Prolog
Das Rauschen des Meeres wurde bei jeder sich brechenden Welle lauter, während ein alter, grauer Kater besorgt in die Dunkelheit der Nacht hinaus starrte. Außerhalb seiner Sicht schien etwas zu liegen, das zurzeit jedoch vollständig in dem sich hebenden und senkenden Wasser unterging.
»Werden sie heute überhaupt kommen?«, fragte eine dunkelgraue Kätzin, durch deren Fell sich hellere Streifen zogen. An ihrer Seite saßen zwei weitere Katzen, ein Kater und eine Kätzin, die ebenfalls voller Erwartung zum Meer sahen. Das Licht des Mondes ließ die Wellen in hellen Bändern aufleuchten.
»Sie werden kommen«, antwortete der alte Kater bestimmt. Und wie auf sein Wort hin, schälten sich plötzlich drei Gestalten aus den hohen Wellen. Es sah aus, als würden sie einfach über das Wasser gehen. Sobald sie auftauchten, senkte der Kater den Kopf. »Denkt daran, der Hohepriesterin den Respekt zu erweisen«, flüsterte er den drei jungen Katzen neben sich zu. »Schaut sie nicht direkt an. Es ist eine große Ehre, dass sie bei diesem Sturm trotzdem persönlich kommt, um einen von euch auszuwählen.«
Die drei Katzen richteten ihre Blicke schnell auf den sandigen Boden vor ihren Pfoten. Die dunkelgrau gestreifte Kätzin stellte ihre Ohren auf und versuchte offenbar, einzuschätzen, wo die drei Neuankömmlinge sich befanden. Doch das schien schwieriger zu sein als sie erwartet hatte, denn sie zuckte zusammen, als eine seidig weiche Stimme ganz in ihrer Nähe ertönte:
»Ich grüße dich, Graustern, und entschuldige mich für die Verspätung. Der Sturm hat fast den gesamten Steinsteg unter Wasser gesetzt und ich konnte ein Stück nur mit Hilfe von Muschelkralle und Fluchauge überbrücken.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Seidenstern«, entgegnete der alte Kater, den Blick immer noch gesenkt. »Die drei Schüler hätten auch noch bis zum Sonnenaufgang gewartet, in der Hoffnung, dass du einen von ihnen zu deinem Priester auswählst.«
Die dunkelgrau gestreifte Kätzin duckte sich, als die weiche Stimme von Seidenstern nun direkt vor ihr erklang: »Wie sind eure Namen?«
»Otterpfote«, antwortete der einzige Kater unter den drei Katzen.
»Regenpfote«, sagte die Kätzin neben ihm.
»Flüsterpfote«, miaute schließlich auch die dunkelgrau gestreifte Kätzin.
Eine Weile sprach niemand. Nur das Heulen des Sturms und das Rauschen der Wellen war zu hören. Die Gischt spritzte so hoch, dass sie vom Wind weitergetragen wurde. Mittlerweile benetzte eine dünne Tropfenschicht den Pelz aller Katzen. Der Geruch von Salz, Algen und totem Fisch lag in der Luft.
»Flüsterpfote«, sprach Seidenstern nun die junge Kätzin an. »Wie gefällt dir die Vorstellung, zu einer Priesterin zu werden?«
»Ich würde mich geehrt fühlen!«, entgegnete die dunkelgrau gestreifte Schülerin sofort. »Ich habe mir so sehr gewünscht, von dir ausgewählt zu werden!« Sie rang sichtlich damit, nicht den Kopf zu heben.
»Dann biete ich dir hiermit an, zu mir auf den Heiligen Felsen zu kommen«, schnurrte Seidenstern, die durch die Antwort offensichtlich geschmeichelt war. »Du kannst dich noch von deinen Geschwistern verabschieden, bevor wir aufbrechen. Der Sturm wird immer heftiger. Ich möchte nicht im Tageslicht an der Küste festsitzen.«
Der Sand knirschte leicht, als Seidenstern sich zusammen mit ihren Begleitern ein Stück von der Gruppe entfernte, damit die Katzen dort den Kopf heben konnten. Flüsterpfote wandte sich sofort mit strahlenden Augen an die zwei anderen Schüler.
