{Teil 1 ~ 1}
Es hagelt. Es ist April und es hagelt seit einer halben Stunde. Laut klopft es gegen das kleine Fenster, als würde jemand reinkommen wollen in meine Welt. Doch da ich weiß, dass es nur die Natur ist, bin ich beruhigt. Ich würde sogar freiwillig da draußen stehen, nur um zu wissen, dass es kein Mensch ist. Denn ich hasse alle Menschen. Deshalb habe ich vor ein paar Jahren auch beschlossen, keine mehr zu treffen. Außer vielleicht mit Steinen, falls sie es wagen, mir zu nahe zu kommen. Aber hier, in einen der größten Wälder Schwedens, verirrt sich kaum einer. Die nächste Straße ist ewig weit entfernt, das nächste Dorf zig Kilometer. Und genau deshalb bin ich hier. Ich habe diesen Ort ebenso sorgsam ausgewählt wie ich meine Flucht geplant habe. Nicht, dass ich aus einem Gefängnis oder so geflohen wäre. Aus den Fängen der Gesellschaft trifft es wohl eher.
Mit einem letzten missmutigen Blick auf die Weltuntergangsstimmung da draußen wende ich mich ab und hoffe einfach, dass es bald vorbei ist. Eigentlich bin ich ein Freund von jeder Art Wetter, aber vor ein paar Tagen habe ich das erste Gemüse gepflanzt, und wenn das jetzt erfriert, bin ich in ein paar Wochen am Arsch. Die Regale im Schuppen, wo ich meine Einmachgläser verwahre, lichten sich nämlich langsam aber sicher. Und auf Kartoffeln mit... Kartoffeln, und das wochenlang, habe ich wirklich nicht so viel Lust.
Mein Blick fällt auf mein Manuskript. Obwohl ich die Utopie, in der mein Buch spielt, wirklich liebe, kann ich mich gerade nicht so ganz hineindenken. Zu laut ist die Realität in From des Hagels. Außerdem brauche ich dringend Bewegung. Eine Runde zu laufen, kann ich mir bei dem Wetter definitiv abschlagen, weshalb ich mir kurzerhand mein Shirt über den Kopf ziehe, meine Jogginghose gegen eine kurze Sporthose wechsel und eine dünne Korkmatte ausrolle. Mein übliches Workout kommt mir heute langweilig vor, weshalb ich den Schwierigkeitsgrad von ein paar Übungen oder die Anzahl der Wiederholungen erhöhe. Natürlich bin ich danach umso geschaffter, aber zufrieden. Mein Aussehen ist mir egal, da mich sowieso niemand sieht, aber ich mag es, fit zu sein. Das Gefühl, sportlich etwas leisten zu können, zeigt mir fast so sehr wie künstlerisches Schaffen, dass ich am Leben bin. Manchmal kommt mir mein Alltag so unwirklich vor, da es nichts gibt, was mich aus der Bahn wirft. Oft springe ich in solchen Situationen in den Fluss, der hinter meinem Grundstück liegt – egal, welche Jahreszeit. Danach bin ich mir dann immer ziemlich sicher, nicht zu träumen.
Okay, es ist nicht mein Grundstück. Genaugenommen ist es niemandes Grundstück, allerhöchstens vielleicht das des Staats. Aber da sich sowieso keiner für diese weiten Wälder interessiert und alles sich selbst überlassen wird, stört es niemanden. Allerdings weiß auch keiner von mir. Wahrscheinlich bin ich mittlerweile für tot erklärt – oder für dauervermisst, falls es so etwas gibt. Aber das ist mir mehr als recht. Ich würde wahrscheinlich jubeln, wenn ich herausfinden würde, dass ich aus sämtlichen Listen, Tabellen und Programmen gestrichen worden bin. So, als würde ich nicht mehr existieren. Und für diese Gesellschaft, die sich selbst das Leben mehr als schwer macht, tue ich das auch nicht mehr.
