Ein Fehler
Terra schaute fragend zu Hechtkralle, der sie leicht angestupst hatte. Der blaugraue Kater nickte in Richtung des Flusses. Sie folgte seinem Blick und entdeckte die kleine Gestalt von Laufherz, die sich das Ufer hinauf und in Richtung Lager kämpfte. Sie wirkte zutiefst erschöpft, doch ihre Augen leuchteten und in ihrem Maul baumelte eine Maus, die sie anscheinend vor Kurzem erlegt hatte. Für alle anderen musste es aussehen, als wäre sie gerade von der Jagd zurückgekehrt – obwohl sie eigentlich viel zu jung fürs Jagen war.
»Warten wir, bis sie zu uns kommt, oder gehen wir selbst zu ihr?«, fragte Terra im Flüsterton.
»Ich glaube, wir können zu ihr gehen, sobald sie die Kinderstube betreten hat«, flüsterte Hechtkralle ihr zu. »Moira und Gift sind zurzeit mit jemand anderem beschäftigt.« Seine Ohren zuckten in Richtung der zwei Kätzinnen, die gerade Kräuselsturm anfauchten, weil der Kater ihnen angeblich ihren Beuteanteil weggenommen hatte.
»Dann los!«
Terra sprang auf die Pfoten und huschte zur Kinderstube hinüber, in der Laufherz gerade verschwunden war. Drinnen war es erstaunlich ruhig. Tannennadel und Vogelschweif hatten sich, mit ihren Jungen dicht an ihren Bäuchen, fest zusammengerollt und schliefen. Nur Seelenpfote war wach, murmelte leise etwas vor sich hin, während ihre Tochter versuchte, sie dazu zu bringen, die Maus zu fressen.
»Laufherz«, sprach Terra die weiße Kätzin an.
Diese fuhr zu ihr herum, das Fell leicht gesträubt, doch schnell legte es sich wieder und sie entspannte sich. »Ich bin den zwei Katern gefolgt!«, miaute sie aufgeregt.
»Warum hast du so lange gebraucht?«, fragte Hechtkralle besorgt.
»Die Katzen haben mich festgehalten, nachdem ich ihnen von Funkenstern erzählt habe und wie er den WindClan übernommen hat«, erklärte sie mit einem bitteren Unterton. »Die Katzen gehören zum SchattenClan! Der Anführer heißt Windstern. Und sein Stellvertreter ist Harzjäger. Und sie haben ganze drei Heiler! Und einen Schamanen! Und der hat einen Vogel, der...«
»Was ist das für ein Lärm?«, murrte auf einmal Vogelschweif und öffnete müde blinzelnd die Augen. Als sie Laufherz sah, seufzte sie schwer auf. »Du schon wieder.«
»Entschuldige«, sagte die weiße Kätzin schnell, warf Seelenpfote einen besorgten Blick zu, bedeutete Terra und Hechtkralle dann aber, mit nach draußen zu kommen.
»Die Katzen gehören also zum SchattenClan?«, fragte Terra außerhalb der Kinderstube, nachdem sie sich versichert hatte, dass Moira und Gift immer noch mit Kräuselsturm beschäftigt waren. Funkenstern und Dunkelherz waren seltsamerweise nirgendwo zu sehen. Vielleicht sind sie jagen.
»Ja«, bestätigte Laufherz und beugte sich verschwörerisch vor. »Eigentlich darf ich es nur dir sagen, Terra, aber Hechtkralle ist ja dein Gefährte. Jedenfalls waren Schattenstern und Wolfstern, die jetzt Anführerin des DonnerClans ist, bei Windstern. Sie werden sich verbünden und dann gegen Funkenstern und seine Streuner kämpfen, um den WindClan zurück zu erobern!«
»Was?« Terra musste sich beherrschen, damit sie das Wort nicht laut schrie. Es wird also doch noch alles gut! Eine Welle der Erleichterung überkam sie.
»Wann?«, fragte Hechtkralle an ihrer Seite.
