Sonnenpfote
Wie üblich wurde Sonnenpfote von Ikalus Zwitschern geweckt. Der kleine Vogel hüpfte auf dem untersten Ast der Eiche hin und her, unter der der SchattenClan Zuflucht gesucht hatte, und flatterte dabei fröhlich mit den weißen Flügeln.
»Ich frage mich immer noch, wie Ojiha so gut mit Ikalu auskommt«, murmelte Wasserpfote neben ihm. Sie blinzelte leicht schläfrig mit den ungewöhnlich hellblauen Augen und legte fragend den Kopf schief, als Sonnenpfote nicht antwortete. »Alles in Ordnung?«
Sonnenpfote nickte eifrig und stand auf. »Ich habe Käferblume versprochen, heute Morgen mit ihr und Birkenblüte jagen zu gehen. Ich komme bald wieder. Ruh dich am besten weiter aus.«
»Sich auszuruhen ist so langweilig!«, klagte Wasserpfote und drehte sich auf den Rücken, sodass sie spielerisch mit den Pfoten in die Luft schlagen konnte. Dabei waren die Krallenspuren, die sich über ihre rechte Seite zogen und die sie sich beim Kampf gegen Funkensterns Streuner geholt hatte, deutlich zu sehen. Anscheinend schmerzten sie auch, denn sie hörte sofort damit auf und kam stattdessen auf die Beine. »Keine gute Idee«, murmelte sie. »Ich gehe lieber zu Luftfell und Kräuselpfote und frage, ob ich ihnen irgendwo helfen kann.«
Sonnenpfote sah der grauen Kätzin mit dem dichten Fell nach, bevor er den Blick von ihr losriss. Er war ihr dankbar, dass sie ihm keine Vorwürfe wegen dem machte, was während des Kampfes passiert war. Als er beinahe nicht von dem schwarzen Kater abgelassen hatte, obwohl Sprenkelpfote ihn angefleht hatte, ihm nichts zu tun. Er hatte die Kontrolle verloren. Hatte wieder nicht verhindern können, dass seine frühere Geburt an die Oberfläche kam und an seiner Stelle handelte.
Sonnenherz, sagte er zu sich selbst. Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Warum hast du so einen Hass auf einige Katzen?
Dabei kannte er die Antwort schon. Als Sonnenherz das erste Mal die Kontrolle übernommen und getötet hatte, hatte Sonnenpfote eine Vergangenheit gesehen, die eigentlich auch seine eigene war. Es waren zwei Kater gewesen, die Sonnenherz damals, vor langer Zeit, in den Wahnsinn getrieben hatten. Und nun tötete er jene, die ihn an sie erinnerten. Ob vom Aussehen oder vom Charakter her. Und anscheinend hatte dieser schwarze Kater unter Funkensterns Streunern Sonnenherz an einen der beiden erinnert.
Zum Glück hat Wasserpfote mich abgehalten, dachte Sonnenpfote. Was wäre passiert, wenn sie nicht gewesen wäre? Ein Mörder bin ich ohnehin schon, auch wenn es eigentlich Sonnenherz war, der das getan hat. Aber trotzdem.
Bisher hatte er niemandem davon erzählt, auch wenn sein Geheimnis einmal fast aufgeflogen wäre. Nur hatte niemand dem verrückten alten Kater geglaubt, der behauptet hatte, Sonnenherz wäre in Sonnenpfote wiedergeboren. Oder doch?
»Sonnenpfote!«
Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken und er sah Käferblume auf sich zu laufen. Sie hatte erstaunlich gute Laune, obwohl der Kampf auch sie stark mitgenommen hatte. Aber sie hatte schon so vieles überstanden – eine Narbe mehr oder weniger machte da nichts mehr aus. Wieder plagte Sonnenpfote das schlechte Gewissen, dass sie wegen seiner Dummheit ihr rechtes Auge verloren hatte. Dort, wo es einst war, gruben sich die Furchen verheilter Krallenspuren durch das Fell.