In der Küche habe ich mich schnell gewaschen und mir dann eine frische Boxershorts angezogen. Ein Badezimmer habe ich nicht, wer braucht so etwas auch? Mein selbstgebautes Plumpsklo ist draußen und waschen kann ich mich am Waschbecken, oder im Sommer im Fluss. Mir kommt es so vor, als wäre das Flusswasser sauberer und klarer als das Leitungswasser in Großstädten. Eigentlich hat die Fluss-Saison auch schon angefangen, aber bei Hagel wäre es vielleicht selbst für ein so abgehärteten Körper wie meinen zu kalt. Apropos Hagel. Ich richte meinen Blick aus dem Fenster, während ich mir meine Jogginghose wieder anziehe. Für ein Shirt ist es mir nach dem Sport gerade noch zu warm, das kann warten. Der Lautstärke nach zu urteilen, scheint es etwas besser geworden zu sein, doch da es langsam beginnt zu dämmern, können mir das meine Augen nicht so richtig bestätigen.
Ein lautes Klopfen reißt mich aus meinen Überlegungen, doch es klingt anders als der Hagel an meiner Fensterscheibe. Verwirrt bleibe ich mitten im Raum stehen. Tatsächlich wiederholt sich das Geräusch ein paar Sekunden später, und mein Gehirn will mir weismachen, dass es von der Tür kommt. Was soll das denn sein? Ein Wildschwein oder ein Reh? Vielleicht ein Rentier? Aber müssten die nicht mittlerweile weiter im Norden sein? Oder bleiben sie auch im Sommer hier im südlichen Mittelschweden?
Erneut pocht es ungeduldig gegen die Tür, und dieses Mal bin ich mir sicher, dass nur ein Mensch so klopfen kann. Unsicher sehe ich mich um, dann mache ich ein paar entschiedene Schritte auf die Hüttentür zu und öffne sie ein Stück weit. Rotbraune Augen blicken mir entgegen und erinnern mich zuerst an ein Reh, doch dann erkennt mein Gehirn doch, dass es sich um meine eigene Spezies handelt. Böse schaue ich ihn an und überlege ernsthaft, die Tür wieder zu schließen. Er gehört nicht hierher, das hier ist mein Reich. Meine Welt.
„Kannst du mich bitte reinlassen? Ich bin klitschnass und mein Tank ist leer und ich laufe hier schon sein Stunden rum und suche nach Hilfe...", brabbelt er los, bevor ich meine Entscheidung treffen kann. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Anscheinend ist er einer von der besonders anstrengenden Sorte, ständig am labern. „Zum nächsten Dorf immer Richtung Nord-Osten gehen", fahre ich ihn für meine Verhältnisse freundlich an und schicke mich an, die Tür zu schließen. „Dein Ernst? Das dauert doch ewig, da bin ich ja vor der Nacht nicht da und hole mir in meinen nassen Sachen noch den Tod", dramatisiert er völlig über und ich verdrehe genervt die Augen. „Nicht mein Problem." Ich bin überrascht von mir, dass ich darauf noch etwas antworte, doch nun reicht es auch mit Nettigkeit. „Und jetzt hau ab", werfe ich ihm gegen den Kopf und drücke die Tür zu. Beziehungsweise habe ich das vor, aber ein dazwischen gestellter Fuß hindert mich daran. „Hast dus nicht verstanden?", schnauze ich und öffne die Tür mit einem wütenden Ruck weit. „Verpiss dich!"
Völlig unbeeindruckt nutzt der Fremde den Abstand zwischen mir und dem Türrahmen, tritt ein und schließt die Tür hinter sich. Fassungslos starre ich zuerst auf den nun leeren Platz vor mir, dann drehe ich mich zu ihm um und funkel ihn böse an. „Was ist dein verficktes Problem?" Meine Stimme zittert vor Wut und Ungläubigkeit. Wie kann er sich nur diese Frechheit erlauben? „Mir ist kalt und mein Tank ist leer und da ich keine Lust habe, krank zu werden, werde ich ganz sicher nicht im Dunklen kilometerlang durch den Wald laufen, um ein Dorf zu suchen, dass ich eh nicht finden werde." Im Gegensatz zu mir spricht er ruhig und überlegt. Ich weiß, warum ich Menschen hasse. Und solche Kandidaten ganz besonders.
