
Funkenpfote
Der Schmerz war überall. Im Kopf. In den Beinen. Im Bauch und am Rücken. Sie konnte nichts anderes wahrnehmen als diesen Schmerz. Ihr linkes Hinterbein war am schlimmsten. Es fühlte sich seltsam an. Die Schmerzen brachten sie beinahe um den Verstand. Was war passiert? Wo war sie? Sie versuchte sich zu bewegen und jaulte vor Pein laut auf. Nicht einmal eine Pfote konnte sie heben, ohne dass es sich anfühlte, als würde sie auseinandergerissen werden. Unglaublich schweres Gewicht lastete auf ihrem Körper. Scharfkantiges Gestein bohrte sich in ihre Schultern, in ihren Rücken. Sie wimmerte laut. Es tat so weh! Sie schmeckte Blut in ihrem Maul. Ihren Schweif konnte sie nicht einmal spüren. Wo war oben? Wo war unten?
Immer wieder verlor sie das Bewusstsein. Jedes Mal, wenn die willkommene Dunkelheit sie zurück in die Wirklichkeit schickte, presste der Schmerz ihre Lunge zu und sie glaubte, an den Qualen ersticken zu müssen. Staub und Dreck drang in ihre Augen, in ihre Nase, in ihre Ohren, ihren Mund. Sie würgte und hustete. Etwas über ihr bewegte sich. Der Felsen auf ihrem linken Hinterbein ebenfalls. Funkenpfote riss den Mund zu einem stummen Schrei auf und verlor erneut das Bewusstsein.
Als die Schmerzen sie erneut weckten, hörte sie Scharren und Rufen aus weiter Ferne. Funkenpfote winselte laut, mehr konnte sie nicht zustande bringen. Ihre Brust fühlte sich an wie ein Trümmerhaufen, ihre Lunge wurde von dem Gewicht der Felsbrocken schier erdrückt. Ihr war übel und sie rang nach Luft, doch sobald sie ihr Maul öffnete, drangen mehr und mehr kleine Steine, Dreck und Staub in ihre Kehle. Ich will nicht sterben! Helft mir doch! Funkenpfote spürte, wie sie allmählich erstickte. Der Druck auf ihrer Brust wurde stärker und stärker. Ihre Augen fühlten sich an, als würden sie aus ihrem Kopf quellen. Knochen blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Hätte er es nur geschafft, sie zu zu töten. Das hier war tausendfach schlimmer. Dunkelheit begann sich über ihre Gedanken zu legen. Der Schmerz wurde dumpfer, geriet in den Hintergrund. Ihr Körper fühlte sich leichter und freier an. Es war herrlich.
Mit einem gewaltigen Ruck kamen die Schmerzen zurück. So gewaltig und heftig, dass Funkenpfote erneut bewusstlos wurde.
„Funkenpfote! Funkenpfote, hörst du mich? Funkenpfote!" Dieses Mal konnte Funkenpfote die Worte verstehen. Die Schmerzen waren immens, doch der Druck und die gewaltige Last der Geröllmassen hatten sich in Luft aufgelöst. Es dauerte noch einige Herzschläge bis sie in der Lage war, ihre Augen zu öffnen. Sie musste einige Male blinzeln, um den Staub und Dreck loszuwerden, doch dann sah sie endlich ein vertrautes Gesicht. Wolkensturm. Der loyale Krieger sah erleichtert auf sie hinab. "Du bist wach! Ich dachte schon, der SternenClan hat dich geholt..." Funkenpfote hustete. "Noch... nicht...", krächzte sie und schaffte es sogar, ein kleines Lächeln zu zeigen. "Komm, ich helfe dir", miaute er leise und packte sie sanft am Nackenfell. Funkenpfote jaulte auf, als sie ihr linkes Hinterbein bewegen wollte. Sofort ließ Wolkensturm wieder los. "Alles in Ordnung? Dein Bein ist gebrochen, du kannst auch hier liegen bleiben und ich gebe den anderen Bescheid, dass du hier bist.", fragte Wolkensturm besorgt, worauf Funkenpfote den Kopf hob und sich umsah. Dicke Staubschwaden stiegen gen Himmel. Es war schwer, viel zu erkennen, doch genug, um festzustellen, dass sie auf einem gewaltigen Felshaufen standen. Der gesamte Gipfel lag unter ihnen. In tausende Felsen zersprungen. Am Fuß des Hügels konnte Funkenpfote zwei katzenartige Schemen erahnen. "Wo sind die anderen?", keuchte sie bestürzt und suchte panisch die Umgebung nach weiteren Katzen ab. Doch sie fand keine. Wolkensturm drückte sich fürsorglich an sie. "Ich glaube, Falkenflug und Brandpelz sind die einzigen außer uns, die es geschafft haben", flüsterte er traurig.