»In fünf Tagen«, berichtete Laufherz. »Aber ich habe versprochen, dass ich sonst niemandem etwas davon sage. Damit der Überraschungseffekt erhalten bleibt!«
»Ich verstehe, aber ist es nicht besser, wenn alle WindClan-Katzen Bescheid wissen?«, überlegte Terra. »Sonst könnte es sein, dass jemand die SchattenClan-Krieger für Streuner hält und sie versehentlich verletzt.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, gab Laufherz zu. Sie trat nervös von einer Pfote auf die andere. »Ich weiß nicht. Ich habe es Windstern so versprochen...«
Plötzlich ertönte ein lautes Knurren und ein goldener Blitz schoss wie aus dem Nichts auf die weiße Kätzin zu. Terra war so erschrocken, dass sie sich im ersten Moment nicht vom Fleck rühren konnte. Ihr gesamtes Fell stellte sich auf. Hechtkralle reagierte noch vor ihr. Er machte Anstalten, Funkenstern von Laufherz weg zu reißen, doch der golden getigerte Kater hielt ihn mit einem drohenden Fauchen zurück, drückte die weiße Kätzin mit nur einer Pfote zu Boden. Sie wimmerte leise. Ob vor Schreck oder vor Schmerz konnte Terra nicht sagen.
»Was soll das?«, schrie sie Funkenstern an. »Lass sie los! Was machst du da?«
Statt ihr zu antworten, beugte der getigerte Kater sich zu Laufherz hinab. »Was hast du Windstern versprochen?«, zischte er sie an. »Du hast nicht mit ihm geredet als er hier war. Also musst du dich heimlich mit ihm getroffen haben. Wenn ich es mir recht überlege...« Er kniff misstrauisch die grünen Augen zusammen. »Ich habe dich die letzten Tage gar nicht hier im Lager gesehen. Wo warst du?«
Laufherz zitterte vor Angst. Ihre weit aufgerissenen Augen richteten sich auf Terra, hilfesuchend, verzweifelt. Sie kann es ihm nicht sagen! Sonst wird alles auffliegen! Was soll ich nur tun?
»Terra, Liebes«, sprach Funkenstern nun sie an ohne den Blick von Laufherz abzuwenden. »Du wirst mich doch wohl nicht enttäuschen und ebenfalls schweigen? Weißt du, wo diese Tochter einer Gebrochenen war? Hast du etwas damit zu tun? Zwing mich nicht dazu, ihr weh zu tun!«
»Nein!«, schrie Terra entsetzt auf, als der golden getigerte Kater seine Krallen quälend langsam ausfuhr, sodass sie sich jeden Augenblick in die Haut der Kätzin bohren könnten. »Lass sie los! Wir haben uns nur Geschichten erzählt!« In ihrer Verzweiflung redete sie völligen Fuchsdung. »Ich habe ihre Geschichte über Windstern falsch wiedergegeben und sie hat mich korrigiert! Eine harmlose Kinderstuben-Geschichte! Es ist Zufall, dass die Namen übereinstimmen!« Ich habe keine Ahnung, wie viel er überhaupt mitbekommen hat! Vielleicht sogar alles! Beim SternenClan, testet er gerade, ob ich ihm die Wahrheit sage?
»Du weißt, dass jetzt, da Fremdschatten tot ist, sie die Geschichtenerzählerin ist«, unterstützte Hechtkralle sie. Sie spürte, dass er versuchte, sich unter Kontrolle zu halten, um sich nicht sofort auf Funkenstern zu stürzen. Eine falsche Bewegung und Laufherz hätte ihr ganzes Leben lang die Narben seiner Krallen im Gesicht.
»Das soll ich glauben?«, knurrte Funkenstern mit unterdrückter Wut. Sein brennender Blick legte sich auf Terra.
Ihr ganzes Fell prickelte vor Unbehagen und Entsetzen. Es war lange her, dass sie diesen Blick bei ihm gesehen hatte. Diese Lust, zu töten. Doch noch nie war er so intensiv gewesen. Was hat er vor? Ein Schrei entwich ihrer Kehle, als der golden getigerte Kater mit der anderen Pfote ausholte, um Laufherz zu schlagen. Blitzschnell schoss sie vor und fing den Hieb ab. Stechender Schmerz bohrte sich in ihre Seite und sie fühlte warmes Blut durch ihren Pelz sickern.
