleunigte sie die Schritte. Sie wollte so schnell wie möglich wieder bei Sprenkelpfote sein. Hoffentlich ging es ihr und Fliegenpfote gut. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass der junge WirbelClan-Kater wohl doch nicht so schlecht war, wie sie anfangs angenommen hatte. Hoffentlich passiert ihr nicht dasselbe wie mir, dachte sie.
Die Anführerin bemerkte Terra erst, als die Kriegerin schon zu ihr aufgeschlossen hatte und die Stimme erhob: »Was passiert jetzt mit den Verbündeten? Wir müssen sie doch zu einem Clan, dem DonnerClan vereinen. Aber der WirbelClan ist immer noch nicht gut auf uns zu sprechen.«
»Wir warten«, antwortete Schattenstern entschlossen.
»Worauf?«
»Auf endgültigen Frieden. Ich glaube, dass die Nachricht über den Tod des Mörders sich schneller verbreiten wird als der Wind.«
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Jetzt ist es raus O.o Was denkt ihr, wer ist der Vater des Fauchers? PS: Theoretisch habe ich dazu ebenfalls einen Hinweis versteckt XD Der Zeitsprung kommt voraussichtlich im nächsten oder übernächsten Kapitel.
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