(Nebeljunges) III
Nebeljunges fluchte leise. Dieser Wald war viel zu dunkel, um sich zurechtzufinden. Zudem kroch ihm der Nebel langsam ins Fell und verwirrte seinen Kopf. Er schüttelte sich erleichtert, als er einen bekannten Baum entdeckte. Die Krallenspuren darin erinnerten ihn noch zu gut daran, was hier geschehen war. Nebeljunges richtete sich auf und blickte nervös über die Schulter, als ihm einfiel, was das auch hieß. Schnell trabte er weiter, einem unscheinbaren Pfad ins finstere Unterholz folgend.
Die Dornenranken bildeten eine Art Tunnel und ließen beinahe nichts von dem eh schon so spärlichen Licht hindurch, sodass Nebeljunges fast schon in kompletter Dunkelheit wandelte. Erschöpft ließ er den Kopf hängen, als sich die Finsternis langsam lichtete und den Blick auf einen kleinen, offenbar selbstgebauten Unterschlupf freigab. Die Äste, die das kleine Dach über der Erdkuhle bildeten, waren zwar trocken, aber so alt, dass sie fast schon vom Ansehen zerbrachen. Nebeljunges schleppte sich darauf zu, zwängte sich durch den Eingang und ließ sich neben seiner Mutter und seiner Schwester nieder. Erstere hob langsam den Kopf.
»Nichts gefangen?«, miaute sie rau.
Nebeljunges schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht ertragen, ihr in die Augen zu blicken. Der kleine Kater presste sich an ihr weiches, weißes Bauchfell. Seine Mutter schnurrte leise und leckte ihm über den Kopf. »Ist gut, Kleiner. Keine Sorge. Ich bin mir sicher, deine Schwester fängt etwas.« Natürlich tut sie das. Dunkeljunges fängt immer etwas. Das waren seine letzten Gedanken, bevor er in einen traumlosen Schlaf fiel.
Als Nebeljunges seine Augen wieder öffnete, war das erste, was er spürte, das Fell seiner Mutter an seiner Wange. Er schnurrte leise, bevor er sich, so gut es eben in dem kleinen Unterschlupf ging, streckte und aufrichtete. Moorjunges war nicht mehr an der Seite ihrer Mutter. Die Kätzin saß vor dem Unterschlupf und starrte mit nahezu ausdrucksloser Miene ins Unterholz, dass sich jenseits der Lichtung erstreckte.
»Ist Dunkeljunges noch immer nicht zurück?«, fragte Nebeljunges und ließ sich neben seiner großen Schwester nieder. Diese sah ihn kurz an, bevor sie ihren Blick wieder in die Ferne richtete. »Nein.« Der Kater spitzte die Ohren. »Glaubst du, ihr ist etwas passiert?«
»Negativ. Und selbst wenn, sie ist zäh. Sie schafft das schon.« »Also, was schlägst du vor, was wir tun?«, fragte Nebeljunges. Moorjunges stand auf und schüttelte sich Leuchtmoosfetzen aus dem Fell. »Ich weiß nicht. Warten?«, sie wandte sich zu dem Kater um, bevor selbiger etwas erwidern konnte, »Ich weiß, sie ist unsere Schwester, aber ich würde dir trotzdem tunlichst davon abraten, sie zu suchen. Du weißt selbst, wozu der Wald fähig ist.« Mit einem schnippen ihres Schweifes deutete sie auf die noch nicht ganz verheilte Wunde, die ihre eigene Flanke zierte. Nebeljunges senkte den Kopf. »Sicher.« »Außerdem«, fuhr Moorjunges fort, »ist die Verirrungsgefahr hier riesig, das weißt du genauso gut wie ich.« Damit war das Gespräch für die graubraune Kätzin anscheinend beendet.
Nebeljunges seufzte und richtete die hellblauen Augen gen Himmel. Oder zumindest dahin, wo er den Himmel vermutete. Falls es ihn überhaupt gab, denn so herrliche Dinge, wie ihre Mutter über den Himmel erzählte, konnten ja gar nicht stimmen. Dichte Nebelschwaden hatten sich in den Baumkronen festgesetzt. Wenn er nichts zu tun hatte, konnte er genauso gut sein Glück in der Jagd versuchen. In den Baumkronen war die Gefahr denkbar gering, einer Schattenbestie zu begegnen.
Nebeljunges krallte sich in die Rinde des nächsten Astes und zappelte einen Moment hilflos mit den Hinterbeinen in der Luft, bevor er sich hochziehen konnte. Hier, etwas mehr als zwei Unterschlupfhöhen über dem Boden, war der Nebel um einiges dichter als im Unterholz. Der Kater konnte kaum etwas erkennen. Der Ast unter ihm federte auf und ab, während Nebeljunges ums Gleichgewicht kämpfte. Vielleicht war das doch keine gute Idee, schoss ihm durch den Kopf, bevor der Ast plötzlich nach unten sackte und mit ihm zusammen drohte, in die Tiefe zu stürzen. Ganz sicher keine gute Idee... Dann gab der Ast endgültig nach. Der Wind rauschte in Nebeljunges Ohren und er kniff die Augen zusammen. Der Aufschlag nahm ihm für eine Sekunde die Luft zum Atmen. Ein lautes Knacken ließ ihn jedoch wieder hochschrecken. Der Baumstamm über ihm neigte sich bedrohlich über ihm. Erschrocken sträubte sich das Fell des Katers und er machte gerade noch rechtzeitig einen Hechtsprung zur Seite, bevor ihn daas herabfallende Holz erschlagen konnte. Erschöpft schloss er die Augen.
»Hey, aufwachen.« Nebeljunges kniff die Augen zusammen. Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor... war das nicht Dunkeljunges? Er fuhr hoch. Und tatsächlich war es seine Schwester, die ihm gegenüberstand. Ihre violetten Augen verengten sich. »Was machst du denn hier?«, fragte er. »Das könnte ich dich genauso fragen«, erwiderte sie nur. »Und um deine Frage zu beantworten: Ich war jagen. Außerdem hast du Glück, dass dich niemand anderes gefunden hat. Hier ist ein Schattenkreaturenbau ganz in der Nähe. Und jetzt hilf mir mal.« Die schwarze Kätzin ließ ihm keine Chance, nachzuhaken. Nebeljunges rappelte sich auf. Wie er zu seinem Schrecken feststellte, war ein Ast des gestürzten Baumes fast direkt neben seinem Nacken eingeschlagen. Er schluckte. Dann erinnerte er sich daran, was Dunkeljunges gesagt hatte. »Wobei soll ich dir denn helfen?« Die Kätzin nickte in Richtung eines Kadavers, der beinahe doppelt so groß war wie sie. »Also hast du was gefangen?« Dunkeljunges antwortete nicht, stattdessen wuchtete sie sich den Kadaver auf die Schulter. Schnell schob sich Nebeljunges neben sie und nahm ihr einen Teil des Gewichtes ab. Schweigend machten sich die beiden auf den Rückweg zu ihrem Unterschlupf.
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