Dienstag - 28.3 - wieder zu Hause
Don't forget - it's fiction!
....................................................................................................................
Als ich am Flughafen ankomme, erwartet mich Sabina schon. Kurz mache ich einen Abstecher zu meiner Lieblingspommesverkäuferin Nora. Als wir uns dem Laden nähern, macht sie mir gleich hektische Zeichen. Sie hat grade vorhin von ihrem Chef das endgültige 'Go!' für Pfingsten in London bekommen. So kann ich mich gleich live mit ihr freuen, dass das klappt. Dann machen wir uns auf in die Halle, wo Jimin und Dr. Serrano aus der Kontrolle kommen werden. Ich hoffe jetzt einfach inständig, dass wir unerkannt bleiben werden, denn so privat haben wir natürlich keinen VIP-Status. Die Sorge ist aber unbegründet. Als Jimin und der Doc durch die Sperre gehen, sehe ich sie sofort und mache Sabina auf sie aufmerksam. Der Doc hat ja nur wenig Handgepäck und hat sich Jimins Koffer geschnappt.
Darum kann der in dem Moment, als er mich sieht, lossprinten, immer im Slalom um wartende oder ankommende Leute herum. Eh ichs mich versehe, fliegt mir mein Gast in die Arme. Ich drücke ihn fest an mich. Der Arzt ist derweil langsamer gefolgt. Ich stelle ihn und Sabina einander vor, woraufhin die beiden sofort in angeregte italienische Konversation versinken, während ich immer noch umärmelt werde.
„Schön, dass du da bist."
Berührt von seiner Freude murmele ich in seine Haare. Jimin hebt den Kopf, strahlt mich an und nickt. Es ist wie in manchen Interviews, wo er so an Namjoon hängt. Einer dieser Momente, in denen ich mir bewusst machen muss, dass er ein erwachsener Mann ist und kein Kind. Sein vertrauensvoller Blick rührt mich. Plötzlich zückt er sein Handy und macht ein Selfie von uns beiden.
„Damit die anderen in Rom wissen, dass ich gut hier gelandet bin!"
Wir beschließen, dass der Doc bei Sabina mitfährt, und so schnappe ich mir Jimins Koffer und strebe zu meinem Auto. Eine kleine Hand schiebt sich in meine große. Er ist sofort wieder ganz angekommen. Zu Hause schmeiße ich schnell noch einen Topf mit Spaghetti an, drei verschiedene Saucen und einen Salat habe ich schon vorbereitet. Der Tisch ist schneller gedeckt, als ich piep sagen kann – Jimin weiß ja, wo alles ist. Maja ist schon zu Hause, die beiden haben sich fröhlich begrüßt. Simon wird gleich auch kommen.
Kurz darauf sitzen wir zu sechst um unseren Tisch und lassen es uns schmecken. Jimin isst - wie immer am Schluss der Zeit hier - mäßig aber stetig. Staunend sieht Dr. Serrano ihm dabei zu.
„Wie kommt das denn so plötzlich???"
Jimin starrt nun selbst irritiert auf seinen Teller. Ich antworte stattdessen.
"Ich habe das Gefühl, dass Jimin wirklich sofort wieder umgeschaltet hat auf das Lebensgefühl der zehn Tage hier. Er ist wie zu Hause hier. Und hier war am Schluss das Essen kein Problem mehr. Ich denke, deshalb fällt es ihm so leicht."
Sabina übersetzt.
Als wir grade das Geschirr weggetragen und eine Schale Obst auf den Tisch gestellt haben, klingelt es. Die Nachbarin Mareike ist von der Arbeit nach Hause gekommen und will ihren „Patienten" und dessen Arzt kennenlernen. Sie ist eine sehr zierliche, aber auch sehr energische Person, die ihre Aufgaben gerne gründlich erledigt. Wieder gibt es ein allgemeines Begrüßen und Vorstellen.
