Gewarnt
Terra sprang sofort auf und lief ebenfalls zum Wasser, als sie sah, weswegen Otterpfote und Regenpfote plötzlich aufhörten, Fische zu fangen. Sie traf gleichzeitig mit Klippensprung ein, der sie aber überholte, um auch Sonnenlauf am Nacken zu packen und an den Strand zu schleifen. Otterpfote und Regenpfote hatte Sternenpfote bereits in Sicherheit gebracht, gingen dann aber vorsichtshalber auf Abstand. Offenbar war der vernarbte Kater ihnen immer noch nicht geheuer.
»Warum haben sie nicht den Steinsteg genommen?«, hörte Terra Wolfjunges verwirrt fragen. Die schwarze Kätzin schaute suchend aufs Meer hinaus. »Und wo ist Weises Reh?«
»Besser, du gehst jetzt zurück zu Tigerblume«, flüsterte Terra ihr zu und war erleichtert, als Wolfjunges sich tatsächlich umdrehte und davonlief.
»Was ist passiert?«, hatte Klippensprung währenddessen Sonnenlauf gefragt. Der SchattenClan-Krieger hatte das letzte Stück an Land alleine geschafft, wo er jedoch erschöpft zusammenbrach. Statt ihm antwortete jedoch Sternenpfote, der sich schwankend aufgerichtet hatte und die Zähne bleckte.
»Das solltest du vielleicht deine Hohepriesterin fragen!«
Klippensprung, Otterpfote und Regenpfote zuckten zusammen, als hätte man ihnen einen heftigen Schlag versetzt. Sternenpfote sah das natürlich nicht und hielt stattdessen die Nase in die Luft, wodurch er wohl Terras Geruch bemerkte. Seine leeren Augenhöhlen richteten sich auf sie.
»Bring sofort alle Anführer her!«
»Das wird wohl nicht nötig sein«, ertönte auf einmal Wolfsterns Stimme. Die korpulente Kätzin kam vor Sternenpfote und Sonnenlauf zum Stehen. »Tigerblume hat mir gesagt, was hier passiert ist. Wo ist Weises Reh?«
»Sie ist tot«, zischte Sternenpfote.
»Was?« Fassungslosigkeit stand auf dem Gesicht der DonnerClan-Anführerin geschrieben. »Wie?«
»Ich vermute, dass die Diener der Hohepriesterin sie getötet haben«, erklärte nun Sonnenlauf etwas gefasster. »Sie haben auch versucht, uns zu töten. Deswegen mussten wir auf diese Art fliehen.« Er schüttelte den Kopf. »Auf dem Heiligen Felsen geschieht etwas...«
»Es gibt zu wenig Priester«, miaute Sternenpfote. »Wo sind alle Schüler hin, die angeblich von Seidenstern ausgewählt worden sind, um zu Priestern zu werden? Wir haben keinen einzigen gesehen! Alle Priester stinken nach Blut!«
»Keinen?« Regenpfotes Stimme zitterte. »Du musst dich geirrt haben! Basaltpfote und Flüsterpfote müssen da sein! Ich verstehe das nicht...«
»Dafür aber ich«, knurrte Wolfstern. Ihre blauen Augen richteten sich auf den Heiligen Felsen. Ruckartig drehte sie sich um, lief in Richtung ihres Clans und rief gleichzeitig etwas, was Terra nicht verstand. Aus einer anderen Richtung kamen Schattenstern, Hechtkralle und Harzjäger angerannt, denen Tigerblume vermutlich ebenfalls Bescheid gesagt hatte. In einigem Abstand folgten Graustern und weitere Katzen, die von der Jagd oder dem Fluss zurückkamen.
»Was ist hier los?«, verlangte Schattenstern sofort zu wissen, woraufhin Sonnenlauf und Sternenpfote ihr dasselbe erzählten wie zuvor schon Wolfstern. Die DonnerClan-Anführerin hatte mittlerweile fünf ihrer Krieger um sich versammelt und sich auf den Weg zum Steinsteg gemacht.
