29) Ein klärendes Gespräch
"Oft schlägt Erwartung fehl, und dann zumeist,
Wo sie gewissen Beistand uns verheißt;
Und wird erfüllt, wo Hoffnung längst erkaltet,
Wo Glaube schwand und die Verzweiflung waltet."
William Shakespeare (1564 - 1616)
~ ~ ~
Silvan atmete langsam aus. Dann betrat er seine Stube und nahm seinem alten Freund gegenüber am Tisch Platz.
"Sie will hierbleiben", eröffnete er das Gespräch. Adelmuth sagte eine Weile nichts, schaute seinen Freund aus Kinderheitstagen lange an.
"Sie will viel. Meistens bekommt sie, was sie will. Soll ich ihr immer alles durchgehen lassen? Wäre ich dann nicht ein schlechter Vater?" Er seufzte. "Ich weiß es wirklich nicht. Sie war so lange fort. Sie hat mir furchtbar gefehlt. Ich hätte sie so gerne in meiner Nähe." Er schüttelte den Kopf.
"Es ist nicht wegen dir und das weißt du."
"Ich weiß." Adelmuth stützte den Kopf in die Hände. "Ihr Zuhause ist nicht hier."
"Zuhause ist ein weiter Begriff." Silvan beobachtete sein Gegenüber. Trotz des langen Schlafes lagen tiefe Schatten unter seinen geröteten Augen, seine Wangen waren eingefallen. Er war alt geworden, vom Leben verbraucht. "Sie hat sich wie ein gefangener Vogel gefühlt. Jetzt hat sie endlich ihre Flügel ausgebreitet. Wer kann ihr da verübeln, dass sie nicht zurück will?"
"Ich kann sie ja verstehen", seufzte Adelmuth und vergrub sein Gesicht hinter seinen Händen. "Aber ihr Zuhause ist nicht bei dir. Da fühlt sie sich in dieser riesigen Burg eingesperrt und flüchtet ausgerechnet in deine kleine Hütte." Er lachte, aber es klang falsch. "Es liegt an diesem Jungen."
"Kendrik mag daran nicht ganz unschuldig sein, aber er ist ein guter Junge."
"Ich weiß. Glaub mir, Silvan, ich konnte ihm ansehen, dass er es gut mit ihr meint. Ich war auch einmal jung. Und verliebt." Seine Stimme klang alt und verbittert. "Es ist lange her, aber ich habe es nicht vergessen."
"Er ist nicht das, was du dir für deine Tochter erhofft hast", lenkte Silvan ein.
Adelmuth unterbrach ihn unwirsch. "Fang nicht davon an. Du weißt selbst gut genug, dass ich sie nicht an einen dieser aufgeblasenen Gecken verheiratet hätte."
Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf Silvans wettergegerbtes Gesicht. "Das hätte sie zerstört."
"Und es spielt keine Rolle mehr. Ich bin des Regierens müde. Belle waren Macht und Titel schon immer gleichgültig. Du warst mir immer ein guter Berater, alter Freund. Was würdest du an meiner Stelle tun?"
Silvan legte seine Stirn in Falten. Er hatte noch nie eine leichtfertige Antwort gegeben. Heute würde nicht das erste Mal sein. "Ihr Glück wäre mir am wichtigsten", erwiderte er leise.
"Glück?" Adelmuth lachte auf. "Mich hat nie jemals einer danach gefragt, was mich glücklich machen würde." Er schwieg eine Weile. "Danach, was das Vernünftigste ist, ja. Das Diplomatischste. Die kostengünstigste Variante. Die Lösung, die das Volk am ehesten begrüßen würde. Ich hatte immer viel zu bedenken, aber Glück hat dabei nie eine Rolle gespielt." Er lachte laut. Dann schlug er mit der Hand auf die Tischplatte, dass die Krüge schepperten. "Aber vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, wenn mich jemand danach gefragt hätte, was mich glücklich macht", murmelte er leise. "Wenn ich mich dies wenigstens selbst gefragt hätte."