Jimin legt sich dann aufs Sofa und kuschelt sich in unsere gelbe Decke. Sehr schnell ist er eingeschlafen. Sabina und Mareike staunen, wie schnell Jimin weg ist. Der Doc und ich müssen darüber echt lachen.
„Wer weiß, wie lange er schläft? Da er sich heute noch nicht sehr anstrengen musste und im Flieger schon gepennt hat, ist das wahrscheinlich nur einer seiner üblichen 15-Minuten-Schläfchen. Sein Körper holt sich immer mal wieder am Tag einen Schluck Erholung und Kraftschöpfen."
Und tatsächlich kann man die Uhr danach stellen. Nach einer Viertelstunde ist Jimin wieder wach und hockt sich neben mich an den Tisch.
Sabina hat alle Hände voll zu tun, während die beiden die Arztberichte nochmal gemeinsam durchgehen, die Werte durchsprechen und Dr. Serrano ganz viel erzählt von den abgelaufenen acht Tagen. Ich erzähle von den zehn Tagen hier, und so sind nach und nach alle auf dem gleichen Stand. Mareike reichen die Informationen zunächst, und sie weiß ja, dass sie sich heute Abend mit Kwons Hilfe ausführlich mit Jimin unterhalten kann.
Während wir das Fachgespräch der Ärzte abwarten, bittet Jimin mich um ein Notizbuch, das er als Tagebuch verwenden kann. Dr. Serrano schaut bei der Frage so zufrieden drein, dass ich gleich ahne: das sind Jimins „Hausaufgaben" für die Zeit hier. Also gehe ich mit ihm in den Keller und zeige ihm verschiedene Kladden und Notizbücher, die ich grade da habe. Er entscheidet sich für ein kleines, himmelblaues Buch mit Lesebändchen und drückt es glücklich an sich. Ich gebe ihm ein Mäppchen mit Schreib- und Buntstiften dazu, so kann er völlig frei wählen, wie er sein Büchlein füllen will.
Wir gehen wieder rauf zu den anderen ins Wohnzimmer. Da fällt sein Blick in den Garten. Das hat er ja ganz vergessen! Er springt zur Terrassentür und ist wie der Blitz draußen bei den Meerschweinchen. Mit beiden Tieren auf dem Arm und strahlendem Gesicht kommt er wieder reinmarschiert und setzt sich zu uns. Ab jetzt sind wir anderen eigentlich nicht mehr vorhanden für ihn.
Noch eine Stunde weiter fährt Sabina dankenswerterweise den Doc wieder zum Flughafen, weil das sowieso ihre Richtung ist, so dass ich einfach bei Jimin bleiben kann. Wir verabschieden uns sehr herzlich – wer weiß, ob wir uns jemals wieder sehen ...
Jimin fällt ihm einfach um den Hals. Ohne Dr. Serrano würden sie vielleicht immer noch mit PD kämpfen. Und ohne Dr. Serrano wäre den anderen nichts übrig geblieben, als ihn ins Krankenhaus zu bringen, und da wäre er jetzt mit Sicherheit immer noch. Aber es ist offensichtlich, dass auch der Doc sein Herz an Jimin verschenkt hat. Entsprechend herzlich fällt diese Verabschiedung aus.
Simon hat inzwischen schon das Gepäck ganz nach oben gebracht. Dorthin verzieht sich Jimin jetzt, um sein Tagebuch einzuweihen. Er nimmt die Aufgabe offensichtlich sehr ernst. Er öffnet den Timer in seinem Handy, schaut sich irgend welche Notizen an und schreibt los. Eine ganze Weile sehe und höre ich nichts mehr von ihm. In einem losen Wechsel aus Essen, Schlafen und fieberhaft Schreiben verbringt Jimin den Nachmittag. Die letzten vier Wochen haben das Unterste zu Oberst gekehrt in seiner Seele, so viel ist ihm wieder oder neu bewusst geworden. So viel hat weh getan oder ihn glücklich gemacht in seinem Leben, und er schreibt es alles auf. Kreuz und quer durcheinander, wie es ihm in den Sinn kommt. Ich erledige in der Zwischenzeit etwas Haushalt.
