~ Kapitel 5 ~
Windwächter rannte. Er rannte, so schnell seine großen Pfoten ihn trugen. Doch er war nicht allein. Lichtufer tauchte keuchend neben ihm auf. „Kannst du noch?", fragte der Kater während er leichtfüßig über einen kleinen Baumstumpf sprang. Die weiße Kätzin tat es ihm gleich und holte auf. „Natürlich!", gab sie zum Besten. Windwächter hatte Lichtufer vor ihrem Ausflug die Lage erklärt und informierte sie weiter: „Ich kenne ein paar Katzen im SturmClan. Ihnen werden wir erzählen, dass das GeisterRudel existiert."
Es war ein heikles Unterfangen, da sie von ihren eigenen Clanmitgliedern verfolgt wurden. Elsterflügel hatte eine kleine Gruppe von Kriegern losgeschickt, um die Ausreißer einzuholen und von ihrer Idee abzuhalten. Windwächter wusste nicht wieso, aber die zweite Anführerin wollte um jeden Preis verhindern, dass die anderen Clans etwas erfuhren. Als die beiden Katzen aus dem Wald traten, kam Windwächter abrupt zum Stehen.
Sie hatten die Grenze des NebelClan-Territoriums erreicht. Vor ihnen baute sich der Orion auf und war jederzeit bereit, die Katzen wie kleine Krümel zu verschlingen. Es gähnte ein kleiner Abgrund an der Kante des Erdbodens und wartete nur so darauf, dass irgendjemand dem Ende zu nahe kam. Dann würde ein Stück des Landes abbrechen und den Pechvogel in die Tiefe stürzen. „Wir nehmen einen anderen Weg!", brüllte Windwächter seiner Wegbegleiterin gegen die stürmischen Fluten des Flusses entgegen.
Durch ein Ohrenzucken signalisierte er ihr, dem Krieger zu folgen. Windwächter bahnte sich einen Weg durch den dichten Dschungel, ohne den Fluss groß aus den Augen zu lassen. Die Katzen liefen hastig am Ufer entlang, bis sie zu einer verengten Stelle kamen. Hier war der gewaltige Orion nichts weiter als ein winziges Bächlein und die Reisenden konnten ihn problemlos zu Fuß durchwaten. Ein zweites Mal trafen sie auf Wasser. Jedoch war der Nebenarm dieses Mal deutlich mehr gespeist.
Das Wasser war zu tief, um hindurch zulaufen. Doch Windwächter gab nicht auf. Er bedeutete Lichtufer ihm zu folgen und rannte auch schon los. Kurze Zeit später kamen sie an einem modrigen Baumstamm an, der knapp über das Wasser reichte. „Es ist ein Wunder, dass der noch nicht in den Fluten versunken ist!", miaute die Kätzin ihrem Weggefährten lauthals zu. Doch Windwächter ignorierte die Aussage. Er machte sich daran, den Stamm vorsichtig zu überqueren.
Lichtufer rammte ihre ausgefahrenen Krallen in das morsche Holz, um ihren Halt zu sichern. Wirklich einfach und risikofrei sah der Weg definitiv nicht aus. Doch sie folgte ihrem Bruder widerstandslos in die gefährlichen Kreise des gegnerischen Territoriums. Die Kätzin hoffte immer noch darauf, dass Windwächter mehr Zeit mit seiner Schwester zusammen verbringen würde. Sie mochte seine Talente und immer wenn er ihr in die sturmgrauen Augen sah, fühlte sie sich in seinem Blick geborgen. Außerdem war sein graues Fell mit den hellen Wirbeln so unglaublich weich.
Windwächter miaute gedrängt: „Komm schon, Lichtufer! Unsere Chancen unbemerkt zu bleiben schwinden soeben dahin!" Die Kätzin sprang über den letzten Teil des Baumes und landete geschickt auf dem erdigen Boden. „Nun sind wir also wirklich in feindlichem Gebiet. Hier ist das Territorium des SturmClans", meinte Lichtufer ein wenig angewidert. „Komm weiter und rede nicht so viel!", miaute der große Bruder und begann in den Wald zu hetzen.