»Sie hat wirklich dich ausgewählt!«, freute Regenpfote sich für sie. »Stell dir vor, du wirst eine der Priesterinnen, die Visionen vom SternenClan empfängt, um sie dann an die Hohepriesterin weiterzugeben! Vielleicht bist sogar du diejenige, die einen weiteren Hinweis auf den großen Erlöser findet!«
Flüsterpfote hüpfte aufgeregt auf und ab. »Ich kann es kaum erwarten, den Heiligen Felsen zu betreten!«
»Aber dir werden die Krallen ausgerissen«, meinte Otterpfote, der nicht so überzeugt schien. »Sie werden dir ein Holzstück geben, damit du dich darin verkrallst, und dann wird es schnell weggezogen. Das muss unglaublich weh tun.«
»Dafür werde ich dem SternenClan so nah sein wie noch nie!«, schwärmte Flüsterpfote. »Unsere Ahnen verachten Gewalt. Da ist es nur gut, dass allen Priestern die Möglichkeit genommen wird, andere zu verletzen.«
»Es ist Zeit«, mischte Graustern sich nun in das Gespräch ein. Der alte Kater nickte in Richtung des Meeres. »Der Wind wird stärker.«
»Ich hoffe, dass wir uns irgendwann noch wiedersehen«, miaute Flüsterpfote zum Abschied. »Vielleicht werde ich sogar eines Tages die Priesterin sein, die die Beute vom Strand abholt.«
»Sag Basaltpfote, dass ich ihn vermisse«, rief Regenpfote ihr noch hinterher – und ihre Schwester nickte –, bevor Graustern sie und Otterpfote anstupste, damit sie ihm vom Strand weg zu einer Düne folgten.
Währenddessen hatte Flüsterpfote den Kopf gesenkt und war den Pfotenspuren im Sand gefolgt, bis sie fast mit einem von Seidensterns Begleitern zusammenstieß. »Entschuldigung!«, maunzte sie schnell.
»Ist nicht schlimm«, antwortete die Hohepriesterin an Stelle des Katers. »Bleib dicht bei Muschelkralle. Er wird dir einen sicheren Weg über den Steinsteg zeigen. Du musst ihm einfach nur folgen und aufpassen, dass du nicht ausrutschst.«
Flüsterpfote nickte heftig und fixierte die weiße Schwanzspitze vor ihr, die sich jetzt in Bewegung setzte. Sie zuckte kurz zusammen, als das kalte Meerwasser über ihre Pfoten schwappte. Zum Schutz vor dem Wind plusterte sie sich auf, bevor sie Muschelkralle auf den ersten Stein des Stegs folgte.
Die Steine waren durch das Meerwasser nass und so rutschig, dass sie wirklich mehrmals fast abrutschte. Das Ganze wurde noch durch die Dunkelheit der Nacht und erstaunlicherweise den Mond erschwert. Sein silbriges Licht leuchtete gerade so auf das Wasser, dass es sie blendete und sie Schwierigkeiten hatte, Entfernungen richtig einzuschätzen.
»Schau nach links!«, ertönte von vorne Seidensterns Stimme, die den Sturm mit Leichtigkeit übertönte.
Flüsterpfote vergewisserte sich, dass sie einen sicheren Stand hatte, und tat, wie ihr geheißen. Überwältigt riss sie ihre Augen auf.
»Dort ist der Mond«, erklärte Seidenstern, plötzlich ganz nah. »Sein Licht bildet einen Pfad auf dem Wasser. Er folgt dir überall hin. Egal, ob du hier bist oder am Strand oder auf dem Heiligen Felsen – er wird immer zu dir führen. Das ist die Macht des SternenClans.«
»Die Macht des SternenClans...«, hauchte Flüsterpfote und zuckte erschrocken zusammen, als nasses Fell ihre Schulter streifte.
»Schau ins Wasser, wenn du mein Gesicht sehen möchtest«, miaute Seidenstern. »Du weißt, dass du mich nur durch eine Spiegelung betrachten darfst. Das ist jetzt deine Gelegenheit.«
Flüsterpfote zögerte, reckte dann aber ihren Hals und schaute in das aufgewühlte Wasser. Als es sich für eine kurze Zeit zwischen zwei Wellen glättete, sah sie die Spiegelung einer hellgrauen Kätzin neben sich. Sie sah alt aus, älter als ihre Stimme sich anhörte. Zwei hellblaue Augen leuchteten aus der weißen Maske, die ihr Gesicht heller erscheinen ließ. Bevor Flüsterpfote mehr erkennen konnte, kam die nächste Welle und spülte das Bild weg.
