24
Es war ein kühler Morgen, und der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee durchzog die Wohnung. Ich stand in der Küche, die Sonnenstrahlen fielen durch die großen Fenster und warfen lange Schatten auf den Holzboden. Die Stille wurde nur vom Summen der Kaffeemaschine und dem gelegentlichen Knarren der Möbel unterbrochen - es war eine dieser ruhigen Morgen, die ich mittlerweile schätzen gelernt hatte.
Ich lebte jetzt seit fast drei Jahren nur noch mit Seungmin und Jeongin zusammen.
Sie waren ein gutes Team. Seungmin war der ordentliche, verlässliche Mitbewohner, der dafür sorgte, dass alles seinen Platz hatte, und Jeongin... war Jeongin. Der jüngste von uns, immer voller Energie, auch wenn er oft Chaos hinterließ, wo er ging.
„Minho-hyung! Ist der Kaffee fertig?" Jeongins Stimme hallte aus seinem Zimmer.
„Fast!", rief ich zurück und griff nach einer Tasse. Sekunden später hörte ich, wie er barfuß über den Flur schlurfte, mit zerzausten Haaren und einem oversize Pullover, der ihm bis zu den Knien reichte.
Ganz bestimmt hatte er ihn Chan beim letzten Besucht geklaut.
„Du bist zu früh wach", bemerkte ich, während ich ihm die Tasse reichte.
„Seungmin hat geschnarcht", murmelte er und nippte vorsichtig an seinem Kaffee, bevor er sich an den Küchentisch setzte.
Ich lachte leise. „Er wird dir den Kopf abreißen, wenn er das hört."
„Soll er doch", murmelte Jeongin, grinste aber.
Es war fast schon Routine geworden, dass wir morgens zu zweit in der Küche saßen, während Seungmin noch schlief oder sich heimlich in seinem Zimmer um seine Pflanzen kümmerte. Es war eine Art neues Gleichgewicht, das wir gefunden hatten, und obwohl es anders war, fühlte es sich gut an.
Und doch... manchmal, in den stillen Momenten wie diesen, spürte ich, dass etwas fehlte.
Jeongin musterte mich über den Rand seiner Tasse hinweg. „Hyung, denkst du wieder nach?"
„Über was?" fragte ich, obwohl ich die Antwort kannte.
„Na ja, über ihn."
Ich hielt inne, mein Griff um meine Tasse wurde fester.
Es war Jahre her, seit Jisung gegangen war. Jahre, seit ich ihn das letzte Mal gesehen, das letzte Mal gehört hatte, wie er lachte.
Aber manchmal kam es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass er durch die Wohnung tanzte, über meinen Witz lachte oder mir einen dieser Blicke zuwarf, die mir den Atem raubten.
„Nein", log ich schließlich.
Jeongin schnaubte.
„Hyung, du bist ein schlechter Lügner."
Bevor ich etwas erwidern konnte, erschien Seungmin in der Tür, frisch geduscht und mit einem seiner typischen gelangweilten Ausdrücke. „Ihr seid schon wach? Unglaublich. Ich dachte, ihr seid morgens immer Zombies."
„Ich bin wach, weil du geschnarcht hast", feuerte Jeongin zurück.
„Ich schnarche nicht." Seungmin setzte sich an den Tisch, goss sich selbst eine Tasse Kaffee ein und ignorierte Jeongins empörtes Schnauben.
Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte und beobachtete die beiden.
Ihr banales Gezanke war beruhigend, fast schon heilsam. Es erinnerte mich daran, dass das Leben weitergegangen war, dass wir alle irgendwie vorangekommen waren, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, dass ein Teil von mir immer noch in der Vergangenheit feststeckte.
„Minho." Seungmins Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Hm?"
„Ich hab dir gestern gesagt, dass wir heute Abend Besuch bekommen, oder?"
Ich runzelte die Stirn. „Nein."
