Ein Heulen
Der Donner ging Terra durch Mark und Bein, aber sie hatte keine Zeit, um diesem Gewitter Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre Krallen fest im dicken Pelz des Wolfes verhakt versuchte sie, ihn zusammen mit Hechtkralle, Blendfeuer und Spritzklang zu Fall zu bringen. Doch die Bestie schüttelte sich und weigerte sich einfach, nachzugeben.
»Nochmal!«, hörte sie Hechtkralle neben ihr rufen.
Mit aller Kraft zerrte sie am grauen Fell, aber der Wolf machte nur einen Ausfallschritt zur Seite und blieb stehen. Plötzlich fuhr sein Kopf herum, packte Spritzklang am Schweif und zerrte sie von sich runter. Die cremefarbene Kätzin kreischte entsetzt auf, als sie weggeschleudert wurde. Terra kniff die Augen zusammen, versuchte, das Heulen zu ignorieren.
»Spritzklang!«, schrie jemand, wahrscheinlich Efeubein, der das Kreischen seiner Gefährtin gehört hatte.
»Rückzug!«, befahl gleichzeitig Hechtkralle. Zu dritt gegen einen Wolf zu kämpfen, war eine verlorene Sache.
Terra ließ sich fallen, hoffte, nicht versehentlich auf einer Katze zu landen und atmete erleichtert aus, als sie das nasse Gras unter den Pfoten spürte. Gehetzt blickte sie sich um, obwohl sie absolut gar nichts sehen konnte. Der Mond und die Sterne waren von Wolken verdeckt. Nur weit entfernt, jenseits des DonnerClan-Territoriums, leuchteten schwach die Lichter des Zweibeinerorts.
Der Regen war mittlerweile so heftig geworden, dass die Rufe der Krieger teilweise vom lauten Prasseln übertönt wurden. Erschrocken zuckte sie zusammen, als Hechtkralle sie von der Seite anstieß.
»Lauf!«, rief er ihr zu.
Ohne nachzudenken rannte Terra los, wich den kämpfenden Katzen nur dann aus, wenn sie direkt vor ihr auftauchten und sie die herumspritzenden Regentropfen, die aus ihren Pelzen geschüttelt wurden, auf ihrem eigenen Fell oder den Schnurrhaaren spürte. Irgendwo hinter ihr wütete noch der Wolf, den sie zuvor angegriffen hatten.
»Sie fliehen nicht«, keuchte sie im Laufen. »Aber wir können sie auch nicht töten.«
»Wir müssen Düsterer Mond zum Rückzug bringen«, antwortete Hechtkralle ihr. »Und Dämmriger Himmel. Anders geht es nicht. Sie werden so lange weiterkämpfen, bis keiner von uns mehr übrig ist.«
»Windstern hat gesagt, wir sollen uns von ihnen fern halten!«
»Es geht nicht anders!«
Plötzlich blitzte es erneut. So hell, dass Terra fast geblendet wurde. Doch in diesem kurzen Moment der Helligkeit sah sie die Verzweiflung und das Chaos um sich herum. Die Krieger der verschiedenen Clans versuchten verzweifelt, die Wölfe umzustoßen oder zu Boden zu zerren, um ihnen dann die Augen oder die Nase zu zerkratzen, aber bisher lag nur eine der Bestien leise wimmernd im nassen Gras. Gleichzeitig hielten sich einige Katzen kaum mehr auf den Beinen. Blut vermischte sich mit Wasser und tropfte von ihren Pelzen hinab.
Und mitten in diesem Chaos standen Düsterer Mond und Brud sich gegenüber. Der Anführer des Wolfrudels war kaum zu erkennen, war wie ein Schatten des anderen Wolfs. Nur das unheimliche Funkelns seiner Augen deutete an, dass er ein lebendiges Wesen war. Kurz bevor der Lichtblitz erlosch, stürzten die beiden Bestien sich aufeinander. Lautes Knurren und Jaulen ertönte, ein furchteinflößendes Reißen und dann die Geräusche von zwei Riesen, die gegeneinander kämpften. Die Zähne fest im jeweils anderen verbissen.
»Wir müssen ihm helfen!«, rief Terra erschrocken und wollte schon losrennen, als Hechtkralle sie zurückhielt.
»Gegen Düsterer Mond kommen wir nicht an!«, miaute er. »Brud wird sich um ihn kümmern! Hast du Dämmriger Himmel gesehen?«
»Nein. Windstern hat nicht gesagt, wie sie aus...«
Im selben Moment wurde Terra von jemandem umgestoßen. Scharfe Krallen bohrten sich in ihre Schultern und hielten sie am Boden fest. Gleichzeitig schien auch Hechtkralle angegriffen worden zu sein, denn sie hörte sein verärgertes Fauchen ganz in der Nähe.
