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| Regina |
Nachdem ich immer gedacht habe, ich müsse mich am Wochenende Zuhause entspannen, um am Montag wieder erholt auf der Arbeit aufzuschlagen, wurde mir dieses Wochenende das Gegenteil bewiesen.
Selten war ich an einem Montag so gutgelaunt und energiegeladen wie an diesem, nachdem ich den Sonntag mit Harry, Diego und Grimmy verbracht und aus vollem Herzen gelacht habe. Die gemeinsame Zeit war wie im Fluge vergangen und immer wieder habe ich mich gestern dabei ertappt, wie ich Harry verblüfft musterte.
Er hat etwas an sich, das mich völlig in seinen Bann zieht. Vielleicht ist es die Widersprüchlichkeit, die von ihm ausgeht, vielleicht aber auch das atemberaubende Lachen und das stechende Grün seiner Augen.
Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, dass ich mein Urteil über Menschen nicht zu schnell fällen sollte – obwohl ich, was Harry betrifft, immer noch etwas ratlos bin. Diego hat mir auch gestern wieder das Bild bestätigt, das ich mir am Freitagabend bereits von ihm gemacht habe.
Es war eine lustige, offene Runde, in der sich jeder gut verstanden hatte – auch Diego und Harry, wie ich feststellte.
Vielleicht ergattert Diego ja eines Tages doch noch seinen heißersehnten Job als Tourfotograf von Harry Styles. Grimmy hat seine Netzwerke einmal mehr optimal genutzt.
„Na, wer ist der beste Networker Londons?", rauscht Grimmy am Montag, direkt nach seiner Frühstücksshow in mein Büro und grinst mich stolz an. „Du hattest gestern eine Menge Spaß, stimmts?"
Augenrollend sinke ich in meinen Drehstuhl. „Ja, hatte ich."
„Was so manches Ja zu Neuem ausmachen kann, was?"
Selbstgefällig verschränkt Grimmy die Arme vor der Brust und wartet auf sein Lob.
„Ich weiß, ich werde deinen Rat befolgen und von nun an immer anständig Ja sagen", nicke ich brav und lächle ihn übertrieben lieb an.
„Sehr schön! Die anderen beiden sind übrigens auch sehr angetan von unserem Grüppchen, wir können das also gerne bald wiederholen."
„Klar, gern!", freue ich mich ehrlich.
Der Gedanke, Diego und vor allem Harry wiederzusehen, versetzt mich erschreckend schnell in Aufregung.
„Machen wir", verspricht Grimmy. „Zwar nicht dieses Wochenende, da bin ich unterwegs aber danach."
Zum ersten Mal stört es mich, dass Grimmy beruflich so viel unterwegs ist. Er ist meine Verbindung zu Diego und Harry, und ohne diese Brücke wird es mir schwerfallen, diese neuen Kontakte auch zu pflegen.
Aber allein die Tatsache, dass die beiden scheinbar gut von mir gesprochen haben, ist erleichternd.
Kurz spiele ich mit dem Gedanken, Grimmy darauf anzusprechen, wie widersprüchlich ich Harry bislang kennengelernt habe und wie sehr es mich verwirrt, dass mich Grimmy zuerst vor Künstlern wie Harry warnt und mich dann doch wieder mit ihm zusammenbringt. Am Ende würde diese Frage aber doch bloß wieder zu seltsamen Situationen führen und wenn ich eines gelernt habe, dann dass ich mir einfach selbst mein Bild machen sollte.
Wie angekündigt reist Grimmy direkt nach seiner Show am Donnerstag ab nach Glastonbury und wird von da an von einem Außentermin zum nächsten hetzen. Bis nächsten Montag wird er damit nicht in der Stadt sein und zum ersten Mal bin ich allein, ohne meinen Mentor, bei der Arbeit und in meinem neuen Leben.
Ich war immer schon schrecklich dankbar für Grimmy an meiner Seite, aber jetzt, an den Tagen, an denen er nicht da ist, wird mir erst bewusst, wie sehr ich mich immer auf ihn verlasse und wie sehr er mich beruhigt.
Es sind nur zwei Tage, die er nicht im Sender ist, aber trotzdem habe ich das Gefühl, als würde ich in meiner Arbeit ertrinken.
Nur selten werfe ich einen Blick auf mein Handy, aber in einer ruhigen Minute am Freitagnachmittag checke ich doch kurz meine Nachrichten.
Lotte, eine Freundin von Zuhause hat mir ein kurzes Update aus der Heimat geschickt und dann ist da noch die Nachricht einer unbekannten Nummer.
