Schnell
»Wenn du eine Pause brauchst, dann sag mir bitte auf jeden Fall Bescheid.« Hechtkralle sah sie besorgt von der Seite her an, während die drei Clans sich unter der Führung von Ojiha und seinem seltsamen, kleinen Vogel in Richtung Sonnenuntergang bewegten. Sie waren schon zwei Tage unterwegs und bisher hatte es noch keine Probleme oder Schwierigkeiten gegeben.
»Keine Sorge«, schnurrte Terra leicht belustigt. »Es dauert noch einundhalb Monde, bis unsere Jungen kommen. Ich bin noch genauso ausdauernd und stark wie früher.«
Seit sie ihrem Gefährten erzählt hatte, dass sie endlich Junge erwartete, sorgte er sich viel zu sehr um sie. Er fragte, ob sie Hunger hatte und ob er etwas für sie jagen sollte – sogar was genau er jagen sollte. Er fragte, ob sie sich ausruhen wollte, ob sie durstig war, ob ihr irgendwas weh tat. Sie schätze es, dass er so fürsorglich war, hoffte aber, dass das mit der Zeit nachlassen würde. Sie war nicht vollkommen hilflos, nur, weil jetzt Leben in ihr heranwuchs.
»Ja, aber sag mir bitte trotzdem auf jeden Fall Bescheid!«, beharrte Hechtkralle. Im nächsten Moment zuckten seine Ohren und er wandte den Blick nach vorne.
Die Clans hatten sich mehr durchmischt als Terra es erwartet hatte. Weises Reh plauderte gelassen mit Sprungflügel und Luftfell, während weiter vorne ein junger SchattenClan-Krieger zwei DonnerClan-Katzen eine offenbar sehr interessante Geschichte erzählte. Die Königinnen und einige Krieger halfen einander dabei, die Jungen zusammenzuhalten. Ein paar Junge waren auch noch so klein, dass sie getragen werden mussten.
Werde ich meine Jungen noch auf der Reise bekommen oder schon beim FlussClan?, fragte Terra sich und fühlte sogleich, wie eine angenehme Wärme sie umfing. Gleichzeitig spürte sie wieder dieses seltsame Gefühl in sich aufsteigen. Das erste Mal war es da gewesen, nachdem Sprungflügel verkündet hatte, dass Ojiha sie zum FlussClan führen würde. Und danach war es immer öfter gekommen.
Ein Gefühl, das ihr Blut schneller fließen ließ. In diesen Momenten fühlte sie sich stärker als sonst und gleichzeitig auch nicht. Niemand würde sie von den Pfoten bringen können, wenn sie nur standhaft genug war. Sie wusste nicht, was genau es war. Vielleicht die Mutterinstinkte? Sie hatte gehört, dass es bei den Clanlosen eine Kätzin gegeben hatte, die einen Felsen bewegt hatte, um ihr Junges zu retten, das in eine Spalte gefallen war.
»Hörst du das auch?«, fragte Hechtkralle, dessen Ohren immer noch zuckten.
Terra richtete ihre Aufmerksamkeit nach vorne und vernahm tatsächlich ein dumpfes Grollen, das ihr bis tief in den Magen ging. »Ja. Was ist das?«
»Ich weiß es nicht.«
Hilfesuchend sahen sie sich um, aber Efeubein und Spritzklang, die neben ihnen gingen, wirkten genauso ratlos.
»Es kommt mir aber bekannt vor«, meinte der dunkelbraune Krieger mit dem steifen Bein. »Als hätte ich sowas Ähnliches schonmal gehört.«
»Hat Ojiha gesagt, wie genau wir zum FlussClan kommen werden?«, erkundigte sich Spritzklang. »Also, wie unser Weg aussehen wird?«
»Er hat nur gesagt, dass wir die Berge dort überqueren werden.« Hechtkralle deutete zu den dunklen Silhouetten am Horizont. »Ich hätte erwartet, dass dazwischen nur Wiesen und Wälder liegen.«
»Es hört sich an wie das Knurren von Monstern«, ertönte auf einmal die Stimme von Blendfeuer. Er kam von hinten angelaufen, nahm Sturmjunges auf, die anscheinend weggelaufen war, und kehrte wieder um. Das protestierende Jaulen der sandfarbenen Kätzin ging im Gemurmel der anderen Katzen unter.
