{Teil 2 ~ 4}
Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, öffne ich die Wohnungstür und bemühe mich um ein gleichgültiges Gesicht. Dieses ändert sich jedoch schnell in Überraschung, denn mit der Person, die vor mir steht, hätte ich niemals gerechnet. Ich blicke direkt in Kiras Gesicht. Sie ist zwar älter geworden, trotzdem erkenne ich sie sofort. „W-was machst du denn hier?", frage ich so verwirrt, dass gar kein Platz für Abweisung oder Wut bleibt. „Ich wollte dir gratulieren. Kann ich reinkommen?" Ich blinzel wie verrückt mit den Augen, dann trete ich wortlos beiseite.
„Oh, hi. Du bist der Typ von der Sprechanlage." Kira mustert Per für einen Augenblick. Dieser nickt nur und wirft mir dann einen fragenden Blick zu. „Das ist Per, mein Freund. Das ist Kira, die kleine Schwester von... meinem Ex. Und ne gute Freundin von meiner Schwester." Der Rotbraunhaarige nickt zurückhaltend. Ich kann ihn verstehen, er kennt bisher nur Bruchstücke meiner Vergangenheit. Aber er weiß genug, um zu verstehen, warum ich abgehauen bin.
Kira lächelt mich etwas unsicher an. „Also, es kommt dir... euch bestimmt komisch vor, dass ich einfach so hier auftauche. Aber nachdem du einfach spurlos verschwunden bist, habe ich mir riesige Vorwürfe gemacht. Mir war klar, dass du weggegangen bist, weil du es nicht mehr ausgehalten hast, was ich auch voll verstehen kann. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie du die ganze Scheiße erträgst. Aber ich hatte dann echt Schiss, dass du dich wegen all dem vielleicht umgebracht hast. Deshalb war ich alle paar Monate bei der Polizei und hab nach dir gefragt. Die anderen haben sich halt überhaupt nicht mehr für dich interessiert. So hart das klingen mag, nach einer Woche warst du nie wieder Thema. Weder in meiner, noch in deiner Familie." Kira seufzt und holt kurz Luft. Dabei lasse ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Es war klar, dass sich weder meine Familie noch mein Ex um mein Verschwinden kümmern. Hätte sie mein Wohlergehen interessiert, hätten sie mir ja vorher nicht diese Qualen bereitet.
„Ich weiß, dass ich nicht direkt was dafür kann, was du erleben musstest. Aber ich hab halt immer mehr gemerkt, dass es dir gar nicht gut geht. Trotzdem hab ich nicht gehandelt... Das tut mir leid." Sie seufzt noch einmal und streicht ihre rotblonden Haare zurück. „Als ich dann vor einer Woche wieder bei der Polizei war, haben sie mir erzählt, dass du wieder aufgetaucht bist. Ich bin vor Erleichterung erst mal umgekippt. Die Beamten kannten mich ein Glück durch die unzähligen Besuche über die Jahre schon und haben mir deshalb nach ein bisschen Betteln die Adresse gegeben, bei der du gemeldet bist. Und dann ist mir aufgefallen, dass du ja bald Geburtstag hast... Jetzt bin ich hier." Sie lächelt mich schüchtern, aber hoffnungsvoll an.
Ich schlucke, weil ich gar nicht so genau weiß, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, dass eine Person aus meinem alten Leben vor mir steht. Sie entschuldigt sich nicht dafür, aber sie hat eigentlich auch nichts falsch gemacht. Kira kann wirklich am wenigsten für alles, was passiert ist. „Du bist nicht Schuld. Du warst damals doch viel zu jung, erst... 16 oder so." Ich bemühe mich, sie nicht abweisend anzuschauen. Natürlich triggert ihr Anblick mein Gedächtnis, aber durch ihre Worte und Pers Präsenz neben mir macht mir das nicht so viel aus.
