Ein Versprechen
Als Sonnenherz zu sich kam, dämmerte es bereits. Er öffnete das Maul, um einen Schrei auszustoßen, aber es kam kein Laut heraus. Sein ganzer Körper zitterte. Zitterte vor Schmerz, der durch jede einzelne seiner Muskelfasern schoss. Er fühlte sich vollkommen leer. Wie ausgesaugt. Es tat so weh!
Rache, dachte er. Rache an allen, die mir weh getan haben! Steh auf, du Nichtsnutz! Steh auf und räche dich an ihnen! Blut an deinen Krallen! Blut an deinen Pfoten!
»Sonnenpfote!« Wasserpfotes sanfte Stimme riss ihn zurück in die Wirklichkeit. Beschämt schaute er zu Boden, doch die graue Kätzin rieb ihre Wange an seiner, sodass er dazu gezwungen war, wieder hoch zu schauen. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte... Ich dachte, du wärst...«
Ich wünschte, ich wäre es...
»Du zitterst!«, bemerkte sie. »Ist dir kalt? Soll ich...?«
»Nein!« Sonnenpfote rückte von ihr ab. Dabei kam er ins Stolpern und fiel wieder schlaff zu Boden. Aber es stimmte. Er zitterte immer noch. Die Schmerzen ließen einfach nicht nach. Er erinnerte sich an den Moment, in dem Düsterer Mond ihm seine Macht geraubt hatte. Alles in ihm hatte vor Qual geschrien. Als wäre er innerlich zerrissen worden. Und dann hatte er das Bewusstsein verloren. Sein Blick fiel auf die kahle Stelle an seiner rechten Vorderpfote. Das Zeichen eines Schwächlings.
Du darfst nicht schwach sein!, wütete Sonnenherz. Du musst es ihnen zeigen! Diese Wölfe verdienen den Tod! Bring sie um! Sie haben dir alles genommen!
»Sonnenpfote?«, fragte Wasserpfote besorgt. Sie merkte, dass etwas mit ihm nicht stimmte, aber er konnte es ihr nicht sagen. Wenn sie erfuhr, dass eine frühere Geburt von ihm, ein verrückter und wahnsinniger Krieger, ihn manchmal dazu anstiftete, schreckliche Dinge zu tun... Nein. Er wollte sie nicht verlieren. Wer würde jemanden wie ihn dann schon haben wollen?
»Lass mich alleine. Bitte«, presste Sonnenpfote heraus und drehte den Kopf weg.
Wasserpfote öffnete das Maul, um etwas zu sagen, schloss es jedoch wieder. In ihren hellblauen Augen wurde der Schmerz von der Sorge überschattet. Stur blieb sie, wo sie war, und legte sich einfach in einiger Entfernung zu ihm hin.
»Ich lasse dich nicht alleine.«
Sonnenpfote seufzte, halb erleichtert und halb ergeben. »Wo ist meine Mutter?«, fragte er.
