20.Kapitel
»Also, du denkst, dass mit den Welten der SternenClan, der Wald der Finsternis und unsere 'Welt' gemeint ist.«, fasste Heideschatten nachdenklich zusammen. »Und etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten. Aber was ist etwas, Zweigpfote?«
Der Kater blickte nachdenklich auf den bunten Laub zu seinen Pfoten. »Solltest du nicht einen anderen Weg nehmen? Hier führt es zum SonnenClan-Lager.«, miaute er. Seine Stimme war leicht abweisend. Anscheinend schien es ihm zuzusetzen, dass die Katzen bei der Versammlung alle gelangweilt von ihm gewesen waren. Er hatte seine Idee erklärt; dass der SternenClan wahrscheinlich Hilfe brauchte, die Welten wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Vielleicht hatte der Wald der Finsternis ja angegriffen? Und sie waren in der Unterzahl? Vielleicht verschwand der SternenClan? Heideschatten wurde übel, als sie sich die schlimmsten Sachen ausmalte, die passiert sein konnten.
»Ich begleite dich noch.«, erklärte Heideschatten. Auch wenn Zweigpfote leise protestierte, wusste sie, dass er dankbar war. Schneestern hatte erklärt, dass ab jetzt mindestens zwei Katzen gemeinsam unterwegs sein mussten, wegen den schwarzen Pfützen, die vermehrt auftauchten. Die Masse war klebrig und schwer wegzubekommen - ausserdem schien sie unendlich tief. Federpfote, der es wieder besser ging, hatte einmal einen Stock hineingelegt, mit der Spitze voran, und er war vollkommen verschwunden. Es war fast so, als gäbe es darunter nur endlose Leere.
Schweigend liefen die beiden Katzen zum Lager. Es war kalt, der Himmel grau, und die Bäume waren grösstenteils kahl. Ein einsamer Vogel sang ein Lied. Ansonsten konnte man nur das unheimliche Rauschen des Windes hören.
»Wie ist das eigentlich?«, fragte Zweigpfote plötzlich, die Ohren gespitzt. »Diese Macht zu besitzen?«
Heideschatten schnaubte belustigt. »Ich weiss auch noch nicht so lange, was es damit auf sich hat. Anscheinend wusste es Weißdistel schon länger als wir. Um ehrlich zu sein - meine Sinne waren schon immer verstärkt, und es gab diese Momente, in denen ich einfach spürte, wie die Macht mich durchströmte« - sie hielt Inne - »Eigentlich... ich finde es sogar einen größeren Schock, dass ich anscheinend noch Familie habe. Die lebt.«
Der junge Schüler nickte unbeholfen und versuchte, eine mitleidige Miene aufzusetzen. »Ich wusste nicht... ich wusste nicht, dass du keine andere Familie hast. Ausser den dreien.«, flüsterte er und legte seinen Schweif auf ihre Flanke. Heideschatten schüttelte bloss den Kopf. Sie konnte es nicht leiden, wenn Katzen sie bemitleideten. Mitleid holte keine Katzen aus dem Tod zurück. Deshalb sagte die Kriegerin auch nicht »ist schon gut« oder »danke« weil sie die andere Katze nicht besser fühlen lassen wollte. Bloss wegen ein paar nutzlosen Worten.
Doch da sagte Zweigpfote etwas überraschendes. Er sah weg, die blauen Augen auf den grauen Himmel über ihn gerichtet. »Meine Eltern leben auch nicht mehr, weisst du?«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Mein Bruder und ich bekamen immer viel Aufmerksamkeit. Sie haben uns erzählt, wie sie waren, und irgendwie« - der Kater warf ihr von der Seite einen prüfenden Blick zu, als wäre er sich nicht sicher, ob er folgende Worte aussprechen konnte - »sie waren trotzdem da. Die anderen machten sie für uns lebendig. Ich vermisste sie nie. Ich kannte sie nicht einmal. Ich hatte Rotkehlchenflügel und Hellvogel, ich hatte Weißdistel, der immer nett zu uns war.« Zweigpfote schnurrte leise. »Besonders damals, bevor Dachspfote und ich etwas auseinandergingen, war der Clan meine größte Familie.«
Schweigen brach wieder über die beiden. Der Vogel hatte aufgehört zu zwitschern, nur der Wind rauschte weiter. »Das ist schön. Solche Worte aussprechen zu können.«, meinte Heideschatten mit monotoner Stimme. Konnte sie dasselbe über ihren Clan berichten? Doch sie konnte nichts weiter sagen. Sie hatten die Lichtung erreicht, in der sich das Lager des SonnenClans befand.