»Terra!« Die Stimme gehörte Hechtkralle. Er stürzte zu ihr und stieß gleichzeitig Funkenstern weg, der ungläubig auf sie hinab starrte.
»Geht schon«, beruhigte sie ihren Gefährten, rappelte sich auf und stellte sich schützend vor Laufherz, die zitternd auf dem Boden hockte. Terra spannte die Muskeln an, bereit, die weiße Kätzin ein weiteres Mal zu verteidigen, wenn es nötig sein musste. Aber Funkenstern rührte sich nicht, blickte nur mit einem tiefen Entsetzen in den Augen auf ihre Schulterwunde.
»Es... Es tut mir leid«, stotterte er, schüttelte den Kopf und war auf einmal wieder ganz der alte. Kalt, distanziert. Das Feuer in seinen grünen Augen loderte wieder auf. »Du hast mir keine Wahl gelassen«, zischte er. »Geh zur Seite oder...«
»Oder was?«, unterbrach sie ihn. »Wirst du mich wieder angreifen? Wenn du Laufherz etwas antun möchtest, musst du erst an mir vorbei!«
»Und an mir!«, unterstützte Hechtkralle sie.
Mittlerweile hatten sich einige Streuner um sie versammelt. Darunter auch Moira und Gift. Erstere zuckte amüsiert mit den Schnurrhaaren. Letztere brachte die WindClan-Katzen mit warnenden Blicken dazu, auf Abstand zu bleiben. Nur Funkenlicht schaffte es irgendwie an ihr vorbei, zögerte jedoch, als er Terras Schulterwunde sah. Auch Dunkelherz war jetzt aufgetaucht. Wie ein Schatten näherte er sich Funkenstern von hinten und blieb neben ihm stehen. Erstaunlicherweise stand jedoch eine ehrliche Sorge in seinem Gesicht.
»Was ist hier los?«, fragte Dunkelherz den golden getigerten Kater.
»Laufherz hat sich heimlich mit Windstern getroffen und möchte nicht verraten, was sie mit ihm besprochen hat!«, fauchte Funkenstern. »Und Terra und Hechtkralle haben auch etwas damit zu tun! Sie haben eindeutig etwas vor!«
»Laufherz kann sich gar nicht mit Windstern getroffen haben. Die letzten Tage war sie immer auf unserem Territorium und hat es nur etwas erforscht, um die besten Jagd-Gebiete zu finden. Ich habe sie beobachtet.«
Terra versuchte, völlig ruhig zu bleiben und auf keine Weise zu verraten, dass sie überrascht war. Dunkelherz hilft uns? Warum? Es ist unmöglich, dass er Laufherz die letzten Tage gesehen hat! Sie war die ganze Zeit beim SchattenClan! Sie hat es selbst gesagt!
»Ist das wirklich so?«, fragte Funkenstern.
Dunkelherz nickte.
»Gut. Ich vertraue dir«, miaute der golden getigerte Kater schließlich nach einer Weile, schien allerdings auch nicht vollständig überzeugt zu sein. »Dann habe ich mich geirrt. Bin ich nicht ein guter Anführer? Wenn ich weiß, dass ich mich geirrt habe, gebe ich es zu. Und ich entschuldige mich. Es tut mir leid, Laufherz.« Dann hob er den Kopf und rief laut: »Alle gehen zurück an ihre Arbeit! Baut die Baue zu Ende oder geht auf Patrouille!«
Die Streuner fauchten und zischten als wären sie enttäuscht, dass jetzt doch nichts Interessantes passierte, und drängten auch die WindClan-Katzen weg. Zurück blieben nur Terra, Hechtkralle, die zitternde Laufherz und Dunkelherz, der Funkenstern ausnahmsweise nicht gefolgt war. Er warf ihnen einen besorgten Blick zu.