Hey, Grimmy hat mir deine Nummer gegeben, hoffe das ist okay. Samstag bereit feiern zu gehen? Diego
Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Es ist ein schönes Gefühl, dass Diego mich anscheinend auch ohne Grimmy treffen will und diese sich anbahnende Freundschaft auch unabhängig von unserem gemeinsamen Freund funktionieren könnte. Vielleicht schreibt mir irgendwann ja sogar Harry.
Ohne dieses Mal lange über Grimmy Ratschlag, öfters „Ja" zu sagen, nachzudenken, tue ich es in diesem Moment einfach und tippe Diego die Antwort.
Klar, gerne. Wann und wo?
Ich bin jung, ich sollte am Wochenende in einer Großstadt vermutlich endlich mal Feiern gehen. Zwar war ich in Deutschland nie besonders gerne bis in die Morgenstunden unterwegs, aber Diego scheint mir zu wissen, wie man Spaß haben kann. Er ist drei Jahre älter als ich und kennt in London sicherlich die richtigen Ecken.
Innerhalb von Sekunden erreicht mich Diegos Antwort.
Eigentlich will Harry unbedingt losziehen und ich dachte, du willst uns bestimmt auch begleiten. Ich frage ihn, wann er los will und schreib dir dann nochmal. Bis dann!
Und sofort erstirbt mein zufriedenes Lächeln wieder.
Zwar denkt Diego an mich und will mich miteinbeziehen, aber Harry verschwendet offensichtlich keinen Gedanken an mich.
Ich werde das fünfte Rad am Wagen sein, Harry will mich überhaupt nicht dabeihaben.
Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich definitiv nicht zugesagt.
Vielleicht interpretiere ich zu viel in die Situation hinein, aber auf der Stelle sehe ich Harry schon wieder durch andere Augen.
Vielleicht habe ich es mir doch nur eingebildet, dass wir gut miteinander auskommen würden. Wieso schließt er mich nun doch wieder so aus?
Im Moment habe ich glücklicherweise keine Zeit, mich länger damit aufzuhalten, aber meine Laune ist schlagartig im Keller.
Es ist nur eine Kleinigkeit, vollkommen unbedeutend und trotzdem lasse ich zu, dass ich so heftig darauf reagiere.
Mir sollte vollkommen gleichgültig sein, ob Harry Zeit mit mir verbringen will oder ob er mich mag, aber das ist es nicht – ganz und gar nicht.
Miesgelaunt stürze ich mich also zurück in die Arbeit und Stunden später in den Feierabend. Wieder werde ich das Wochenende nicht allein Zuhause verbringen und wieder hält sich meine Vorfreude in Grenzen.
„Es muss doch irgendeinen Dresscode geben", quengle ich unschlüssig und stehe planlos vor meinem Kleiderschrank, während Diego bereits das erste Bier geköpft hat und auf der Kante meines Bettes sitzt.
Mit seiner Erfahrung und seiner Modeaffinität habe ich mir eigentlich etwas Rat erhofft, aber bisher hat er mich nicht weitergebracht.
„Ich war da selbst noch nicht, Reggi", zuckt Diego mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, wo Harry sich nachts rumdrückt. Nimm doch einfach das da, das geht immer."
Er greift nach dem einfachen, schwarzen, engen Minikleid, das ich zuvor neben ihn auf das Bett gepfeffert habe.
„Meinst du?"
Zweifelnd werfe ich ein Blick darauf.
Um ehrlich zu sein geht es nicht nur darum, dieses Mal passend gekleidet zu sein, sondern insgeheim will ich auch Harry zeigen, dass mehr in mir steckt, als das verbissene Dorfmädchen, das er in mir sieht.
In diesem kurzen Fetzen könnte das auch tatsächlich funktionieren.
„Ja, zieh' es an. Und dann gehen wir los, Harry ist schon dort."
„Weiß er denn, dass ich mitkomme?", frage ich vorsichtig nach, versuche aber möglich beiläufig und gleichgültig zu klingen.
„Ich hab nur gesagt, dass ich wen mitbringe", antwortet Diego ebenso belanglos und weiß vermutlich gar nicht, welch Hieb in die Magengrube dieser Satz ist.
Harry weiß also noch nicht einmal, dass ich heute auch mit von der Partie sein werde und bestimmt ist es ihm auch vollkommen gleichgültig.
„Los jetzt!", hetzt mich Diego plötzlich wieder und lässt mir glücklicherweise gar keine Zeit, länger darüber nachzudenken.