„Du hast hier nichts zu suchen. Das hier ist meine Hütte, und es ist mir egal, ob du krank wirst oder stirbst, also verlass verdammt noch mal meine vier Wände!" Zu Beginn habe ich noch versucht, mich zurückzuhalten, aber meine Stimme ist dann gegen Ende doch immer lauter geworden. „Ich glaube nicht, dass dir das hier gehört, denn wir sind in einem Staatsforst. Außerdem gilt in Schweden das Jedermannsrecht!" Sein triumphierenden Gesichtsausdruck erwidere ich mit einem höhnischen Schnauben. „Welches sich nur auf landschaftliche Flächen und keineswegs auf Gebäude bezieht", füge ich hinzu. Wir liefern uns ein ewiges Blickduell, welches keiner verlieren will, bis er die Augen zu kneift, da er niesen muss. „Hast du vielleicht trockene Klamotten für mich?" Erschlagen von so viel Respektlosigkeit fällt mir keine bissige Antwort ein, weshalb ich ihn einfach nur anstarre, während er sich aus seinen nassen Klamotten schält, die, nebenbei gesagt, viel zu elegant sind für den Wald.
Sein Körper ist gut, dass muss man ihm lassen. Er ist nicht besonders trainiert und nur einige Muskeln zeichnen sich im Ansatz unter seiner makellosen Haut ab. Aber insgesamt wirkt seine hoch aufgeschossene Statur stimmig und funktional. Mein Blick wandert von seinem Oberkörper wieder in sein Gesicht. Es ist kantig und auf eine unperfekte Art schön. Er fährt sich mit der Hand einmal durch sein ebenfalls rotbraunes Haar und hebt seinen Blick, sodass er auf meinen trifft. Mir ist es nicht unangenehm, ihn beobachtet zu haben, da es mir egal ist, was er von mir denkt. „Wenigstens einen Pulli?"
Ich weiß nicht warum, aber ich gebe meinen Widerstand ein Stück weit auf. „Wenn du morgen nicht weg bist, setze ich dich eigenhändig vor die Tür", knurre ich, während ich ihm ein Sweatshirt und eine Jogginghose von mir zuwerfe. Er lächelt daraufhin und ich war definitiv nicht auf die Lachfalten und Grübchen vorbereitet. „Schön, dass du dann auch mal zur Vernunft kommst." „Wie bitte?!" „Und danke." Ich schüttel den Kopf und verfluche meine, naja, soziale Ader... oder so. Ich hätte einfach nicht die Tür öffnen sollen.
Ohne ein Wort zu sagen, verschwinde ich in die Küche und und beginne, aus den heute Morgen aus dem Schuppen mitgebrachten Sachen etwas zu kochen. Als erstes setze ich die Kartoffeln auf, dann beginne ich, dass eingelegte Gemüse in einer Pfanne anzubraten. Ich bin definitiv kein Sternekoch, aber auch nicht total unbegabt. Zumindest werde ich immer satt. Und wenn es dann doch mal knapp wird, fange ich mir einen Fisch aus dem Fluss, auch wenn ich mich eigentlich vegan ernähre. Überleben geht definitiv vor.
Zwei Arme schlingen sich von hinten um meinen nackten Oberkörper und meine Hand mit dem Pfannenwender erstarrt. Was zum Teufel?! Sein Körper schmiegt sich an meinen und ich spüre seinen warmen Atem an meinem Hals. „Mir ist immer noch kalt", haucht er mir ins Ohr und das ist der Punkt, an dem es mir zu viel wird. Blitzschnell drehe ich mich um und stoße ihn von mir. „Tickst du noch ganz sauber?" Wieder zittert meine Stimme, diesmal weniger vor Wut und mehr vor Fassungslosigkeit und Überraschung. Umarmungen und Menschenhass passt definitiv nicht zusammen. Ganz selten umarme ich mal einen Baum, aber das auch wirklich nur, wenn irgendetwas bei mir besonders schief läuft.
