23. Kapitel
»Vielleicht hilft es ja, wenn ich nie wieder schlafe«, miaute Heideschatten sarkastisch. »Aber dann sterbe ich wahrscheinlich noch schneller, als wenn ich schlafen gehe.« Die Kriegerin gähnte demonstrativ und streckte sich einmal.
Tropfensturm liess sie nicht aus seinen Augen. Er sah genervt aus, dass sie so entspannt reagierte, aber gleichzeitig auch besorgt. Seitdem bei Sonnenhoch eine Patrouille in den EisClan aus dem SonnenClan gekommen war, und von dem grausamen Tod einer Clankatze berichtet hatte, hatte Tropfensturm die Kätzin nicht mehr aus den Augen gelassen. Es gab einen guten Grund, warum sie ausgerechnet zum EisClan gekommen waren. Denn es war nicht nur eine Katze gestorben - es war Weissdistel.
Vor Kurzem hatte Heideschatten erfahren, dass sie mit ihm und seinen Töchtern, Lichttraum und Halbmondlicht, verwandt war. Nun war er gestorben - es war bestimmt kein Zufall, dass zu dieser Zeit eine Katze der ewigen Macht einfach so im Schlaf starb. Er hatte auch kein Herzanfall gehabt. Nein, er hatte angefangen zu bluten, auf unerklärliche Weise - als würden unsichtbare Krallen gegen ihn kämpfen. Natürlich hatte die Kätzin Angst, aber sollte sie denn gar nicht schlafen gehen? Die anderen Katzen hatten anscheinend versucht, Weissdistel aufzuwecken, doch sein Schicksal hatte ihn eingeholt. Ob Heideschatten ebenfalls starb, lag in den Pfoten des SternenClans.
Der gefleckte Kater blickte hoch in den Himmel. Er war grau, wie immer. »Pass einfach auf dich auf.«, flüsterte der Kater, doch dabei sah er die Kriegerin nicht an. Heideschatten legte den Kopf schief. Sprach er mit ihr? Aber das musste er ja. Mit wem dann sonst? Niemand anderes hier hatte vor Kurzem erfahren, dass sier eine "ewige Macht" besass und noch lebende Familie hatte, von der jedoch ein Teil gestern Nacht im Schlaf starb.
Silbernadel stellte sich neben ihren Gefährten und ignorierte dabei die Kriegerin, mit der er sich gerade unterhalten hatte. »Kommst du jagen?«, fragte sie ihn, als sei es ein gewöhnlicher Tag. Wolkenwunsch, ihr Sohn, trabte zu ihnen hinüber und sah aufgeregt aus. »Ich komme mit!«
Heideschatten verdrehte die Augen. Was für eine wunderschöne Familie sie da hatten. Jetzt würden sie bestimmt jagen gehen, danach Beute teilen und sich gegenseitig Komplimente machen und dann mit einem zufriedenen Schnurren schlafen gehen. Vielleicht würde Tropfensturm noch etwas wach bleiben, weil er sich um Heideschatten sorgte, doch dann würde bestimmt Silbernadel kommen ihn sagen, dass alles gut werden würde und all diese schönen Lügen.
Heideschatten wandte sich von der Familie ab und begab sich an ihren Lieblingsplatz, um etwas über die heutige Patrouille nachzudenken, die gekommen war - Rußauge, Rosenfluch und Fluchtsprung - um mit Schneestern, Flockenfrost, Tropfensturm und ihr das Ereignis zu besprechen. Sie hatten alles genau berichtet, wie Weissdistels Tod passiert war, verschiedene Vermutungen - aber besonders hatten sie Heideschatten gewarnt. »Es scheint, als wären nicht alle mit dieser ewigen Macht einverstanden.«, hatte Schneestern gemiaut.
Doch bevor die Kätzin tiefer in ihren Gedanken versinken konnte und weiter Überlegungen machen konnte, wer oder was Weissdistel getötet hatte und besonders warum - tappte Wolkenwunsch mit einem verlegenen Blick zu ihr hinüber. Er sah aus wie ein Junges, das eine Schandtat beichten musste. Doch wenigstens behandelte er sie nicht mehr wie ein paar andere Katzen des Clans wie ein Monster oder ignorierte sie vollkommen, so wie es Silbernadel tat. Der Kater sah sie nicht an, als er fragte: »Möchtest du mit uns jagen gehen? Neuerdings sollten schliesslich nicht zu wenig Katzen unterwegs sein.«
Silbernadel setzte sich gerader auf. Ihr schien die Einladung des Katers nicht zu gefallen. »Wir würden ja eigentlich Federpfote fragen«, seufzte sie, »Aber sie kann ja kaum noch laufen.« Ihr Blick war abweisend. Obwohl Schneestern und auch Federpfote den Clankatzen öfters gesagt haben, dass Heideschatten keine Gefahr darstellte, trauten ihr einige noch nicht. Besonders Silbernadel und Habichtklang hegten eine Abscheu gegen sie. Sie vermuteten immer noch, dass Heideschatten insgeheim geplant hatte, die Schülerin zu verletzen.