Wenn mich meine Freunde von Zuhause heute sehen könnten, würden sie mich bestimmt nicht wiedererkennen. In den seltensten Fällen trage ich hohe Schuhe, geschweige denn ein solch betonendes, kurzes Kleid. Diego hingegen scheint mein Outfit für völlig normal zu halten.
„Passt, los geht's", ist sein einziger Kommentar und hält bereits ungeduldig die Tür meines Appartements auf. „Wenn ich jetzt auch noch ewig auf mich warten lasse, wird er mich auf seiner nächsten Suche nach einem Tourfotografen nie in Erwägung ziehen."
Skeptisch runzle ich die Stirn, schnappe mir meine Tasche und prüfe ein letztes Mal, ob meine blonde Lockenmähne halbwegs gebändigt ist.
„Willst du eigentlich wirklich nur mit Harry rumhängen, um deine Karriere anzukurbeln?"
„Naja, schaden wird es meiner Karriere auch jeden Fall nicht", zuckt Diego lachend mit den Schultern. „Aber Harry ist ja auch ein mega Typ. Es kann nicht schaden, ihn dazu zu bringen mich zu mögen, damit er mir vielleicht mal zu meinem Erfolg verhilft. Dazu gehört manchmal eben auch ein wenig Arschkriechen. Und solange das auf Partys stattfindet, beschwere ich mich absolut nicht."
Wenig überzeugt, aber verstehend nicke ich. Was Diego von sich gibt, ist moralisch ganz und gar nicht das, was ich von Zuhause gewöhnt bin, aber das ist wohl die Branche – ein ständiges Geben und Nehmen, stets mit Blick auf seinen eigenen Vorteil.
Ohne weiter nachzuhaken, betrete ich mit Diego den Aufzug und wir brechen auf zu einem Abend, an dem ich wieder einmal nicht weiß, was mich erwartet.
Von einer langen Schlange vor irgendeiner exklusiven Bar fehlt jede Spur.
Dieses Mal, an einem Abend mit Harry Styles, wäre ich darauf gefasst gewesen, aber stattdessen biegt Diego mit mir in ein unscheinbar wirkendes Lokal ein.
Das Einzige, das mir ins Auge sticht, sind die beiden großen, breiten Security-Leute, die sich neben der Türe auf einem Hocker drapiert haben und uns genau mustern, als wir sie passieren.
„Sind wir hier wirklich richtig?", frage ich Diego leise und schließe vorsichtshalber näher zu ihm auf. Verlieren will ich ihn hier auf keinen Fall.
„Ja, da hinten ist Harry", antwortet dieser selbstsicher und nickt zur Bar in der Mitte des Raumes. Dort lehnt tatsächlich Harry und unterhält sich angeregt mit einem kleinen, dunkelhaarigen Kerl.
Heute ist Harry optisch wieder ganz der Mensch, der er bei unserer ersten Begegnung war. Ein helles, schimmerndes Hemd mit tiefem Ausschnitt, das die Sicht auf seine Tattoos freilegt und enge, schwarze Jeans.
„Komm."
Zielsicher läuft Diego auf Harry zu und ich folge ihm.
„Sorry für die Verspätung", sagt er, als wir bei dem Künstler angekommen sind und gibt Harry zur Begrüßung einen Handschlag, ehe er ihn umarmt.
Kaum dass wir aufgetaucht sind, verabschiedet sich der Kerl, mit dem Harry zuvor geredet hat, fürs Erste und lässt uns mit ihm allein.
„Ach was, kein Problem", winkt Harry entspannt ab und schnappt sich das Glas Whiskey, das der Barkeeper soeben auf den Tresen gestellt hat.
Ich glaube nicht, dass es sein erster Drink ist.
Erst jetzt fällt Harrys Blick auf mich.
Spätestens nun hätte ich erkannt, dass mich Diego nicht angekündigt hat und wie wenig Harry heute hier mit mir gerechnet hat. Sein Gesicht erstarrt regelrecht, ehe er das Wort dann mit gerunzelter Stirn an mich richtet.
„Du hier", stellt er zögerlich fest und scheint nicht genau zu wissen, was er davon halten soll.
Prüfend schweift sein Blick über meinen Körper, woraufhin ich reflexartig das enge, schwarze Kleide zurechtzupfe.
Wieder spüre ich, wie sich in mir Wut über seinen skeptischen Unterton, was meine Anwesenheit betrifft, breitmacht. Was hat er nun schon wieder gegen mich?