„Schon, trotzdem hätte ich bestimmt was machen können... irgendwas." Kira hält kurz inne. „Also, weshalb ich jetzt eigentlich gekommen bin, war natürlich nicht nur, um dir zu gratulieren. Ich wollte dir zeigen, dass es noch Menschen gibt, die an dich denken. Oder zumindest einen, ich hab nämlich echt viel an dich gedacht. Deiner Schwester habe ich übrigens ziemlich direkt die Freundschaft gekündigt und nachdem ich meinen Abschluss hatte, bin ich dann auch sofort ausgezogen. Mit meiner Familie hab ich nur noch zu Geburtstagen Kontakt, die haben nämlich echt alle einen Sockenschuss. Seitdem wohne ich hier nur ein paar Straßen entfernt." Nun grinst sie. „Lustig, oder?" „Schon." Ich bin immer noch etwas mit der Situation überfordert, aber es wird besser. In mir macht sich ein Gefühl breit, was ich nicht genau definieren kann. Es ist wie eine melancholische Freude, auch wenn das nicht so viel Sinn zu ergeben scheint.
Die Stille gibt mir das Gefühl, was sagen zu müssen. „Ja, also, ich schätze danke, dass du gekommen bist." Ich werfe Per einen etwas unsicheren Blick zu. „Ja, ich finds auch gut. Matt hats noch nicht so mit sozialer Interaktion, aber ich seh ihm an, dass es ihm gut tut." Mein Freund grinst und verhakt seine Finger in meiner vorderen Hosentasche auf der ihm abgewandten Seite, sodass sein Arm um meine Hüfte geschlungen ist. „Ey", gebe ich halb beleidigt, halb verliebt zurück und klatsche ihm auf den Hintern. „Ist doch so", lacht Per. Als ich einen Blick zu Kira werfe, sehe ich, dass sie uns glücklich angrinst. „Ich bin so froh, dass du jemanden gefunden hast, der dich so behandelt, wie du es verdienst, Matteo", freut sie sich ehrlich, weshalb ich vorsichtig lächel. „Danke", gebe ich leise zurück. „Ich hatte sehr viel Glück." Ich kann Pers Honigkuchenpferdgrinsen neben mir quasi riechen, woraufhin ich ihm gegen die Hüfte checke. „Das sehe ich", bestätigt unser Besuch. „Sag das nicht, dann kriegt der nen tagelangen Höhenflug", grummel ich augenverdrehend. Kira und Per lachen leise, sodass ich nicht verhindern kann, dass sich meine Mundwinkel ebenfalls heben.
„Ich würd dann auch wieder gehen, ich will ja nicht eure Geburtstagsfeier zerstören. Aber wenn du mein Auftauchen verdaut hast, magst du dann mal was mit mir machen? Beziehungsweise ihr beide. Ich hätte Bock auf zwei neue große Brüder, die vernünftige moralische Werte haben. Dann kannst du mir auch erzählen, was du die letzen Jahre so gemacht hast", grinst sie und blinzelt von unten zu mir rauf. „Bekomme ich deine Nummer, Matteo?" „Ähhh... ich hab kein Handy, aber vielleicht gibt dir ja Per seine", antworte ich schon fast gut gelaunt. „Na klar."
Einen Augenblick später haben die beiden Nummern getauscht und Kira kommt auf mich zu, um mich einmal zu drücken. „Ich bin froh, dass du noch da bist", murmelt sie dabei. „Ich auch. Danke, dass du dich um mich gesorgt hast." „Sehr gern. Ich würd mich freuen, wenn wir Kontakt halten." Ich nicke ihr zu, während sie zur Tür heraustritt. „Schönen Geburtstag noch!" Ehe ich etwas antworten kann, hüpft sie schon laut polternd die Treppe hinunter.
„Uff." Etwas erschöpft lasse ich mich gegen Per fallen, der sofort seine Arme um mich schlingt. „Du hast das toll gemacht", murmelt er mir gegen den Hals, darauf bedacht, meinem Ohr nicht zu nahe zu kommen. „Hmhm." „Ich bin unfassbar stolz auf dich." Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern. Kurz darauf beginnt er, ein paar sanfte Küsse auf meinem Hals zu verteilen. Wohlig seufze ich tief auf und lasse meine Hände in seine hinteren Hosentaschen gleiten.
