Ein Entschluss
Terra hatte keine Ahnung, wie es zu dieser Katastrophe gekommen war. Noch am Morgen hatte Funkenstern den Anschein gehabt, nichts von dem Angriff des DonnerClans und SchattenClans zu wissen. Sie selbst hatte sich größte Mühe gegeben, ihre Nervosität zu verbergen, genauso wie Hechtkralle und Laufherz. Aber dann hatte der golden getigerte seinen Streunern plötzlich befohlen, den ganzen WindClan in ein hölzernes Zweibeinernest zu jagen und niemanden rauszulassen.
»Dunkelherz, dieser Verräter«, hörte sie Hechtkralle neben sich murmeln. Er hatte sich einen schmerzhaften Pfotenhieb von einem der Streuner eingefangen, als er versucht hatte, sich zu wehren.
»Dunkelherz?«, fragte Laufherz mit weit aufgerissenen Augen und legte die Ohren an. »Er hätte uns nicht an Funkenstern verraten! Nie im Leben!«
»Wer soll es sonst gewesen sein?«, fragte Hechtkralle. »Du hast ihm alles ausgeplaudert und er hat es natürlich Funkenstern weitererzählt! Es kann nur er gewesen sein!«
»Worüber redet ihr?«, ertönte auf einmal die Stimme von Aqua, so tief wie immer. Die hellgraue Kätzin mit den breiten, schwarzen Streifen setzte sich neben Terra. Sie wirkte ungewöhnlich besorgt.
»Über Funkenstern und seine treuen Anhänger«, murrte Hechtkralle. »Genauer gesagt über einen bestimmten namens Dunkelherz.«
Aqua schaute fragend zwischen ihm und Terra hin und her.
»Schattenstern hat den DonnerClan und den SchattenClan zusammengerufen, um den WindClan von Funkenstern zurückzuerobern«, hob sie seufzend zu einer Erklärung an. »Nur wir drei wussten, dass der Angriff heute stattfinden sollte. Und Dunkelherz. Nur er könnte Funkenstern gewarnt haben.«
Aqua nickte traurig. »Da habt ihr wohl recht. Aber lasst es Nebelpfote nicht wissen.« Ihr Blick wanderte hinüber zu dem dunkelgrauen Schüler, der betrübt neben Funkenlicht saß und scheinbar desinteressiert zuhörte, was sein bester Freund zu sagen hatte. »Er macht sich viele Sorgen um Dunkelherz und auch Sprenkelpfote. Schließlich sind sie alle Geschwister.«
»So oder so, Dunkelherz ist unschuldig«, beharrte Laufherz, stand auf und rannte hinüber zu ihrer Mutter. Seelenpfote hockte bewegungslos am Boden des Zweibeinernests und starrte auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo in der Ferne.
Wenn Laufherz nicht wäre, würde sich bestimmt niemand um sie kümmern, dachte Terra schweren Herzens. Dabei war Seelenpfote früher so fröhlich. Schattenstern sollte ihr wirklich einen Kriegernamen geben, wenn der WindClan wieder ihr gehört. Auch wenn sie keine richtige Kriegerin mehr sein kann. Nicht in diesem Zustand.
»Wie geht es Luchsohr?«, fragte Terra ihre beste Freundin, um sich von diesen Gedanken abzulenken.
Aquas Schnurrhaare zuckten. »Nicht gut. Ich weiß nicht, was ich noch tun kann. Die Entzündung geht einfach nicht weg und er ist kaum bei Bewusstsein. Selbst seine Jungen nimmt er nicht wahr, wenn sie zu ihm kommen, um ihn zu besuchen.«
Terra spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Sie hatte nicht gewusst, dass sein Zustand wirklich so schwer war. Sofort ruckte ihr Kopf herum, um zu Luchsohr zu sehen. Der gelbbraune Kater lag in einem abgelegenen Teil des Zweibeinernests. Er hatte nicht mal die Kraft, um sich hin und her zu wälzen. Tannennadel, Fichtenjunges und Mohnjunges waren bei ihm, aber wie Aqua gesagt hatte, nahm er sie nicht wahr.