„Na ja, jetzt weißt du es. Felix und Changbin kommen vorbei. Sie wollen uns endlich ihre neue Wohnung zeigen."
„Natürlich wollen sie das", murmelte ich und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Felix und Changbin waren seit ihrem Auszug wie ein altes Ehepaar, das bei jeder Gelegenheit stolz erzählte, wie großartig ihr neues Zuhause war.
„Und was sollen wir dann machen?" fragte Jeongin.
„Ich denke, sie haben ein Essen geplant", erklärte Seungmin. „Und du kochst, Minho."
Ich verdrehte die Augen. Natürlich.
Der Abend kam schneller, als ich erwartet hatte. Felix und Changbin standen irgendwann mit einer Flasche Wein und viel zu viel Energie in der Tür, ihre Stimmen erfüllten die Wohnung wie eine Flutwelle.
„Eure Wohnung ist immer noch so gemütlich!", rief Felix aus, während er seine Schuhe auszog.
„Gemütlich ist eine höfliche Umschreibung für klein", erwiderte Seungmin trocken.
Wir lachten, während wir uns um den Tisch versammelten, das Essen und die Geschichten des Alltags teilten. Es fühlte sich fast so an wie früher, als wir alle zusammen wohnten - fast.
Doch irgendwann, während ich Changbin dabei zusah, wie er Felix mit einem liebevollen Lächeln ansah, überkam mich wieder dieses Ziehen in der Brust.
Ein Teil von mir fragte sich, ob ich jemals wieder diese Art von Nähe finden würde, ob ich jemals wieder jemanden so lieben könnte wie Jisung.
Felix schien meinen Blick zu bemerken und legte eine Hand auf meinen Arm. „Alles okay, Minho?"
Ich nickte, zwang mich zu einem Lächeln. „Ja, alles gut."
Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich immer noch nicht wirklich über ihn hinweg war.
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Es war ein grauer, regnerischer Nachmittag, als ich von der Arbeit nach Hause kam.
Der Regen prasselte gegen die Fenster, während ich meine nassen Schuhe in der kleinen Diele ausziehen wollte. Der vertraute Duft von Seungmins Kochkünsten zog durch die Wohnung, also roch es verbrannt, und irgendwo lief leise Musik aus Jeongins Zimmer. Es war ein typischer Tag - ruhig, stabil, berechenbar.
Zumindest dachte ich das, bis es an der Tür klingelte.
„Machst du auf, Hyung?" rief Jeongin, seine Stimme war halb gedämpft durch die geschlossene Tür seines Zimmers.
„Bin schon dabei!"
Ich lief zur Tür, trocknete mir hastig die Hände an meinem Hemd ab und öffnete.
Und da stand er.
Jisung.
Sein Haar war dunkler, kürzer als früher, und er trug einen Mantel, der von der Nässe des Regens durchtränkt war.
Sein Gesicht war älter, reifer vielleicht, doch diese Augen - die gleichen warmen, funkelnden Augen, die ich immer noch in meinen Gedanken sah - sie waren unverändert.
Ich brachte kein Wort heraus. Mein Herz setzte für einen Moment aus, bevor es mir wild gegen die Rippen schlug.
„Hi, Minho", sagte er schließlich, seine Stimme leise und vorsichtig.
„Jisung?"
Mein Mund war trocken, und es fühlte sich an, als hätte die Luft plötzlich eine Schwere angenommen, die meinen Brustkorb niederdrückte.
Er nickte, zog ein kleines Lächeln über seine Lippen, das nicht ganz sein Ziel erreichte.
„Kann ich reinkommen?"
Ich trat wortlos zur Seite, und er trat ein, seine Schritte hallten leise auf dem Holzboden. Es war surreal, ihn hier zu sehen - in der Wohnung, die so viele Jahre nur von seiner Abwesenheit geprägt gewesen war.
„Was... was machst du hier?" brachte ich schließlich hervor, nachdem ich die Tür geschlossen hatte.
