1. KAPITEL
DUNKELHEIT LEGTE sich über den übergroßen Bau und der feuerrote Kater, den seine Zweibeiner für schlafend gehalten hatten, spitze die Ohren und hob den Kopf an. Mehrere Herzschläge blieb er so, liegend und mit hoch-erhobenem Kopf. Angestrengt lauschend wollte er feststellen, ob seine Zweibeiner am schlafen waren. Er kniff die Augen zusammen und streckte die Ohren nach vorne.
Sammy versuchte sich daran zu erinnern, was seine Schwester ihm erzählt hatte, wie er am besten lauschen sollte. Flacher Atem, kaum Bewegen und Konzentration. Das hatte sie ihm immer und immer wieder gesagt, während sie aus dunklen Ecken des Waldes auf ihn sprang und ihn ermahnte, dass er sie hätte hören oder riechen müssen. Irritiert stand Sammy auf, er war sich nicht sicher, ob seine Zweibeiner schliefen oder nicht, deshalb würde er wohl nachsehen müssen.
Vorsichtig tappte er in den Teil des Baus, in welchem das Nest seiner Zweibeiner lag. Auf samten Pfoten und mit erhobenem Schweif lief er auf das weiche Nest zu, spannte die Hinterbeine an und hüpfte auf dessen Kante. Sammy schlich zum Kopf seiner Zweibeinerin und stupste ihre Nase an, nichts. Keine Regung, nur sanftes Atmen, dass an seine Wange drang. Der rote Kater hob den Kopf und blickte zu seinem Zweibeiner, dem Gefährten seiner Zweibeinerin. Mit einem Schwanzsschnippen entschied er, dass es ihm nicht wert war, nachzusehen, ob er noch wach war.
Leichtfüßig sprang er vom Nest herab und trabte zu einer der Fenster, die weiter oben im Bau lagen, er sprang auf seinen eigenen, persönlichen Hausbaum und von dort auf den Fenstersims. Das Fenster war nur angelehnt, weshalb sich der feuerrote Kater einfach durchzwängen und hinaus in die Freiheit schlüpfen konnte.
Mit einem erleichterten Seufzer sog er die kühle Nachtluft ein und sah sich zufrieden um. Seine Schwester würde heute nicht hier sein, sie hatten keinen Tag ausgemacht, an dem sie sich wieder draußen treffen wollten. Sammy wollte heute das erste mal alleine raus gehen und den Wald erforschen. Er machte sich kaum Sorgen um seine Sicherheit, Myrte hatte ihm einige Kampfzüge gezeigt, die er einfach erlernt hatte. Nur jagen gelang ihm noch nicht. Deshalb hatte er entschieden, er würde es alleine probieren, ohne Myrtes mürrische Anmerkungen.
Leichtfüßig und die Freiheit genießend rannte Sammy dem Wald entgegen. Freude erfüllte ihn und er legte einen Zahn zu, er rannte noch schneller, fühlte den Wind sein Fell zu zerzausen, fühlte den Boden unter sich verschwinden und hatte beinahe das Gefühl zu fliegen. Er liebte es, der Wind in seinem Fell, der unebene Erdboden, dass alles liebte er viel mehr, als der Windstille Riesenbau mit dem kalten, glatten Boden.
Keuchend kam Sammy zum stehen, schnell hob und senkte sich seine Brust und seine grünen Augen leuchteten. Selten fühlte er sich so frei, doch nun musste er sich konzentrieren, er wollte seiner Schwester zeigen, dass er jagen konnte. Er brauchte nur seine Zeit.
Sammy setzte sich auf die Hinterpfoten, legte den langen Schweif ordentlich um die Pfoten und zwang sich ruhig zu atmen. Als sein Atem wieder normal ging schloss er seine Augen, spitze die Ohren und lauschte. Bei jedem knacken oder Rascheln im Wald zuckten seine Ohren. Du musst dich vollends auf deine Umgebung konzentrieren. Was hörst? Was siehst du? Was riechst du? Es ist ganz einfach. Konzentrier dich, wiederholte Sammy die Worte seiner Schwester. "Konzentrier dich", murmelte er leise, legte die Stirn in Falten und versuchte angestrengter zu riechen, zu hören und zu fühlen.
Es dauerte nicht lange, da hörte Sammy etwas. Es war ganz nah, vermutete er, er würde wohl nur die Augen öffnen müssen und -
Ein erstickter Schrei entfuhr Sammy, vor seinem Gesicht stand ein groß wirkender, dunkelgrauer Kater mit riesigen, goldgelben Augen.
