18
Der Morgen fühlte sich seltsam an. Normalerweise war das Frühstück der lauteste Moment des Tages - Hyunjin, der Felix vom Herd wegdrängte, Jisung, der neben mir saß und mir viel zu viele Bissen von meinem Teller klaute und Changbin, im Schlafanzug, der immer die meisten Pancakes schnappte.
Doch heute? Heute herrschte eine bedrückende Stille.
Ich saß am Tisch, neben Jisung, der ungewöhnlich ruhig war. Meine Augen wanderten zu Seungmin, der wie ein Geist wirkte. Er hatte sich Tee gemacht, rührte aber nicht mal daran. Sein Blick war leer und er sprach nicht.
Jeongin saß neben ihm, sein Gesicht voller Sorge.
„Min, was ist los?" fragte er leise, doch Seungmin gab keine Antwort.
Hyunjin, der sonst nie still war, stocherte auf seinem Teller herum, als würde er einen Weg suchen, ihn zu vermeiden. Seine Schultern waren angespannt, und er warf immer wieder verstohlene Blicke zu Seungmin.
Doch es war offensichtlich, dass er nicht wusste, was er sagen sollte - oder ob er überhaupt etwas sagen durfte.
Felix versuchte, die unangenehme Stille zu füllen.
„Hey, sollen wir heute Nachmittag rausgehen? Vielleicht einen Film gucken oder ein bisschen spazieren?" Seine Stimme klang zu hell, fast gezwungen.
„Kein Interesse", murmelte Seungmin.
Die Worte klangen wie ein Schlag in die Magengrube. Felix schloss kurz die Augen, nickte dann aber tapfer. „Okay... vielleicht später."
Chan saß wie eine Statue am Kopfende des Tisches. Normalerweise war er derjenige, der eine Lösung fand, wenn etwas schiefging, aber heute wirkte selbst er hilflos.
Sein Blick wanderte zwischen Hyunjin und Seungmin hin und her, als würde er die passenden Worte suchen. Aber selbst unser selbsternannter Anführer wusste nicht, wie er die Spannung brechen sollte.
Changbin allerdings hielt es nicht länger aus.
„Also... sollen wir jetzt alle so tun, als wäre gestern nichts passiert?" Seine Stimme war scharf, und er sah direkt zu Hyunjin.
Hyunjin hob den Kopf und starrte Changbin an, seine Augen funkelten. „Was willst du damit sagen?"
„Ich will damit sagen, dass du vielleicht mal über dein Verhalten nachdenken solltest, anstatt hier rumzusitzen, als wärst du das Opfer", erwiderte Changbin trocken.
„Changbin...", begann Chan warnend, aber es war zu spät.
„Entschuldigen?" Hyunjin stand abrupt auf, seine Stimme zitterte vor unterdrückten Emotionen.
„Als ob das alles nur meine Schuld wäre! Ich hab vielleicht überreagiert, aber Seungmin ist auch nicht unschuldig!"
Seungmin rührte sich nicht. Er reagierte nicht einmal auf Hyunjins Worte. Stattdessen starrte er weiter in seinen Tee, als ob er hoffte, dass die Situation sich von selbst auflösen würde.
Jeongin legte eine Hand auf seinen Arm.
„Hey... kannst du mir bitte erklären, was passiert ist? Ich war gestern nicht da, und jetzt..." Seine Stimme brach ab, als Seungmin den Kopf hob und ihn ansah.
Dieser Blick - so voller Schmerz und Müdigkeit - ließ mich fast zusammenzucken. Es war ein Blick, den ich von ihm nicht kannte. Seungmin war immer so stark, so kontrolliert. Doch heute sah er aus, als hätte er die Welt auf seinen Schultern getragen.
„Es gibt nichts zu erklären", sagte er schließlich, seine Stimme so leise, dass ich mich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen.
„Ich brauche einfach nur etwas Ruhe."
Er stand auf, nahm seinen Tee mit und verschwand, ohne noch ein Wort zu sagen.
Die Tür zu seinem Zimmer fiel ins Schloss, und eine weitere Stille breitete sich aus. Jisung drückte sich enger an mich, als wollte er Trost suchen. Ich legte meinen Arm um ihn, doch mein Blick wanderte zu Hyunjin, der immer noch stand, sein Gesicht voller Schuld und Wut.
Felix griff vorsichtig nach Hyunjins Hand, doch dieser schüttelte sie ab. „Ich... ich geh frische Luft schnappen", murmelte er und verließ die Küche, ohne uns anzusehen.
„Gut gemacht, Changbin", sagte Chan genervt, aber auch er wirkte erschöpft.
Changbin runzelte die Stirn, aber er sagte nichts. Stattdessen sah er zu Jeongin, der immer noch regungslos auf seinem Stuhl saß, den Kopf gesenkt.
„Also... großartiger Start in den Tag", murmelte ich schließlich und versuchte, die Spannung zu brechen. Doch niemand lachte.