Nach einer Weile kamen die Beiden endlich vor dem Lager des SturmClans an. Windwächter bedeutete seiner Schwester leise zu sein und schlich sich um die Abgrenzung des Lagers. Diese war mit vielen kleinen Stöcken gefüllt und zwischendrin ragte immer mal wieder ein riesiger Waldriese empor. Lichtufer wurde zu einem kleinen Loch in der Barriere gelotst. Große Blätter verdeckten die dünne Luke von beiden Seiten. Windwächter schlüpfte schon fast hindurch, als seine Schwester zum Stehen kam.
Er blickte sich kurz und bedächtig auf dem großen Platz vor den einzelnen Bauten um und kroch schließlich komplett hindurch. Lichtufer folgte ihm zugleich. Die Geschwister liefen hinter einen dicken Baumstamm, der etliche Katzensprünge in die Höhe ragte. Lichtufer's Bruder schmiegte sich an einen Rankenhaufen und schob ihn mit dem Schwanz vorsichtig vorbei. Die schneeweiße Kätzin wunderte sich darüber, wie gut ihr Bruder sich im fremden Gebiet auskannte, oder er riet sich alles zusammen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, lugte Lichtufer durch das kleine Loch, das Windwächter geschaffen hatte. Dort unten saß ein gewaltiger dunkelbraun bis beige marmorierter Kater und ein klitzekleines Fellknäuel schmiegte sich an ihn. Als der Große die Anwesenheit der Fremden bemerkte, drehte er sich schlagartig um und strahlte über das gesamte Gesicht. „Windwächter! Wie schön dich mal wieder zu sehen. Und du hast Begleitung dabei!", erklang seine freudige Stimme. Der Krieger antwortete nur ernst: „Lichtufer, meine Schwester! Wir haben allerdings nicht viel Zeit! Seelensturm, das GeisterRudel ist wieder da!"
Der Blick des Ältesten wirkte erschrocken und für einen winzigen Augenblick spiegelte sich die pure Angst in den bernsteinfarbenen Augen wieder. Der gigantische Kater nickte erstarrt und verabschiedete die Besucher knapp. Windwächter bedankte sich und rannte mit seiner Schwester davon. Nun war es schwarz auf weiß. Das GeisterRudel wurde damals nicht für immer verbannt, sondern nur vertrieben. Das war eine furchtbare Nachricht. Plötzlich spürte der Älteste eine leichte Berührung an seiner Tatze.
Traumjunges stand gespannt auf seiner gewaltigen Pranke. Sie wirkte wie sein winziges Blättchen in einem riesigen Urwald. Im Gegensatz zu ihr war Seelensturm definitiv der gigantische Wald. Das Junge war winzig und er war der größte Kater, den der Clan je gesehen hatte. „Was ist dieses GeisterRudel?", fragte die Kleine neugierig. Seelensturm legte sich auf den Boden, damit das Junge wenigstens eine Chance hatte, ihm ins Gesicht zu blicken und schnurrte: „Soll ich dir die Geschichte erzählen?" „Jaaa!", miaute Traumjunges und setzte sich aufgeregt vor den gewaltigen Kater.
Der Älteste begann langsam zu erzählen: „Also, Traumjunges. Die Geschichte, die ich dir jetzt erzählen werde, ist nichts für so kleine Katzen wie dich. Du musst sofort Bescheid geben, wenn es zu brutal wird. Hast du mich verstanden?" Die junge Kätzin nickte aufgeregt und machte es sich bequem. Seelensturm fuhr fort: „Das GeisterRudel ist ein Rudel ohne Gnade. Es ist eine uralte Legende, die ich dir erzähle. Manche sagen, es ist ein Mythos, der nie wahr gewesen ist." „Ist er denn wahr?", sah Traumjunges den Ältesten fragend an.
„Äh, das weiß niemand", wich der Kater aus, „Auf jeden Fall haben diejenigen, die in dieser Gruppe sind, keine Kontrolle über ihr Verhalten. Ihr Geist wird von der düsteren Macht und dem Einfluss des Rudels durchströmt und die befallenen Katzen können sich nicht mehr wehren. Sie sind dem Alpha verfallen und müssen tun, was er befielt. Im GeisterRudel gibt es außerdem verschiedene Positionen und Aufgaben, die von den einzelnen Rängen erfüllt werden müssen." Traumjunges schien sich nach dieser Geschichte zu sehnen und gruselte sich kein bisschen.
