(Falkenschwinge) II
Abwesend starrte Falkenschwinge auf das Lager. Es war heiß, die Sonne stand hoch am Himmel, doch das Laubdach des Baumes, auf dessen Ast er saß, spendete Schatten und Kühle.
Das Lager wuselte geschäftig. Distellicht führte gerade eine Patrouille in den Wald. Bärenfeuer gab sich mit ihrer Wurfgefährtin, Feuerlied, die Zunge. Spinnenpfote und Froschpfote spielten vor der Kinderstube mit Nelken- und Ahornjunges, den Jungen von Bergregen. Das könnten meine Jungen sein. Schmerzhaft schnitt der Gedanke in sein Herz.
Seit Weißbrises Tod war nicht einmal ein halber Mond vergangen, und doch schien es, als würde sich niemand daran erinnern, dass sie mal ein Mitglied des Clans war. Sie erinnerten sich vermutlich nur noch an das verwundete Einzelläufer-Junge, das während eines Sturmes verwundet zurückgelassen und von Kriegern des FunkenClans gefunden wurde. Dem derzeitigen Heiler, Minzsturm, war es gelungen, sie vor dem so sicheren Tod zu retten und sie wurde mit ihren damaligen sechs Monden in den Clan aufgenommen. Ein Kreischen ertönte. Erschrocken und in seiner Gedankenkette unterbrochen richtete sich der braune Kater auf, aber es war nur Nelkenjunges, der von seiner Wurfgefährtin in einem Scheinkampf besiegt worden war. Falkenschwinge seufzte erleichtert, aber sein Herz schmerzte nur noch mehr beim Anblick der fröhlich spielenden Jungen und der stolzen Mutter, die sie von weiter weg beobachtete.
»Falkenschwinge?« Der Klang von Goldfeders Stimme ließ den Kater hinunterspähen. Die cremefarbene Kätzin stand am Fuß des Baumes, auf dem sich Falkenschwinge befand, und wedelte auffordernd mit dem Schweif. Der Kater nickte knapp und machte sich auf den Weg nach unten. Die orangefarbenen Blätter des Laubbaums schlugen ihm ins Gesicht, während er die Äste hinuntersprang. Unten angekommen schüttelte er sich und verbarg den Schmerz in seiner Stimme. »Was gibt's, Goldfeder?« Besagte Kätzin sah ihn misstrauisch an. »Geht es dir gut?«
»Na sicher doch.« Goldfeder seufzte. »Du kannst es nicht ewig verstecken, Falkenschwinge«, miaute sie eindringlich, »Alle sorgen sich um dich.« Wut wallte in Falkenschwinge auf. »Ach, um mich sorgen sie sich, aber als Weißbrise starb, haben sie nicht mal mit den Ohren gezuckt?«, fauchte er. »Du weißt genau, dass das nicht stimmt.« Falkenschwinge legte die Ohren an. »Natürlich stimmt es! Sieh dir den Clan doch mal an.«
»Das Leben geht weiter, Falkenschwinge! Es bringt nichts, traurig in der Ecke zu hocken, während überall Gefahren lauern.« Bedrückt schüttelte Goldfeder den Kopf. Der Kater richtete den Blick auf den Boden und ließ den Schweif hängen. »Du hast Recht... Tut mir leid, Goldfeder.« »Es ist in Ordnung. Weißt du, ich vermisse Weißbrise auch«, die Kätzin richtete den goldenen Blick gen Himmel. »Sie war wie eine Schwester für mich.« Sie sah ihn wieder und Falkenschwinge versank beinahe in ihren honigfarbenen Augen. »Bitte versprich mir, dass du nicht aufgibst, in Ordnung?« Falkenschwinge seufzte, dann lächelte er wehmütig. »In Ordnung.«
Die Sonne senkte sich über den Horizont, als Falkenschwinge und seine Grenzpatrouille, bestehend aus Petersilienzunge, seinem Schüler Froschpfote, Flammenschein (ohne ihre Schülerin, da sich Glühpfote noch immer im Heilerbau befand) und Rotsee, das Lager verließen. Der Wind hatte aufgefrischt und dunkle Wolken verbargen den feuerroten Sonnenuntergang. In einer Wolkenlücke konnte Falkenschwinge einzelne Sterne am dunklen Firmament entdecken, und hoffte inständig, dass es Weißbrise im SternenClan gut ging. Rotsee, der neben ihm hertrottete, schüttelte sich. »Sieht so aus, als zöge ein Sturm herauf.« Falkenschwinge hinterfragte den älteren Krieger nicht. Auch Flammenschein sah zum Himmel. »Rostblüte hat sich schon den ganzen Tag beschwert. Von wegen sie müsse vor dem Sturm noch genügend Kräuter sammeln – und hat prompt Flickenohr losgeschickt.«
»Aber bei Sonnenhoch schien doch noch die Sonne, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen«, warf Falkenschwinge verwirrt ein. Flammenschein zuckte mit den Ohren.