»Hast du vergessen, dass wir jagen wollten?«, rief Käferblume ihm zu.
»Ich komme!«
Sonnenpfote vertrieb die düsteren Gedanken, die ihn seit dem Kampf immer häufiger plagten. Er sprang zu seiner Mutter und Birkenblüte hinüber, die beide bereits auf ihn warteten.
»Wohin gehen wir?«
»Da haben wir nicht so viel Auswahl«, meinte Birkenblüte. »Entweder das Feld oder...« Sie deutete mit ihrem Schweif auf die Wiese, die sich auf der anderen Seite der Eiche erstreckte. Obwohl sie versuchte, es zu verbergen, konnte Sonnenpfote deutlich die Angst in ihren Augen sehen. Jenseits der Wiese lag der dichte Wald, in dem ihre Verfolger lauerten und wahrscheinlich nur darauf warteten, den SchattenClan anzugreifen. Warum das bisher noch nicht geschehen war, konnte Sonnenpfote sich nicht erklären. Aber er verstand Birkenblütes Angst. Schließlich wäre sie bei ihrer Flucht aus dem alten Territorium beinahe den Zähnen und Klauen der Bestien zum Opfer gefallen. Und den Verrätern.
»Ich bin für das Feld«, miaute Käferblume, der es ebenfalls nicht behagte, sich dem Wald mehr als nötig zu nähern.
Sonnenpfote nickte zustimmend und zu dritt machten sie sich auf den Weg in Richtung der gelben Gräser, die sich leicht im Wind wiegten. Sie waren es zwar nicht gewohnt, auf so einem Territorium zu jagen, aber welche Wahl hatten sie schon? Außerdem schien dieser Teil des Feldes verlassen zu sein. Jedenfalls waren alle Katzengerüche schal.
Bald witterte Sonnenpfote bereits die erste Maus. Der einzige Vorteil an diesen Halmen war, dass er zwischen ihnen kaum auffiel. Sein hellbraun getigertes Fell ließ ihn praktisch mit seiner Umgebung verschmelzen – im Gegensatz zu Käferblume und Birkenblüte, die sich mehr Mühe bei der Jagd geben mussten. Er hingegen musste ausnahmsweise nicht mal darauf achten, aus welcher Richtung der Wind wehte. Bestimmt hätte sein Mentor ihn dafür getadelt. Aber Weidenstern...
Ein plötzlicher Schrei aus Richtung der Eiche schreckte die Maus auf, die blitzschnell zwischen den Halmen verschwand. Gleichzeitig hoben Sonnenpfote, Käferblume und Birkenblüte verwundert den Kopf. Sie wechselten keine Blicke, sondern rannten sofort zurück.
Haben sie angegriffen?, dachte Sonnenpfote voller Entsetzen und atmete kurz darauf erleichtert aus, als ihn kein Kampfgetümmel erwartete. Trotzdem schien etwas nicht zu stimmen. Schluchtschatten stand mit panisch gesträubtem Nacken- und Rückenfell am Rand der Wiese und starrte zum Wald.
»Was ist los?«, erklang die besorgte Stimme von Windstern. Der hellgraue Kater mit den noch helleren Flecken eilte zu ihr und folgte ihrem Blick.
»Ich habe nur einmal kurz nicht aufgepasst!«, krächzte Schluchtschatten. »Nur einmal kurz! Und dann war Tränenjunges verschwunden! Sie ist... Sie ist...«
Jetzt sah auch Sonnenpfote den kleinen, weißen Punkt, der sich fröhlich hüpfend dem Rand des Waldes näherte. Und kurz darauf darin verschwand. Erschrocken hielt er die Luft an, aber nichts hallte zu ihnen rüber. Kein schmerzerfüllter Schrei, kein bedrohliches Knurren, kein furchteinflößendes Heulen.