»Er hat recht«, meinte Efeubein. »Das ist das Knurren von Monstern. Sehr vielen Monstern. Führt Ojiha uns geradewegs auf einen Donnerweg zu?«
»Ich weiß es nicht«, gab Hechtkralle zu. »Ich lauf kurz nach vorne und frage nach.«
»Das solltest du besser«, zischte Efeubein. »Wir haben die Reise durch den Zweibeinerort keineswegs vergessen.«
Seine Gefährtin nickte zustimmend, während Terra besorgt hinter Hechtkralle hersah. Es verging einige Zeit, in der das Brummen und Dröhnen immer lauter wurde, aber er kehrte nicht zurück. Als die Katzen in ein kleines Waldstück eintauchten, murrten einige unwillig. Allen voran Efeubein, der seine Ohren mittlerweile angelegt hatte.
»Was soll das?«, fauchte er. »Wir gehen direkt auf einen Donnerweg zu und niemand sagt etwas!«
Plötzlich blieben die Katzen vor ihnen stehen, sodass auch Terra innehalten musste. Eine Weile passierte nichts, doch dann ertönte von vorne die Stimme von Ojiha. Der getigerte Kater war auf den niedrigsten Ast eines Baumes geklettert, damit alle ihn hören konnten. Nicht weit von ihm entfernt flatterte der kleine Vogel mit den Flügeln und ließ sich zwischen seinen Schultern nieder.
»Einige von euch wundern sich vielleicht, warum ich euch direkt auf einen Donnerweg zu führe...«
»Was er nicht sagt«, murmelte Efeubein.
»Wir werden ihn überqueren müssen, um weiter in Richtung der Berge ziehen zu können«, fuhr der Schamane fort.
»Können wir ihn nicht umgehen?«, fragte eine schwarz-weiß gestreifte Kätzin vom DonnerClan. Terra konnte sich erinnern, dass sie Elsterschnabel hieß. Zu ihren Pfoten tummelten sich drei Junge.
»Das geht leider nicht«, antwortete Ojiha. »Der Donnerweg geht in beide Richtungen sehr lange weiter.«
»Wir haben genug Zeit«, erhob sich nun die Stimme von Windstern. Der Anführer des SchattenClans war auf einen umgefallenen Baumstamm gesprungen und ließ seinen Blick nun über die Katzenmenge schweifen. »Ich weiß, dass einige von euch Angst haben. Aber der SchattenClan hat auf dem Weg zu euch schon so einige Donnerwege überquert. Am besten, wir tun das in kleinen Gruppen. Die Königinnen mit ihren Jungen zuerst, vielleicht in Begleitung eines Kriegers. Dann die älteren Katzen und die Verletzten. Der Rest kann sich aufteilen wie er möchte.«
Gemurmel machte sich unter den Katzen breit. Einige sahen sich unsicher an. Besonders die DonnerClan-Katzen schienen nervös. Natürlich, dachte Terra. Es ist für sie wahrscheinlich das erste Mal, dass sie so einen Donnerweg mit Monstern sehen.
»Macht euch keine Sorgen«, fügte Ojiha noch hinzu. »Die Monster verlassen den Donnerweg nicht. Außerdem sind zwischen den Monstern manchmal sehr große Lücken. Besonders abends und nachts. Dann hat man genug Zeit, um auf die andere Seite zu kommen. Trotzdem sollte man sich natürlich beeilen.«
»Sich keine Sorgen machen«, zischte Efeubein. »Keiner im WindClan hat vergessen, wie Eulenpfote gestorben ist...«
Terra konnte die Trauer und gleichzeitig Wut in der Stimme des älteren Kriegers deutlich hören. Sie selbst war nicht dabei gewesen, als Eulenpfote gestorben war, aber sie hatte später mitbekommen, dass er von einem Monster erwischt worden war. Wo sie zuvor noch entschlossen war, war sie nun doch etwas unsicher, was den Donnerweg anging.
Während die Katzen um sie herum miteinander diskutierten, wurden die Königinnen und ihre Junge nach vorne geschleust. Allmählich kam Ordnung in das Chaos. Terra sah, wie ein alter DonnerClan-Kater mit einem steifen Bein ebenfalls vorwärts humpelte. Unwillkürlich warf sie Efeubein einen besorgten Blick zu.
Stimmt, dachte sie. Wenn man eine Verletzung am Bein hat, wird man den Donnerweg nicht so schnell überqueren können.
Spritzklang schien denselben Gedanken zu haben, denn sie wandte sich in einem ernsten Tonfall an ihren Gefährten: »Du solltest ebenfalls unter den ersten sein. Mit deinem Bein bist du langsamer als andere.«
»Ich bin kein Ältester«, entgegnete er jedoch. »Ich schaff das schon.«
»Wir können den Donnerweg zu dritt überqueren«, schlug Terra vor. Hechtkralle wird ganz bestimmt dafür sorgen, dass ich auch eine der ersten bin, weil ich Junge erwarte. Efeubein wird annehmen, dass er und Spritzklang die Krieger sind, die mich begleiten sollen.