„Ich dachte, du könntest mich wärmen", erklärt er mir und scheint sein Verhalten nicht seltsam zu finden. „Mach halt den Ofen an!" Überfordert mit der Situation drehe ich mich zurück zu meinem Gasherd und kümmere mich weiter um mein Gemüse. Trotzdem kann ich hören, wie er nebenan herum rumort und mir platzt fast der Kragen, als ich an die Unordnung denke, die er wahrscheinlich hinterlässt.
5min später scheint sich die Situation zu wiederholen. Erneut schlingt er seine Arme um mich, aber wenigstens haucht er mir dieses Mal nichts ins Ohr, als er zugibt, das Feuer nicht anzubekommen. „Pech", grunze ich und pikse mit einem Messer in eine Kartoffel, um festzustellen, ob sie fertig sind. Fühlt sich an, als müssten sie noch zwei Minuten. Die Platte vom Gemüse mache ich derweil schon einmal aus, lange aber mit dem Arm auf das Gewürzregal über dem Herd und hole ein paar Gläser herunter. Noch immer hat mich der Typ nicht losgelassen, und anscheinend hat er das auch nicht vor, denn er beginnt nun, mit den Fingerspitzen ganz zart über meinen Bauch zu streicheln. „Lass das!", fahre ich ihn an und hoffe, dass er scharf nicht so gut abkann, während ich ordentlich Cayenne Pfeffer in die Pfanne kippe. „Es riecht himmlisch", meint er leider, ohne auf meinen Befehl zu reagieren. Als ich merke, dass er einen Finger minimal unter das Gummi meiner Boxershorts schiebt, reißt mir der Geduldsfaden. Mit einem heftigen Schritt löse ich mich von ihm und drehe mich um.
Eigentlich will ich ihn unhöflich anfahren und am liebsten aus dem Haus werfen, aber bei seinen funkelnden rehbraunen Augen und seinen leicht geröteten Wangen überlege ich es mir doch anders. Verdammt, das ist nicht gut. Ohne etwas zu sagen, nehme ich den Topf mit den Kartoffeln und gieße das Wasser ab. Schweigend hole ich zwei Teller aus dem Regal und fülle das dampfende Essen auf. Dann suche ich noch Besteck raus und stelle alles auf den Küchentisch, an den ich mich auch setze.
Ohne darauf zu achten, ob der Typ sich nun auch mal setzt und isst oder nicht, beginne ich, das Essen in mich hinein zuschaufeln. Zufrieden mit dem Geschmack nicke ich vor mich hin, wende jedoch nicht den Blick von meinem Teller ab, als ich im Augenwinkel sehe, dass er sich mit gegenüber setzt. Seltsamerweise habe ich zwei Stühle in der Küche stehen, und ich habe keine Ahnung, warum. Manchmal lege ich meine Beine hoch.
„Wie heißt du?", zerschneidet seine Stimme nach einer Weile die angenehme Stille, die mir fast weisgemacht hat, dass er gar nicht da ist. Aber leider auch nur fast. „Matt." Gleichzeitig schiebe ich mir eine weitere Gabel Gemüse in den Mund, und es ist mir egal, ob er mich verstanden hat oder nicht. „Matt", wiederholt er leise. „Per", fügt er hinzu, ohne, dass ich ihn gefragt habe. Demonstrativ zucke ich mit den Schultern und kratze meinen Teller leer. Mit einem „Wenn du abwäschst, mache ich den Ofen an" verlasse ich den Raum in fahre mir... fahrig durch die Haare.
„Ist dir nicht kalt?" Obwohl ich meinen Blick nicht aus den beruhigenden Flammen abwende, merke ich, wie er meinen nackten Oberkörper unverhohlen mustert. „Ne, eher zu warm. Ich mache eigentlich nie nach Mitte März den Ofen an. Bin abgehärtet." „Also ich hab nichts dagegen, wenn du dich weiter ausziehst." „Aha." Teilnahmelos beobachte ich weiter die Flammen. Feuer hat mich schon immer fasziniert. Es ist unglaublich mächtig und wenn du eines zündest, hast du demnach viel Macht. Aber mindestens genauso viel Verantwortung. Ich hüte mich beispielsweise im Allgemeinen davor, draußen ein Feuer zu machen. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn durch meine Unachtsamkeit ein Waldbrand entstehen würde. Dazu liebe ich die Natur zu sehr.