»Harzjäger!«, reagierte Windstern sofort und brauchte nichts weiter zu sagen. Der goldbraun getigerte Kater stürmte sofort los, um Tränenjunges zurück zu holen. Käferblume und Weizenherz schossen hinter ihm her, während Birkenblüte wie festgefroren stehen blieb. Aber die Wiese war groß. Und die drei aufgebrochenen Krieger waren nicht die schnellsten.
Dafür bin ich schnell, dachte Sonnenpfote.
Er vergewisserte sich nur kurz, dass Birkenblüte nicht zu ihm sah, bevor er ohne weiter zu überlegen losrannte. Wieder war es, als wäre alles um ihn von einem Augenblick auf den anderen festgefroren. Die Pfoten von Harzjäger hatten noch nicht mal den Boden berührt, während Sonnenpfote bereits vier Schritte gelaufen war. Mit Leichtigkeit überholte er die drei Krieger. Je näher er dem Waldrand kam, desto größer wurde seine Angst, aber er hielt nicht an. Wenn er anhielt, würden die anderen sich fragen, wie er so schnell dorthin gekommen war. Doch es war nicht klug, wenn jemand von seiner Gabe wusste. So vermutete er es jedenfalls. Genauso wie niemand von Sonnenherz wissen durfte. Er würde nur so lange bei Tränenjunges bleiben, bis er sich sicher war, dass Harzjäger, Käferblume und Weizenherz sie holen konnten, bevor einer der Verfolger sie holte, und dann schnell wieder zurück laufen. Niemand würde etwas bemerken.
Im Schatten der Bäume war es kalt, furchtbar kalt. So eisig hatte er den Wald seines alten Territoriums überhaupt nicht in Erinnerung, aber es war ja auch ein anderer. Sie waren viele Tage und Monde gelaufen, um Schattenstern und den WindClan zu finden. und sie waren auch hier durch gekommen. Schon damals war ihm dieser Wald unheimlich vorgekommen.
Als Sonnenpfote sich sicher war, dass die anderen ihn nicht sehen würden, hielt er an. Sofort verschwand das euphorische Gefühl und die Realität holte ihn mit einem Schlag ein. Vielleicht beobachten sie mich schon, dachte er.
Möglichst leise schlich er sich weiter in den Wald hinein, kletterte über einige Wurzeln und kehrte dann doch wieder zurück, als ihm einfiel, dass ein Junges wahrscheinlich nie dort rüber gekommen wäre. »Tränenjunges?«, rief er leise.
Keine Antwort.
In einiger Entfernung konnte er schon das Schnaufen der drei Krieger hören. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um die kleine Kätzin zu finden. Aber die Verfolger konnten sie doch noch nicht geholt haben? Er war doch so schnell gewesen!
Auf einmal blitzte in seinem Augenwinkel weißes Fell auf. Sonnenpfote drehte sich um und atmete erleichtert aus. Tränenjunges hatte sich mit vor Faszination weit aufgerissenen Augen vor einer Wurzel hingesetzt und beobachtete einen Schmetterling, der langsam mit den Flügeln schlug, während er auf dem Stamm der Buche saß. Weit und breit waren keine Verfolger zu sehen. Also beschloss Sonnenpfote, einfach zu warten, bis die drei Krieger kamen und die kleine Kätzin holten. Vorsichtshalber versteckte er sich hinter einem Busch, von wo aus er Tränenjunges trotzdem weiterhin sehen konnte, und hoffte, dass die Waldgerüche seinen Duft überlagern würden.
»Tränenjunges!«, hörte er bald darauf Harzjägers strenge Stimme. Wasserpfotes Vater klang immer so, als wäre jeder Satz ein Befehl. Selbst dann, wenn er zu Jungen sprach.
»Hier ist sie«, ertönte Weizenherz' Stimme.
Sonnenpfote sah, wie die gelbbraune Kätzin Tränenjunges aufnahm und den anderen zunickte.
»Verschwinden wir von hier«, miaute Käferblume und verließ als letzte den Wald.