»Gute Idee«, stimmte Spritzklang ihr zu. Ob sie verstanden hatte, was Terra damit eigentlich erreichen wollte, war nicht zu erkennen.
Nach und nach wurden die ersten Gruppen über den Donnerweg geschickt. Es dauerte länger als Terra erwartet hatte. Vermutlich wollten Ojiha und die Anführer sicher gehen, dass genug Abstand zwischen den Monstern war, sodass man sicher rüber konnte. Von ihrem Platz aus konnte sie den schwarzen Pfad zwar noch nicht sehen, aber deutlich riechen. Es stank fürchterlich nach Verbranntem und etwas Anderem, das ihr schmerzhaft in die Nase stach.
Endlich kehrte Hechtkralle zurück. »Komm, ich bringe dich nach vorne«, sagte er.
»Ich gehe mit Efeubein und Spritzklang«, verkündete Terra. »Es ist gut, wenn wir auf der anderen Seite ein paar erfahrene Krieger haben, die die Königinnen und ihre Junge notfalls verteidigen können.«
Ihr Gefährte öffnete den Mund zu einer Frage, schluckte sie jedoch auf ihren eindringlichen Blick hin runter und nickte. »Gute Idee. Folgt mir einfach.«
Terra vergewisserte sich, dass Efeubein und Spritzklang hinter ihr waren, bevor sie hinter Hechtkralle her ging. Als sie den Donnerweg sah, wollte sie am liebsten wieder umkehren. Er war viel breiter als die, die sie im Zweibeinerort gesehen hatte. Am Rand der schwarzen Fläche standen die Anführer und Ojiha. Letzterer achtete darauf, dass niemand sich zu weit hinaus wagte.
»Ihr seid zu dritt?«, fragte Windstern.
Als sie nickten, wandte der gefleckte Kater sich an den SchattenClan-Krieger, der neben ihm stand. Terra erinnerte sich, dass er Sommerflut hieß. Was für ein seltsamer Name...
»Sommerflut wird euch auf die andere Seite begleiten«, erklärte Windstern.
»Ich kenne mich gut mit Donnerwegen und Monstern aus!«, verkündete der SchattenClan-Krieger stolz. »Ich war früher ein Hauskätzchen, deswegen...«
»Ein Hauskätzchen?« Efeubein schnaubte. »Kein Wunder.«
»Was bedeutet dein Name denn?«, fragte Spritzklang etwas höflicher und warf ihrem Gefährten einen strengen Blick zu.
»Sommer?«, hakte er nach. »So nennen Zweibeiner die Blattgrüne. Aber ich war nur sechs Monde bei ihnen, dann bin ich abgehauen«, fügte er noch an Efeubein gewandt hinzu. Dieser reagierte jedoch nicht. »Jedenfalls müssen wir auf eine größere Lücke warten. Wenn ich ›Jetzt!‹ rufe, dann lauft so schnell wie möglich los. Schaut euch nicht um, bis ihr wieder Gras unter euren Pfoten spürt und haltet auf keinen Fall an!«
Terra nickte und beobachtete, wie Sommerflut den Donnerweg links und rechts entlang sah. Durch einige Zweige hindurch konnte sie ein kleines Licht sehen, das in der hereinbrechenden Nacht immer größer und heller wurde. Dann kam das ohrenbetäubende Dröhnen. Hier war es noch lauter. Dabei war das Monster noch so weit weg!
Instinktiv presste sie sich dichter an den Boden und legte die Ohren an, aber auch das half nicht. Die Erde unter ihren Pfoten fing an zu beben. Das Gefühl kam ihr irgendwie vertraut vor, was jedoch im Wind, der plötzlich aufkam, unterging. Das Monster rauschte wie ein Wirbelsturm an ihnen vorbei und raste dann weiter. Sie wurde von ihm fast auf den Donnerweg gezerrt und musste die Krallen ausfahren, um sich an Ort und Stelle zu halten. Sie bemerkte, wie Wolfstern sogar hinter einem umgefallenen Baumstamm in Deckung ging.
»Jetzt!«
Beinahe hätte Terra den Befehl überhört. Ohne sich umzusehen rannte sie auf den Donnerweg, ließ die andere Seite dabei nicht aus den Augen. Leicht geduckt stürmte sie über die schwarze Fläche, die ungewöhnlich heiß war. Es kam ihr sogar so vor, als würden ihre Ballen einen halben Atemzug lang daran festkleben. Sie hatte so viel Tempo aufgenommen, dass sie es nicht mehr schaffte, vor dem Grasstreifen auf der anderen Seite zu bremsen. Unaufhaltbar rannte sie weiter und konnte Vogelschweif gerade noch ausweichen, die mit ihren Jungen anscheinend schon hier war. Die gelbbraune Kätzin stieß einen überraschten Schrei aus, entspannte sich dann aber, als sie Terra erkannte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt.
