Ein Ufer
Schattenstern kam erst zwei Sonnenaufgänge nach dem Kampf gegen Düsterer Mond ins WindClan-Lager zurück. Sprenkelpfote hatte sich die ganze Zeit über Sorgen gemacht, aber es hatte sich herausgestellt, dass ihre Mutter nur verschwunden war, um Keet und Ami als Verstärkung zu holen. Sobald der Kampf vorüber war, waren die zwei Wölfe direkt flussabwärts aufgebrochen, um zu ihren Welpen zurückzukehren, auf die Schattenstern während dieser Zeit aufgepasst hatte.
»Sie werden nicht mit uns kommen«, verkündete die Anführerin nach der überschwänglichen Begrüßung. »Die Welpen von Keet und Ami sind noch zu jung. Wahrscheinlich werden sie zurück zu ihrem Rudel gehen.«
Sprenkelpfote konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. Der Welpe mit den verschiedenfarbigen Augen, den sie bei ihrem kurzen Besuch gesehen hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf und sie hatte wirklich gehofft, irgendwann mit ihm spielen oder vielleicht sogar jagen zu können.
»Schade«, murmelte Nebelpfote neben ihr. Ihr Bruder hatte sich nach dem Kampf ungewöhnlich oft aus dem Lager geschlichen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das aber nur mitbekommen, weil sie es selbst mehr als ein Mal versucht hatte. Sie wollte unbedingt wissen, ob Sternenpfote Fliegenschatten schon geheilt hatte, aber ihr Mentor Kräuselsturm ließ sie nicht aus den Augen. Gefühlt wusste jeder im WindClan schon, dass sie etwas für Fliegenschatten empfand. Das ist nicht gerecht! Nebelpfote kann sich auch nur rausschleichen, weil Efeubein die meiste Zeit bei Spritzklang im Heilerbau ist oder mit ihr spazieren geht!
»Abgesehen davon haben wir noch eine wichtige Sache zu klären«, erhob Schattenstern wieder ihre Stimme. »Vogelschweif und Dunkelherz wurden bestraft, weil wir an ihrer Treue zum WindClan gezweifelt haben.«
Ein leises Gemurmel ging durch die versammelten Katzen. Sprenkelpfote fiel auf, dass ihre Mutter Funkenstern nicht erwähnte. Trotzdem wusste jeder, was sie mit ihrer Aussage meinte.
»Haben sie sich euer Vertrauen wieder verdient?«, fragte die schwarze Kätzin und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. »Beide sind bereit gewesen, den Köder zu spielen, um das Rudel aus dem Wald zu locken. Dunkelherz hat sich selbst verletzt, damit es so aussah, als hätte Vogelschweif die Macht des Feuers. Ich habe ihnen verziehen, aber ich möchte auch die Stimmen meines Clans hören.«
Eine Weile war es still. Sprenkelpfote sah, wie Blendfeuer unruhig von einer Pfote auf die andere trat. Wenn er sich als Erster für Vogelschweif aussprechen würde, würde das nicht gut ankommen. Er war ihr Gefährte. Natürlich vertraute er ihr und hoffte, dass ihre Strafe beendet war. Aus demselben Grund zwang sich auch Sprenkelpfote dazu, still zu bleiben.
»Ich vertraue ihnen«, meldete sich endlich jemand zu Wort. Alle Augen richteten sich auf Funkenlicht, der ernst zu Schattenstern hoch schaute. »Jeder macht Fehler, aber ich denke, wir alle haben bemerkt, dass sie das, was sie getan haben, aufrichtig bereuen.«
»Dem SternenClan sei Dank«, hörte Sprenkelpfote Nebelpfote flüstern. Wahrscheinlich hatte er seinen besten Freund zuvor darum gebeten, sich für Dunkelherz auszusprechen.
»Ich vertraue ihnen auch«, miaute Hechtkralle. Sein Wort als zweiter Anführer wog natürlich schwer und mehrere Katzen nickten zustimmend.
»Ich auch«, sagte Kräuselsturm.
»Ich auch!«, rief Spritzklang aus dem Heilerbau.
Bald war die Luft erfüllt von freudigen Rufen, die in die Namen von Vogelschweif und Dunkelherz übergingen.
»Dunkelherz! Vogelschweif!«, rief Sprenkelpfote so laut sie konnte und sprang auf die Pfoten. Endlich! Endlich! Während die anderen noch feierten, lief sie hinüber zum Heilerbau, wo die Wunden ihres Bruders von Sprungflügel versorgt wurden. Die weiße Kätzin mit der schwarzen Pfote sah sie überrascht an, ließ sie aber durch.