Silvan beobachtete seinen Ausbruch still.
"Ich soll es ihr folglich erlauben, schlägst du vor?" Adelmuths grüne Augen fixierten seinen alten Freund.
"Was spricht dagegen? Außer, dass es nicht ihr Zuhause ist. Sie wäre mir willkommen."
Adelmuth schüttelte den Kopf. "Ich weiß, Silvan. Aber sie ist sechzehn. Unverheiratet und -", er zögerte. Sein Blick wanderte zu der angelehnten Tür, durch die Silvan die Stube betreten hatte. "Wo stecken die beiden überhaupt?"
"Draußen." Silvan räusperte sich, ehe er fortfuhr. "Ich habe gesagt, dass ich zuerst mit dir darüber sprechen möchte."
"Eine kluge Vorgehensweise", lobte der ausgediente Herr. "Du wusstest immer, wie du vorgehen musst." Das Grinsen auf Adelmuths Gesicht erreichte sogar seine Augen. "Was hätte ich nur ohne dich gemacht?"
"Du hättest vermutlich die ein oder andere ziemlich dumme Entscheidung getroffen", bemerkte Silvan und auch aus seinen Augen blitzte der Schalk. "Wann war das letzte Mal, dass wir so miteinander gesprochen haben?"
"Du meinst offen und ehrlich?"
"Das meine ich. Und auch so frei und gelöst?" Silvan war nachdenklich geworden.
"Jahre." Auch Adelmuth schwelgte in Erinnerungen. "Wenn nicht sogar Jahrzehnte. Viel zu lange jedenfalls."
Sein Freund pflichtete ihm bei. "Das sollten wir zu unserer neuen Gewohnheit machen." Silvan griff nach seinem Krug und hob ihn Adelmuth entgegen. "Auf uns und unsere Entscheidungen."
Auch Adelmuth erhob seinen Krug und prostete Silvan zu. "Auf dich und deine klugen Ratschläge." Sie lachten.
Bald darauf wurde Adelmuth jedoch wieder ernst. "Wie gut, dass Zita das nicht mehr erleben muss. Sie hätte getobt und Annabelle verboten, ihren Ruf und ihre Zukunft derart zu ruinieren." Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte.
"Du denkst also, sie macht einen Fehler?", fragte Silvan vorsichtig.
Adelmuth schüttelte den Kopf. "Sie ist jung und folgt dem Ruf ihres Herzens. Ist das ein Fehler? Ist sie mir oder ihrer toten Mutter verpflichtet? Soll ich ihr ihr Glück verbieten?"
Silvan schwieg. Diese Fragen musste sich sein Freund selbst beantworten.
"Ihr steht die Zukunft offen. So wie auch Waldhafen. Auch wir Alten wissen nicht, wohin der Weg führt. Lassen wir sie ihn gehen. Sie sind klug und entschlossen. Ob sie ihren Ruf ruiniert?" Adelmuth lachte grimmig. "Ich kenne das Geschwätz der Leute. Wen kümmert, was auf den Gassen getratscht wird?" Er zuckte die Schultern. "Sie wird damit leben müssen."
Silvan atmete erleichtert aus. "Was gedenkst du zu tun?" Endlich traute er sich, die Frage zu stellen, die ihm schon eine ganze Weile auf den Lippen brannte.
"Schick mir den Jungen." Adelmuth, ganz der altgediente Regent, klatschte in die Hände, seine Stimme voller Entschlossenheit. "Zuerst möchte ich mit ihm reden, alleine, von Mann zu Mann und dann werde ich entscheiden."
Silvan erhob sich zögernd. Wie gut war sein Neffe vorbereitet, sich den prüfenden Fragen eines besorgten Vaters zu stellen? Adelmuth hatte jahrzehntelange Erfahrung darin, Bittsteller auszuhorchen und Verhöre zu führen. Würde Kendrik, dem es schon immer schwer gefallen war, die richtigen Worte zu finden, vor seinen Augen bestehen. Er hoffte es. Dennoch klopfte sein Herz laut und heftig.
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