»Sie will Rache«, erkannte Harzjäger sofort. »Werden wir sie aufhalten?«
»Wir müssen!«, meinte Hechtkralle besorgt. »Dem FlussClan wird das nicht gefallen!«
»Sie dürfen den Heiligen Felsen nicht betreten!«, rief Klippensprung gleichzeitig, ließ Otterpfote und Regenpfote zurück und stürmte auf Wolfstern und ihre Krieger zu.
»Hechtkralle, geh hinterher«, befahl Schattenstern, woraufhin der blaugraue Kater ebenfalls davonrannte. Terra sah ihm beunruhigt nach, erkannte dann aber, dass mittlerweile noch weitere WindClan-Katzen auf dem Weg dorthin waren.
»Was ist mit Windstern?«, fragte Sonnenlauf in die Stille, die darauf folgte.
»Krank«, erwiderte Harzjäger einsilbig. »Luftfell kümmert sich um ihn.«
»Ihr seid wirklich unheilig«, ertönte plötzlich die leise, zittrige Stimme von Regenpfote wieder. Die dunkelgraue Kätzin hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. »Ihr... Ihr lügt! Ihr lügt alle!«
»Regenpfote, beruhige dich«, flüsterte Otterpfote ihr zu, doch seine Schwester schüttelte ihn ab und baute sich direkt vor Sonnenlauf und Sternenpfote auf.
»Ihr lügt!«, kreischte sie. »Basaltpfote und Flüsterpfote leben noch! Sie sind da! Im Heiligen Felsen! Sie empfangen Visionen vom SternenClan! Sie warten auf weitere Zeichen, bis der Erlöser sich offenbart! Sie sind nicht tot!«
»Der Erlöser«, blaffte Sternenpfote, »ist eine...«
»Ruhe!«, rief Schattenstern, bevor der Heilerschüler die Prophezeiung des SternenClans aufsagen konnte. Ihr Blick richtete sich auf Graustern, der gerade leicht schwerfällig bei ihnen ankam. »Wie erklärst du, dass die Schüler, die die Hohepriesterin alle sechs Monde auswählt, nicht auf dem Heiligen Felsen sind?«
Der Hohewächter sah sie verwirrt an. »Natürlich sind sie dort. Ich...«
»Sie sagen, dass sie getötet wurden!«, kreischte Regenpfote. »Und dass alle Priester nach Blut riechen! Und dass sie die andere Heilerkatze getötet haben!«
»Das ist nicht möglich«, sagte Graustern fest. »Der SternenClan verbietet es, andere Katzen zu töten. Und dass ausgerechnet die Priester... Nein, auf keinen Fall.«
»Die Diener der Hohepriesterin wollten uns töten!«, unterbrach Sonnenlauf den alten, grauen Kater. »Oder wie erklärst du dir das?« Er drehte seinen Kopf, sodass blutige Striemen auf seiner Wange zu sehen waren. Auch über seine Schultern und seinen Rücken zogen sich Kratz- und Bisswunden.
»Es muss ein Missverständnis gewesen sein«, hob Graustern an, verstummte aber, als er das Chaos vor dem Steinsteg sah. »Was passiert da? Es ist verboten, den Heiligen Felsen zu betreten!«
Terra folgte seinem Blick und beobachtete, wie Rosendorn und Waldschleicher es schafften, sich zwischen Hechtkralle und Dunkelherz hindurch zu quetschen, sodass sie auf den Steinsteg gelangten. Beide liefen ihn entlang – etwas langsam, da er scheinbar ziemlich rutschig war –, während Klippensprung sich ins Wasser warf und hinter ihnen her schwamm. Er war viel schneller als die DonnerClan-Krieger, kletterte ein Stück vor ihnen auf den Steinsteg und versperrte ihnen so den Weg.
»Sie dürfen nicht!«, rief Graustern nochmal und humpelte an Terra und Schattenstern vorbei auf den Tumult zu. Mit einem Schwanzschnippen bedeutete die WindClan-Anführerin, ihm zu folgen.