Ich spüre, wie sich sein schlanker Körper elegant neben mir niederlässt. Mit einen Mal frage ich mich, wer Per ist. Was er macht, wie er wohnt, wie seine soziale Situation ist. Und dieses Interesse für einen anderen Menschen finde ich durchaus erschreckend. Mir hat es noch nie etwas ausgemacht, allein zu sein, ich habe es genossen. Und ich wäre auch jetzt heilfroh, wenn er wieder gehen würde. Trotzdem kann ich nicht verdrängen, dass ein kleiner naiver Teil von mir es genießt und glaubt, es gibt noch Chancen, dass die Menschheit vielleicht doch nicht so verkorkst ist.
„Worüber denkst du nach?" Seine Fragerei geht mir auf jeden Fall auf den Senkel. Auch, wenn das vielleicht erst die zweite oder dritte Frage war. „Geht dich nichts an." Ich sehe im Augenwinkel, wie er näher rückt und sich zu mir dreht. „Danke, dass du den Ofen angemacht hast, obwohl dir warm ist. Und danke für das Essen und die Klamotten." „Hatte ich eine Wahl?" „Offensichtlich kannst du mir nicht widerstehen." Ich runzel die Stirn und wende mich ebenfalls zu ihm. „Hast du irgendwie ein Aufmerksamkeitsproblem? Oder bist du untervögelt?" Okay, die Fragen sind vielleicht nicht die freundlichsten, aber hey, ich interessiere mich für ihn.
Er lacht und ich lege meinen Kopf schief, um ihn dabei zu betrachten. Er sieht schön aus. „Weder noch, aber wenn ein halbnackter heißer Typ neben mir sitzt, kann ich leider nicht anders." Er zwinkert mir zu und ich wende mein Gesicht wieder dem Ofen zu. Ein halbnackter heißer Typ also. Soso. Typisch oberflächlicher Städter.
„Hast du hier eigentlich WLAN? Weil Netz ist hier ja nicht." Ich lache kurz und trocken. „Nein. Wozu?" „Ich wollte jemanden meinen Standort schicken, damit ich morgen abgeholt werde." „Ich hab dir doch gesagt, wo das nächste Dorf ist." „Ja, aber ich will mein Auto ja nicht hierlassen." „Pech." „Wie hältst du dann mit der Außenwelt Kontakt? Scheint ja so, als würdest du hier leben." Ich gebe ein abfälliges Schnauben von mir. „Gar nicht." „Aber... also so gar nicht gar nicht?" „Richtig." Ich spüre, wie sein Blick über mein Gesicht wandert. „Warum?" „Weil ich kein Bock auf Menschen habe." Gelinde gesagt. „Oh... okay." Er wendet seinen Blick ebenfalls zum Feuer, aber ich habe das Gefühl, dass er noch näher zu mir ran rutscht. Sein Oberschenkel berührt meinen.
„Was haben sie mit dir gemacht?" „Hm?" Ich drehe meinen Kopf zu ihm und als er es mir gleichtut, ist er mir verdammt nah. „Warum bist du... raus?" Ich zucke mit den Schultern. „Dies das", gebe ich unbestimmt zurück. „Also willst du nicht darüber reden", stellt er fest, worauf ich nicht antworte, da ich mit dem Studieren seiner Haare beschäftigt bin. „Was machst du so?" „Mein Überleben sichern. Sport. Kunst", ist meine knappe Antwort. Er hebt überrascht eine Augenbraue. „Kunst?" Ich nicke und lenke meine Aufmerksamkeit jetzt auf seine Wangen- und Kieferknochen, die auf sein Gesicht im flackernden Licht tanzende Schatten werfen. „Was für Kunst?" Was soll das werden, eine Talkshow? Interview? Wo sind die versteckten Kameras?