»Sie ist mit einigen anderen Kriegern zurück in den Wald gegangen. Um...« Sie hielt kurz inne. »Du weißt es noch gar nicht.«
»Was weiß ich nicht?«
»Sternenpfote lebt noch.«
Sonnenpfote glaubte, sein Herz würde gleich stehen bleiben. Für einen kurzen Augenblick wurde der Schmerz von einer brennenden Welle der Freude überflutet, bis Wasserpfote hinzufügte:
»Kräuselpfote hat ihn damals als Ignis vorgestellt und in den SchattenClan gebracht.«
»Ignis?«, keuchte er. »Der Kater mit den schweren Verbrennungen? Der nichts mehr sieht und kaum noch gehen kann? Unmöglich!«
»Kräuselpfote hat alles erzählt«, miaute Wasserpfote. »Und sie hat auch Vieles zugegeben. Sie ist die Tochter von Schwebetropfen, der Kriegerin, die alle zwölf Mächte in sich vereinigen wollte und dann gestorben ist. Sternenpfote war zusammen mit den beiden am Krater des Vulkans, kurz bevor er ausgebrochen ist und unser Territorium zerstört wurde. Schwebetropfen wollte ihm seine Macht stehlen, aber er hat sich geweigert. Es kam zu einem Kampf, bei dem Schwebetropfen starb und Sternenpfote schwer verbrannt wurde. Kräuselpfote hat ihn gerettet.«
»Gerettet!«, stieß Sonnenpfote aus. »Kann man sowas als retten bezeichnen?«
Wasserpfote sah niedergeschlagen zur Seite. »Das ist noch nicht alles. Später, als die Verfolger hinter uns her waren, hat sie gemeinsame Sache mit ihnen gemacht. Düsterer Mond hat ihr versprochen, ihr ihre Macht wiederzugeben, wenn sie ihm Sternenpfote und die zweite Katze der Macht ausliefert, die sich auch im SchattenClan befinden muss. Das warst du.«
»Sie hat uns verraten?« Ungläubig schüttelte Sonnenpfote den Kopf. »Und sie hatte auch eine Macht?« Er schaute wieder auf die kahle Stelle an seiner Pfote. »Natürlich. Die Hautflechte an ihrer Brust. Und ich dachte, das wäre eine Krankheit.«
»Angeblich hatte sie eine der zwei Mächte des Lichts«, fuhr Wasserpfote fort. »Die Macht, Lügen zu spüren.« Sie zögerte wieder. »Deine Macht hatte etwas mit deiner Schnelligkeit zu tun, oder? Ich erinnere mich noch genau daran, wie du mich vor der Lawine gerettet hast. Selbst Hirschbein konnte nicht so schnell laufen.«
»Hirschbein gehört zu ihnen. Zu den Verfolgern«, warf Sonnenpfote ein und wich ihrer Frage aus. »Weidenstern und Himmelschatten auch. Aber ich weiß nicht, wo ihre Jungen sind. Ich habe sie nicht gesehen.«
»Ich weiß, dass sie zu den Verfolgern gehören. Jeder im SchattenClan weiß das mittlerweile. Wir haben gegen sie gekämpft, als wir dich gerettet haben. Schluchtschatten und Weizenherz sind gestorben.«
Sonnenpfote senkte betrübt den Kopf. Schluchtschatten hatte sich trotz ihres Alters immer gut um die mutterlosen Jungen gekümmert und Weizenherz war eine treue und aufrichtige Kriegerin gewesen. Möge der SternenClan euch einen Ehrenplatz in seinen Reihen geben.
»Und Sternenpfote? Wo ist er jetzt?«
»Er... Kräuselpfote hat ihn ausgeliefert. An Düsterer Mond. Er ist im Wald. Deine Mutter und die anderen Krieger versuchen gerade, ihn zurück zu holen. Aber sie sind schon so lange weg. Ich weiß nicht, wa...«
»Was?«, unterbrach Sonnenpfote sie entsetzt. »Er ist da, im Wald? Sie wollen ihm auch seine Macht nehmen?« Er bäumte sich auf, bevor er unter Schmerzen wieder in sich zusammen sackte. »Er darf das nicht durchmachen! Es tut so weh!«
Auf einmal war Wasserpfote an seiner Seite und strich ihm beruhigend über die Wange. »Ich bin mir sicher, dass sie ihn heil dort raus bekommen. Käferblume ist eine erfahrene Kriegerin und es geht immerhin um ihren Sohn. Du solltest dich besser ausruhen! Bitte!«
Der fast schon flehende Ton in ihrer Stimme brachte ihn dazu, sich wieder hinzulegen. Hält sie mich etwa für schwach?, grollte Sonnenherz.
»Was ist mit Kräuselpfote?«, presste Sonnenpfote hervor.
