16) Maskerade
Wie viele Masken trägt dein Gesicht
und wann - wenn nicht im Tiefschlaf -
traut sich die letzte Maske
aus deiner Requisitenkammer
Christa Schyboll (Autorin, *1962)
~ ~ ~
"Mit einer Magd wird es nichts. Du wirst mit mir Vorlieb nehmen müssen", scherzte Kendrik und schaute sich in der kargen Kammer unter dem Dach um.
Zwei einfache Schränke. Zwei schmale Betten unter der Dachschräge, ein Erkerfenster mit Blick auf den Hof. "Genügt das deinen Ansprüchen?"
Annabelle ignorierte seinen Spott und ließ sich auf das Bett fallen. Die Bäuerin hatte jedem von ihnen eine dünne Wolldecke ausgehändigt. Die Matratze war mit Spreu gefüllt. Der Duft kitzelte ihr angenehm in der Nase.
"Ich brauche nicht mehr wie ein Dach über dem Kopf und ein einfaches Bett. Hab schon schlechter geschlafen." Sie gähnte. "Vor allem in letzter Zeit."
Er tat es ihr nach und ließ sich auf das Bett an der gegenüberliegenden Wandseite plumpsen. Sie beobachtete ihn, wie er sich ausstreckte und versuchte eine bequeme Position zu finden.
"Du bist einfach zu groß", bemerkte sie. Wenn er auf dem Rücken lag und sich lang machte, ragten seine Füße über das untere Ende hinaus. "Sieht ein wenig unbequem aus."
"Das geht schon", murmelte er, drehte sich auf die Seite, so dass er ihr zugewandt war und zog die Beine an.
"Schlaf gut." Annabelle löschte das Licht der Lampe und drehte sich zur Wand. Sie konnte seinen Blick in ihrem Rücken spüren und versuchte erfolglos, dieses Gefühl zu ignorieren und sich stattdessen auf ihre Position zu konzentrieren. Ihre Beine schmerzten und ihr Rücken tat weh, außerdem war es ein ungewohntes Gefühl mit den kurzen Haaren auf dem Kissen zu liegen.
"Gute Nacht", murmelte Kendrik von der anderen Seite.
Dann wurde es ruhig in der kleinen Kammer. Sie beneidete ihren Begleiter um die Fähigkeit, überall und augenblicklich einschlafen zu können. Sie war erschöpft, hatte saubere Bettwäsche, ein Dach über dem Kopf, ihr Körper verlangte nach Ruhe, aber trotz allem fand sie nicht in den Schlaf. Sie wälzte sich auf die andere Seite.
"Schläfst du schon?", flüsterte sie in die Stille und lauschte.
Sein Atem ging leise und regelmäßig. Er lag noch immer so da, wie er sich hingelegt hatte. Die langen Füße angewinkelt, eine Hand unter der Wange. Seine Haare bildeten einen dunklen Kontrast auf seinem weißen Kissen. Er sah hübsch aus, wenn er schlief.
"Annabelle", murmelte er und streckte seine Hand aus.
"Was ist?"
Die Hand sank auf die Decke. Er zuckte. "Beeilung." Er strampelte mit den Beinen, stieß an die Bettkante und verursachte ein dumpfes Geräusch.
Annabelle erstarrte. "Was hast du?"
Er lag wieder still, atmete gleichmäßig. Sie beobachtete ihn noch eine Weile, aber er sagte nichts mehr. Im Gebälk knarrte es, auf dem Hof kläffte ein Hund und sie zuckte zusammen. Obwohl sie wusste, dass sie in Sicherheit war, versetzte sie das Bellen in Unruhe. Sie hob den Kopf und lauschte. Kendriks ruhiger Atem war kaum zu vernehmen, sie erhob sich und trat ans Fenster. Die Gebäude lagen im fahlen Mondschein. Nichts bewegte sich, alles war ruhig. Sie beobachtete den Hof einige Minuten lang. Wolken zogen vor dem Halbmond vorüber, aber da war nichts, was sie beunruhigen musste.
Schließlich tappste sie leise zurück zu ihrem Bett und legte sich hin. Irgendwann musste sie ebenfalls dem Schlaf erlegen sein.