Ein paar unschuldige Küsse später lösen wir uns voneinander. Per lächelt mich liebevoll an, während ich durch seine Haare fahre. „Also, ich fand Kira sehr nett", berichtet er dann leise. Ich nicke, wobei ich zurück in die Wohnküche schlendere. „Das ist sie. Irgendwie freu ich mich, dass sie mich nicht vergessen hat", gebe ich zu. Per räumt mit mir zusammen den Tisch ab. „Das glaub ich", lächelt er. „Wollen wir noch ein Stück Kuchen essen?", schlägt er dann grinsend vor. Von dem plötzlichen Themawechsel erst verwirrt, breitet sich das Grinsen etwas verspätet auf meinem Gesicht aus. „Auf jeden Fall!"
-
Am späten Nachmittag liegen wir, nach Atem ringend, nebeneinander auf unserem Bett, als irgendetwas piept. „Was... ist das?", erkundige ich mich verwirrt, da ich gerade erst wieder beginne, mehr als meinen Freund wahrzunehmen. „Oh", seufzt er, rollt sich zur Seite und bringt sein Handy zum Schweigen. „Ich hab uns sicherheitshalber nen Wecker gestellt, damit wir uns fertig machen, bevor Mimi und Oscar kommen", erklärt er und krabbelt zu mir zurück. Lächelnd streiche ich ihm die Haare aus der verschwitzten Stirn und gebe ihm einen Kuss auf die Nase. „Woher wusstest du..." „Nachdem du dieses Hemd und diese Hose angezogen hast, hab ich den gestellt", unterbricht er mich lachend. Grinsend schüttel ich den Kopf. „Es tut mir ja leid, aber ich werde das gleich wieder anziehen." „Ich weiß, deshalb hab ich das jetzt noch mal ausgenutzt", antwortet Per schelmisch. „Perfekt, dann kannst du mich ja gleich in Ruhe lassen." „Nö", widerspricht er fröhlich, wobei er sich aufsetzt. „Komm, los. Diese frischen Knutschflecke sind eindeutig genug, da müssen wir nicht auch noch halbnackt die Tür öffnen."
„Ein Glück haben wir schon eingekauft", kichert Per, als wir eine viertel Stunde später angezogen und fertig gemacht in der Küche stehen und schon mal die Zutaten für unser Essen gleich herauslegen. „Als hätten wir es geahnt, dass du noch über mich herfallen wirst", zwinkere ich ihm zu. „Ich könnte immer über dich herfallen", murmelt mein Freund, was mich leicht erröten lässt. „Per", gebe ich leise zurück und seufze. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin nicht ansatzweise gut genug für dich. Du gibst mir so viel. Du sagt und zeigst mir jeden Tag, wie sehr du mich liebst, was ich gar nicht glauben kann, weil ich immerzu grummelig bin! Und ich, ich gebe dir kaum was zurü..." Per unterbricht mich, indem er mich sanft küsst.
„Hör auf, Matt", flüstert er und legt vorsichtig seine Hände auf meine Hüfte. Eindringlich sieht er mich an. „Du bist vielleicht nicht der Typ, der am häufigsten seine Liebe zeigt oder mit Worten bestätigt. Aber du bist trotzdem der beste Partner, den ich mir wünschen kann. Wie du schon gesagt hast, liebe ich dich und zwar über alles. Damit, dass du mir vertraut hast und mit hierher gekommen bist, hast du mir schon so viel gegeben, dass ich dir kaum genug zurückgeben kann. Und selbst wenn, du könntest mir gar nichts schulden. So funktioniert Liebe nicht. Wir sind doch aus freien Stücken nur zu gern füreinander da. Menschen sind unterschiedlich darin, Zuneigung zu zeigen. Nur, weil es bei dir weniger offensichtlich ist als bei mir, heißt das doch nicht, dass du mir weniger gibst. Bitte, Matt, denk nie wieder, dass du nicht genug bist. Mit dir bin ich glücklicher denn je."
