Kapitel 27
Nur wenige Tage später tappte Krallenstreif aus dem Kriegerbau und streckte sich. Es war noch sehr früh am Morgen.
Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich gerade ihren Weg durch die Baumwipfel. Dementsprechend waren auch nur wenige Katzen draußen im Lager.
Kamillenduft lag vor dem Heilerbau und verspeiste eine Maus. Neben ihr kam gerade Aschenbrust aus dem Bau. Sie ließ sich neben der anderen Heilerin nieder und nur einen Herzschlag später waren die beiden Kätzinnen bereits in einem Gespräch vertieft.
In der Nähe der Kinderstube lag Haselsee, die nun offiziell wieder eingezogen war, um bei dem Aufziehen der Jungen zu helfen, die bald auf die Welt kommen sollten. Nach Milas Aufnahme in den Clan hatte es nicht lange gedauert, bis Haselsee ihre ursprünglichen Sorgen abgelegt hatte und der neuen Königin beim Einzug in die Kinderstube half.
Mila hatte mittlerweile auch ihre Namenszeremonie hinter sich und den Kriegernamen Sturmflug erhalten. Sie hatte sich sichtbar gefreut, in den Clan aufgenommen worden zu sein. Bis zur Geburt ihrer Jungen konnte es auch nicht mehr lange dauern.
Aber auch Eisensee nur einen Tag zuvor unter lauten Protesten in die Kinderstube umgezogen. Sie hatte eigentlich vorgehabt noch eine ganze Weile ihren Pflichten als Zweite Anführerin nachzugehen. Um fair zu sein war es auch noch relativ früh in der Schwangerschaft, um in die Kinderstube zu ziehen, doch Kamillenduft hatte darauf bestanden, dass sie anfing sich zu schonen.
Deshalb hatten einige der Krieger angefangen, die Pflichten eines Zweiten Anführers unter sich aufzuteilen, um Eisensee auszuhelfen und ihr eine Chance zu geben, sich tatsächlich zu entspannt.
Dies war auch der Grund, warum Krallenstreif so früh wach war. Er würde heute die Morgenpatrouille zusammenstellen und anführen. Also ließ er seinen Blick weiter schweifen, um zu sehen, wer sonst noch wach war.
Am Frischbeutehaufen stand gerade Blütensturm, die nach einem guten Stück Beute zu suchen schien. Mit wenigen Sprüngen war Krallenstreif bei ihr und kam neben ihr zum Stehen. Sie unterbrach ihre Suche für einen Moment und begrüßte ihn mit einem leichten Lächeln.
"Hallo Krallenstreif! Du bist auch schon so früh wach heute?"
"Ja, ich führe heute die Morgenpatrouille an. Genau deswegen wollte ich mit dir sprechen. Ich würde mich freuen, wenn du und Finsterpfote mich dabei begleiten würdet."
"Oh!" Überrascht blinzelte die kleine Kätzin. "Natürlich. Aber ich würde vorher gerne noch etwas Essen, wenn das okay ist. Und du darfst Finsterpfote wecken. Ich bin mir sicher, er wird sich sehr freuen, dass er schon aufstehen muss."
Sie grinste bei den letzten Worten und auch Krallenstreif lachte leicht auf.
"In Ordnung, danke. Und ich denke, mit Finsterpfote sollte ich schon irgendwie fertig werden."
Blütensturm drehte sich nun wieder zurück zu Frischbeutehaufen und seufzte gespielt dramatisch. "Wie du meinst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."
Mit einem belustigten Schnurren ging Krallenstreif nun zum Schülerbau. Er streckte seinen Kopf in den Bau und schaute sich um. Aktuell waren Echopfote und Finsterpfote die einzigen beiden Schüler des Clans. Es war also nicht schwer, den jungen Kater zu finden.
Krallenstreif tappte zu Finsterpfote und gab ihm einen sanfte Stoß mit der Pfote. Doch der Schüler grummelte nur leise und vergrub seine Schnauze tiefer im Moos des Nests. Also gab Krallenstreif ihm erneut einen Stoß, diesmal ein wenig stärker.
"Finsterpfote, es ist Zeit aufzustehen. Morgenpatrouille."
Krallenstreif versuchte möglichst leise zu reden, um Echopfote nicht aufzuwecken. Finsterpfote hob nun seinen Kopf und funkelte den Krieger genervt an.
"Ich will nicht auf Morgenpatrouille gehen! Jetzt hör endlich auf mich zu nerven und geh weg. Lass mich weiterschlafen."
Dann ließ er seinen Kopf wieder sinken und schloss seine Augen. Es überraschte Krallenstreif ein wenig, dass er es sich traute, so mit einem Krieger zu reden. Doch auf der anderen Seite wusste der Krieger, dass Finsterpfote sehr temperamentvoll sein konnte und seine Meinungen nicht oft zurückhielt.