»Dunkelherz!« Ihr Bruder lag in einem Moosnest weiter hinten im Schatten des Busches und hob leicht den Kopf, als sie rein kam. »Hörst du? Sie rufen deinen Namen! Keiner macht dir mehr Vorwürfe!«
»Das sagen sie vielleicht, aber bestimmt denken sie anders...«
Sprenkelpfote schüttelte entschieden den Kopf. »Nein! Sie haben dir auf jeden Fall verziehen! Hab ich dir nicht gesagt, dass alles gut wird?«
Dunkelherz zuckte mit den Ohren, doch sie konnte sehen, dass er innerlich trotzdem unglaublich erleichtert und vielleicht sogar glücklich war. Auf einmal bemerkte Sprenkelpfote eine Bewegung aus dem Augenwinkel und schaute überrascht zu Spritzklang, die ihr einen Moosball hingeschoben hatte. Die cremefarbene Kriegerin nickte ihr auffordernd zu.
»Dunkelherz!«, rief Sprenkelpfote, die sofort verstanden hatte, worauf Spritzklang hinaus wollte. »Fang!« Sie warf den Moosball in die Luft und zu ihrer Überraschung sprang Dunkelherz wirklich auf die Pfoten. Wegen der Verletzungen, die er sich selbst zugefügt hatte – wobei bestimmt auch welche von Kräuselpfote dabei waren –, konnte er sich nicht weit genug strecken, aber als der Moosball zu Boden fiel, hechtete er hinter ihm her.
»Wer hat denn vor einiger Zeit noch gesagt, dass sowas nur für Junge ist?«, neckte Sprenkelpfote ihren Bruder.
»Man kann seine Meinung doch ändern, oder?«, fragte Dunkelherz und trat verlegen einen Schritt zurück. Seine Ohren zuckten und er schien den Rufen draußen zu lauschen, die allmählich aber leiser wurden und schon fast verstummt waren.
Im selben Moment kam Sprungflügel zurück in den Heilerbau. Als sie den Moosball zwischen Dunkelherz' Pfoten sah, schaute sie ihn sofort tadelnd an. »Nein, nein, nein! Keine Spiele! Deine Wunden können jederzeit aufbrechen! Wofür habe ich heute Morgen erst die Spinnweben draufgelegt?«
»Lass sie doch etwas spielen«, miaute Spritzklang. »Es muss ja nichts Wildes sein.«
»Wir können Anschleichen üben!«, warf Sprenkelpfote ein. »Kräuselsturm hat vor Kurzem gesagt, dass ich da richtig gut drin bin.«
»Na gut«, gab Sprungflügel nach. »Aber nicht hier drin! Geht nach draußen!«
»Ja! Danke!« Bevor die Heilerin es sich anders überlegen konnte, scheuchte Sprenkelpfote Dunkelherz nach draußen.
»Anschleichen kann ich schon«, beschwerte ihr Bruder sich. »Funkenstern hat es mir beigebracht.«
Sprenkelpfote konnte nicht verhindern, dass sie bei dem Namen kurz innehielt. Dunkelherz sah sie fragend an. »Was, ist sein Name jetzt schon verboten?«
»Nein! Alles gut!« Sie stupste ihn spielerisch von der Seite an. »Ich habe nur darüber nachgedacht, ob die Katzen im Zweibeinerort nicht eigentlich richtig schlecht im Anschleichen sind. Die Monster sind doch ziemlich laut!«
Dunkelherz sah sie einige Herzschläge lang ausdruckslos an und sie fürchtete schon, sie hätte etwas Falsches gesagt, aber im nächsten Moment fing er an, belustigt zu schnurren. »Vielleicht hast du recht. Wahrscheinlich ist mein Anschleichen richtig schlecht im Vergleich zu deinem.«
»Wenn du möchtest, kann ich Schattenstern darum bitten, dir einen Mentor zu geben!«, schlug sie vor. »Vielleicht kannst du dir sogar einen aussuchen!« Sie beugte sich verschwörerisch zu ihm rüber. »Stell dir vor, du bekommst Blendfeuer oder Terra.«
Dunkelherz sah unauffällig zu dem weißen Krieger hinüber, der gerade aus der Kinderstube kam. »Vielleicht wäre das wirklich eine gute Idee«, meinte er. »Aber ich bitte sie selbst darum.«
»Mach das!« Stolz sah Sprenkelpfote ihrem Bruder hinterher, der leicht humpelnd in Richtung Anführerbau davon ging. Sie ließ ihren Blick weiter über die Lichtung schweifen und ihr fiel auf, dass Nebelpfote wieder nicht da war. Wohin verschwindet er die ganze Zeit?
Sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, weil jemand ihren Namen rief. Kräuselsturm stand mit Aqua und Blendfeuer in der Nähe des Lagereingangs. Wahrscheinlich brachen sie gerade zu einer Patrouille auf und Sprenkelpfote sollte mitkommen.
»Komme!«, rief sie und eilte zu ihnen.
»Wir schauen kurz bei der DonnerClan-Grenze vorbei«, miaute Kräuselsturm. »Letztes Mal haben wir Nachtrabe getroffen und sie meinte, Wolfstern wäre zurückgekehrt, aber alleine. Und sie hat Tigerblume zu ihrer Stellvertreterin ernannt.«
Ist Tigerblume nicht eine Königin?, wunderte Sprenkelpfote sich, fragte aber nicht weiter nach, denn Kräuselsturm war noch nicht fertig.
»Wenn wir wieder jemanden treffen, können wir uns gerne nach Fliegenschatten erkundigen«, sagte ihr Mentor und sie musste sich zusammenreißen, um keinen Freudensprung zu machen. »Aber ich frage und du bleibst unauffällig im Hintergrund.«
»Ja, Kräuselsturm«, sagte sie kleinlaut und folgte ihm, Aqua und Blendfeuer aus dem Lager.
Es dauerte nicht lange, bis sie den Fluss erreichten, der ungewöhnlich wenig Wasser führte. Die Blattgrüne brach gerade an und es wurde immer wärmer. Wahrscheinlich deswegen.
Sehnsüchtig schielte Sprenkelpfote auf die andere Seite, während die Krieger sich daran machten, Geruchsmarkierungen zu setzen. Sie wurde kurz abgelenkt, als ihr ein schwacher Duft auffiel, den jede andere Katze bestimmt nicht wahrgenommen hätte. Aber Nebelpfote war ihr Bruder. Schleicht er sich wirklich zur DonnerClan-Grenze?
»Ich muss kurz zum Schmutzplatz«, rief Sprenkelpfote Kräuselsturm zu und entfernte sich ein Stück, bevor sie sich nochmal vergewisserte, dass es Nebelpfotes Geruch war. Er schien wirklich darauf geachtet zu haben, keine Spuren zu hinterlassen. Aber ich bin deine Schwester! So einfach kannst du mich nicht täuschen! Sie folgte dem Geruch bis zu einer Uferböchung und als sie hinunter sah, verschluckte sie sich beinahe und fing an zu husten. Sofort richteten sich zwei Augenpaare auf sie.
»Sprenkelpfote!«, rief Nebelpfote erschrocken und sprang auf die Pfoten. Lilienpfote, die mit nassem Fell ihm gegenüber saß, erhob sich ebenfalls.
»Ich denke, ich gehe jetzt besser«, sagte die hellgrau getigerte Kätzin hastig und schwamm so schnell auf die andere Seite des Flusses, dass Sprenkelpfote es nicht schaffte, auch nur irgendwas zu sagen.
Er trifft sich heimlich mit Lilienpfote? Was? Aber... Sie gehört zu einem anderen... Mitten im Gedanken unterbrach sie sich. Fliegenschatten gehört auch zu einem anderen Clan...
»Du wirst nichts sagen, oder?« Nebelpfote kletterte zu ihr hoch und schaute sie voller Hoffnung in den Augen an. Als sie schwieg, zuckten seine Schnurrhaare nervös. »Bitte! Es... Du weißt doch, wie das ist!«
»Hat Sternenpfote Fliegenschatten schon geheilt?«
Nebelpfote sah sie verwirrt an.
»Du hast doch eben Lilienpfote zufällig beim Jagen am anderen Ufer gesehen und ihr habt euch kurz unterhalten. Bestimmt hat sie dir gesagt, was mit Fliegenschatten los ist.«
Ihr Bruder atmete erleichtert aus und sprang auf ihre alternative Erklärung für das Treffen an. »Es geht ihm gut und er kann wieder laufen, aber er muss noch im Lager bleiben. Sternenpfote ist dafür wieder zum SchattenClan zurückgekehrt.« Er beugte sich zu ihr rüber. »Lilienpfote heißt jetzt übrigens Lilientau.«
»Den letzten Satz habe ich natürlich nicht gehört«, miaute Sprenkelpfote leicht belustigt, weil sie ihren Bruder noch nie mit so einer sanften Stimme hatte sprechen hören. »Kehre besser schnell ins Lager zurück. Kräuselsturm, Blendfeuer und Aqua sind ganz in der Nähe.«
»Ja.« Nebelpfote wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber doch noch einmal zu ihr zurück. »Danke.«
Sprenkelpfote nickte ihm zu. Pass nur auf, dass du nicht erwischt wirst.
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Lied zum Kapitel: Twelve Titans Music – Bound By Purpose
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