„Malen, zeichnen, schreiben, Musik." Wieder enthält meine Antwort keine unnötigen Füllwörter. „Wow", macht er nur leise und lächelt mich an. Ich erwidere nichts und starre einfach nur sein lächelndes Gesicht an, in dem die rotbraunen Augen funkeln. Eine ganze Weile sitzen wir so da, er lächelnd, ich mit ausdruckslosem Gesicht. „Und du?" Seine Augen weiten sich kurz überrascht, dann lächelt er noch mehr. Wieder bewundere ich seine Grübchen.
„Ich habe Medienmanagement studiert und arbeite jetzt für eine große Kommunikationsdesign-Agentur in Stockholm. Gerade war ich auf dem Weg zu meinen Eltern. Und übrigens bin ich Single", fügt er noch hinzu und zuckt dabei mit den Augenbrauen. „Kein Wunder", grunze ich und fange einen beleidigten Blick von ihm auf. „Hey, dafür, dass du so unkommunikativ und unfreundlich bist, schlage ich mich ganz gut, finde ich", wehrt Per sich. „Auch noch eingebildet", gebe ich zurück und kann mir ein leichtes Siegesgrinsen nicht verkneifen, als er tatsächlich etwas getroffen schaut. „Du kannst deine Mundwinkel heben!", ruft er in dem Moment laut aus und ich schaue ihn sofort wieder genervt an und halte mir meine Ohren zu. „Schrei mich nicht an!" „Hab ich nicht!" „Sei einfach trotzdem leise!" „Bring mich halt dazu!" Ich verdrehe die Augen und stehe auf. Der Junge macht mich noch wahnsinnig.
„Matt! Wo gehst du hin?" „Weg von dir. Und wag es nicht, mir zu folgen!" Mit dem Wissen, dass er gerade meine Rückseite beobachtet, gehe ich auf die Tür zu meinem Kreativraum zu. Nachdem ich sie hinter mir geschlossen habe, atme ich einmal tief durch. Endlich Ruhe. Ich schnappe mir meine Gitarre von der Wand und setze mich in den Sessel. Mit geschlossenen Augen streiche ich sanft über die Saiten. Ich probiere ein bisschen herum, bis ich mich schließlich für eine Akkordfolge entschieden habe und leise dazu eine unbestimmte Melodie vor mich hinsumme. Ich genieße es, in der Zone zu sein und wünsche mir gerade nichts mehr, als dass dieser Moment für die Ewigkeit ist.
Ein lautes Poltern und ein unterdrücktes Fluchen reißt mich aus meiner Versunkenheit. Genervt öffne ich meine Augen wieder und stehe auf. Auf dem Weg hänge ich meine Gitarre zurück an die Wand und trete in durch die Tür. Mit einem Blick habe ich die Lage überblickt. Per steht mit einem schuldbewussten Gesicht vor dem Ofen, der offen ist. Vorne auf den Steinen liegt ein neuer Holzscheit und ein halb abgebrannter. Mit der flachen Hand schlage ich mir gegen die Stirn, gehe auf ihn zu, um ihn beiseite zu schieben, und hebe die beiden Scheite mit der bloßen Hand auf. Dann mache ich die Ofentür wieder zu und fege die Krümmel weg.
Kaum stehe ich wieder aufrecht, umarmt er mich schon wieder. Warum macht er das immer? Herrgott nochmal. Leider fühlt es sich auch nicht besonders schlecht an, sodass sich wegschieben falsch anfühlen würde. Obwohl er ein paar Zentimeter größer ist als ich, kuschelt er seinen Kopf in meine Halsbeuge und zieht mich mit seinen Armen näher an sich. Sein warmer Atem streicht meinen Hals und verursacht eine Gänsehaut, von der ich nicht genau weiß, ob ich sie angenehm oder unangenehm finde. „Warum umarmst du mich nicht zurück?", nuschelt er an meiner Haut und meine seine leicht feuchten Lippen zu spüren. „Warum umarmst du mich überhaupt?", frage ich in seine Haare zurück. Eine Weile bleibt es still und das einzige Geräusch ist unsere leises Atmen. „Weil ich dich mag. Und deinen Körper." „Warum magst du mich denn bitte?" „Du bist einfach ein ganz besonderer Mensch", antwortet er nach eine kurzen Stille. „Ein besonders unfreundlicher Mensch."