Er drehte sich zu mir um, rieb sich die Hände, als wolle er die Kälte loswerden. „Ich bin... zurück."
Zurück. Dieses Wort allein ließ mein Kopf schwirren.
„Für immer?" fragte ich leise, fast ängstlich.
Er zuckte mit den Schultern, wich meinem Blick aus.
„Das kommt darauf an. Ich... Ich hatte in der letzten Zeit viel nachzudenken."
Ich wollte etwas sagen, wollte fragen, was er meinte, warum er gegangen war, warum er nie geantwortet hatte. Aber meine Stimme versagte.
„Kannst du bitte mit mir reden, Minho?" Seine Worte klangen fast verzweifelt, und als ich endlich in seine Augen sah, bemerkte ich, wie schwer sie aussahen.
Ich nickte schließlich und führte ihn ins Wohnzimmer.
Seungmin und Jeongin blieben ausnahmsweise aus ihren Zimmern weg, was mir zumindest ein bisschen Ruhe verschaffte, auch wenn ich wusste, dass sie alles belauschen würden.
Wir setzten uns, und er begann zu sprechen.
„Ich habe mich in der Zeit, in der ich weg war, oft gefragt, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Dich zurückzulassen... ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte."
„Und jetzt weißt du es?" Ich hatte nicht vor, scharf zu klingen, aber die Worte kamen schneller, als ich sie zurückhalten konnte.
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Aber ich wusste, dass ich es nicht mehr aushalte, wegzubleiben. Minho, ich wollte damals nicht gehen, aber ich dachte, dass es besser wäre, wenn ich Abstand nehme."
„Abstand?"
Meine Stimme zitterte leicht, und ich musste tief durchatmen, um mich zu beruhigen.
„Du hast mich komplett aus deinem Leben gestrichen, Jisung. Du bist gegangen, ohne mir eine Chance zu geben, irgendetwas zu verstehen."
Er sah zu Boden, seine Hände fest ineinander verschränkt.
„Ich weiß, und es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid."
Für einen Moment war der Raum still, abgesehen vom leisen Trommeln des Regens gegen die Fenster.
Ich wollte ihm glauben - ein Teil von mir hatte all die Jahre nur darauf gewartet, dass er zurückkam, dass er mir irgendetwas sagte, das alles besser machte. Aber ein anderer Teil von mir war immer noch verletzt, immer noch voller Zweifel.
„Warum bist du jetzt hier?" fragte ich schließlich.
Er sah mich an, seine Augen glänzten, als kämpfte er mit den Worten.
„Weil ich einen Fehler gemacht habe. Weil ich erkannt habe, dass es nicht die Entfernung war, die mich vor meinen Gefühlen schützen konnte. Es war dumm, überhaupt zu denken, dass ich das könnte."
„Welche Gefühle?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Er nahm einen tiefen Atemzug, seine Schultern bebten leicht. „Für dich, Minho."
Mein Herz setzte erneut aus, und ich wusste nicht, ob ich lachen, weinen oder einfach weglaufen sollte.
„Warum sagst du mir das erst jetzt?" fragte ich, und ich spürte, wie meine Stimme wieder fester wurde.
„Warum erst nach all diesen Jahren?"
„Weil ich ein Feigling bin", sagte er, und sein Lächeln war traurig.
„Weil ich Angst hatte, dir zu sagen, dass ich dich liebe, und dass ich mich verändern würde, wenn ich es tue."
Die Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. „Und jetzt?"
„Jetzt habe ich mehr Angst davor, ohne dich zu sein."
Er stand auf und trat vor mich, seine Hand streckte sich nach meiner aus, zögerlich, als hätte er Angst, dass ich zurückweichen könnte. Aber ich tat es nicht.
„Minho, ich weiß, dass ich alles falsch gemacht habe. Aber wenn du mir eine zweite Chance gibst, verspreche ich, dass ich es diesmal richtig mache."
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