»Sie hat so ein Gespür dafür«, erwiderte sie knapp.
Anscheinend war für die Kätzin das Gespräch damit beendet. Falkenschwinge ließ sich etwas zurückfallen, bis er neben Petersilienzunge lief. »Nimm's ihr nicht übel«, murmelte der. »Sie macht sich immer noch Sorgen um Glühpfote.« Falkenschwinge nickte bedächtig. »Geht es ihr denn inzwischen besser?«, fragte er. »Also, Glühpfote.« Petersilienzunge neigte den Kopf. »Die Wunden sind schon lange verheilt, aber ihr Bein macht immer noch Probleme. Es heilt nur langsam.« Der braune Kater nickte wieder.
Schweigend lief die Patrouille weiter, Falkenschwinge hatte sich wieder an die Spitze gesetzt, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, bis sie die Grenze zum WisperClan erreichten. Selbst Froschpfote, der sonst voller Energie war, schien abwesend. Der Wind, der am Anfang kaum bemerkbar war, zerrte nun an ihren Pelzen und ließ die Baumkronen rauschen. Als sie gerade die Viertel-Grenz-Marke erreicht hatten, fing es auch noch an zu regnen. Schwer hing die Wolkendecke über dem Wald, ab und zu ertönte Donnergrollen oder ein Blitz erleuchtete den Sturm. Falkenschwinge kniff die Augen zusammen. Immer wieder floss Wasser hinein. Sein Pelz war schon durchtränkt. Er konnte seine Clanmitglieder durch die strömenden Regenfäden fast nicht mehr erkennen. Neben ihm tauchte die Flanke von Petersilienzunge auf, der plötzlich stehen geblieben war.
»Wir müssen uns einen Unterschlupf suchen und den gröbsten Sturm abwarten!«, jaulte er. Rotsee nickte zustimmend. »Die Geruchsmarkierungen werden durch den Regen eh weggeschwemmt.« Froschpfote mischte sich ein. »Nicht weit von hier kenne ich eine Höhle, dort können wir uns unterstellen.« »Gut, Froschpfote, könntest du uns hinführen?«, miaute Flammenschein neben Falkenschwinge. Erschrocken zuckte der braune Kater zusammen. Er hatte sie gar nicht bemerkt. Froschpfote nickte ernst. »Ja.« »Gut, bleibt dicht zusammen! Sonst verlieren wir uns.« Falkenschwinge setzte sich an die Flanke von Rotsee, der wiederum Petersilienzunge folgte, der hinter Froschpfote war. Flammenschein lief dicht hinter ihm. Sie kamen nur langsam voran. Der Wind heulte Falkenschwinge um die flach angelegten Ohren und zerrte an seinem Fell, so sehr, dass er manchmal stolperte. Froschpfote konnte er schon gar nicht mehr erkennen. Seine Gedanken schweiften ab. Ob die restlichen Clanmitglieder sie schon vermissten? Wahrscheinlich nicht. Oder? Vermutlich hatten sie selber zu viel mit dem Sturm zu kämpfen. Der Gedanke schnürte seine Kehle zu. Hoffentlich passiert ihnen nichts...
Seine Gedanken wurden unterbrochen. Die Patrouille war stehen geblieben. Sind wir da? Flammenschein löste sich von seiner Flanke und machte ein paar Schritte nach vorne, bevor sie das Maul öffnete und die Geruchsspuren einsog. Falkenschwinge tat es ihr nach. Die meisten Spuren waren verwischt, aber ein paar waren deutlicher. Sein Fell sträubte sich. »Fuchs.«
Grimmig richtete sich Rotsee auf. »Nicht nur das.«
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