
25. Kapitel
Seit ein paar Sonnenaufgängen fielen Bäume aus dem nichts um. Es waren erst drei gewesen - jedenfalls im SonnenClan - aber trotzdem war es gefährlich. Die Katzen mieden den Wald öfters, was problematisch war, da sich dort die meiste Beute aufhielt. Die Blattleere stand unmittelbar bevor; der Frischbeutehaufen wurde Tag zu Tag kleiner.
Das Training lief trotzdem voran. Rotkehlchenflügel nahm Zweigpfote öfters zur Trainingskuhle mit, an einigen Tagen war es Rosenfluch, die sie begleitete. Dachspfote, mit dem er kämpfte, konnte nicht immer einen besserwisserischen Kommentar unterdrücken. Manchmal lobte er Zweigpfote auch, was ihm extrem peinlich war. Sie waren doch gleich alt! Er brauchte sich nicht aufzuspielen.
Heute schien die Sonne, mild, aber gerade genug warm. Hellvogel und Dachspfote waren bereits wach und warteten beim Lagerausgang. Rotkehlchenflügel holte Zweigpfote aus seinem Nest und erklärte, sie würden kämpfen gehen. Murrend erhob er sich und bemühte sich, eine neutrale Miene aufzusetzen. Er hatte keine Lust auf den heutigen Tag.
Dachspfote warf ihm auf dem Weg zur Trainingskuhle immer wieder prüfende Blicke zu. Wahrscheinlich zerbrach Zweigpfotes Maske bereits; man konnte ihm nun bestimmt ansehen, wie wenig Lust er hatte. Dabei kämpfte er doch gerne. Aber mit Dachspfotes ständigen Kommentaren war das Training unerträglich.
Sie machten bloß einige Wiederholungsübungen. Als Dachspfote an der Reihe war, bemerkte Zweigpfote etwas; er machte Fehler. Nicht, dass er keine in den vergangen Tagen gemacht hatte. Aber dieses Mal erspähte der Schüler die genauen Gesichtszüge, während Dachspfote einen Fehltritt machte. Er sah angestrengt und fast schon genervt aus. Zweigpfote wusste, dass sein Bruder zu Perfektion neigte. Aber er war doch ein Schüler - warum also regten ihn Fehler so sehr auf? Hellvogel war auch keine strenge Mentorin.
Plötzlich hatte Zweigpfote eine Idee, warum sein Bruder sich so verhielt. Ihre Eltern waren tot - aber sie waren nicht einfach so gestorben. Der Vater der Geschwister war in einem Kampf gestorben. Was, wenn Dachspfote sich zu beweisen versuchte? Was, wenn er Angst hatte? Es würde Sinn ergeben. Vielleicht gehörte der Perfektionismus einfach zu Dachspfotes Charakter. Aber vielleicht auch nicht.
Zweigpfote setzte sich etwas gerader auf. Er beschloss, seinen Bruder nach dem Training darauf anzusprechen. Sie verstanden sich nicht mehr so gut wie früher, aber trotzdem fand er, dass er es einmal versuchen könnte. Zweigpfote versuchte, die aufkeimende Hoffnung zu unterdrücken, dass die beiden wieder so wie früher miteinander auskommen könnten. So einfach passierte das nämlich nicht.
Zweigpfote trat von einer Pfote auf die andere. Er wartete vor dem Schülerbau; er hatte sich Worte für seinen Bruder zurechtgelegt und wiederholte sie nun im Kopf. Doch als er den Bau betrat, war er leer. Zweigpfote prüfte das Nest und spürte die Kälte unter sich. Wo war sein Bruder? Er hatte doch gemeint, er würde sich schlafen legen. Angst beschlich Zweigpfote. Was, wenn er allein losgezogen war, um zu jagen? Oder zu kämpfen?
Zweigpfote musste an die schwarzen Pfützen denken, an die umgefallenen Bäume, unter denen eben diese dunkle Masse hervorquoll. Schaudernd machte der Kater kehrt und lief zum Ausgang. Fast alle Katzen schliefen bereits, und von denen, die noch draußen waren, war keine Dachspfote.
»Wohin gehst du?« Beinahe hätte der Schüler die Nachtwache vergessen, die bereits jetzt draussen stand. Es war Lichttraum, die sich vor ihn gestellt hatte und ihn kalt musterte. Halbmondlicht, die neben ihr stand, schnurrte amüsiert. »Wolltest du dich rausschleichen?«
Panisch warf der Kater einen Blick hinter die Kätzinnen. Es war eine ungünstige Zeit, um aus dem Lager zu gehen. Aber er musste Dachspfote finden, der offensichtlich verschwunden war. »Ich suche meinen Bruder.«, erklärte er hastig. Doch selbstverständlich liessen die Kriegerinnen den Kater nicht durch. Stattdessen tauschten sie besorgte Blicke.