Betäubt und geschockt stand Funkenpfote da. Ihre Gedanken rasten. Ihre Schwester... war ... tot? Kälte stieg in ihr auf, umschlang ihr Herz wie die Krallen eines Adlers. Ihre Augen brannten. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Zu schnell. Zu unkontrolliert. Sie zitterte. Ihr Kopf war leer, ihre Sinne dumpf. Sie spürte, wie Wolkensturm sie langsam vom Hügel hinunterführte. Die Schmerzen schienen so weit weg, so belanglos.
Nebelpfote ist tot. Weg. Für immer. Funkenpfote war verwirrt. Es ging schlichtweg nicht in ihren Kopf. Himmelssturm war tot. Der unbesiegbare Himmelssturm. Der Riese. Der Anführer ihres Clans. Der Kater, der sie alle vor den Hunden gerettet hatte. Der Kater, der ihnen Sicherheit und Führung gegeben hatte, als sie alle hoffnungslos verloren waren. Der Kater, der die Clans gegründet und unangefochten angeführt hatte. Tot. Weg. Für Immer. Auch das wollte ihr Verstand nicht begreifen. Das war einfach nicht möglich.
Irgendwann waren sie am Fuß angekommen. Falkenflug und Brandpelz hatten ebenfalls große Wunden. Falkenflugs rechte Kopfhälfte war über und über von Blut bedeckt, was an einem riesigen Schnitt quer über der Stirn lag. Ihre Beine waren aufgeschürft und bluteten stark. Ihr Schweif war seltsam verknickt und sie hatte das rechte Vorderbein, das ebenfalls zahlreiche tiefe Schnittwunden davon getragen hatte, weit von sich gestreckt. Die sonst so wunderschöne Kätzin lag am Boden und hatte die Augen gequält zusammengekniffen. Ihre Flanken hoben und senkten sich in schnellem Takt. Brandpelz saß neben ihr und wachte über die junge Kriegerin. Er war bei weitem nicht so stark verwundet. Sein sonst so schwarzes Fell war hell und vom Staub verklebt, doch die einzige Wunde, die Funkenpfote erkennen konnte, war eine riesige Schürfwunde an der Schulter. Wolkensturm ließ sie los und legte sich ebenfalls entkräftet auf den platt gefegten Boden. Auch er hatte eine riesige Schürfwunde entlang der Wirbelsäule, außerdem waren sein Hals und seine Schultern völlig zerschnitten, wahrscheinlich durch Felsensplitter. Sein Um sein Maul blutete er stark. Wie sie die drei Kater so sah, völlig zerschlagen und der traurige Rest der einst so stolzen Patrouliie, kamen ihr die Tränen. Sie zerrte sich zu Wolkensturm und suchte Schutz an seiner Flanke. Zitternd und schluchzend schloss sie die Augen vor der grausamen Welt. Spürte den dumpfen Herzschlag des Kriegers, der sie aus den Trümmern befreit hatte. Hörte das pfeifende Keuchen von Falkenflug. Spürte Brandpelzs starke Präsenz. Wenigstens für diesen Moment fühlte sie sich nicht allein. Vielleicht sogar sicher. Schließlich erlaubte sie ihrem Körper einzuschlafen. Wolkensturm würde sie beschützen.
Klack.Klack.
Sofort schlug Funkenpfote panisch die Augen auf. Das Rollen von Steinen. Wie beim Bergfall. Ihr Herz drohte zu zerspringen. Ihr Blick suchte panisch nach der Ursache. Und sie fand sie. Und ihr wurde schlecht.