Kendrik erwachte von einem Geräusch. Er hatte tief und fest geschlafen und brauchte einen Moment, ehe er sich daran erinnerte, wo er sich befand. Annabelle keuchte in ihrem Bett. Sie fuchtelte mit den Händen und strampelte mit den Füßen. Mit einem Rauschen rutschte die Decke zu Boden. Sie stöhnte und wand sich hin und her. Er schlug seine Decke zurück und war mit schnellen Schritten bei ihr.
"Die Hunde", murmelte sie und gestikulierte wild mit den Händen.
"Annabelle wach auf. Du bist in Sicherheit." Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, sie zuckte zusammen.
"Sie haben mich." Ihre schlaftrunkene Stimme klang verzweifelt. Sie bäumte sich auf und er war sicher, sie wäre aus dem Bett gefallen, wenn er nicht inzwischen auf der Bettkante gesessen hätte.
Erschrocken über ihre heftige Reaktion, zog er seine Hand zurück. "Hey", versuchte er es erneut.
Dieses Mal sagte sie nichts mehr, sondern schrie. Er zögerte einen Moment, unschlüssig, was zu tun sei und hielt ihr dann die Hand vor den Mund.
"Annabelle, ich bin es Kendrik. Wir sind in Sicherheit." Sie schlug die Augen auf. Braun wie warmes Holz in dem milden Licht der Morgendämmerung. Ihr Blick huschte hin und her.
Er ließ sie los und lehnte sich ein wenig zurück. "Es ist alles gut. Es war bloß ein Traum."
Sie setzte sich auf, schüttelte sich. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie wischte mit der Hand darüber und stieß einen langen Seufzer aus, ehe sie sich erschöpft zurück auf das Bett sinken ließ. "Das hat sich alles so wirklich angefühlt. Mein Herz klopft immer noch."
"Ich weiß." In Kendriks Ohren hallte ihr Schrei noch immer nach. "Das war ganz schön knapp gestern."
Annabelle schloß die Augen, atmete ein paar Mal ein und aus, schließlich öffnete sie die Augen und schaute ihn an. "Aber hier sind wir in Sicherheit, oder? Du kennst die Bauersleute?"
"Mach dir keine Gedanken. Sie haben keinen Verdacht geschöpft und selbst wenn, sie würden den Reitern sicher nichts verraten."
"Die Kunde von meiner Flucht kann noch nicht bis hierher durchgedrungen sein", stellte Annabelle fest. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag, aber an Schlaf war an diesem frühen Morgen nicht mehr zu denken. Im unteren Teil des Hauses hörte sie die ersten Türen gehen und Schritte auf den Holzdielen.
"Schlüpf einfach wieder in meine Sachen und überlass mir das Reden, dann werden sie unsere Maskerade schon nicht durchschauen." Kendrik hatte sich erhoben, ihr Hemd und Hose zugeworfen und wartete zur Wand gedreht, bis sie soweit war.
Sie krempelte gerade das Hosenbein hoch, als er sich umdrehte. "Deine Haare stehen ab." Er grinste und fuhr sich mit den Fingern durch die dunklen Strähnen.
Annabelle klatschte ein wenig Wasser aus der Waschschüssel auf ihre Hände und versuchte, ihre widerspenstige Locken zu glätten. "Zufrieden, der Herr?"
"Tut mir leid euch enttäuschen zu müssen, meine Dame, aber für einen Empfang im Schloss reicht es wohl nicht." Sie spritzte ein wenig Wasser in seine Richtung. Er lachte. "Schon gut. Für ein einfaches Frühstück unter der Knechtschaft wird es reichen."
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und die Bäuerin tauchte auf, gefolgt von einer der Mägde. Während die Magd erschrocken wirkte und zögerlich stehenblieb, marschierte die Frau mit bebenden Busen mitten in den Raum.
"Was ist hier los?", verlangte sie zu wissen und schaute misstrauisch von Kendrik zu Annabelle. "Wer ist das Mädchen?"
Der schluckte und lief rot an. Er hatte sie noch nicht eingeschnürt und trotz seines weiten Hemdes konnte jeder auf den ersten Blick Annabelles weibliche Figur erkennen.
"Das ist -" Er zögerte. "Niemand." Seine Stimme erstarb.