Sonnenpfote wollte ihnen gerade folgen und schnell wieder zurücklaufen, als plötzlich ein lautes Knurren direkt hinter ihm erklang. Mit gesträubtem Fell drehte er sich um und blickte direkt in die Augen von Düsterer Mond. Der sichelförmige Fleck auf der Stirn war das einzige Weiß inmitten des schwarzen Fells der Bestie.
»Du bist also der, den wir suchen«, knurrte Düsterer Mond und bleckte die spitzen Zähne, mit denen er ihn jederzeit zerreißen könnte.
Der Schrei blieb Sonnenpfote im Hals stecken. Wie ein Wirbelwind schoss er davon, hinaus aus dem Wald, quer über die Wiese, bis er mit gesträubtem Fell wieder neben Birkenblüte zum Stehen kam, die seine Abwesenheit gar nicht gemerkt hatte. Harzjäger, Käferblume und Weizenherz mit Tränenjunges hatten gerade erst die Hälfte der Strecke hinter sich.
Sonnenpfote zwang sich dazu, sein Fell zu glätten, obwohl sein Herz wie verrückt schlug. Er hätte mich töten können. Er war direkt hinter mir. Warum hat er es nicht getan?
»Windstern!« Ein Hauch von Panik schwang in Birkenblütes Stimme mit, als sie nach ihrem Anführer rief. »Sie kommen!«
Plötzlich schien am Rand des Waldes etwas in Bewegung zu kommen. Es war, als würden sich Schatten aus den Stämmen der Bäume lösen oder einfach aus der Dunkelheit dahinter. Und dann trat Düsterer Mond hervor. Er blieb am Rand des Schattens stehen, den die Bäume warfen und hob die Schnauze zum Himmel. Ein lautes Heulen drang über die Wiese zu ihnen hinüber. Alle Katzen erstarrten.
»Sie werden angreifen«, sagte Windstern mit finsterem Gesicht. »Heute Nacht schon.«
»Es tut mir so leid!«, krächzte Schluchtschatten völlig aufgelöst und schob Tränenjunges voller Sorge zu sich, als Weizenherz sie vor ihr auf dem Boden absetzte. »Ich hätte besser auf sie aufpassen sollen!«
»Es ist nicht deine Schuld«, meinte Windstern beruhigend. »Niemand erwartet von dir, so aufmerksam und wach wie zu deinen Kriegerzeiten zu sein. Immerhin bist du eigentlich eine Älteste, kümmerst dich aber trotzdem so gut du kannst um Tränenjunges und Trauerjunges.«
Es ist wirklich nicht ihre Schuld, dachte Sonnenpfote und ein eiskalter Schauer fuhr ihm über den Rücken. Sondern meine. Aber was meinte Düsterer Mond damit, dass ich also der bin, den sie suchen?
»Ohija«, unterbrach Windstern seinen Gedankengang. »Es ist Zeit, dass wir den WindClan und den DonnerClan darum bitten, ihre Schuld einzulösen.«
»In der Tat«, miaute der Schamane und hob den Kopf, als Ikalu zu ihm flog und sich zwischen seinen Schulterblättern niederließ. »Ich werde zum DonnerClan aufbrechen.«
»Ich komme mit dir«, sagte Harzjäger, doch Windstern schüttelte den Kopf.
»Wir beide müssen hier bleiben, falls es früher dunkler wird als erwartet«, erklärte er. »Ojiha wird alleine zum DonnerClan gehen müssen. Wer macht sich auf den Weg zum WindClan?«
Käferblume trat vor. »Ich!«
Windstern nickte zustimmend. »Gut, aber beeilt euch.« Sein Blick wanderte voller Sorge zum Himmel. »Die Wolken ziehen schon vor die Sonne.«
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Darf ich vorstellen: Sonnenpfote, ein neuer Protagonist :) Ich würde jetzt liebend gerne einen ellenlangen Text über ihn, den SchattenClan allgemein und die »Verfolger« schreiben, aber ich fürchte, ich würde dann zu viel spoilern, deswegen schreibe ich lieber diesen ausweichenden Satz XD
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