Knochen.
Der riesige Schildpattkater stand am Gipfel des Geröllhaufens. Seine Shiloutte warf einen schaurigen Schatten in die Staubwolken, die Morgensonne ließ sein dichtes Fell aufleuchten, als wäre es Feuer.
"Sieh an, sieh an. Es gibt Überlebende." Das knöchrige Kichern wurde von den Bergen wie ein Echo zurückgeworfen. Funkenpfote bekam keine Luft mehr. Neben Knochen schritt eine andere Katze die Trümmer hinab. Schwarzroter Pelz. Ein rekonstruiertes Bein. Nebelpfote.
Funkenpfote wurde schwindelig. Die Welt drehte sich um sie, entzog ihr den Halt unter den Füßen. Unkontrolliert bebend presste sie sich an Wolkensturm, der sich aufgerichtet hatte und die Neuankömmlingen überrascht beobachtete. Das Klacken kleiner Kiesel wurde lauter. Knochen und Nebelpfote kamen näher. "Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so viel Glück habt. Wirklich erstaunlich." Knochens Kichern war wie Mäusegalle in Funkenpfotes Maul. Sie schmeckten widerwärtig und faulig. "Euer Anführer hatte leider nicht so viel Glück."
Funkenpfote schnappte nach Luft. Bekam keine Luft mehr. Ihre Augen waren so geweitet, dass sie brannten. "Himmelssturm.. ist tot?", winselte Wolkensturm bei der todsicheren Feststellung des Streuners und auch Falkenflug fiepte. "Bist du dir sicher?" Wolkensturm wollte offensichtlich nicht glauben, was er da hörte. Sein Miauen war erstickt und zitternd. Knochen sprang vom letzten Brocken und landete wenige Katzenlängen vor ihnen. Seine gewaltigen Eckzähne blitzten in der Sonne, als er breit grinste. "Natürlich. Ich habe mich dem selbst vergewissert." Funkenpfote konnte ihren Blick nicht von der Tasche lenken, die Knochen um seine Schulter gewickelt hatte. Der Boden des Stoffs war tiefrot gefärbt. Eine klebrige, rote Flüssigkeit tropfte heraus und kam platschend auf der Erde auf. Der Geruch von Blut erfüllte die Luft. Dick und erdrückend. Erneut überkam Funkenpfote der Würgereflex. Was war in dieser Tasche? Warum konnte sie auf einmal den Duft ihres Anführers erhaschen? Ihr Blick glitt zu ihrer Schwester. Sie saß aufrecht, unversehrt und emotionslos neben Knochen, der nun einen weiteren Schritt auf sie zu kam. Sein Grinsen war verschwunden, stattdessen hatte Ernst und Mordlust sich auf seinem Gesicht breitgemacht. "Hört zu, Clankatzen. Euer Anführer ist tot. Ihr habt zwei Möglichkeiten. Dient dem neuen Anführer oder sterbt hier."
"W..Was?" Wolkensturm kam etwas wackelig auf die Beine. Sein Fell war gesträubt. "Dohlenkralle?" Knochen spuckte verächtlich aus und hob drohend eine Lefze. "Der wird sich auch noch unterordnen müssen. Ich spreche von Silberblick. Versprecht ihm eure Treue oder ich werde euch töten. Oder besser gesagt: Meine Freunde hier werden das für mich übernehmen"
Funkenpfote wünschte sich verzweifelt, ihr Bewusstsein zu verlieren, als drei gewaltige Kreaturen auf dem Trümmerhaufen erschienen. Wimmernd drückte sie sich an Wolkensturm. "Was sind das für Wesen?", flüsterte sie erstickt und konnte den Blick nicht von den wuchtigen Körpern lösen, die nun schwerfällig die Gesteinsbrocken hinab getrottet kamen. "B..B..Bären", war die Antwort des Kriegers und die Todesangst in seiner Stimme ließen Funkenpfote alle Hoffnung verlieren. "Ihr seht also, es wird mir keine Probleme bereiten , euch zu töten." Das Grinsen war wieder da. Das vernarbte Auge leuchtete jetzt stärker, als es Funkenpfote jemals gesehen hatte. Dieser rote Schein spiegelte sich in den kleinen Augen der riesigen Bären wieder, als sie mit einem gewaltigen Stampfen auf dem Boden aufkamen und sich langsam auf die Katzen zu bewegten. Ihre Blicke waren leer und mechanisch. Ihre Augen waren feuerrot und leuchten so unheilsvoll wie Knochens. "Und?", knurrte Knochen nun, er klang langsam ungeduldig. "Es könnte bald eine Patouille von eurem DrecksClan kommen. Bis dahin muss das hier erledigt sein." Die Bären schoben sich an Knochen und Nebelpfote vorbei und wiegten ihre mörderischen Köpfe langsam hin und her.