Mit gesträubtem Fell machte Sammy einen Satz nach hinten, fuhr instinktiv die Krallen aus und zeigte der dunklen Katze seine spitzen Zähne. "Wer bist du?", zischte Sammy und plusterte sein Fell auf, in der Hoffnung den anderen Kater einzuschüchtern.
Überrascht weitet der Kater seine bereits großen Augen noch ein Stück, was Sammy beinahe unmöglich vorkommt. "Leg dein Fell flach", knurrte der Kater, stellt sich auf seine Vorderpfoten und wirkt mit seinen breiten Schultern noch bedrohlicher als zuvor. Konzentrier. Dich.
Sammys Augen funkeln wütend und er peilt die linke Schulter des grauen Fellballs an, dem es sofort auffällt. Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck macht er sich auf die Attacke des Hauskätzchens bereit, doch als Sammy seine Beine anspannt und springt, springt er nicht nach links, sonder nach rechts. Damit hat der graue nicht gerechnet und wird mit scharfen Krallen in seiner Schulter bestraft.
Zischend vor Schmerz zuckt er zurück, holt aus und will dem roten Kater seine Pranke aufs Ohr schlagen, doch Sammy duckt sich und geht auf den Bauch des anderen Katers los. Jaulend springt der Angegriffene zurück und geht sofort in eine Hockstelle, aus welcher aus er Sammy sofort anspringt. Überrascht von diesem Kampfzug lässt Sammy sich umwerfen, versucht aber sogleich den Kater mit seinen Hinterbeinen wegzuschubsen, doch der Kater ist zu schwer, oder Sammy zu schwach.
Als der graue Kater mit den gelben Augen erneut zum Kopfschlag ausholt sieht Sammy seine Chance. Schnell rollt er sich gehen das, noch auf dem Boden stehende, Bein, welches dem Kater sofort weg knickt. Der große Kater landet auf dem Boden und Sammy stürzt sich sofort auf seinen Rücken, was allerdings nur ein kurzer Triumph ist, den der Kater rappelt sich auf und wirft Sammy mit einem kräftigen Ruck ab. Wenn du sie nicht besiegen kannst, verwirre sie.
Entschlossen dreht Sammy dem Kater den Rücken zu und rennt dann los, der andere Kater ist ihm dicht auf den Pfoten. Der rote Hauskater schlägt einige Hacken in unterschiedliche Richtungen und hört den Kater hinter sich keuchen und fluchen. Er wird müde, triumphierend schnaubt Sammy.
"Graupfote!", kreischt plötzlich eine Stimme hinter ihm und er hört mehr Pfotengetrappel. Sammy wirft einen Blick über seine Schulter und erhascht einen Blick auf eine schöne, silbergraue Kätzin mit unglaublich blauen Augen. "Konzentrier dich!", faucht er sich selbst zu und richtet den Blick nach vorne.
Er steuert direkt auf einen Baum zu und sieht seine Chance, er beschleunigt sein Tempo und hört ein paar Pfoten immer und immer schwächer werden, wobei das andere Paar ihm immer noch dicht auf den Pfoten ist. Sammy spannt die Hinterbeine an, setzt zum Sprung an, krallt sich an der Rinde des Baumes fest, rennt einen Teil des Stammes hoch, wobei er seine Krallen geschwind in und aus dem Stamm zieht, springt kopfüber ab und landet hinter der silbergrauen Kätzin, die ihn mit offenem Mund beobachtet hatte.
Verwirrt will die Kätzin sich umdrehen, da stürzt sich Sammy auf ihren Rücken und hält sie fest. Wütend wendet sich die Kätzin unter ihm und versucht seine Pfote in ihr Maul zu bekommen, was ihr nicht gelingt.
"Genug!", ertönt eine harsche Stimme. Sammy blickt auf und bemerkt erst jetzt die drei anderen Katzen. Ich muss wirklich daran arbeiten, mich besser auf Gerüche zu konzentrieren, stellt er verärgert und im selben Sinne auch beschämt fest.
Vor ihm steht ein großer, dunkelgrau gestreifter Kater mit einigen weißen Flecken, eine blaugraue Kätzin mit braunen Beinen und Gesicht und der graue Kater, der ihn als erstes angegriffen hatte.
"Lass sie los", sagt die blaugraue bestimmend und funkelt Sammy wütend an. Unsicher lässt er von der Kätzin ab, welche sich sofort aufrappelt und zu den anderen Katzen rennt und sich zwischen dem grauen Kater und der blauen Kätzin einreiht.
"Mein Name ist Distelstern", gibt der Kater mit den weißen Flecken bekannt. "Wir haben dich schon lange beobachtet, Sammy."
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