Da steht Jimin auf einmal neben mir.
„Duuu? Ich hab ein Problem."
Er wedelt mit dem kleinen blauen Notizbuch.
„Ich kann das zwar alles aufschreiben. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich die einzelnen Erinnerungen später hier wiederfinden soll. Hast du eine Idee? Eine Liste oder so?"
Dankbar über die Ablenkung wende ich mich ihm zu (Wäsche zusammenlegen ist jetzt nicht meine Lieblingsarbeit, muss aber leider dauernd gemacht werden ...).
„Ja, ich hab eine Idee. Pass auf."
Wir setzen uns an den Esstisch.
„Als erstes machst du ein bisschen Fleißarbeit, indem du das komplette Buch mit Seitenzahlen versiehst. Wenn du das hast, legst du hinten ein Inhaltsverzeichnis an."
Ich zeige ihm in meinem 'Bullet Journal', meinem mitwachsenden Terminkalender, wie das System funktioniert. Ein paar Minuten ist er damit beschäftigt, viele kleine Zahlen zu schreiben. Dann schaut er mich wieder an.
„So. Dann erzähl mir doch mal, was für eine Art Erinnerungen das sind, ob sich die irgendwie in Kategorien fassen lassen."
Jimin muss überlegen, was ich meine.
„Naja, sowas wie 'Familie', 'Kindheit', 'Schulzeit', 'Traineezeit' und dann für jedes Jahr seit dem Debut ein Abschnitt. Oder so. Überlege dir, wie du dein Sammelsurium einteilen möchtest."
Nun versteht er, überlegt kurz und schaut mich wieder an.
„Hab ich."
Ich schlage sein Büchlein ganz hinten auf.
„Gut. Dann schreibst du jetzt als Überschriften über die letzten Seiten jeweils eine dieser Kategorien und lässt die ganze Seite dazu frei."
Auch das macht er.
„Und jetzt blätterst du dein Buch von vorne bis hinten durch. Und bei jedem Eintrag überlegst du, in welche Kategorie das gehört. Vielleicht sogar in mehrere. Dort schreibst du dann einfach die entsprechende Seitenzahl hin."
Jetzt macht es KLICK bei ihm.
„Und wenn ich nach etwas aus der Traineezeit suche, muss ich nur schauen, auf welchen Seiten ich dazu was geschrieben habe, und kann den Eintrag ziemlich schnell finden."
Sofort macht er sich an die Arbeit und fängt einfach wieder vorne an. Ich schnappe mir mein Häkelzeug und sehe ihm ein wenig zu. Bei manchen Einträgen weiß er sofort, wohin damit. Bei manchen muss er erst überlegen, was das eigentlich ist. Und zwei Kategorien muss er hinten noch ergänzen, weil die Einträge nirgends sonst hinpassen.
Allmählich sieht er ziemlich müde aus, arbeitet aber unbeirrt weiter.
„Jimin?"
„Hm?"
„Du siehst müde aus. Kannst du es für heute gut sein lassen? Ich habe das Gefühl, es reicht. Bald ist Abendbrotzeit. Danach können wir noch was spielen oder glotzen. Und dann hast du für heute auch genug. Oder?"
„Hmm."
Er schaut mich gar nicht an.
Kleiner Sturkopf!
„Jimin?"
„Hm?"
„Schluss für heute!"
Ich zupfe ihm den Stift zwischen den Fingern raus. Da muss auch er grinsen. Er war so vertieft, dass er nur automatisch ge-hm-t hat, ohne richtig hinzuhören.
„Hast du einen Wunsch fürs Abendessen?"
Seine Augen strahlen.
„Die Frage ist gefährlich. Was machst du, wenn ich antworte: bitte jeden Tag dreimal Milchreis, dicke Tomatensuppe und Käsekuchen?"
Ich muss lachen.
„Dann würde ich mich vermutlich entscheiden für morgens Milchreis, mittags Tomatensuppe und abends Käsekuchen. Und dir dann beibringen, wie du das selber machst. Ätsch!"