»Komm, wir gehen weiter«, sagte Seidenstern.
Wieder tauchte die weiße Schwanzspitze vor Flüsterpfote auf, der sie gehorsam folgte. An einer Stelle musste Muschelkralle sie leicht am Nackenfell hochziehen, damit sie über ein niedriger liegendes Stück des Steinstegs kam. Es war vollständig mit wirbelndem Wasser bedeckt. Die ganze Strecke kam ihr wie eine Ewigkeit vor, doch dann, endlich, betraten ihre Pfoten harten Stein. Den Heiligen Felsen.
»Folge Muschelkralle weiter«, miaute Seidenstern. »Wir bringen dich in die Mondkammer.«
Flüsterpfote stellte ihre Ohren auf, hielt den Kopf aber weiterhin gesenkt. Ihr war anzusehen, dass sie aufgeregt war. »Ist Basaltpfote auch hier?«, plapperte sie auf einmal los. »Ich soll ihm von Regenpfote ausrichten, dass sie ihn vermisst.«
»Basaltpfote?« Die Stimme der Hohepriesterin hörte sich nachdenklich an. »Ich kann mich nicht an ihn erinnern.«
»Vielleicht heißt er jetzt anders«, vermutete Flüsterpfote. »Ein schwarzer Kater. Er ist vor sechs Monden Priester geworden. Seine Geschwister sind jetzt schon Krieger.«
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Seidenstern, danach jedoch nichts mehr. Sie waren in einer riesigen Höhle angekommen, die im Inneren der steinernen Insel lag. Der Sturm draußen wurde hier zu einem lauten Dröhnen, das in den Ohren weh tat.
Flüsterpfote war dankbar, dass Seidenstern sich etwas zurückgezogen hatte, sodass sie die Mondkammer mit eigenen Augen sehen konnte. Sie war fast vollständig rund. In der Mitte erhob sich inmitten eines kleinen Sees mit flachem Wasser ein hoher Felsen, auf den durch ein winziges Loch in der Decke Mondlicht fiel. In den Wänden befanden sich vier Nischen, in denen genau eine Katze Platz fand.
»Geh näher zum See«, ertönte Seidensterns Stimme von hinten.
Flüsterpfote tat, wie ihr geheißen. Sie sah in das flache Wasser und beobachtete, wie es sich leicht kräuselte, als sie es mit den Pfoten berührte. Ihr fiel auf, dass am Rand, wo das Wasser gegen den Stein schwappte, ein dunkler Strich zu sehen war. Scheinbar verwirrt beugte sie sich weiter runter und witterte.
Plötzlich riss sie entsetzt die Augen auf, doch bevor sie etwas sagen konnte, sah sie schon in der Spiegelung des Wassers die krallenbewehrte Tatze auf sich zu fliegen. Sie traf sie am Nacken und fuhr dann weiter nach vorne, über ihre Kehle. Ein gurgelndes Röcheln ertönte, wurde vom lauten Dröhnen des Sturms übertönt. Ein rotes Rinnsal floss in den flachen See und frischte den dunklen Strich am Rand auf.
Aus der Dunkelheit der vier Nischen traten nun vier Katzen. Sie hatten den Blick auf die Oberfläche des Sees fixiert, um dadurch der Hohepriesterin in die Augen zu sehen.
»Hoffen wir, dass der SternenClan das Opfer dieser jungen Katze billigt«, miaute Seidenstern. Dann schaute sie hinauf, in Richtung des Lochs in der Decke. »Schickt uns ein Zeichen. Irgendein Zeichen. Wir wissen, dass der große Erlöser bald kommen wird. Aber wer ist es? Bitte sprecht zu uns!« Bei den letzten Worten überschlug ihre Stimme sich fast.
Die vier Katzen traten zum See und tranken einen Schluck des leicht rötlichen Wassers, bevor sie zurück in ihre Nischen verschwanden. Die Hohepriesterin selbst nickte ihren Begleitern zu und watete durch den See, um auf den Felsen zu klettern. Muschelkralle und Fluchauge machten sich daran, Flüsterpfote aus der Mondkammer zu entfernen.
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Ein kurzer, leicht beunruhigender Blick auf den FlussClan O.o Es wird noch etwas dauern, bis unsere Clans auf ihn treffen, deswegen kommt seine Hierarchie etwas später ;)
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