„Ja, ich hier", raune ich also genervt, ohne länger darüber nachzudenken, was Harry von mir denken könnte. Anscheinend ist es ihm ja auch gleichgültig, wie er sich mir gegenüber verhält. „Ist das ein Problem?"
Lachend über meinen plötzlichen Stimmungswechsel schüttelt er den Kopf.
„Das musst du wissen."
Diese Antwort genügt mir, um mir direkt einen Drink zu bestellen.
Harry ist also doch wieder genau der seltsame Typ, der er letzten Freitag war. Von dem lieben Kerl am Sonntagnachmittag fehlt jede Spur.
Ich weiß selbst nicht, was ich erwartet habe, aber Harrys Worte und sein Auftreten sind eine herbe Enttäuschung. Und was soll diese Antwort überhaupt bedeuten? Weshalb gibt er mir so offensiv das Gefühl, hier nicht erwünscht zu sein?
Am Liebsten wäre ich auf der Stelle wieder nach Hause gegangen, aber diese Blöße will ich mir nicht geben.
Zudem ist Diego auch noch hier und zumindest den scheint meine Anwesenheit nicht zu stören. Gegen Harrys Kommentare zu mir sagt er jedoch trotzdem nicht. Vermutlich könnten sie seine Karriereaussichten schmälern.
Was mir übrig bleibt, ist also die Wut und Enttäuschung und vorallem den Ärger darüber, dass Harrys Bemerkungen diese überhaupt bewirken können, in Alkohol aufzulösen.
In Deutschland habe ich nie besonders über die Stränge geschlagen, was das Trinken angeht, aber ich will neue Erfahrungen machen. Wieso also nicht auch in diesem Lebensbereich?
Harry schenkt mir keine bis wenig Beachtung und unterhält sich stattdessen angeregt mit Diego und immer wieder mit den zwei anderen Kerlen, die hin und wieder an uns vorbeilaufen.
Seine Freunde will uns Harry aber scheinbar keinesfalls vorstellen - oder zumindest nicht mir.
Dadurch, dass sich Harry primär Diego zugewandt hat, kann ich kaum ein Wort von ihm verstehen. Aktuell interessiert mich alles, was er zu sagen hat, aber auch nicht im Geringsten. Stattdessen beobachte ich ihn mit funkelnden Augen und knirschenden Zähnen.
Harry hat zwei Gesichter und ich weiß nicht, weshalb die Seite, die er jetzt zeigt, so unverschämt zu mir sein muss.
In meiner Wut scheine ich einen ordentlichen Zug drauf zu haben. Ohne es zu bemerken, habe ich meinen ersten und sicherlich nicht letzten Wodka-Soda geleert.
Direkt winke ich den Barkeeper zu mir und ordere einen Neuen.
„Reggi, ich geh' eine rauchen. Willst du mitkommen?", fragt Diego und beugt sich zu mir, damit mich seine Worte auch erreichen.
„Ich hab' grad bestellt", zucke ich mit den Schultern und nicke auf den Barkeeper, der eben mein Getränk zubereitet.
Grinsend nickt Diego.
„Alles klar, ich komm' eh gleich wieder. Bleib einfach mit Harry hier."
„Warte, ich –", will ich ihn gerade noch aufhalten, aber Diego bahnt sich bereits den Weg durch die Menschen nach draußen und lässt mich am Tresen zurück – mit Harry.
Lieber hätte ich im Moment alleine hier in dieser Bar unter all den fremden Menschen gestanden als mit Harry, der mich immer wieder so zweifelnd anguckt.
Auch jetzt, als Diego sich an ihm und diesem anderen Kerl, dessen Namen ich immer noch nicht weiß, auf dem Weg nach draußen vorbeidrückt, lässt er seinen Blick kurz zu mir schweifen. Die Skepsis darin kann ich klar und deutlich spüren.
Grummelnd widme ich mich lieber wieder dem Drink, der mir gerade ausgehändigt wird, als einem Mann, den ich beim besten Willen nicht einschätzen kann. Wieso mache ich mir überhaupt immer noch Gedanken über Harry und lasse mir den Abend von ihm versauen?
„Denkst du wirklich, du verträgst das?", raunt er mir mit seiner tiefen Stimme plötzlich ins Ohr.
Als ich meinen Blick nach links wende, durchbohren mich Harrys grüne Augen.
Deshalb – da habe ich meinen Grund, weshalb mir Harrys Meinung über mich so wichtig ist.