»... nicht davonkommen!«, hörte Terra Wolfstern schon von Weitem wüten. Die graue Kätzin war umringt von Katzen aller anderen Clans, die wild auf sie einredeten. »Der SternenClan kann nicht wollen, dass der Tod von Weises Reh unbestraft bleibt!«
»Unheilige!«, schrie Federfall. »Du hast den SternenClan ohnehin schon beleidigt! Das ist deine Strafe!«
»Nur der Erlöser wird uns von unseren Sünden befreien«, rief Wogenbrecher, Grausterns Sohn. »Die Priester erfüllen den Willen des SternenClans!«
»Ist es der Wille des SternenClans, unschuldige Katzen zu töten?«, fauchte Wolfstern zurück. »Mäusehirne!«
»Schaut! Da!«, übertönte plötzlich eine schrille Stimme alles andere.
Terras Blick schoss hinüber zum dunklen Loch des Heiligen Felsens, der wohl den Eingang darstellen sollte. Eine einsame Gestalt tauchte dort auf. Eine schlanke, weiße Kätzin mit langen Beinen und auffällig großen Ohren. Als sie auf den Steinsteg trat, neigte Klippensprung respektvoll den Kopf vor ihr und zog sich dann rückwärts zurück, wobei er Rosendorn und Waldschleicher dazu zwang, es auch zu tun. Die zwei DonnerClan-Krieger kamen fauchend und gereizt wieder am Strand an.
»Wer ist das?«, hörte Terra jemanden flüstern.
Das würde ich auch gerne wissen, dachte sie. Die Hohepriesterin scheint es nicht zu sein. Alle FlussClan-Katzen schauen sie direkt an.
»Seidenstern hat mich geschickt«, erhob die weiße Kätzin ihre Stimme. »Vielleicht erinnern einige von euch sich noch an mich. Die Hohepriesterin hat mich vor über fünfzig Monden ausgewählt, als ich noch Lichtpfote hieß. Jetzt heiße ich Lichtwasser.«
Einige der älteren FlussClan-Katzen nickten.
»Sie brachte mich auf den Heiligen Felsen«, fuhr Lichtwasser fort. »Dort riss man mir die Krallen aus, um den SternenClan zu ehren, und ich nahm meinen Platz in einer der vier Nischen ein, um Visionen zu empfangen. Danach erst erfuhr ich, wie viel Glück ich eigentlich hatte, denn der SternenClan hatte mich wahrhaftig ausgewählt. Ich war genau zum dem Zeitpunkt Schülerin, zu dem eine der Nischen leer war, weil ihr Priester sich dem SternenClan angeschlossen hat.«
Terra fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Irgendwas sagte ihr, dass die nächsten Worte dieser Kätzin entscheidend waren.
»Es tut uns allen aufrichtig leid, was mit Weises Reh geschehen ist, aber der SternenClan wollte es so. Er hat uns eine Vision geschickt, dass Schreckliches passieren würde, wenn die Heilerkatze weiterlebt. Es musste geschehen.« Ihre dunkelblauen Augen glitten über die Katzenmenge. »Es war der Wille des SternenClans.«
»War es auch der Wille des SternenClans, dass wir sterben?«, rief plötzlich Sonnenlauf.
»Natürlich nicht«, miaute Lichtwasser. »Die Diener der Hohepriesterin sollten euch nur zu ihr holen, damit sie euch genau das erklären kann, was ich soeben erklärt habe.«
»Alles Fuchsdung«, murmelte Sternenpfote.
»Warum lassen wir sie überhaupt noch reden?«, zischte Harzjäger gereizt. »Die FlussClan-Katzen glauben ihr jedes dieser verlogenen Worte!«
Terra schaute sich um. Tatsächlich hörten die Wächter der Priesterin mit leuchtenden Augen zu.
»Unsere Gäste haben die Seidensterns Einladung offenbar falsch verstanden«, fuhr Lichtwasser nun fort. »Sie sind nicht einfach nur geflohen, sondern haben sogar die zwei Diener unserer Hohepriesterin getötet!«
Ein entrüstetes Raunen ging durch die Menge.