Heideschatten öffnete den Mund, um etwas bissiges zu entgegnen, doch da kam ihr eine andere Stimme zuvor. »Ich bin tatsächlich bereit, wieder mit dem Training anzufangen.« Alle schauten überrascht drein, als eine kleine Gestalt aus dem Heilerbau humpelte und sich an Tropfensturm wandte. »Ich komme gerne mit.« Dann drehte sie sich zu der Kriegerin, die Silbernadel feindselig musterte, und blickte sie mit ihrem heilen Auge an. »Du kannst natürlich auch mitkommen. Ich würde gerne diese eine Jagdtechnik kennenlernen, die du anwendest.«
Silbernadel schüttelte den Kopf, ungläubig. »Geht ihr beide doch«, miaute nun Wolkenwunsch mit einer leisen Stimme und trat von einer Pfote auf die andere. »Dann könnten Heideschatten und ich mit Federpfote mitgehen.«
Eigentlich hatte Heideschatten gar nicht zugestimmt, jagen zu gehen. Doch Federpfote sah so begeistert aus, und Wolkenwunsch schien es sich wirklich zu wünschen. Vielleicht konnte Tropfensturm seine Gefährtin während ihrer Jagdpatrouille überzeugen, dass Heideschatten auch nur eine Katze war, und Federpfotes Unfall nicht ihre Schuld war.
Als Heideschatten zurückkehrte, fühlte sich sich merkwürdig glücklich. Normalerweise war sie nicht gerne bei anderen Katzen, ausser vielleicht bei Zweigpfote, doch heute war es anders. Sie hatte tatsächlich gerne zusammen mit Wolkenwunsch Federpfote das jagen wieder etwas beigebracht. Auch wenn sie nichts gefangen hatten. Es war tatsächlich lustig gewesen. Und, Heideschatten glaubte tatsächlich - Ja, sie würde es wieder tun.
Beinahe vergass die Kriegerin Tunnelfuß, der neben ihr schlief, da sie in ihren Gedanken über den heutigen Tag versunken war. Der Heiler schlief neben ihr, damit er im schlimmsten Falle die Kriegerin aufwecken und ihre Wunden behandeln konnte. Genau - falls heute dasselbe passierte wie es Weissdistel passiert war. Sogar einige Heilerkräuter und Spinnweben waren neben der Heilerkatze aufgestapelt. Nur für den Fall.
Als die Kätzin wegdämmerte, war sie ganz entspannt. Doch als die Augen wieder aufschlug, realisierte sie erst, dass sie gar nicht wach war. Es war ein extrem merkwürdiges Gefühl - normalerweise schlief die Kätzin, hatte einen merkwürdigen, verschwommenen Traum über Beute, dann wachte sie auf und erinnerte sich kaum daran. Doch jetzt war es anders. Sie wusste einfach, dass das hier ein Traum war. Doch warum fühlte es sich so real an?
Heideschatten verdrängte die aufkommende Panik. Sofort hörte sie die Worte über Weissdistels Tod - was, wenn sie kurz davor war, zu sterben? Was, wenn sie bereits tot war? Doch bevor sich die Kriegerin in dem Gedankenstrom verlor, beschloss sie, die Umgebung zu untersuchen. Es war stockfinster, doch unter ihren Pfoten spürte sie weiche Erde, etwas Wasser und etwas matschiges, kaltes. Heideschatten beschloss, nicht zu hinterfragen, was das war.
Die Kriegerin fuhr die Krallen aus und prüfte den Wind. Doch da war nichts. Nur gähnende Leere. Laute Stille. Nichts. Wo war sie bloss gelandet? War das hier eine Vision? Doch die Kriegerin wusste, dass der SternenClan eher auf eine andere Art von Geheimnisvollem stand. Bei ihnen gab es Sterne am Himmel, schimmernde Katzenpelze und lichtdurchflutete Flüsse, weiche Wiesen. Dies hier war viel mehr wie... der Wald der Finsternis.