Chan hatte genug.
Das war offensichtlich. Als er uns alle ins Wohnzimmer rief, klang seine Stimme so fest entschlossen, dass niemand widersprach - nicht einmal Seungmin oder Hyunjin. Er stand in der Mitte des Raumes, die Arme vor der Brust verschränkt, während wir uns auf die Sofas und den Boden verteilten.
„Niemand verlässt diesen Raum, bis das hier geklärt ist", erklärte er mit einer Autorität, die sogar Changbin zum Schweigen brachte.
„Ihr habt euch alle wie Kinder benommen, und jetzt benehmt ihr euch wie Erwachsene."
Jisung, der wie immer neben mir saß, lehnte sich zu mir rüber und flüsterte: „Er klingt wie ein wütender Lehrer."
„Oder ein schlecht gelaunter Dad", murmelte ich zurück, was ihm ein Kichern entlockte.
Chan warf uns einen warnenden Blick zu. „Minho, ich hör dich."
Ich hob unschuldig die Hände, während Jisung versuchte, sein Lachen zu unterdrücken.
„Also", fuhr Chan fort, „wir spielen ein Spiel. Jeder von euch muss einer anderen Person im Raum ein Kompliment machen. Und ich meine ein echtes, kein ironisches oder sarkastisches. Verstanden?"
Felix hob die Hand. „Darf es auch ein Kompliment an dich sein, Chan?"
Chan rollte mit den Augen. „Nein, Felix. Ich bin der Moderator. Komplimente gehen an die anderen."
„Schade", murmelte Felix mit einem Grinsen.
Der erste war Hyunjin. Er warf einen unsicheren Blick in die Runde und zögerte, bis Chan ihn aufforderte, anzufangen.
„Äh... okay", begann er schließlich. „Jeongin, du bist echt gut darin, Leute zum Lachen zu bringen. Selbst wenn ich schlechte Laune habe, schaffst du es immer, mich aufzumuntern."
Jeongin sah überrascht aus, seine Wangen leicht rosa. „Danke, Hyung."
Dann war Felix an der Reihe. Er grinste breit und sagte: „Hyunjin, dein Haar sieht heute besonders gut aus. Wie ein Shampoo-Werbespot."
Das brachte uns alle zum Lachen und selbst Hyunjin musste schmunzeln.
Als ich dran war, wusste ich sofort, worauf ich hinauswollte. „Changbin."
„Was?" fragte er misstrauisch.
„Du hast einen beeindruckenden Hintern", sagte ich völlig ernst. „Wirklich. Wenn es eine Kategorie für die besten Ärsche gäbe, wärst du die Goldmedaille."
Changbin starrte mich an, während der Rest des Raumes in schallendes Gelächter ausbrach.
Jisung fiel fast vom Sofa, und selbst Chan musste sich eine Hand vor den Mund halten, um nicht laut zu lachen.
„Das ist kein Kompliment!" rief Changbin empört.
„Doch, ist es", erwiderte ich. „Ich meine es ernst. Dein Hintern ist ein Kunstwerk."
„Minho", warnte Chan, konnte aber selbst kaum ernst bleiben.
Ich zuckte mit den Schultern. „Hey, er soll sich geschmeichelt fühlen."
Jisung war als Nächster dran. „Minho", begann er und sah mich mit einem Grinsen an. „Du bist der Meister im Tanzen. Niemand bewegt sich so geschmeidig wie du."
„Das weiß ich", erwiderte ich mit einem selbstgefälligen Lächeln, was ihm einen Augenroller entlockte.
Jeongin kämpfte, ein ernstes Kompliment zu finden, entschied sich schließlich für Felix.
„Hyung, du bist der netteste Mensch, den ich kenne. Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel Geduld wie du."
Felix legte eine Hand auf sein Herz. „Danke, Innie."
Nach und nach wurden die Komplimente immer persönlicher und ehrlicher. Die Atmosphäre, die am Morgen noch so angespannt war, begann sich aufzulockern. Selbst Seungmin, der bisher kaum ein Wort gesagt hatte, schaffte es, Hyunjin ein aufrichtiges Kompliment zu machen: „Du bist unglaublich kreativ. Deine Ideen inspirieren mich immer wieder."
Hyunjin, der anfangs noch mit verschränkten Armen dagesessen hatte, entspannte sich sichtlich. „Danke, Seungmin."
Als wir fertig waren, lehnte sich Chan zurück und sah zufrieden aus. „Seht ihr? Das war doch gar nicht so schwer."
Jisung lehnte sich an mich und flüsterte: „Dein Kompliment war immer noch das Beste."
Ich grinste. „Natürlich. Ich bin eben ein Mann mit Geschmack."
Der Raum war wieder voller Lachen, und auch Seungmin hatte ein schwaches Lächeln auf den Lippen. Vielleicht, dachte ich, war Chan doch mehr als nur ein wütender Lehrer.
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