»Wie lange ist er dann schon weg? Sollten wir eine Patrouille organisieren?« Lichttraum schien sofort bereit zu sein, loszugehen, um ihn zu suchen. Doch Zweigpfote schüttelte den Kopf. Dachspfote konnte noch nicht weit sein; was würde er tun, wenn er nur jagen ging, und plötzlich eine riesige Patrouille Katzen nach ihm rief?
Dabei wusste der Schüler wahrscheinlich besser als jede andere Katze, dass sie nicht alleine jagen durften. »Er ist nur... beleidigt. Und jetzt muss ich ihn zurückholen.«, log der Kater und hoffte, dass es überzeugend klang. Er wollte mit Dachspfote reden, und das alleine.
Lichttraum versperrte Zweigpfote weiterhin den Weg, doch Halbmondlicht schob sie beiseite. »Lassen wir ihn gehen. Wenn sie nicht bald zurückkehren, dann suchen wir sie.«, meinte sie mit ruhiger Stimme. Zweigpfote hörte Lichttraums Protest. Er nutze ihren Moment der Ablenkung, um den beiden zu entwischen. Mit klopfendem Herzen rannte er in Richtung Wald, wo Dachspfotes Geruch immer stärker wurde. Er konnte nicht weit entfernt sein.
Mit einem Gefühl von Angst sprang er über einen umgefallenen Baum, der gestern bestimmt noch nicht hier gewesen war. Er wollte sich am liebsten so schnell wie möglich von ihm fortbewegen; es schien hier nur so von der schwarzen Masse zu wimmeln. Doch etwas ließ in innehalten. Ein Geräusch, leise, fast unbemerkt.
Zitternd drehte der Kater sich um. Er war überrascht, was er sah. Es war Dachspfote, der sich mit aufgerissenen Augen zu ihm umgedreht hatte. Vor ihm lag eine Kätzin, die Zweigpfote wage bekannt vorkam. Ihre Hinterläufe waren nicht zu sehen, sondern waren unter dem Baum vergraben. Anscheinend hatte Dachspfote bereits versucht, ihr zu helfen, doch vergebens.
Ohne zu fragen setzte sich Zweigpfote neben die Kätzin und grub die Erde neben ihren Beinen aus, doch sie war hart und der Baum auch viel zu schwer, um ihn irgendwie wegzurollen. »Wer ist sie?«, presste Zweigpfote irgendwann hervor, als er sich erschöpft zu Boden sinken liess. Dachspfote gab nicht auf, zu graben. »Frag sie doch.«
»Coffee.«, murmelte die Kätzin unter schwachem Atem. Ihr ganzer Körper zitterte, und ihre Augen schimmerten. Sofort setzte sich Zweigpfote wieder auf und fing erneut an, zu graben. Natürlich war sie Coffee - die Kätzin, die sie getroffen hatten, als die schwarzen Pfützen aufgetaucht waren. Zweigpfote erinnerte sich an die Blicke, die sie mit seinem Bruder getauscht hatte. Jetzt ergab es Sinn. Sie war nicht durch Zufall so tief in das Clanterrain eingestoßen. Und Dachspfote war nicht durch Zufall hier.
»Ihr trefft euch?«, rief Zweigpfote aus, ungläubig. Dachspfote? Sein Bruder war loyal und würde niemals - nein, dass konnte nicht sein. Doch der Kater hatte den Blick auf den Boden gesenkt, und seine Stimme war nur ein Flüstern, als er »Ja« miaute.
Bevor jemand der dreien etwas weiteres sagen konnte, wurden sie auf etwas anderes aufmerksam; Lichttraum, Halbmondlicht und Rosenfluch stürmten durch den Wald, ihre Augen suchend. Als sie die Schüler erblickten, bremsten sie ab. Lichttraum setzte an, um sie zu beschimpfen, doch dann entdeckte sie das schwache Hauskätzchen und stiess einen Fluch aus. »Das passiert, wenn man junge Katzen allein lässt.«, seufzte Rosenfluch.
Die Katzen machten sich daran, Coffee zu helfen. Mit der Hilfe der Kriegerinnen ging es schneller voran. Irgendwann fragte Halbmondlicht mit ruhiger Stimme, wie der Unfall passiert war. Zweigpfote hatte Dachspfotes brennende Blicke gespürt, doch er verriet nichts. Stattdessen miaute er, so gleichgültig, wie er nur konnte: »Wir haben sie so gefunden.«
Ab diesem Tag, so glaubte es Zweigpfote, fing sich die Freundschaft zwischen ihm und seinem Bruder wieder aufzubauen.
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