Seelensturm erklärte behutsam weiter: „Der Anführer des Rudels ist der Alpha. Er gibt die Anweisungen. Immer um Neumond herum erwachen die Katzen des GeisterRudels und töten genau eine Katze, die somit in das Rudel aufgenommen wird. Nichts davon geschieht freiwillig. Die Mitglieder unterliegen einem schrecklichen Fluch, der sie daran hindert, sich an sich selbst zu erinnern, zurück zu wollen, oder gar heraus zu kommen. Wenn du einmal im Rudel bis, gibt es kein Entrinnen mehr!"
Der Älteste machte eine kleine Pause und wurde sofort von seinen scheußlichen Erinnerungen heimgesucht und geplagt. Er wusste mehr, als alle anderen Katzen. Er wusste, wie es wirklich war. Niemand außer ihm hatte das GeisterRudel hautnah miterlebt. „Weiter, weiter!", drängelte die ungeduldige, kleine Kätzin.
„Na gut. Den Alpha kennst du jetzt ja schon. Dadurch, dass im Rudel keine Nachkommen gezeugt werden können, müssen die Mitglieder anderweitig Wege finden, neues Blut einzuschleusen. Also geht die Gruppe auf Jagd. Doch sie fressen ihre Beute nicht, nein. Es ist viel schlimmer. Die Opfer der Jagd sind Katzen. Lebendige Katzen, die sich das Rudel gewaltsam einverleibt."
Es kostete Seelensturm viel Kraft davon zu sprechen und Traumjunges wurde immer gespannter. Angst schlich dem Ältesten wie eine winzige Schlange über den riesigen Rücken, wenn er nur daran dachte. Immer wieder schossen ihm einzelne Szenarien durch den Kopf, wie weite Ebenen, die voll mit blutenden Leichen waren, die andere leblose Körper berührt hatten.
„Nun ja, um zu jagen braucht man eine gute Taktik und die des GeisterRudels war sehr ausgefallen. Wenn man einmal ins Visier genommen wurde, hatte man keine Chance zu entkommen. Denn sobald die Kundschafter ein Opfer gewählt haben, beginnt die elendige Jagd des GeisterRudels. Die Treiber fangen schließlich an, das Opfer schreckliche Albträume haben zu lassen, wodurch es langsam aber sicher wahnsinnig wird und verzweifelt. Von den Albträumen geplagt und den Angreifern gehetzt, rennt die gewählte Katze schließlich in den Wald, ohne es zu wollen. Selbst wenn man sich dagegen wehrt, hat es keinen Zweck. Zum Schluss treten die Angreifer dem Opfer in einer rauchartigen Gestalt entgegen und jeder von ihnen beißt die ausgewählte Katze genau einmal. Somit verblutet sie und wird kurze Zeit später von Rauch umhüllt. So kommt das Opfer dann ins GeisterRudel.", beendete Seelensturm seine Geschichte leichtfüßig und sah Traumjunges ernst an, „Doch das sind nur Geschichten. Das GeisterRudel existiert nicht und wird es auch niemals."
Das Junge starrte ihn verwirrt an und meinte komplett baff: „Uihh!" Der Älteste rückte ganz nah an die Kleine heran und miaute: „Doch bitte vergiss eines nie. Wenn du jemals eine befallene Katze finden solltest, dann denke an meine Worte. Du darfst die tote Katze unter keinen Umständen anfassen! Hast du mich verstanden?" „Ja!", antwortete Traumjunges energisch und fragte hinterher: „Warum hat dein Freund dann gesagt, dass es da ist?"
„Windwächter wollte uns bestimmt nur Angst einjagen", log Seelensturm. Der Kleinen stand das Maul ein wenig offen und sie fragte ein letztes Mal weiter: „Hast du denn Angst?" Ohne seinen Blick von den großen verschiedenfarbigen Augen der Kätzin zu nehmen, antwortete er mit fester Stimme: „Ja."
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Hello,
wie hat euch das 5. Kapitel von Löwenjunges gefallen?
Ich wollte einer Person ganz herzlich danken. @Wo1fsblut hat dieses wunderschöne Bild gemalt, wo Seelensturm und Traumjunges zusammen im Ältestenbau sind. Echt Wahnsinn!
Ich freue mich immer über Fan Art und ein riesen großes Lob an dieser Stelle an Wolfie! Thanks! ^~^
~Löwi~
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