»Wir müssen etwas tun!«, sagte Terra entschlossen. Ihr Blick wanderte weiter zum Eingang des Zweibeinernests. Es war der einzige Weg nach draußen und wurde von zehn Streunern bewacht. Zu ihnen gehörten auch Moira und ihre neue ›Freundin‹ Gift. Vor Moira hatte Terra keine Angst, aber mit Gift war das anders. Wegen ihr wäre ich damals fast gestorben.
»Du möchtest dir einen Weg hier raus kämpfen?«, fragte Aqua mit leicht zitternder Stimme. »Viele von uns sind verletzt und die Königinnen und ihre Jungen werden sowieso nicht kämpfen. Ich bin auch keine Kriegerin.«
»Die Jägerinnen damals unter den Gesetzen des Windes konnten auch nicht wirklich kämpfen«, warf Hechtkralle ein. »Trotzdem hat Schattenstern all ihren Mut zusammengenommen und Katzen aus allen Clans um sich versammelt, um zu fliehen und den WindClan zu gründen. Wir müssen nur stark genug daran glauben, dass wir etwas schaffen können. Dann schaffen wir das auch.«
Terra nickte und fühlte, wie ihre Brust ganz warm wurde vor Stolz auf ihren Gefährten. »Wir müssen nur aufpassen, dass die Streuner nicht bemerken, was wir vorhaben.«
Aqua wirkte immer noch nicht vollständig überzeugt, gab dann aber nach. »Dann werden wir uns also hier raus kämpfen. Aber ich werde mich erstmal zurückhalten, um Luchsohr im Auge zu be...«
Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte. Es klang nicht wie etwas, was eine Katze von sich geben könnte, aber es kam eindeutig aus der Richtung, wo Luchsohr am Boden lag. Tannennadel beugte sich über ihren Gefährten, schüttelte ihn mit einer Pfote verzweifelt an der Schulter, wo sein entzündetes Fleisch aufgerissen war. Eigentlich müsste der gelbbraune Kater unerträgliche Schmerzen erleiden, aber er regte sich nicht.
»Luchsohr!«, schrie Tannennadel wieder, die Stimme voller Panik und Entsetzen. »Luchsohr! Nein! Nein!«
Während Terra sich vor Schock nicht von der Stelle rühren konnte, sprang Aqua sofort auf und eilte zu der hellbraunen Kätzin, die wie wahnsinnig ihren Gefährten schüttelte, der jedoch keine Antwort gab. Fichtenjunges und Mohnjunges hockten mit weit aufgerissenen Augen ein Stück entfernt, wussten nicht, was plötzlich in ihre Mutter gefahren war. Zum Glück rannte Spritzklang zu ihnen und versperrte ihnen die Sicht.
»Luchsohr!« Beim letzten Schrei brach Tannennadels Stimme und sie stürzte in sich zusammen. Ihr Körper zitterte.
Terra beobachtete erstarrt, wie Aqua zu Luchsohr trat und ihm ein Ohr auf die Brust legte. Dann schloss sie die Augen und schüttelte niedergeschlagen den Kopf. Luchsohr ist tot. Der Schock saß Terra so tief in den Knochen, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte. Fassungslos wechselte sie einen Blick mit Hechtkralle, der leicht in sich zusammengesackt war. Die Last der Trauer lastete auf allen WindClan-Katzen. Es war vollkommen still. Selbst die Jungen von Vogelschweif schienen zu verstehen, dass eben etwas passiert war, was sie nicht mit ihren Stimmen stören sollten.