Warum hast du uns geholfen?, fragte Terra in Gedanken, obwohl sie wusste, dass er sie so nicht hören konnte.
Auf einmal gab Dunkelherz sich einen Ruck, drehte sich um und folgte Funkenstern doch noch.
»Er weiß es«, ertönte plötzlich Laufherz' zitternde Stimme hinter ihr.
Terra wirbelte zu ihr herum. »Wie meinst du das? Was weiß er?«
»Er weiß, dass ich bei Windstern war«, wimmerte die weiße Kätzin. »Wahrscheinlich hat er auch schon erraten, warum ich da war.«
»Woher soll er das schon wissen?«, schnaubte Hechtkralle. »Er ist durch und durch ein Verräter. So wie Funkenstern. Wenn er es gewusst hätte, hätte er es eben doch ganz laut verkündet!«
»Er...«, hob Laufherz an, hielt jedoch sogleich inne. Sie sank leicht in sich zusammen. »Als ich den Fluss überqueren wollte, um Windstern und Ojiha zu folgen, bin ich mit Dunkelherz zusammengetroffen. Er wollte wissen, wo ich hingehe. Ich war so durcheinander. Ich weiß nicht mehr, was ich ihm gesagt habe! Ich weiß nur noch, dass ich ihn darum gebeten, mich zu decken, wenn jemand nach mir fragt!«
Terra öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam kein Wort raus. Sie ist wirklich noch ein Junges! Versteht sie nicht, dass sie uns alle damit in Gefahr gebracht hat? Was, wenn Dunkelherz Funkenstern alles verraten hätte? Dann wäre sie jetzt schwer verletzt oder sogar tot!
»Das hättest du nicht tun dürfen!«, sagte Hechtkralle an ihrer Stelle. »Du hättest warten müssen, bis er dich in Ruhe lässt, bevor du den Fluss überquerst!«
»Es tut mir leid! Es tut mir leid!«, jammerte Laufherz und presste sich noch fester zu Boden, die Ohren eng angelegt. »Ich war in Panik! Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte!«
Terra seufzte. Sie konnte die weiße Kätzin verstehen. Auch ich wusste vorhin nicht, was ich Funkenstern antworten sollte. In solchen Situationen weiß man das wahrscheinlich nie. Man hat einfach nur Panik. »Solange Dunkelherz uns nicht verrät, sollte alles gut gehen«, tröstete sie Laufherz so gut sie konnte. »Er wird uns doch nicht verraten? Sonst hätte er es vorhin schon getan. Oder?« Sie warf Hechtkralle einen fragenden Blick zu.
»Ich habe keine Ahnung.« Er wiegte den Kopf nachdenklich hin und her. »Wir sollten auf das Schlimmste vorbereitet sein. Jemandem wie Dunkelherz kann man nicht vertrauen.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Terra wie Laufherz unter seinen Worten leicht zusammenzuckte. »Geh jetzt am besten zurück zu deiner Mutter«, miaute sie ihr zu. »Bestimmt freut sie sich, dich zu sehen.«
»J... ja«, stotterte Laufherz nur und trottete mit am Boden schleifendem Schweif zur Kinderstube. Terra schaute ihr nach. Das alles gefällt mir nicht. Das Brennen an ihrer Schulter erinnerte sie an ihre Wunde. Ich sollte zu Aqua gehen. Vielleicht kann sie mir irgendwie helfen. Wann kommt Weises Reh endlich zurück? Wobei, ich kann es ihr nicht verübeln, dass sie nichts mit einem WindClan zu tun haben möchte, der von Funkenstern angeführt wird. Sie ließ ihren Blick durch das Lager schweifen und entdeckte ihre Freundin bei Luchsohr. Der gelbbraune Kater war wegen seiner entzündeten Verletzung wieder in einen Fieberschlaf gefallen. Jeden Tag ging es ihm schlechter und schlechter. Fünf Tage muss er noch durchhalten, dachte Terra. Dann wird alles gut.
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Lied zum Kapitel: Evolving Sound - Brightness Falls
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