Ich schlucke, indessen ich den Gedanken verdränge, dass ich nie etwas ähnliches zu ihm sagen könnte. „Du hast wahrscheinlich recht, aber ich will dir so gern meine Liebe zeigen. Doch ich kann es nicht. Ich habe einfach Angst davor, meine Gefühle nach außen zu tragen", erkläre ich niedergeschlagen. „Ich weiß das doch. Es ist okay. Wirklich, mein Schatz, hör auf, dir darüber Gedanken zu machen. Ich liebe dich und du mich und wir sind glücklich zusammen. Was wollen wir denn mehr?" Behutsam streichen seine Hände über meine Seiten, während er sich vorlehnt. Seine Nasenspitze berührt meine. Er lächelt mich warm an. „Lächel für mich, Geburtstagskind, anstatt so trübe Gedanken zu haben." Er streift mit seinen Lippen meine, weshalb ich schließlich wirklich lächeln muss. „Perfekt", haucht mein süßer Freund gegen meine Lippen, ehe wir uns küssen. „So wie du", nuschel ich, dann küsse ich ihn ebenso sanft wie leidenschaftlich.
Zumindest, bis es klingelt. Wieder zu Atmen gekommen, aber noch mit geschwollenen Lippen öffnen wir unseren Freunden die Tür. „Herzlichen Glückwunsch, Matt!", ruft Mimi, nimmt mich schwungvoll in den Arm und drückt mir dann ein Geschenk in die Hand, was sich ganz nach Buch anfühlt. „Danke", gebe ich verlegen zurück. Oscar schenkt mir ein warmes Lächeln, während sich die beiden ihre Schuhe ausziehen.
In der Küche beginnen wir, zusammen zu kochen. Dabei wird viel geredet und gelacht. Ich muss mich nicht mal dazu zwingen, ab und zu etwas zum Gespräch beizutragen oder zu lächeln. Per kann seine Finge häufig nicht von mir lassen, aber auch ich streiche ihm immer mal wieder über den Arm, wenn ich an ihm vorbeigehe. Mimi betitelt uns lachend als das süßeste und verliebteste Pärchen, was sie je gesehen hätte, woraufhin sich Oscar mit gespielter Ernsthaftigkeit nach dem Hochzeitstermin erkundigt. Noch bevor Per oder ich darauf reagieren können, lacht Mimi mit spitzbübisch blitzenden Augen. „Die beiden sind offensichtlich gerade viel zu beschäftigt damit, sich gegenseitig aufzufressen, als dass sie sowas planen könnten", zieht sie uns auf.
Verlegen schiele ich zu meinem Freund, welcher das lachend bestätigt. „Mal ganz im Ernst, in dem Hemd und der Hose kann man ihm doch einfach nicht widerstehen, oder?", versucht er sich zu rechtfertigen. „Du zumindest nicht", gibt Oscar ihm recht, wobei er Per in die Seite pickt. „Doch, ich kann ihn verstehen", unterstützt Mimi meinen Freund, weshalb wiederum ihr Freund gespielt beleidigt dreinschaut. „Also wirklich", grunzt er, woraufhin Per einen Arm um meine Hüfte schlingt. „Keine Angst, Oscar, ich geb ihn nicht her. Nie mehr." Verliebt lächelnd küsse ich die Wange meines Freundes, während Mimi ihren Freund mit einem Stück Paprika abwirft und versichert, sie würde ihren Lieblingsidioten selbst nie eintauschen wollen. „Na, da hab ich ja noch mal Glück gehabt", seufzt Oscar theatralisch.
„Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?", murmel ich Per zu, wobei ich meine Arme fest um ihn schlinge. „Lass durchbrennen", schlägt er ebenso leise vor, was ich mit einem geflüsterten „Okay" beantworte. Einen Augenblick schauen wir uns in die Augen, dann beginnen wir zu lachen. „Nicht heute", sagen wir dann gleichzeitig, weshalb wir wieder lachen. Glücklich blicke ich in die funkelnden rotbraunen Augen, die mir so vertraut sind. Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dem Schicksal bin, dass Pers Tank ausgerechnet in meiner Umgebung alle gegangen ist und er ausgerechnet meine Hütte gefunden hat.
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