Unbeeindruckt gab Krallenstreif dem Schüler einen weiteren Stoß, woraufhin Finsterpfote mit einem Fauchen seinen Kopf hochriss und seine nächsten Worte mit einem Knurren ausstieß.
"Geh. Weg. Du nervst."
"Steh auf. Die meisten Katzen würden lieber länger schlafen, anstatt früh aufzustehen und auf Morgenpatrouille zu gehen. Aber trotzdem tun sie genau das. Sie stehen auf, gehen auf Patrouille und stellen sicher, dass außerhalb des Lagers alles in Ordnung ist. Und weißt du warum? Weil es ihre Pflicht ist und weil sie den Clan sicher halten wollen. Falls du wirklich Krieger werden willst, solltest du dir lieber angewöhnen, auch die anstrengenden Pflichten auszuführen und anderen Katzen Respekt entgegen zu bringen. Ansonsten wirst du dein restliches Leben als Schüler verbringen."
Ohne auf Finsterpfotes Antwort zu warten, drehte sich Krallenstreif um und lief zum Ausgang. Dort hielt er allerdings noch einmal an, bevor er den Bau verließ, und wandte sich erneut an den Schüler.
"Falls du noch etwas Essen willst, solltest du lieber jetzt aufstehen. Sonst musst du mit leerem Magen auf Patrouille gehen."
Draußen auf der Lichtung hielt Krallenstreif kurz inne. Er fragte sich, ob er ein wenig zu streng gewesen war. Doch dann seufzte er leicht und schüttelte den Kopf.
Stattdessen fiel sein Blick auf Traumregen und Sonnenpelz, die mittlerweile auch wach waren. Sie lagen gemeinsam am Lagerrand. Sonnenpelz sah allerdings so aus, als wäre er kurz davor, wieder einzuschlafen.
Ein wenig belustigt ging Krallenstreif zu ihnen. Traumregen hob den Kopf und lächelte ihm gut gelaunt entgegen.
"Hallo Krallenstreif."
Sonnenpelz öffnete kurz seine Augen und gab ein unverständliches Brummen von sich. Krallenstreif nahm einfach mal an, dass er damit Hallo sagen wollte. Traumregen schnaubte leicht bei der Reaktion ihres Gefährten, doch der Ausdruck in ihren Augen war warm und liebevoll, als sie ihn anschaute.
"Ich wollte eigentlich fragen, ob ihr euch der Morgenpatrouille anschließen wollt. Blütensturm und Finsterpfote kommen mit", sagte Krallenstreif schließlich. "Aber Sonnenpelz wird wohl eher nicht mitkommen, schätze ich."
Als Antwort erhielt er erneut ein Brummen. Diesmal machte sich Sonnenpelz nicht einmal die Mühe seine Augen zu öffnen. Krallenstreif lachte leise auf und auch Traumrege konnte sich ein amüsiertes Schnurren nicht verkneifen, als sie ihm einen sanften Schubs gab.
"Da hast du wohl Recht. Aber ich würde sehr gerne mitkommen. Nicht mehr zu lange und ich werde nicht mehr auf Patrouillen gehen können." Mit einem breiten Lächeln erhob die Kriegerin sich. "Dann bin ich nämlich für meinen zweiten Wurf in der Kinderstube."
Überrascht stellte Krallenstreif seine Ohren auf. Damit hatte er nicht gerechnet. Schließlich war es doch noch nicht so lange her, seit Echopfote und Finsterpfote Junge waren. Doch natürlich freute er sich für die beiden und schnurrte leicht.
"Das ist toll! Ich freue mich wirklich für euch. Die Kinderstube wird dann wohl ziemlich voll werden, mit den ganzen Jungen."
"Oh ja, das wird noch lustig für uns Königinnen werden." Traumregen schüttelte den Kopf und schnurrte leise, bevor sie zu Blütensturm und Finsterpfote ging, die bereits am Ausgang warteten. Krallenstreif folgte ihr und führte dann die Patrouille aus dem Lager.
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Die Sonne stand bereits deutlich höher, als die Patrouille zurück kam. Es war größtenteils ruhig gewesen. Finsterpfote schien sich damit abgefunden zu haben, dass er aufgeweckt wurde, und war die ganze Patrouille über aufmerksam.
Der Schüler hatte außerdem einen Dachs gewittert. Der Geruch war zwar bereits ein wenig schal gewesen und vermutlich einige Tage alt, doch es war gut darüber bescheid zu wissen. Traumregen hatte gesagt, sie würde Nebelstern darüber informieren.
Als sie zurück im Lager ankamen, erblickte Krallenstreif Eisensee, die sofort zu ihm sprang, als sie ihn sah. Schnurrend begrüßte er sie Nase an Nase, doch ihm fiel auf, dass die Kätzin ein wenig besorgt aussah.