Nun richtete der Blick der Priesterin sich nacheinander auf Braunlicht und Federfall. Erstere wirkte leicht verängstigt, während letztere die Brust herausstreckte und Lichtwasser stolz entgegen sah. »Braunlicht und Federfall, ihr habt die Ehre, die Jungen von Muschelkralle und Fluchauge auszutragen. Wenn darunter ein blinder Sohn sein wird, bringt ihn zum Steinsteg, damit er zum Diener ausgebildet wird.«
Die zwei Kätzinnen neigten respektvoll den Kopf.
»Der SternenClan ist immer bei euch«, schloss Lichtwasser und drehte sich um, um wieder im Heiligen Felsen zu verschwinden.
»Priesterin!«, rief Wolfstern mit donnernder Stimme, woraufhin die weiße Kätzin anhielt und zurückblickte. »Seidenstern hat meine Heilerin getötet! So etwas ist unverzeihlich! Ich fordere Seidensterns Leben für das von Weises Reh! Sag das deiner Hohepriesterin!«
Lichtwassers Ohren zuckten. »Ich werde es ihr ausrichten, unheilige Anführerin.« Damit verschwand sie vollends.
»Das war nur eine Warnung«, hörte Terra Schattenstern neben sich sagen.
»Wie meinst du das?«, fragte sie ihre Anführerin.
»Seidenstern hat uns gezeigt, wie viel Macht sie über den FlussClan hat«, antwortete Harzjäger ihr an Schattensterns Stelle. »Wir haben Glück gehabt, dass wir nicht zum Feind erklärt worden sind.« Seine grünen Augen funkelten besorgt. »Diese Katzen glauben alles, solange es der angebliche Wille des SternenClans ist.«
»Und was tun wir jetzt?«, wollte Sternenpfote gereizt wissen. »Jetzt, wo wir wissen, dass die Priester gar nicht im Willen des SternenClans handeln?«
»Wir können nicht viel tun«, gab Harzjäger grimmig zu. »Außer zu reden. Vielleicht gelingt es uns, einigen FlussClan-Katzen Vernunft einzureden.« Er nickte hinüber zu Regenpfote, die immer noch zitternd neben ihrem Bruder hockte. »Bei einigen könnte es klappen.«
Hoffentlich, dachte Terra. Allmählich hatte sie das Gefühl, dass wirklich nur dieser Erlöser sie alle retten konnte. Dabei hatte der SternenClan eindeutig gesagt, dass der Erlöser eine Illusion war.
Ihr Blick fiel auf Wasserflüstern und Kräuselpfote, die sich langsam zu Sonnenlauf und Sternenpfote hindurch gedrängt hatten, und ihnen nun etwas ins Ohr flüsterten. Beide Kater wandten sich sofort von der Menge ab und folgten den zwei Kätzinnen in Richtung einer Düne. Terra kniff misstrauisch die Augen zusammen. Was haben sie vor?
Nachdem sie entdeckt hatte, dass Tiefenfrost die Macht der Schatten besaß, hatte sie ihn zu Wasserflüstern und Kräuselpfote gebracht und sie hatten ihm alles erklärt. Kräuselpfote hatte gesagt, er hätte nicht gelogen, als er behauptet hatte, er wüsste nichts von diesen Mächten. Er war nur überrascht gewesen, dass er plötzlich mit den Schatten verschmelzen konnte. Wollten Wasserflüstern und Kräuselpfote Sonnenlauf und Sternenpfote von Tiefenfrost erzählen? Aber warum gehen sie dann zu den Dünen?
Terra war kurz davor, ihnen zu folgen, doch dann musste sie an Morgenjunges und Abendjunges denken. Sie waren bei dem Tumult draußen sicher aufgewacht und fragten sich, wo sie war. Kurzerhand wandte sie sich ab und machte sich eilig auf den Weg zurück zu ihren Jungen.
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