Seine Ausstrahlung, ganz egal wie widersprüchlich er sich verhält, zieht mich regelrecht in seinen Bann.
Die Wut auf ihn ist aber trotzdem noch nicht verfolgen.
„Wieso? Weil Dorfkinder nicht trinken sollten?", gebe ich schnippisch zurück und halte seinem tiefen Blick so gut ich kann stand.
Ob es am Alkohol oder an seiner Nähe liegt, kann ich nicht einschätzen, aber ich bin heilfroh, dass mich der Tresen stützt. Meine Knie werden zunehmend weicher.
Heiser lacht Harry.
„Nein, weil du schneller trinkst als ich. Pass einfach auf dich auf."
Mit diesen Worten schnappt sich Harry die beiden vollen Flaschen, die ihm eben vor die Nase gestellt wurden. Gerade will er sich wieder von mir abwenden, als ich plötzlich unkontrolliert meine Stimme erhebe.
„Harry?"
Überrascht bleibt er stehen und dreht sich wieder zu mir. Abwartend sieht er mich an.
„Was ist dein Problem mit mir? Wieso soll ich nicht hier sein?"
Diese Frage brennt mir auf der Seele, seitdem er mich heute Abend das erste Mal angesehen hat. Sie nun laut auszusprechen, fühlt sich unheimlich erleichternd an. Eine klare Antwort darauf ist alles, was ich will - und der Alkohol ist mir spürbar behilflich, um Harry direkt darum zu bitten.
Schwach lacht Harry auf und sieht mir wieder direkt in die Augen.
„Weiß Grimmy, dass du hier bist?", fragt er plötzlich, anstatt meine Frage zu beantworten.
Verwirrt schüttle ich den Kopf.
„Was? Wieso denn jetzt Grimmy? Nein, weiß er nicht."
„Das dachte ich mir", seufzt Harry und lächelt immer noch, wirkt dabei aber alles andere als glücklich. Ganz im Gegenteil – er wirkt seltsam verloren.
„Hör auf ihn und versuch nicht irgendetwas zu sein, was du nicht bist, Regina. Das hier ist nichts für Mauerblümchen wie dich."
Ich wollte Antworten, aber das, was Harry hier von sich gibt, wirft mehr Fragen auf, als dass es Licht ins Dunkle bringt.
Noch dazu traue ich meinen Ohren kaum. Mauerblümchen?
So wenig ich auch verstehe - das, was ich verstehe, ist ein Schlag ins Gesicht.
Pikiert über Harrys kränkende Worte öffne ich den Mund, um ihm etwas entgegenzusetzen, aber Harry kommt mir zuvor. Er kommt so schnell einen Schritt auf mich zu, dass es mir glatt die Sprache verschlägt.
Sein Gesicht ist unmittelbar vor meinem, als er mir kurz sanft in die Augen sieht, mich dann aber wieder schief angrinst.
„Guck nicht schon wieder so, als hätte ich dich beleidigt. Ich mein's nur gut. Genieß dein langweiliges Leben wie es ist, Wallflower."
Dieses Mal wendet er sich endgültig von mir ab und kehrt zurück zu seinen anderen Freunden, die er mir anscheinend auf keinen Fall vorstellen will.
Ich hingegen bleibe regungslos und noch verwirrter als zuvor zurück.
Alles, was Harry sagt oder tut, führt zu einem völligen Chaos in mir. Nur er kann in solchen Rätseln sprechen und nur er schafft es, dass ich gleichzeitig Herzklopfen und Wut verspüre, wenn er mich Wallflower nennt.
Erleichtert sehe ich, dass Diego wieder zurückkommt und sich neben mich an den Tresen stellt. Es gäbe eine Menge Fragen, die in mir warten und die ich nur zu gerne an Diego weitergegeben hätte, aber ich habe das Gefühl, als sollte ich sie lieber für mich behalten.
Stattdessen konzentriere ich mich Diego gegenüber auf die weitere Abendplanung.
„Wollten wir nicht in einen Club?", frage ich ihn, kaum dass er wieder neben mir steht. „Wann gehen wir los?"
Grinsend sieht Diego mich an.
„Sofort, wir sind schon da. Das hier ist unterkellert."
Zufrieden nicke ich und nehme einen Schluck von meinem Drink.
Der Alkohol gibt mir Mut und den kann ich im Moment mehr als gebrauchen. Wovor auch immer Harry denkt mich angeblich fernhalten zu müssen - diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun.
Harry löst viel in mir aus, aber eines will ich heute auf gar keinen Fall – heimgehen.
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