"Ist alles in Ordnung?"
"Ich hoffe es." Eisensee seufzte leise. "Sturmflug bekommt ihre Jungen. Kamillenduft und Aschenbrust sind beide bei ihr und Haselsee hat auch versucht ihr zu helfen. Es ist ziemlich voll geworden und ich hatte das Gefühl, dass ich nur im Weg war, deshalb bin ich raus. Aber die Geburt von ihrem ersten Jungen habe ich noch mitbekommen und es war eine Totgeburt."
Eine Totgeburt.
Sein Blick flog zur Kinderstube. Genau in dem Moment schlüpfte Aschenbrust aus dem Bau. Aus ihrem Maul baumelte ein winziges Fellbündel, das sich nicht bewegte.
Krallenstreifs Herz zog sich schmerzhaft zusammen, doch es wurde nur noch schlimmer, als auch Kamillenduft mit einem weiteren reglosen Jungen hinaus kam.
Eisensee neben ihm seufzte leise und stupste ihn sanft an. "Ich gehe lieber wieder zurück in die Kinderstube und schaue, wie es Sturmflug geht."
Krallenstreif nickte leicht und sah ihr kurz hinterher, bevor er sich abwandte. Seine Gedanken waren allerdings bei Sturmflug. Eine Todgeburt war bereits schlimm, doch zwei in einem Wurf war einfach nur grausam. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie die Königin sich nun fühlen musste, und er hoffte inständig, dass es noch ein oder zwei Junge gab, die überlebt hatten.
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Ein wenig später beschloss Krallenstreif, den Königinnen Beute zu bringe, Soweit er mitbekommen hatte, hatte Sturmflug noch nichts gegessen. Also nahm er ein Eichhörnchen und eine Wühlmaus vom Frischbeutehaufen und ging zur Kinderstube.
Im Bau war es dunkel und warm. Eisensees Nest war ganz vorne. während Sturmflug ihres weiter hinten eingerichtet hatte. Haselsees Nest lag zwischendrin, doch die Kätzin war gerade nicht im Bau.
Eisensee schnurrte leise, als sie ihren Gefährten erkannte und bedankte sich für das Eichhörnchen, das er ihr hinlegte. Auch Sturmflug hob ihren Kopf und lächelte schwach, als sie ihn sah.
"Krallenstreif." Ihre Stimme war leise und man konnte klare Erschöpfung durchhören. Doch als sie die Maus sah, leuchteten ihre Augen leicht auf. Krallenstreif tappte näher zu ihr und legte das Tier vor ihr ab. Mit einem dankbaren Lächeln begann sie direkt zu essen.
Nun da er näher dran war, wanderte Krallenstreifs Blick zu dem Bauch der Kätzin. Denn dort lag ein kleines Junges zusammengerollt in ihr Fell gekuschelt. Es war das einzige, das überlebt hatte.
Nur ein weißer Aalstrich zog sich über den Rücken des ansonsten komplett schwarzen Katers. Sein Schweif sah bereits jetzt so aus, als würde er mindestens genauso buschig werden wie der seiner Mutter, wenn nicht sogar noch mehr, stellte Krallenstern lächelnd fest.
"Rabenjunges." Sturmflugs Stimme zog ihn aus seinen Gedanken und Krallenstreif riss seinen Blick von dem kleinen Kater weg und blickte stattdessen wieder zu Sturmflug. "Sein Name ist Rabenjunges."
Sturmflugs Blick war fest auf ihren Sohn gerichtet. In ihren Augen zeigte sich eine so offene und unglaubliche Liebe, dass es Krallenstreif beinahe den Atem verschlug. Auch ein wenig Schmerz versteckte sich in ihren Augen, doch das war absolut verständlich, nachdem sie gerade zwei Junge verloren hatte.
Die Kätzin schien nun wieder beschäftig mit ihrem Jungen, also verabschiedete er sich kurz, bevor er zurück zu Eisensee ging. Ihr fuhr er sanft mit der Zunge über das Ohr und verabschiedete sich dann mit einem leichten Berühren der Nase, ehe er den Bau verließ.
Draußen warf er noch einen kurzen Blick zurück, dann tappte er zu Sandfell, der anscheinend eine Jagdpatrouille zusammenstellte.
Doch während der Jagd kreisten seine Gedanken die ganze Zeit um Eisensee und ihre gemeinsamen Jungen. Der Tag der Geburt rückte immer näher und der Gedanke daran erfüllte Krallenstreif sowohl mit unbeschreiblicher Freude aber auch mit ein wenig Angst.
Nicht mehr lange und er würde seine eigenen Jungen zum ersten Mal sehen.
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