»Ja«, keuchte Terra und sah dann zurück zum Donnerweg. Efeubein war wirklich langsamer als die anderen, aber Spritzklang und Sommerflut blieben dicht an seiner Seite. Zum Glück hatte der SchattenClan-Krieger die Lücke zwischen den Monstern groß genug gewählt. Es dauerte mehrere Herzschläge, bis das nächste über den Donnerweg brüllte, nachdem alle heil auf dieser Seite angekommen waren.
»Nie wieder«, keuchte Efeubein und ließ sich ins Gras sinken. Er streckte sein rechtes Hinterbein aus und bewegte es hin und her, während Spritzklang ihm liebevoll über den Rücken strich.
Terra wagte es, einen Blick auf die andere Seite zu werfen, und entdeckte dort bereits die nächste Gruppe, die den Donnerweg beobachtete. Sie bestand aus einer alten SchattenClan-Kätzin, zu deren Pfoten zwei Junge mit weit aufgerissenen Augen auf die schwarze Fläche vor sich blickten. An ihrer Seite war Kräuselsturm, der ihr vermutlich eines der Jungen abnehmen würde. Alle vier zuckten zusammen, als ein Monster vorbeirauschte und dabei eine Wolke aus Staub und vertrockneten Blättern aufwirbelte.
Gleich darauf rannten die Gruppe aus vier Katzen los. Die gelbbraun-goldene Kätzin war jedoch erstaunlich langsam. Terra hatte keine Ahnung, wie lange sie selbst für die Überquerung gebraucht hatte, aber anhand der besorgten Blicke konnte sie erkennen, dass es um einiges schneller gewesen war.
»Minzhaar!«, rief sogar ein alter, hellbrauner Kater mit zerfetztem Fell. »Du schaffst das! Immer eine Pfote vor die andere!«
Doch die Kätzin war sichtlich erschöpft. Kräuselsturm war ihr nicht von der Seite gewichen, aber jetzt warf er einen Blick nach links und rannte dann los. Terra sah ebenfalls in diese Richtung und erstarrte. Die Lichter eines Monsters näherten sich. Es schien sogar noch größer zu sein als alle anderen zuvor.
»Du schaffst das!«, rief der alte Kater erneut, diesmal etwas drängender.
Sie schafft es nicht!, dachte Terra leicht panisch. Ihre Pfoten zuckten. Sie würde am liebsten sofort auf den Donnerweg laufen und die Kätzin und das Junge auf diese Seite ziehen, aber etwas hielt sie davon ab. Ich darf mich nicht in Gefahr bringen. Wenn ich sterbe, sterben auch meine Jungen!
Währenddessen hatte Kräuselsturm diese Seite erreicht und übergab das Junge in seinem Maul Vogelschweif, bevor er zurück auf den Donnerweg stürmte. Er wollte Minzhaar das andere Junge abnehmen, doch es zappelte zu stark und entglitt ihm schließlich. Der kleine, schwarze Kater schien so sehr in Panik zu sein, dass er einfach blind davon rannte.
»Trauerjunges!«, kreischte Minzhaar und wollte hinter ihm her, doch Kräuselsturm packte sie am Nacken und zerrte sie weiter in Richtung der anderen Seite, bis sie den Donnerweg hinter sich gelassen hatten. Dort brach die alte Kätzin zusammen, bevor sie sich wieder aufrichtete und panisch die dunkle Fläche absuchte. »Wo ist er hin? Wo ist er? Ich kann ihn nicht mehr sehen!«
Selbst Terra hatte den kleinen Kater aus den Augen verloren. Sein schwarzes Fell war auf dem Donnerweg praktisch unsichtbar. Das Monster kam immer näher. Sie hörte Minzhaars Wimmern und sah, wie Kräuselsturm verzweifelt die harte Fläche absuchte. Aber es wäre ohnehin zu spät gewesen.
Terra wollte wegsehen, als die Lichter des Monsters die ganze Umgebung ausfüllten, doch dann schoss plötzlich ein hellbrauner Blitz aus dem Dickicht auf der anderen Seite und warf sich mitten auf den Donnerweg. Sie hörte mehrere Katzen entsetzt aufschreien.
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Frohe Ostern euch allen!
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