Die Verfolger!, schoss es ihr durch den Kopf, aber gleichzeitig kam etwas ihr seltsam vor. Ihr Gegner schien vollkommen verdreckt zu sein, ekliger Matsch tropfte von oben auf sie herab. Und auf einmal nahm sie einen Geruch war, den sie genau kannte.
»Rotkralle!«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Der Kater, der zusammen mit Streifenmond und drei anderen Kriegern das DonnerClan-Territorium verlassen hatte, weil er Wolfstern nicht als Anführerin akzeptieren konnte. Er hat sich also mit den Verfolgern verbündet!
Terra brauchte einen Herzschlag, um diese Information zu verarbeiten, dann rammte sie dem Kater die Hinterbeine in den Bauch und schleuderte ihn davon.
»Rotkralle!«, hörte sie den Aufschrei von Nacht und nahm an, dass die DonnerClan-Kätzin sich um ihn kümmern würde.
Gehetzt sprang sie zurück auf die Beine und eilte in die Richtung, in der Hechtkralle gewesen war. Auch er hatte es anscheinend geschafft, sich zu befreien. »Streifenmonds Krieger«, keuchte er.
»Ja«, miaute sie. »Was machen wir jetzt?«
»Weiterkämpfen«, antwortete Hechtkralle entschlossen. »Die Wölfe beschäftigen, damit Brud sich mit Düsterer Mond beschäftigen kann und nicht mit noch ein paar Gegnern mehr.«
Terras Ohren zuckten. Immer noch hörte sie die Kampfgeräusche der zwei Wölfe, die in der Mitte der Wiese aufeinander getroffen waren. Plötzlich ertönte von irgendwo her jedoch ein lautes Heulen. Dasselbe, das sie schon mehrmals während des Kampfes gehört hatte. Nun klang es allerdings siegessicher, fast schon triumphierend. Was ist da passiert?
Gleichzeitig erbebte die Erde, als alle Wölfe auf einmal sich zurückzogen und die teils verletzten, aber auf jeden Fall erschöpften Katzen der drei Clans zurückließen. Terra wurde von einer der Bestien fast umgerannt und konnte gerade noch so einem der langen Beine ausweichen. Mit gesträubtem Fell erwartete sie, dass jetzt etwas Schlimmes passieren würde, aber es geschah nichts. Mit einem Mal gab es keine Gegner mehr, gegen die man kämpfen konnte. Beim nächsten Blitz sah man die zerwühlte Wiese. Der Regen malte dünne Striche in die Landschaft.
»Was ist los?«, rief jemand. »Wo sind sie hin?«
»Haben sie aufgegeben?«, fragte eine andere Katze, allerdings mit wenig Überzeugung in der Stimme.
Die Krieger redeten wild durcheinander, bis nach einiger Zeit Windstern sich meldete: »Überprüft, ob all eure Clan-Gefährten noch da sind! Fehlt eine Katze?«
Hat Düsterer Mond sein Ziel doch noch erreicht? Hat er die Katze mit der Macht mitgenommen oder von jemandem mitnehmen lassen? Vielleicht von Dämmriger Himmel? Terra riss sich zusammen und folgte Hechtkralle, um in die Richtung zu gehen, wo der WindClan sich versammelte. Brud schien ebenfalls dabei zu sein, wenn auch stark mitgenommen. Regelmäßig war ein leises Winseln zu hören und selbst der Regen konnte den Blutgeruch nicht überdecken.
»Sind alle da?«, fragte Schattenstern und übertönte das Prasseln.
»Efeubein und Spritzklang sind bei den Heilern«, meldete Blendfeuer sich.
»Wo ist Sprenkelpfote?«, ertönte die Stimme von Nebelpfote, voller Sorge. »Sprenkelpfote, bist du hier?«
»Sprenkelpfote!«, rief Schattenstern.
»Sie ist auch bei den Heilern«, miaute Aqua, die anscheinend eben erst angekommen war. Sie hatte nicht mitgekämpft, sondern dabei geholfen, die Verletzten zum Rand der Wiese zu bringen, wo sie versorgt wurden. »Sie ist nicht verwundet. Aber Fliegenschatten. Dabei hat er vor Kurzem erst seinen Kriegernamen erhalten.«
Fast zeitgleich erklang aus der Versammlung des DonnerClans nicht weit entfernt ein entsetztes Kreischen, das eindeutig Nacht gehörte. Was ist mit Fliegenschatten passiert?, dachte Terra erschrocken, aber sie war zu erschöpft, um jetzt dorthin zu gehen und nachzuschauen.
»Wer verletzt ist, geht jetzt zu den Heilern«, befahl Schattenstern. »Am besten alle«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu.