»Nachdem Windstern und Harzjäger sie verhört haben, wurde sie unter Bewachung gestellt«, erzählte Wasserpfote. »Hauptsächlich zu ihrem eigenen Schutz. Alle sind wütend auf sie. Besonders Harzjäger. Er...«
»Dein Vater hat sie nie gemocht.« Sonnenpfote nickte. Damals, im alten Territorium, hatte es einen Kampf gegeben, bei dem Harzjägers Gefährtin gestorben war. Und Kräuselpfote gehörte früher zu dem Clan, der gegen den von Harzjäger gekämpft hatte. Zwar war sie eine Heilerschülerin, aber das war für den Stellvertreter keine Entschuldigung.
»Ich möchte mit ihr sprechen«, miaute Sonnenpfote.
»Mit Kräuselpfote?« Wasserpfote zögerte besorgt. »Du musst dich weiter ausruhen. Worüber möchtest du überhaupt mit ihr reden? Warte!«
Sonnenpfote war schon aufgestanden und schleppte sich auf wackligen Beinen durch die Dämmerung in die Richtung, wo Fetzpelz vor Kräuselpfote stand, die sich zwischen den Wurzeln der Eiche zusammengerollt hatte. Der Kater war zwar ein Ältester, aber der SchattenClan hatte so wenig Krieger, dass er manchmal auch einige ihrer Pflichten übernehmen musste.
»Ich möchte mit ihr sprechen«, stieß Sonnenpfote hervor und nickte zu Kräuselpfote, die jetzt überrascht ihren Kopf hob und die Ohren aufstellte.
»Du siehst nicht gut aus, junger Schüler«, bemerkte Fetzpelz. »Etwas Schlaf würde dir nicht schaden.«
»Ich muss mit ihr sprechen«, bestand Sonnenpfote darauf und unterdrückte den Drang, den Ältesten einfach zur Seite zu stoßen.
»Na gut«, gab Fetzpelz nach und machte ihm Platz.
Sonnenpfote ging an ihm vorbei und setzte sich gegenüber von Kräuselpfote hin, die sich mittlerweile auch aufgerichtet hatte. Sie sah ihn verwirrt und überrascht zugleich an. »Warum möchtest du mit mir reden? Ich habe den SchattenClan verraten. Wenn du mich töten möchtest, musst du dich hinten anstellen.«
»Ich möchte dich nicht töten«, versicherte Sonnenpfote ihr. Kurz wurde ihm schwindelig, aber dann hatte er sich wieder im Griff. »Ich möchte dir helfen und einen Vorschlag machen.« Er deutete auf die kahle Hautfläche an ihrer Brust. »Ich weiß jetzt, wie sehr das weh tut.«
Kräuselpfote legte die Ohren an und schaute auf ihre Pfoten.
»Es ist grausam, dass eine Mutter sowas ihrem eigenen Kind antun würde. Du möchtest deine Macht doch wiederhaben, oder? Ohne sie ist da ein ewiger Schmerz in dir und es fühlt sich so an, als wäre ein Teil von dir herausgerissen worden.«
Die schwarz-weiße Schülerin nickte.
»Wenn man etwas nehmen kann, kann man es auch zurückgeben«, sagte er. »Wenn du schwörst, den SchattenClan nicht mehr zu verraten und mit uns zusammen Düsterer Mond zu besiegen, dann verspreche ich dir, dass du deine Macht wiederbekommst, sobald das möglich ist.«
»Hirschbein hat gesagt, dass das unmöglich ist«, murmelte Kräuselpfote.
»Du glaubst jemandem, der dich mit Lügen dazu gebracht hat, deinen eigenen Clan und deine Freunde zu verraten?«, hakte Sonnenpfote nach.
Kräuselpfotes Augen leuchteten etwas auf. »Also ist es doch möglich?«
Bevor Sonnenpfote antworten konnte, ertönte das leise Zwitschern eines Vogels und Ikalu landete auf der Wurzel hinter der Heilerschülerin. Gleich darauf tauchte Ojiha neben ihm auf. »Es ist möglich, wenn man daran glaubt«, miaute der Schamane ruhig und nickte Sonnenpfote anerkennend zu. »Du bist gut mit Worten, junger Kater. Wenn ihr beide euch an euer Versprechen haltet, werde ich den SternenClan um diesen Segen bitten.«
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