Die Bauersfrau hob die Augenbraue. Die Magd verharrte noch immer unschlüssig im Türrahmen. "Niemand? So hat es sich aber nicht angehört. Raus mit der Sprache!" Ihr Tonfall klang streng. Die blassblauen Augen senkten sich auf Annabelle. Sie machte einen Schritt auf das Mädchen zu und baute sich vor ihr auf, auch wenn sie einen halben Kopf kleiner war als ihr Gegenüber.
"Wer bist du? Na los, sag schon." Sie stemmte die Arme in die Hüfte. Keiner der beiden brachte einen Ton heraus. "Du bist keine Verwandte von ihm. Seine Verlobte? Jedenfalls seid ihr nicht verheiratet. Wie kannst du mit ihr in einem Zimmer schlafen? Hast du wenigstens vor, sie zur Frau zu nehmen?" Sie wandte sich an Kendrik und Annabelle atmete erleichtert aus.
"Ähm, ja." Der Junge rang sichtlich nach Worten. "Wir heiraten in Nordstadt." Sein Gesicht glühte.
Aber Antwort schien ihre Gastgeberin zu besänftigen. "Trotzdem gehört sich das nicht. Ihr hättet etwas sagen müssen. So ein unsittliches Verhalten dulde ich nicht unter meinem Dach." Die Hausmagd war inzwischen rot geworden und schaute abwechselnd von ihrer Herrin zu den beiden Gästen.
"Entschuldigung", stammelte Kendrik. "Sie leidet unter Albträumen und ich wollte sie nicht alleine lassen. Ich habe sie nicht angerührt." Die Bäuerin nickte.
"Wie auch immer." Sie musterte Annabelle prüfend, suchte herauszufinden, ob die Worte der Wahrheit entsprachen. "Wie siehst du überhaupt aus? Und was ist mit deinen Haaren geschehen? Lauf Magda, hol dem armen Mädchen etwas Anständiges zum Anziehen."
Annabelle fuhr sich durch die Haare. "Ein Unfall", stammelte sie. "Aber ich brauche nichts Neues. Es ist besser, wenn ich seine Sachen anlasse, weil -" Ihr fiel keine überzeugende Erklärung ein.
"Weil zwei Männer auf Reisen weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen." Kendrik trat mit einem großen Schritt neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Die Bauersfrau schüttelte den Kopf. "Na wie auch immer. Wenn ihr meint, aber ihr hättet es mir verraten sollen. Du hättest bei einer meiner ledigen Mädge schlafen können. Ihr kommt aus Waldhafen, oder? Stammst du von dort?"
Annabelle nickte.
"Dass ihr euch zugetan seid, kann man sehen. Es wundert mich, dass ich es gestern nicht sofort erkannt habe. Aber es war schon spät, als ihr kamt." Sie musterte die beiden erneut.
Kendrik hatte sich wieder gefangen. "Es tut mir leid für die Umstände und dieses Ärgernis, gnädige Frau. Wir bedanken uns für die Gastfreundschaft." Er wirkte noch immer zerknirscht.
"Vielen Dank für die Unterkunft", pflichtete ihm Annabelle bei. Verlegen schaute sie zu Boden, dann warf sie Kendrik einen verstohlenen Blick zu. Was sollten sie tun?
"Schon gut. Das Frühstück ist bereitet. Ihr könnt in aller Ruhe essen, bevor ihr aufbrecht." Sie drehte sich um und die beiden Jugendlichen folgten ihr die knarrenden Holzstufen hinunter in die Wohnräume, wo ein köstliches Bauernmahl, frisches Brot und Ziegenkäse, Obst und Mus, sogar ein Klumpen Sahne in einem Schüsselchen auf sie wartete. Es duftete herrlich, aber Annabelle verspürte keinen Appetit.
"Auf mich wartet die Arbeit." Die Bauersfrau verabschiedete sich und ließ die beiden alleine, nicht ohne die Magd, die mit einem Bündel Kleider auf dem Arm schüchtern in die Stube getreten war, anzuweisen, den Packen Annabelle auszuhändigen. "Nimm es dir, wenn du es brauchst." Und mit diesen Worte fegte sie, gefolgt von dem Mädchen, aus dem Raum.
Annabelle schaute Kendrik an und hob die Augenbrauen. "Und was machen wir jetzt?"
"Gar nichts. Wir frühstücken", erwiderte dieser und griff nach dem Brotmesser und einem Stückchen Käse.
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