Rotkehlchenflügel kam auf die beiden Katzen zugeeilt. »Ist Aschenstern zurück?«, fragte sie. Zweigpfote schüttelte den Kopf. »Nein, sie sprechen sich noch kurz ab, über - eigentlich, ich weiss nicht über was, tut mir leid.« Er riss plötzlich die Augen auf, als wäre ihm eingefallen, dass er es auch nicht wissen sollte. »Ich habe auch nicht gelauscht... ich wollte nur-«
Rotkehlchenflügel seufzte. »Natürlich hast du das nicht. Ich kenne dich doch.«, meinte sie, aber Heideschatten hatte das Gefühl, ein Schnurren aus ihren Wörtern herauszuhören. Heideschatten musste an Tropfensturm denken, ihren ehemaligen Mentor, der die größte Familie für sie gewesen war. Oder immer noch war. Oder nicht? Heideschatten war sich nicht mehr so sicher.
Die Kriegerin bemerkte Rotkehlchenflügels fragende Blicke. Sie nickte ihr knapp zu. »Ich gehe dann wieder«, erklärte sie, und hörte sofort Schneesterns sanfte, aber warnende Stimme in ihrem Kopf. Geht niemals allein. Die Natur ist im Moment nicht ganz sie selbst.
»Ach so. Ich nehme an, du hast ihn begleitet?«, fragte Rotkehlchenflügel und schien immer noch misstrauisch. »Und kannst du auch allein zurück?«, fügte sie dann hinzu. Anscheinend hatte Aschenstern auch etwas dazu gesagt, was die Pfützen betraf. Sie fragte sich plötzlich, ob die Geschichte mit Federpfote auf eine mysteriöse Weise in den SonnenClan gelangt war. Was, wenn andere sie jetzt auch für grausam hielten? Langsam gab es in ihrem eigenen Clan nach, diese Feindseligkeit, aber sie spürte sie immer noch manchmal. Auch wenn Federpfote, die mittlerweile wieder halbwegs auf den Beinen war, beteuerte, dass sie nur Albträume hatte und es definitiv nicht Heideschattens Schuld war, dass sie so zugerichtet war.
»Ich kann allein zurück.«, erklärte Heideschatten knapp. Alles in ihr schrie, sie sollte nicht allein zurück gehen, immer wieder dieselbe warnende Stimme. Sie glaubte, sogar Tropfensturms mahnendes Miauen zu erkennen. Doch sie konnte das. Sie war eine Katze der Macht. Auch wenn diese 'Macht' immer aus dem Nichts erschien und sie keine Ahnung hatte, wie man sie kontrollieren konnte, fühlte sie sich dadurch sicherer. Was sollte ihr schon in den Weg kommen?
Die SonnenClan-Kätzin nickte zögernd, dann wandte sie sich an Zweigpfote. »Sehr gut. Hoffen wir, dass unser Besuch keinen Umweg nimmt und gerade aus dem Territorium verschwindet. Und natürlich kein Beutestück auf unerklärliche Art in ihre Fänge gerät.« Die Kriegerin warf Heideschatten einen letzten prüfenden Blick zu, dann wandte sie sich vollkommen ab und trabte zurück in den Mittelpunkt des Lagers. Zweigpfote drehte sich ebenfalls um, aber flüsterte noch ein leises, kaum hörbares »Danke. Für die Begleitung... und so.«.
Zum Glück gab es auf dem Rückweg keine großen Hindernisse. Erst auf der Hälfte des Weges zurück zum EisClan-Lager riss der Himmel über der Kätzin und ein großer Schwall Wasser übergoß sie. Die Regentropfen waren riesig, aber Heideschatten konnte es ertragen. Wenn der Regen so schnell vorbeizog, wie er gekommen war, gab es hoffentlich auch keine Überschwemmungen. Die schwarzen Pfützen waren ein größeres Problem als der Regen - es war schwierig, sie zu umgehen. Jedenfalls war es das, was die Kriegerin erwartet hatte - dass der Regen die dickflüssige Masse verdünnte. Doch stattdessen war es fast so, als würde der Regen die finsteren Pfützen verdängen. Vielleicht war es ja das, was die Prophezeiung meinte - wenn Licht Finsternis verdrängt.
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