Brandpelz war der Erste. Wortlos wie immer und den Kopf stolz erhoben schritt er auf die Bären zu. Auf das Nicken von Knochen hin ließen die Bären ihn hindurch, sodass er sich neben Knochen setzen konnte. "Gute Entscheidung", kicherte dieser und sah die restlichen Katzen auffordernd an. Falkenflug schien nicht einmal geistig anwesend zu sein. Sie lag auf der Seite, schwer atmend und vor sich hin blutend. Bewegte sich nicht, als wäre sie bereits tot. Also blieben nur noch Funkenpfote und Wolkensturm übrig. Ihr Kopf war leer. Ihr Körper steif und bewegungslos. Ihre Gedanken funktionierten nicht. Doch ihre Sinne taten es.
Ihre Ohren hörten, wie Wolkensturm knurrte und sagte, er würde niemals dem Mörder seines Anführers gehorchen. Wie er Knochen einen dreckigen Verräter nannte.
Ihre Augen sahen, wie Wolkensturm sich auf Knochen stürzen wollte. Sahen, wie ein Bär ausholte und mit seiner Pranke den Kopf des Kriegers auf den Boden donnern ließ. Sahen, wie der zweite Bär sein Maul aufriss und seine Hauer den gesamten Rumpf des Katers umschlossen. Sahen, wie Blut spritzte. Sahen, wie Wolkensturm das Maul aufriss und Blut spuckte. Sahen, wie der dritte Bär den Kopf packte und ...
Ihre Nase roch das frische Blut.
Funkenpfote wirbelte herum und ergriff die Flucht. Ihr gebrochenes Bein zog sie hinter sich her. Die Schmerzen merkte sie kaum. Die Angst überrollte alles. Jeder einzelne Überlebensinstinkt feuerte ihren Körper an, schossen Energie in ihre Beine, wo eigentlich keine mehr war. Pumpten Luft in ihren Körper, wo eigentlich keine mehr war. Pfoten trommelten hinter ihr. Holten auf. Verzweifelt versuchte Funkenpfote schneller zu werden. Ihre Beine trugen sie am zerstörten Berghang vorbei, ließen sie auf einen Felssims springen und in eine kleine Felsspalte schlüpfen. Ihr Atem ging zu schnell. Ihr Herz schlug zu schnell. Ihr gebrochenes Bein stieß an Felsen, Felswände. Funkenpfote heulte gequält auf. Rannte weiter. Sie spürte Atem in ihrem Nacken. Glitt unter einem Felsvorsprung hindurch und stürzte in eine Felsspalte. Schmerz schoss durch ihr Beine, ihr Kopf schlug an etwas Hartem auf. Ihr Bewusstsein entglitt ihr. In den letzten Sekunden ihres Lebens konnte sie noch den Pelz von Brandpelz weit über ihr erkennen. Er sah zufrieden aus. Sie würde hier unten sterben. Er drehte um und verschwand.
Dunkelheit umfing sie sanft. Wiegte sie in Schmerzlosigkeit und Leere. Ein tiefer Seufzer entglitt ihrer Brust, als all die Last des irdischen Lebens von ihr abließ und sie frei schweben ließ. Keine Schmerzen. Keine Trauer. Keine Panik. Keine Gefühle. Keine Gedanken. Alles wurde schwarz.
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