Plötzlich stieß Tannennadel einen spitzen Schrei aus. Woher sie diese Kraft nahm, wusste Terra nicht, doch die hellbraune Kätzin war in nur wenigen Sprüngen bei den Streunern am Eingang des Zweibeinernests. Sie warf sich auf einen von ihnen und vergrub ihre Zähne in seinem Nackenfell, während ihre Krallen seine Seiten bearbeiteten. Der Kater hatte noch nicht begriffen, was soeben geschehen war, als er schon aus mehreren Wunden blutete.
»Was geht hier vor?«, ertönte die Stimme von Moira. Die narbige Kätzin tauchte in Begleitung von Gift auf. Als sie Tannennadel sah, fauchte sie wütend. »Wie könnt ihr es wagen!«
»WindClan!«, schrie plötzlich Efeubein. »Angriff!«
»Angriff!«, nahm seine Gefährtin Spritzklang den Ruf auf und dann auch alle anderen WindClan-Katzen.
Terra spürte, wie eine unglaubliche Energie durch ihren Körper schoss. Jetzt oder nie! Sie hätte nie im Leben damit gerechnet, dass ausgerechnet Tannennadel den Anfang des Angriffs einleiten würde, aber die Trauer um Luchsohr hatte sie wahnsinnig gemacht.
Wie von selbst führten ihre Pfoten sie auf Moira zu. Die narbige Kätzin erwartete sie schon mit einem gehässigen Blick in den gelben Augen. Sie sah aus wie ein Ungeheuer des Chaos. Unberührt vom Leiden der Streuner um sie herum, die einer nach dem anderen von den Kriegern des WindClans angegriffen wurden.
»Es wird mir eine Ehre sein, dich endlich in die ewigen Jagdgründe zu schicken!«, zischte Moira. »Dafür nehme ich sogar Funkensterns Strafe in Kauf!«
Ich habe mir geschworen, nie wieder zu töten, fuhr es Terra durch den Kopf, bevor sie sich auf die dunkelbraune Kätzin stürzte. Ihre Krallen rissen und kratzten. Sie wusste nicht, wie, sie wusste nicht, wo. Sie wusste nur, dass sie es tat. Du wirst niemandem mehr weh tun!, dachte sie durch den Schmerz der Wunden hindurch, die Moira ihr zufügte.
Plötzlich wurde sie am Nackenfell gepackt und von der narbigen Kätzin weggezerrt. Terra fauchte wütend, schlug um sich, doch sie traf nur Luft. Entgegen ihrer Erwartungen wurde sie wenig später auf dem Boden abgesetzt ohne direkt danach angegriffen zu werden. Überrascht fuhr sie herum und entdeckte Gift. Die riesige Kätzin hatte sie wie ein unverrückbarer Felsen zwischen ihr und Moira aufgebaut.
»Worauf wartest du noch, Gift!«, fauchte die narbige Kätzin. Eine ihrer Pfoten hielt sie in der Luft. Vermutlich schmerzte es zu sehr, sie aufzusetzen.
Terra verengte die Augen zu Schlitzen. Bereit, jeden Moment zur Seite zu springen, falls Gift wirklich auf sie losgehen sollte. Aber etwas sagte ihr, dass das nicht passieren würde. Die riesige Kätzin musterte sie nicht mit Hass, sondern mit etwas, das vielleicht Bedauern sein konnte. Und plötzlich drehte sie sich um. Gifts massige Pranke traf Moira mit ausgefahrenen Krallen an der Brust. Die dunkelbraune Streunerin klappte ungläubig den Mund auf, doch es kam nichts mehr raus außer rotem Blut. Keinen Augenblick später kippte sie tot zur Seite.
Was? Fassungslos starrte Terra Gift an. Die riesige Kätzin drehte sich zu ihr um und nickte ihr knapp zu, bevor sie sich zwischen den kämpfenden Streunern um sie herum hindurch schlängelte und irgendwo hinter dem Zweibeinernest verschwand. Was ist eben passiert? Warum hat sie das gemacht? Sie hätte mich damals beinahe getötet und jetzt hilft sie mir auf einmal?