Er hebt seinen Kopf von meiner Schulter, um mich anzusehen. „Dafür, dass du Menschen nicht magst, warst du ziemlich nett zu mir", findet er und hebt eine Hand, um sie an meine Wange zu legen. „Was soll das werden?" Meine Stimme ist nach wie vor abweisend, aber ich kann nichts dagegen tun, mich intuitiv ein wenig in seine Handfläche zu lehnen. „Ich würde dich gern küssen", beantwortet Per mir meine Frage, woraufhin ich leicht den Kopf schüttel. „Schade." Er lässt mich los und setzt sich zurück auf das Bett. Ich bleibe noch kurz wie erstarrt stehen, dann ziehe ich mir einen Pulli über und gehe raus zum Plumpsklo.
Als ich wieder in meine Hütte trete, kann ich Per nicht sehen, weshalb ich mir meinen Pulli und meine Jogginghose ausziehe und in der Küche die Zähne putze. Und als sei das irgendwie seine Lieblingsbeschäftigung, schleicht er sich mal wieder an und umarmt mich von hinten. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich diesmal nur eine Boxershorts anhabe. „Ich habe in deinen Raum reingeschaut, aber ich wollte nicht Sachen angucken, die nicht für andere Augen bestimmt sind." Rücksichtsvoller, als ich gedacht hätte. Ich spüle meinen Mund aus und will dann zurück zum Bett gehen, doch dieser Klotz an meinem Rücken hindert mich irgendwie am Vorwärtskommen. Deshalb drehe ich mich flink in seinen Armen um und hebe ihn kurzerhand hoch. Wie es zu erwarten war, ist er nicht besonders schwer, weshalb ich ihn erst vor dem Bett absetze. „Ich geh jetzt schlafen. Mach, was du willst", grunze ich, öffne noch das Fenster ein wenig und achte darauf, dass der Ofen nur noch glüht.
„Wo soll ich schlafen?" Ich sehe ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Du willst eh mit in meinem Bett schlafen und selbst, wenn ich wollte, hätte ich keine andere Schlafmöglichkeit. Aber wehe, du atmest mir ins Ohr, dann werfe ich dich auf den Boden." Er grinst und zieht sich den Pulli über den Kopf. „Selbst, wenn du wolltest? Also willst du mich gern in deinem Bett haben?" Seine Jogginghose folgt und ich starre einfach nur seinen Körper an, ohne zu antworten. Er kommt einen Schritt auf mich zu, legt seine Hände auf meine Brust und schiebt mich mit sanfter Gewalt aufs Bett, um sich dann auf mich fallen zu lassen. „Ey." Ich schiebe ihn von mir herunter, ziehe mir die Decke über den Körper und drehe ihm den Rücken zu.
Ohne zu fragen, krabbelt er mit unter die Decke und schmiegt sich an meinen Rücken, die Hand auf meinem Bauch. Sanft fahren seine Fingerspitzen meine Muskeln nach. „Per!" „Was? Der Gänsehaut nach zu urteilen gefällt dir das doch." Ich kann sein Grinsen förmlich spüren. „Ich will schlafen." „Ohh, lenke ich dich so sehr ab?" „Wie kann man nur so horny sein?" „Du bist einfach verdammt heiß, Matt", flüstert er in die Dunkelheit. Seine Finger haben aufgehört, sich zu bewegen und ich habe das Gefühl, dass er den Atem anhält. Nur auf was wartet er? Ich zucke mit den Schultern und schließe meine Augen. „Gute Nacht", brumme ich, um ihm zu verdeutlichen, dass er mich jetzt in Ruhe lassen soll. „Schlaf gut", murmelt er zurück.
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