»Ist Sonnenpfote bei euch? Ein hellbraun getigerter Kater?«, fragte plötzlich eine Stimme, die Terra als die von Käferblume vom SchattenClan identifizierte. Die Kätzin klang besorgt und verängstigt zugleich. »Sonnenpfote!«
Niemand meldete sich.
»Er ist...«, flüsterte Käferblume mit zitternder Stimme. »Die Wölfe haben ihn mitgenommen.« Kurz darauf hörte man das Platschen, als die Kätzin über das nasse Gras zurück zum SchattenClan rannte.
»Fuchsdung«, hörte Terra Schattenstern fluchen und war überrascht über die plötzlich heftige Ausdrucksweise der Anführerin. »Wer nicht schwer verletzt ist, bleibt bitte hier. Wahrscheinlich müssen wir den SchattenClan-Schüler zurückholen.«
»Ja, aber wir müssen erst die Verletzten versorgen«, erklang die Stimme von Windstern, der sich wegen des Regens lautlos genähert hatte. »Außerdem ist eine unserer Ältesten gestorben, die sich um die Jungen gekümmert hat. Wir müssen Totenwache für sie halten und sie begraben.«
»Ist Sonnenpfote die Katze mit der Macht?«, fragte Funkenlicht aus der Dunkelheit.
»Wahrscheinlich«, antwortete Windstern. »Wir dürfen nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.«
»Ja«, miaute Schattenstern und fragte schließlich noch zögernd: »Werden die Wölfe nochmal angreifen? Können wir unsere Verletzten hier versorgen oder ist es zu gefährlich?«
»Wir müssen wachsam bleiben«, sagte Windstern. »Ich weiß zwar nicht, warum, aber Düsterer Mond meidet Sonnenlicht. Jetzt ist es allerdings Nacht. Er kann jederzeit wieder angreifen, auch wenn ich das bezweifle, da er ja nun hat, was er wollte. Wir werden trotzdem Wachen aufstellen.«
»In Ordnung. Danke.« An die WindClan-Katzen gewandt fügte Schattenstern hinzu: »Sucht jetzt einen der Heiler auf und kehrt zurück, wenn ihr bereit seid, Sonnenpfote zu retten.«
Terra wartete auf einen Blitz und stupste Hechtkralle dann in die Richtung, in der die Heiler auf sie warteten. Dort angekommen, dauerte es eine ganze Weile, bis jemand zu ihnen kam. Weises Reh war offenbar mit Spritzklang beschäftigt, deren Schweif von den Wolfszähnen praktisch zerfetzt worden war. Daher kam Sprungflügel zu ihnen. Die Heilerin untersuchte sie beide und trat dann einen Schritt zurück.
»Es ist nichts Schlimmes«, miaute sie hastig.
»Was ist mit Fliegenschatten?«, fragte Terra vorsichtig.
Es vergingen einige Herzschläge, bis Sprungflügel antwortete. »Nichts Gutes. Aber es wäre besser, ihr bleibt hier und geht nicht zu ihm.«
Ein eiskalter Schauer fuhr Terra über den Rücken. Was ist nur mit ihm passiert? Das unangenehme Gefühl ging auch nicht weg, verstärkte sich nur, wenn sie daran dachte, dass sie bald auch noch in den Wald gehen müssten, um Sonnenpfote zu retten. Im Licht eines Blitzes erschienen die Bäume wie lebendig gewordene Schatten. Das darauf folgende Donnern ging ihr durch Mark und Bein.
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Edit: Als das Kapitel rauskam, habe ich ein paar Sachen in den vorherigen Büchern überarbeitet und die Änderungen hier aufgelistet. Jetzt ist das ja nicht mehr so wichtig, aber eines muss ich trotzdem erwähnen:
- Danke an tintenwolf für den Vorschlag, den Namen von Schattensterns Mutter in Lichtblüte umzuändern :)
Der vorletzte Hinweis: Bevor ihr ein gewisses Kapitel lest, könnt ihr vielleicht nochmal in »Finstere Wolken« und dort in »Die Hinterfragung« reinschauen, wo Wind Schwarzblüte etwas von einem Beschützer erklärt. Nur so, im Voraus, damit ihr mich nicht direkt umbringt O.o Werdet ihr wahrscheinlich sowieso tun. Oh Mann, ich fürchte, ich werde heute so viele Leser verlieren O.o Sorry, Leute *schnief*
Der letzte Hinweis: Bei einigen Kapiteln hat es sich zwar angeboten, oben wieder eine Karte einzufügen, aber ich habe wegen der Stimmung trotzdem ein Lied reingestellt. Nicht traurig sein. Es wird noch genug Kapitel mit Karten geben :)
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