»Terra!«
Bei Hechtkralles Ruf wirbelte sie herum und entdeckte ihren Gefährten, der auf sie zu rannte. Sein blaugraues Fell war an einigen Stellen durcheinander, aber die schlimmste Verletzung schien nur ein Kratzer über seiner Nase zu sein. Trotzdem wirkte er besorgt. Als sie an sich runter sah, bemerkte sie, dass Moira sie selbst schwer zugerichtet hatte. Allmählich spürte sie den stechenden Schmerz der Verletzungen. Hechtkralle war rechtzeitig an ihrer Seite, um sie am Umkippen zu hindern. Er stieß ihr die Nase ins Fell und begann, sie zu untersuchen.
»Es sind leichte Wunden, aber dafür ziemlich viele«, meinte er nach einer Weile.
»Ich schaff das schon«, zischte Terra und richtete sich so gut es ging auf. Ihr Blick wanderte über die vier Leichen der Streuner, zu denen auch Moira gehörte. Sie hörte, wie Hechtkralle neben ihr erleichtert ausatmete. Die restlichen Streuner waren anscheinend geflohen und waren auch noch von Kräuselsturm und Funkenlicht verfolgt worden, denn die zwei jungen Kater kehrten gerade erst zurück. Von den WindClan-Kriegern schien keiner allzu schwer verletzt zu sein. Doch dann entdeckte Terra die hellbraune Gestalt, die neben dem Streuner lag, der zuerst angegriffen worden war.
»Tannennadel«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie auch noch Fichtenjunges und Mohnjunges sah, die zusammen mit Vogelschweif und ihren drei Jungen aus dem Zweibeinernest tappten.
Fichtenjunges schien im Gegensatz zu seiner Schwester sofort zu begreifen, was geschehen war, denn er blieb sogleich stehen und fing an zu zittern. Mohnjunges hingegen lief zu Tannennadel und stupste ihre Mutter an. Als die hellbraune Kätzin sich nicht regte, schaute sie hilflos zu Vogelschweif. Die gelbbraune Königin hatte die gelben Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Terra konnte klar erkennen, dass auch ihre Beine unkontrolliert zitterten und schließlich unter ihr nachgaben. Blendfeuer eilte sofort zu ihr, um ihr aufzuhelfen, während Spritzklang Mohnjunges und Fichtenjunges wegführte.
Im selben Moment tauchte Aqua im Eingang des Zweibeinernests auf. Auf ihrem Rücken trug sie Luchsohrs Leiche. Bei Tannennadels Anblick und dem Anblick der vier toten Streuner, zuckte sie kurz zusammen und schaute hinüber zu Terra. Die Kriegerin verstand. Sie wird hier bleiben, um alle zu begraben.
»Wir dürfen nicht aufgeben«, durchschnitt Efeubeins Stimme die unheimliche Stille. »Wir müssen zurück ins WindClan-Lager. Ich weiß nicht, wie Funkenstern herausgefunden hat, dass Schattenstern heute versuchen wird, ihn zu vertreiben, aber sie wird unsere Hilfe brauchen!«
»Wir hätten einen am Leben lassen sollen«, bemerkte Funkenlicht und deutete auf einen der toten Streuner. »Damit er uns den Weg zurück zeigt.«
»Ich kenne den Weg!«, ließ sich auf einmal eine zurückhaltende Stimme vernehmen. Es war Laufherz. Sie lugte vorsichtig aus dem Zweibeinernest heraus, traute sich offenbar nicht, herauszukommen.
»Du bist Seelenpfotes Tochter, oder?«, fragte Spritzklang zögernd.
Laufherz nickte.
»Dann führe uns«, rief Efeubein. »Funkenstern wird sich heute dem SternenClan anschließen! Ob er will oder nicht!«
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Nein, ich hab nicht geweint, ihr habt geweint! *schnief*
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