Aber das war nicht möglich. Die Heilerkatzen hatten den Kontakt zum SternenClan verloren, seitdem der Mondfluss ausgetrocknet war. Warum sollte sie als den Wald der Finsternis kontaktieren können? Sie erinnerte sich an die Worte aus Federpfotes Fieberträumen. Sie hatte ihren Namen gesagt, und dann immer wieder Zerstörung und Finsternis.
Heideschatten war nicht dazu fähig, sich zu bewegen. Sie war wie festgefroren. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihr Herz schlug wie wild. Die Ohren waren aufgestellt, alle ihre Sinne wach. Bereit, zu kämpfen, sollte sie etwas an diesem Ort angreifen, lauschte sie. Sie erwartete, bald ein Fauchen zu hören, von kämpfenden Katzen, doch stattdessen hörte sie ein weiches Schnurren. Die Kätzin drehte sich um. Ein plötzliches Kribbeln durchfuhr Heideschatten, das Gefühl von endloser Macht, berauschend - und da entdeckte sie plötzlich etwas im Dunkeln. Es war, als hätten sich ihre Augen in leuchtende Sonnen verwandelt - sie erkannte Silhouetten von riesigen Bäumen, gewaltige Wurzeln, und eine Katze.
Sie war hübsch, hatte vernarbtes, schildplattfarbenes Fell und musterte Heideschatten amüsiert, als hätte sie sie erwartet. Bereit, anzugreifen, sobald es nötig war, ging die EisClan-Katze in Angriffsstellung. Doch die Kätzin schnurrte nur weiter und strich wie ein Schatten lautlos um Heideschatten herum. »Meine Schwester hatte bereits erwähnt, ihr wärt zu Außergewöhnlichem fähig.«, flüsterte die Katze mit einer sanften Stimme.
Heideschatten verfolgte jede einzelne der Bewegungen der Katze. Ihr Herz schlug wie wild, die Panik pulste durch ihren Körper. Sie hatte Angst. Doch wenn diese Kätzin ihr etwas antun wollte, hätte sie es doch bestimmt schon gemacht?
»Schwesterchen brauchte eine Weile, bis sie wusste, wie sie euch hierher locken konnte.« Die Schildpattkatze blieb nun direkt vor Heideschatten stehen und blickte aus den giftgrünen Augen auf sie herab, obwohl sie nicht viel größer als die EisClan-Kriegerin war. Sie strahlte etwas aus, etwas finsteres, starkes. »Aber ich denke nicht, dass du dich auch ihr anschliessen möchtest, hab ich Recht?« Sie beugte sich vor, um Heideschatten in das Ohr zu flüstern. »Dafür bist doch viel zu loyal.«
Heideschatten wich mit einem Fauchen zurück. Sie sollte ihr ja nicht zu Nahe kommen. Sie traute ihr nicht. Suchend sah sich die Kriegerin um - was, wenn bald Verstärkung eintraf, und sie sie nur hinhielt? Vielleicht sollte Heideschatten wegrennen. Doch wohin bloss? Sie könnte jederzeit in die Fänge einer grausamen Katze geraten.
Die Schildpattkatze schien zu bemerken, was Heideschatten im Kopf hatte. Belustigt schüttelte sie den Kopf und strich mit dem Schweif über die Flanke der Kriegerin. »Keine Angst, ich tue dir nichts. Wenn du hier bist, bis du sicher.« - sie hielt Inne - »Sagen wir, sicherer.«
Am liebsten hätte Heideschatten die Schildpattkatze mit Fragen beworfen, doch sie blieb still. Sie hatte immer noch nicht ganz begriffen, was gerade vor sich ging. »Die nächsten Nächte wirst du dann wohl bei mir verbringen müssen.« Die Kätzin legte den Kopf schief und musterte Heideschatten nachdenklich. Sie schien wirklich in Redelaune zu sein. »Kann ja noch lustig werden.«
Doch bevor Heideschatten nachfragen konnte, was sie damit gemeint hatte, warum sie hier war, wer sie war - bevor sie all diese unausgesprochenen Fragen endlich stellen konnte, löste sich ihre Umgebung in Luft auf. Zurück blieb Heideschatten, die keine Ahnung hatte, was gerade passiert war.
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