Schnell und dolle schüttelt er den Kopf. Also stelle ich mich in die Küche und koche Tomatensuppe. Das frische Brot hat Markus gestern schon gebacken. Und als alle eingetrudelt sind, essen wir gemeinsam zu Abend.
Zum Nachtisch gibt es eine Überraschung von Jeongguk. Der schickt nämlich – keine Ahnung, wie er das technisch immer hinkriegt – eine irre Aufnahme, wie Hobi mitten in Rom an einem spontanen Dance Battle teilnimmt. Das sieht cool aus! Jimins Gesicht leuchtet bei dem Anblick.
„Ist es für dich in Ordnung, dass du da jetzt nicht dabei bist?"
Aufmerksam mustere ich sein Gesicht. Er überlegt kurz und nickt dann.
„Ja, ist es. Ich mein – ich wäre gerne dabei gewesen, hätte vermutlich auch gerne mitgetanzt. Aber das ist jetzt grade nicht dran. Das kriege ich schon noch ein andermal. Jetzt ist für mich dran, NICHT zu tanzen. Und für die anderen sechs ist dran, abzuschalten, nicht um mich zu kreiseln sondern endlich mal wieder völlig unbedarft in den Tag zu leben. Ja, es ist schade. Und ja, es ist genau richtig so."
Kurz danach kommt Kwon. Ich hole noch Mareike dazu, und Jimin erzählt ihr ganz viel von sich, wie sich seine Magersucht entwickelt hat, was er an seinem Beruf liebt, was ihn belastet, wie die letzten Wochen gelaufen sind. Mareike bekommt so ein gutes Bild der Lage. Irgendwann mitten im Gespräch fallen Jimin einfach die Augen zu. Wir müssen lächeln, als sein Kopf langsam auf meinen Arm auf dem Tisch sackt.
Mareike wendet sich schmunzelnd an mich.
„Ich habe ja vorhin mit Dr. Serrano überlegt, ob ich Jimin weiter Infusionen geben soll. Aber ich habe den Eindruck, dass er hier so gut aufgehoben ist und so gut isst, dass das nicht nötig ist. Stell ihn doch bitte morgens je einmal auf die Waage. Ich würde einfach gerne nachhalten, ob sich nach einer Woche was verändert hat. Sollte sich gar nichts tun, wedele ich doch noch mit der Infusion. Und er sollte nicht ununterbrochen grübeln und Seelenarbeit leisten. Versuche bitte, seinen Tag locker zu gestalten und ihn auch mal abzulenken."
Ich erzähle ihr von der Situation vorhin, zeige ihr das kleine blaue Buch. Sie macht einmal Daumenkino und staunt.
„Das hat er alles geschrieben, seit ich heute Nachmittag weg bin???"
„Jepp. Und ich musste ihn zwingen aufzuhören. Aber ich mache mir darum keine Sorgen. Ich weiß, dass die Seele sich nicht antreiben lässt. Aber auch, dass die Seele manchmal selbst treibt. Er hat das heute gebraucht. Und morgen werde ich sanft bremsen, damit er auch zum Verarbeiten kommt."
Mareike und Kwon verabschieden sich.
Ich versuche, Jimin zu wecken. Gar nicht so einfach.
„Hammer oder Eimer Wasser???"
Sofort fliegt sein Kopf hoch.
Cool – dieses Stichwort scheint der ultimative BTS-Wecker zu sein. Muss ich mir merken.
„Bett!"
Mit diesem „Wort zum Sonntag" scheuche ich ihn ins Bad und ins Bett.
„Tiiiinaaaa – singen!"
Jimin kommt aus dem Bad und ruft durchs Treppenhaus, bevor er kichernd ganz nach oben flitzt. Und so singen wir noch gemeinsam das „Ruhet von des Tages Müh'", bevor er ziemlich zügig einschläft.
..................................................................
20.1.2019 - 31.10.2019 - 6.4.2020
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro